SS Nr. 157,
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Beilage zum Berliner Volksblatt.
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|«kaU«. Einer der alierthümlichsten Theile Herlin», a:i deffen Aeuhcrcm die Zieugestaltung der deutschen Reichshaupt- stadt ihre Zeichen noch am wenigsten bemerkbar gemacht hat, ist der zwischen der Landsberger- und Reuen Königstraße belegene Georgenkirchplatz. Umflutdet und umwogt von dem brausenden Verlehr des belebtesten Theilcs der Berliner Allstadt, cinge- zwängt in eine Unmasse kleiner, aller Häuser, deren Inneres bis auf den kleinsten Winkel zu Wohnstätten ausgenutzt ist, in fast unmittelbarer Nähe des neuesten Wahrzeichens der Welt- stadteiaenschaft unserer deutschen Kapitale, der Stadtbahn, liegt er in stiller Abgeschlossenheit da, nur zuweilen widerhallend von den fröhlichen Rufen der Kinderschaaren, die fich in seinen An- lagen dem Spiele hingeben. Das alterthümliche Aussehen der kleinen Gebäude, die ihre Entstehung meist weit, weit zurück- datiren, macht einen Rückblick auf die Geschichte des Platzes tanz besonders interessant, und da finden fich in den alten ierliner Chroniken manche werthvolle Angaben. Der Georgen« kirchplatz diente, bevor die Königstadt entstanden war, zur Beerdigung der in dem dort liegenden Hospital und Posthause verstorbenen Personen, der Leichen von Armen und Hingerichteten; er war der erste Armen- und Arm- sünder-Kirchhof Berlins . Später, und zwar seit dem Jahre 1695 wurde zu diesem Zwecke der Jokobskrrchhof denutzt, und seit dem Jahre 1708, von wo an man die L.ichen der Armen und Hingerichteten auf dem Koppe'schen Armenkirchhofe begrub, war der Georgenkirchptatz ausscdließlichcr Begräbnißplatz der Georgen- kirlbgemeinve geworden. Das erste Haus, das auf ihm erbaut war, das Posthaus, das ganz im Winkel hinter der heutigen Kirche stand, wurde 1713 verkauft und niedergebrochen. Da, wo heute die Gcoraentirchstraße ihren Anfang nimmt, standen dann verschiedene Gebäude, welche inzwischen auch dem Zahne der Zeit zum Opfer fielen. Zunächst war die frühere Nr. 16, das Torolbeen-Hospital, das den damals zur Residenz kommenden Fremden in Krankheisfällen eine Zufluchtsstätte gewähren sollte. Diese ursprüngliche Bestimmung änderte fich dann allgemach; seine letzte Bestimmung, welche es noch bis zum Jahre 1849 beibehielt, war die Aufnahme von Wittwen bürg-rlichen Standes. Neben diesem�Hospital,� in der damaligen Nr. 17 und 18, befand fich das„Splett"(Spital), das zur Aufnahme von vierundzwanzig armen Frauen diente, welche dort Wohnung und Geldunter- stützung erhielten. Nr. 19 war ursprünglich Stätte eines Krankenhauses für das Lichnowsky'sche Regiment und wurde später in gleichem Sinne von dem Thümen'schcn Regimente de- nutzt. Seit dem Jahre 1806 nahm das Gebäude das vom Professor Dr. Z-une geleitete Blindeninstitut auf, und seit 1837 wird es für die Zwecke der im Jahre 1729 von der Wittwe des Bürgermersters Kornmesser errichteten Stiftung für Weisen be- nutzt, die ja noch heute unter dem Namen„Kornmeffer'sches Waisenhaus" besteht. Die übrigen Gebäude find, mit Ausnahme von Nr. 33 und 34, das ursprünglich das„Georgen- Hospital" war und zur Aufnahme von 50 bis 60 tzoipitaliten beiderlei Geschlechts bestimmt war. durch Aus« resp. Anbauten der Häuser der Landsderger und Neuen Königstraße, und zwar meist zu Anfang dieses Jahrhunderts oder später entstanden. Der Ha« de» Reich»tag»g< bände» ist jetzt so weit gc- diehen, daß, nachdem der Sockel des Erdgeschosses, den man mit schweren, wuchtigen und gewaltigen Granitblöcken von grauer Farbe umkleidet, vollendet ist, jetzt die Umkleidung des höheren Theiles des Erdgeschosses, gewissermaßen des Mittel- baues in Angriff genommen ist. Für diesen Theil werden Sandsteinblöcke, allerdings auch von massigen Dimensionen, wie man fie hier noch bei fernem öffentlichen Bau in diesem Um- fange angewendet hat, verwendet. Die Nachricht, es sei schlefi- scher Sandstein, der hier zur Verwendung gelange, beruht nach der„Berliner Börsenzeitung" auf einem Jrrthum. Es lag näm- lich von vornherein bei diesem Bau die Abficht zu Grunde, für diese Sandsteinbekleidung möglichst die Sandsteinbrüche des ganzen Landes heranzuziehen. Hierbei waren aber wiederum die Schwierigkeiten zu überwinden, welche dadurch hervor- gerufen wurden, daß diese Sandsteinblöcke eine möglichst gleiche Färbung, verbunden mit gleicher Struktur und Feinheit des Kornes besttzen mußten. Die Lösung dieser Aufgabe ist denn auch gelungen, und es werden jetzt verwendet Sandstcinblöcke nicht dlos aus Warthau und Rackwitz in Schlesten, sondern auch von Neffelberg in Hannover , der Freiherr von Fuchs'schen Brüche in Burgpnppoch in Bayern und Sandsteine aus Bergheim im Teutoburger Walde. Sämmtliche Brüche liefern vorzügliches, feinkörniges, festes und in Struktur und Farbe so gleichmäßig erscheinendes Material, als od dasselbe aus einem und demselben Bruch hervorgegangen wäre. Auch im Innern des Hauses wird, dem monumentalen Charakter desselben entsprechend, vielfach Sandstein zu den Wanddelleidungen und Architckturtheilen verwendet. Es find besonders die dem großen Verkehr dienenden Hallen, Fluren und Vestibüle, welche in dieser Weise ausgestattet werden. Zur Verwendung gelangen hier Sandsteine aus Udelfangen bei Trier an der Mosel , Bayerfeld in der Pfalz und Arzweilcr und Pfalzdurg im Elsaß . Letztere Steine zeichnen fich durch eine schöne, grünlich-blaue Färbung aus. Die große Wartehalle für das Publikum wird in ihren Thür- und Fenstereinfassungen, Pfeilern, Gurtungen und Gewölberippen aus ihnen hergestellt. Es ist in der That von Interesse, mit anzusehen, in wie leichter Weise die Arbeiten und Handtirungen an diesen gewaltigen Steinmaffen, deren Gewicht oft bis zu 60 und 70 Zentner für den einzelnen Block anwächst, unter Anwendung der praktischen Hilfsmaschinen sich abwickeln. Zahlreiche Arbeiter find an diesem gewaltigen Bau beschäftigt außer denjenigen, welche noch in den Steinmetzwerkstätten für denselben Zweck thätig find. - Illustration unserer Lestrlingvverhaltniste wird uns«eben: Der 16 Jahre alte Lehrling des Töpfer- meisrers Nette in Friedrichshagen , Scharnwederstr. 40, mußte am Donnerstag, den 7. d. M, für seinen Lehrhcrrn von der Ntcdcrlage des Herrn Gärtner in der Schm dstraße 4 große Fullungsmittelstucke, 3 Füllungsecken und 6 Bänder, nach meiner Schätzung rm Gewichte von 80 Pfd., nach der Mclanchthonstr. 22(Moabit ) tragen, wo Herr Nette Oefen setzt. Der schwache Knabe war von dieser Last so ermattet, daß er, nachdem er an der Maikgrafenstraße mit Hilfe fremder Per- sonen die Kiepe und, um zu ruhen, ab- und nach einer Pause wieder aufgenommen hatte, nur bis zur Charlottcnstraße kommen konnte, um dort wieder zu ruhen. Dabei hatte der Knabe keinen Groschen bekommen, um fich etwa erquicken zu können. Ob und wann der Knabe mit seiner Last nach Moabit gekommen ist, weiß ich nickt, da mein Weg mich nach einer an- deren Richtung führte. Liegt bei solcher übermäßigen An- strenaung eines Lehrlings nicht die Gefahr vor, daß der Keim der Lungenschwindsucht oder anderen Sicchthums gelegt werde? Werden ein Pferd oder ein Hund übermäßig beladen, so schreitet der Schutzmann ein, für den schwachen Knaben hebt Niemand einen Finger. Verweigern darf der Lehrling solche Anforderung nicht, da der Lehrherr berechtigt ist, dem Lehr- linge eine„angemessene Züchtigung" zu verabreichen, die ihm
vielleicht auch jetzt noch zu Theil werden kann, wenn der Meister diese Mittheilung liest. Ueller Reichthum und Armuth der Berliner pe- vötkerung schreibt man der„Volks-Ztg." noch: Von den über die Einschätzung zur Klassen- und Einkommensteuer angegebenen Zahlen find einige geeignet, Mißverständnisse hervorzurufen. So versteuern von den Einkommenstcuerpflichtigen nicht 195 ein Einkommen bis 42 000 M, sondern ein solches von 36000 bis 42 000 M. mit einem Steuersatze von 1080 M. Die Mittheilungen über die höchsten Stufen find nicht richtig; es giebt viel mehr als drei oder vier Personen, welche von einem Einkommen von mehr als 204000 M. Steuer bezahlen. So find einge- schätzt 29 Personen mit einem jährlichen Einkommen von 204 000 bis 240 000 M., 15 Personen von 240 000 bis 300 000 M., 9 Personen von 300 000 bis 360 000 M, 8 von 360 000 bis 420000 M.. 2 von 420000 bis 480 000 M.. 6 von 480 000 bis 540000 M., 1 von 540 000 bis 600 000 M., 6 von 600000 bis 660000 M., 2 von 720 000 bis 780 000 M., 1 von 960 000 bis 1 020 000 M. 1 von 1 020 000 bis 1 080 000 Mark, 1 von 1320000 bis 1380000 M. und 1 von 2 460 000 bis 2520000 M. Die Zahl der reichen Leute ist also in Berlin noch viel größer, als es jene Mittheilung erkennen ließ. Sie würde sogar noch viel mehr anwachsen, wenn die Veranlagung zur Steuer eine richtigere wäre. Es giebt in Berlin eine ganz erkleckliche Anzahl reicher Leute, welche ihr Einkommen mit Geschick und Erfolg vor der Steuereinschätzungs- Kommission zum großen oder gar zum größten Theile zu verbergen wissen und Jahr aus, Jahr ein viele Tausende Mark von Steuern weniger zahlen, als ihnen zukommt. Die großen Einkommen sind naturgemäß viel schwieriger einzuschätzen, als die mittleren und kleinen; hier in Berlin ist die Schwierigkeit um so größer, als die vier Einschäyungs-Kommisfionen, welche in Berlin bc- stehen, viel zu große Bezirke haben, als daß die Kommissions- Mitglieder in der Lage wären, die Verhältnisse der Steuer- Pflichtigen genügend kennen zu lernen. Als Kuriosum sei mit- Setheilt, daß in der entsprechenden Einkommensteuer-Ein- bätzvngs-Kommission die Tempelhofer Vorstadt mit ihren sehr zahlreichen Einkommenstcuerpflichtigen seit Jahren nur durch einen Herrn vertreten ist, der für sein Amt zwar hervorragend befähigt ist, aber selbstverständlich nicht die Verhältnisse der einzelnen Steuerpflichtigen genügend kennt. Will man sich nicht entschließen, die Selbsteinschätzung mit hohen Strafen für Hinter- ziehungen einzuführen, so sollte man wenigstens die Zahl der Einschätzungs-Kommissare dem heutigen Umfange der Stadt ent- sprechend vermehren. Die seit einiger Zeit andauernde Einschränkung und die bevorstehende zeitweise gänzliche Einstellung des Be- triebes der Gewehrfabrir in Spandau beeinflußt die Ardeiter- Verhältnisse am Orte in sehr ungünstiger Weise. Der„Anz. f. d. theilt hierüber folgendes mit: Die zur Entlassung gekommenen unverheiratheten Gewehrarbeiter haben die Stadt meist verlassen, um anderswo Beschäftigung zu suchen. Anders verhält es fich aber mit den ansässigen verheiratheten Leuten; diese können ihren Wohnsitz nicht so ohne weiteres verlegen, um sich nach vortheilhaftercn Erwerbsverhältnissen umzusehen. Sie werden am Ort bleiben und abwarten, bis bessere Zustände ein- treten. Inzwischen werden sie aber bemüht sein, anderweitig irgend welchen Verdienst zu erlangen, damit die Spargroschen nicht so schnell aufgezehrt werden. So ist nun ein übergroßes Angebot an Arbeitskräften entstanden, und die Löhne find in- folge dessen beträchtlich herabaedrückt. Während sonst in Spandau der ortsüdliche Tagelohn 2 M. SO Pf. bis 3 M. betrug, hat man stellenweise begonnen, denselben jetzt auf 2 M. herabzudrücken. Dies ist allerdings ein sehr kärglicher Verdienst, der den ungewöhnlich theurcn Lebensbedingungen Spandaus keineswegs entspricht. I« welcher Meise einzelne Industriezweige durch die Konkurrenz der Gesängnißarbeit geschädigt werden, ergiebt fich aus dem Klageruf, welchen die Berliner Blumenindustrie in dem Jahresbericht des Aeltcstcnkollegiums der Berliner Kauf- Mannschaft erhebt. Es geht daraus hervor, daß der Berliner Platz bis zum Jahre 1880 noch weit über 1000 Arbeiterinnen auf Spezialitäten beschäftigen konnte, dagegen heute kaum noch im Stande ist, 200 Arbeiterinnen bei aufs Aeußerste herabae- drückten Preisen während 7 Monaten im Jahre lohnenden Er- werb zu schassen, die Strafanstalt Plötzensee und die Berliner Untersuchungsgefängnisse aber noch bis heute über 300, meist n ännliche Sträflinge mit der Blumenfabrikation zu beschäftigen im Stande find. In früheren Jahren hatte der Gefängniß- Unternehmer in dieser Branche bis zu 1000 Menschen beschäftigt und diese Zahl wird mit Leichtigkeit wieder zu erreichen sein, wenn die Mode wieder eine der Branche günstige Wendung nimmt. Die Gefängnißindustrie, so heißt es in dem Bericht, verdrängt mehr und mehr die eigentliche Blumen- und Blätter- industrie Berlins und zerstört somit einen Theil der Produk- tionskraft unseres Platzes, welcher vorher der Hauptfltz der deut- schen Blumensabrikation war, während heute durch das Massen- angebot der Gefängnißfabrikation hier nur noch geringwerthige Erzeugnisse gesucht werden. Jev gesetzlich angeordnete Umbau der Eisendatzn- e vom Stettiner Katznhose bi« zum Dumboldthai« hat einen lebhaften Widerspruch gegen das jetzt vom Minister v. Maybach endgiltig festgesetzte Projekt auf Seiten vieler Be- wohner des Nordens hervorgerufen. Dieser Widerspruch bezieht sich namentlich auf die angeordnete Trazimng der Strecke, von der man nachthellige Folgen für die dortige Stadtgegend be- fürchtet. Mehrere Anwohner und Interessenten haben dem Diinistcr demgemäße Vorschläge gemacht, deren Zweck ist: Hoch- bau des Stettiner Bahnhofes und Verlegung des lästigen Guter- dahnhofes oder Beseitigung der Bahn. Am nächsten Montag findet in der Tonhalle eine öffentliche Versammlung statt, in welcher über die Angelegenheit berichtet und verhandelt � �Ermittelunarn über die Kerliner Lohnverhättnisse. Die Gewerbedeputation des Magistrats hat beschlossen, auch in diesem Jahre Ermittelungen über die Berliner Lohnvcrhältnisse anzustellen. Die Ermittelungen sollen in umfangreicherer Weise als bisher geschehen, namentlich auch im Wege der mündlichen Enquete. Es ist zu wünschen und zu hoffen, daß die Deputation bei dieser für die Berliner Arbeitcroerhältnisse äußerst wichtigen Arbeit das weitgehendste Entgegenkommen seitens der bethei- ligten Kreise finden wird; nur möge die Deputation auch die vielen hier destehenden Fachvereine, welche jedenfalls wichtiges Material zu liefern im Stande find, bei der Enquete nicht ü�Ä� Nertzültnisf« der Kerliner Bierbrauereien find trotz der immer größer werdenden Zufuhr fremder Bicre an- dauernd gute. Stach dem Bericht der Berliner Kaufmannschaft ist die Gesammtproduftion aller 65 Berliner Brauereien auf 2555232 Hektoliter, d. h. um 11,18 pCt. gejtiegen, fie hat aber nicht dlos absolut, sondem auch relativ, d. h. vro Kopf der Be- völkerung zugenommen. Es ergab sich nämlich pro Kopf der Bevölkerung eine durchschnittliche Produktion von 184; Liter. Die einzige Stadt in Deutschland , in welcher das Braugewerbe
eine ähnliche Ausdehnung hat, wie in Berlin , ist München Die dortige Bierprodultion ist gleichfalls um 11,48 pCt. gestiegen, es kommt aber auf den einzelnen Bewohner ein nahezu fünfmal so großes Quantum wie in Berlin. — Von den in Berlin gebrauten Bieren sind 212 923 Hektoliter ausgeführt, dagegen find 236 233 Heftoliter von auswärts eingeführt worden, und wenn man den Ueberschuß der Produktion noch zurechnet, so ergiebt fich als Konsum pro Kopf das Quantum von 1,86 Hektoliter. Alles in allem ist nachzuweisen, daß trotz der Ein« fuhr fremder Biere der Konsum der Berliner Biere auch im ver- ganaenen Jahre erheblich gestiegen ist, was an dm theuren Preisen der süddeutschen Biere und der fortgesetzten Steigerung der Bevölkerungszahl Berlins liegt, welche seit 1882 um mehr als 200 000 Seelen angewachsen ist. Da» Asvbaltpflafter macht in Berlin immer weitere Fortschritte. Während des vorigen Jahres find wiederum ca. 80 000 Quadratmeter mit Asphalt befestigt worden, so daß die Gesammtfläche der asphaltirten Straßen Berlins ca. 480 000 Quadratmeter aufweist. Zu den Straßenbefestigungen wurde wiederum das Material aus den Gruben Ragusa auf Sizilien und Val de Travels benutzt, da fich die Versucht mit deutschem und künstlichem Asphalt nicht bewährt haben. Höfliche«nd unhöfliche Postbeamte. Die Höflichkeit ist nicht Jedermanns Sache; höflich zu sein oder wenigstens höflich zu erscheinen, ist eine Kunst, die nicht jeder versteht, fie lernt sich am besten im steten Verkehr mit dem Publikum. Von allen Staatsbeamten find es vielleicht nur die P o st b e am t en, die unausgesetzt mit dem Publikum in Berührung kommen. Man kann nur leider nicht behaupten, daß alle Postbeamten höflich seien. Die beste Gelegenheit, den Grad ihrer Höflichkeit kennen zu lernen, bietet fich einem an den Postschaltern dar. Hier ist der Berührungspunkt von Beamten uud Publikum und im gegenseitigen Verkehr mit einander treten die höflichm und unhöflichen Eigenschaften bald zu Tage. Der Herr Generalpoft« meister Dr. v. Stephan als oberster Postbeamter ist ein sehr höflicher Herr, das kann Stiem'nd bestreiten; er beweist das des Oefteren durch vorwiegend gut gemeinte, aber weniger gut ge- reimte Beglückwünschungstelegramme. Aber bei der Post trifft das Sprichwort: wie der Herr, so der Diener, nicht immer zu. Es ist ja richtig, daß die große Zahl der unteren Postbeamten vom Postamtsvorsteher abwärts in eine durchaus andere Be- rührung mit dem Publikum kommen, und wer die Verschieden- artigkeit des letzteren und seine oft weitgehenden und deshalb ungerechtfertigten Anforderungen kennt, wer fich darüber nicht täuscht, daß gegen die Dummheit nicht allein die Götter, sondern auch die Postbeamten vergebens kämpfen, der wird es in einzelnen Fällen entschuldbar finden, wenn Postbeamte einem wenig begrifffähigen Publikum gegenüber be- finden, kann man beobachten, in wie durchaus verschiedener Weise fich die Herren in der Beamtenuniform ihrer schwierigen Aufgabe entledigen. Die Einen geben fich die erdenklichste Mühe, einem alten Mütterchen, das über eine Briefsendung durchaus nicht in's Klare kommen kann, die Sache des Fran- kircns und„Einschreibens" klar zu machen; die Andern, welche am Schalter vielleicht durch die Fragen eines Begriffsstutzigen aus ihren Träumen, in denen fie sich schon als künftige Post- direktoren wähnen, aufgerüttelt werden, geben kurze, unverständ- liche Antworten und schieben dem Manne im Scbaltervorraume MMMMW Publikum, ehe fie nach dessen Wunsche fragen, in unverantwort- licher Weise vor dem Fenster warten lassen. Der Beamte wA MS WÄrs Publikum muß fich einreden, daß der Herr dahinter dem Fenster nach seinen Instruktionen handelt, wenn er es vor dem Fenster Publikum ist in solchem Falle angenehm überrascht und nimmt die Postwertbreichen noch mit einem freundlichen„Danke" in Empfang Die unhöflichen Beamten lassen fich in einem außerdienstlich«» Gespräch nicht stören und wenn man minutenlang am Fenster wartet; die Höflichen find sofort zur Stelle. Wir haben es neu- l,ch zum Beispiel gesehen, so schreibt das„Kl. Journal.", daß ein Beamter in Gcmutbsruhe einen größeren Posten Geld ge- zählt hat, während Personen am Schalrer standen, welche fünf Minuten auf Abnahme einer Depesche warteten. Ein anderes »"'Lt S'-ÄS HS schuldigte, wie er sah, daß Leute an das Schalterfenster traten Dagegen mußten wir wieder auf einem anderen Postamt er- fahren, daß, als wir eine Rohrpostkarte kaufen wollten, der Be- amte recht unwillig zum Fenster herausrief, er müsse erst die Kasse von seinem Kollegen übernehmen. Bei einer Depesche und einer Rohrpostkarte bat es der Austraggeber immer eilig, da könnte vielleicht der Herr Kollege die Rohrpostkarte verkaufen, da- mit diese nicht poat festrnn an ihren Bestimmungsort gelange. Wir erkennen die Schwierigkeiten des Postschalterdienstes an. in- dessen find wir nicht derartige„Stephanatiker". daß wir nicht Mißstände, die lediglich durch den Mangel an Höflichkeit ein- zelner Beamten fühlbar werden, zur Sprache bringen. Bei dem lebhaften Bestreben des Herrn Dr. v. Stephan, die Wünsche deS Publikums zu erfüllen, hoffen wir, daß e r jetzt, wo mehrfach Klagen wegen der von uns erwähnten Mißstände laut werden. fich denselben nicht verschließen wird. Gin M-rt de» Zlbfchi-tz» hat G u st a v T e ch o w am 3. Juli d. I. von Lausanne aus an die Redaktion der„Volks- Zeitung" gerichtet. Es lautet:„Morgen werde ich in Marseille sein und übermorgen von dort mit dem Dampfer„Peshanmr" nach Australien segeln. Nach den vielen Verdrießlichkeiten, die ich durchgemacht, bin ich herzlich froh, Europa den Rücken zu kehren. Doch habe ich einen Trost erlebt für die Unwürdig- ketten, welche der„Moloch" mir angethan, und für die infamen Verleumdungen, mit denen die„Reptilien-Presse" mich über- schüttet hat. Es ist der, daß nicht nur meine ältesten persön- lichen Freunde mir ohne Ausnahme treu geblieben sind, sonder» daß auch manch neuer Freund mir erstanden ist— Dank der Sympathie und Geschicklichkeit, mit welcher die„Volks- Zeitung" meine-Sache in der Oeffentlichkeit vertreten hat. Ihnen allen persönlich zu danken, ist mir leider unmöglich, ich bitte daher Sie, verehrte Redattion, mir die Spalten Ihres Blattes noch einmal für einige Worte des Abschieds zu öffnen. Ich wünsche, ich könnte dem Ausdruck meines tief inner- lichen Dankes das trostreiche Wort„Auf Wiedersehn!" hinzu- fügen, aber bei meinem Alter und nach der Behandlung, die ich erfahren, muß ich auf diese Hoffnung wohl verzichten; dagegen sei mir vergönnt, eine andere auszusprechen. Es ist die, daß es dem deutschen Volk gelingen möge, fich dereinst die Frei- heit zu erobern, welche es trotz aller Größe jetzt nur dem Namen.