f Nr. 159. Donnerstag, de « 11. Juli 1889. 6. Jahrg. SMmVckÄM. Brgan für die Interessen der Ardeiter. DasBerliner Volksblatt" erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnemcntspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mark, monatlich 1,35 Mark, wöchentlich 35 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit demSonntags-Blatt" 10 Pf. Bei Abholung aus unserer Expedition Zimmerstraße 44 1 Mark pro Monat. Postabonnemein 4 Mark pro Quartal. (Eingetragen in der Postzeitungsvreisliste für 1889 unter Nr. 866.) Für da» Ausland: Täglich uuter Kreuzband durch unsere Expedition 3 Mark pro Monat. Jnsertionsgebühr beträgt für die 4gespaltcne Pctitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und VersammlungS- Anzeigen 20 Pf. Inserate werben bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen-Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 37 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtagen bis 10 Uhr Vormittags geöffnet. -*-« Fernsprecher: Amt vi. Ur. 4106.«-*- Vedalttion: VeukhfivaHe Ä. Expedition: JimnrerfivoHe 44. Die Mvists in Isrnirkreicli. Zahlreiche deutsche Blätter drucken mit sichtlicher Ge- nugthuung einen Artikel des früheren Mitgliedes der Pariser Kommune , B e n o i t M a l o n ab, der den obigen Titel trägt und in dem der Nachweis geliefert wird, daß sich Frankreich in der That gegenwärtig in einem kritischen Zu- stand befindet. Malon hat mit aller Schonungslosigkeit, welche der Ernst der Situation erfordert, die kritische Sonde in den französischen Staatskörper getrieben. Die Resultate, zu denen er gelangt ist, sind nicht gerade neu, aber sie bilden in der That die Kehrseite der Medaille, die auf der Vorderseite den stolzen Namen der französischen Republik trägt. Man weiß längst, wo die verschiedenen Geschwüre sitzen, aber man be- schäftigt sich nicht gern damit. Man geht am liebsten mit schönklingenden Phrasen darüber hinweg. Die Bourgeoisie, rn deren Hand sich die Staatsgewalt befindet, amusirt sich und bereichert sich. Wenn man sich amusirt und bereichert hat, dann mag die Sündfluth kommen in dieser Art von Weltanschauung unterscheidet sich die französische Bourgeoisie nicht sonderlich von der Madame von Pompadour. Diese Bourgeoisie hat den einst so glänzenden Schild der Republik befleckt. Statt ihre Institutionen in demokra- kratischem Sinne und im Znteresie des ganzen Volkes aus- zubauen, hat sie dieselben in ihrem Privatinter- esse ausgebeutet und hat sie in einer weitreichenden Korruption verschlammen lasten. Wer das begreift, dem werden dis Erfolge des Boulangismus kein Räthsel mehr sein. Malon weist zunächst auf die so rapid gestiegene Schuldenlast Frankreichs hin. Alle Finanzminlster habenReformen" undErsparnisie" versprochen; alle haben aber in der alten Weise gewirthschaftet, während sie die finanzielle Kalamität unter schönschillernden und trüge- rischen Darstellungen zu verbergen suchten. Während dem aber wuchs die öffentliche Schuld ohne Unterlaß und ist seit 1877 von 26 Milliarden auf 34 Milliarden gestiegen. Zwar brauchen die anderen Militärstaaten kein Erstaunen darüber zu heucheln. Denn alle Staaten Europas müsien unter dem Drucke der unab- lässig wachsenden Kriegsrüstungen ihre Schulden vermehren. Aber Frankreich ist auch mit anderen Lasten beladen, die sich zwar gleichfalls in anderen Ländern finden, aber ge- rade in einem republikanischen Staatswesen am meisten Raum finden sollten. Die Bourgeoisie, die am 4. September 1870, nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs, die Staatsgewalt in Besitz genommen und sich unter wechselnden Formen darin be- hauptet hat, folgte einem ihrer Naturtriebe, indem sie einen [9 Feuilleton. tNachdruck verboten.)_ Ein GnlvmenfÄz. Roman von M a u r u S I ü k a i. Timar entdeckte mit seinen scharfen Augen, daß über den Gipfeln der aus dem Schilfmeer hervorragenden Pappeln ein schwacher Rauch aufstieg.Dort wohnen Menschen! Zch gehe hin, zu sehen, wer dort wohnt." Zch Schiffe befand sich ein kleiner Seelenverkäufer, den der Kommiffär auf seinen Jagden benutzte, wenn einmal das Schiff Wind feiern mußte, und ihm Zeit blieb, zwischen dem Schilf Enten zu schießen. Er ließ den Kahn ins Waffer herab, nahm seine Flinte, seine Jagdtasche und ein zu- sammenlegbareS Netz man kann nicht wisten, was Einem rn den Weg kommt, ein Wild oder ein Fisch? und so fuhr er ab gegen das Röhricht, mit ein und demselben Ruder den Kahn rudernd und steuernd. Als erfahrener Sumpf- Jäger fand er schnell den Rohrbruch, durch welchen man in den Rohrwald eindringen konnte, nnd an der Vegetation er- rannte er gleich die Beschaffenheit seines Fahrwassers. Wo auf der Oberfläche die großen Blätter der Nymphäa mit �schneeweißen vollen Tulpenblüthen schwimmen, dort ist das Laster tief und führt das fließende Waffer das Erdreich und den Pflanzenschlamm weg; an anderen Stellen bildet die Kaulinse einen grünen Teppich über dem Waffer, Ü? nus diesem schwimmenden Sammt kauert der Waffer-Giftpilz Sumpflise in Gestalt einer Kohlrübe, blau, rund, aufgedunsen ähnlich dem Kugelbuff, er ist tödtliches Gift für jedes lebende Wesen; wo Timars Ruder einen dieser polypenartigen Pilze zerschlug, schoß aus demselben. w«e eine blaue Flamme der giftige Schimmelstaub hervor: j lue Wurzel dieses Gewächses steckt in stinkendem Schlamm, großartigen Nepotismus, zu deutsch Vettern- wirthschaft, in Frankreich einführte. Die Industriellen, die Kaufleute, die Advokaten und Journalisten, welche nach einander als Staatsmänner sich zu dm höchstm Aemtern der Republik drängten, empfanden ein bei diesen Leuten natur- gemäßes Bedürfniß, auch die ihnen Nahestehmden mit sich empor zu hebm und so sich zugleich eine Stütze zu schaffen. Söhne, Vettern, Verwandte und Freunde aller Art mußten Stellungen" erhaltm und der Staat ward zu einer großen Versorgungsanstalt für eine Reihe v o n K l i au e n. Was Äalon dafür an thatsächlichen Belegen beibringt, ist schlagend genug. Es wimmelt in Frankreich von neuge- schaffenen Direktoren, Subdirektoren, Bureauchefs, Unter- chefs, Inspektoren, Sekretären und dergleichen Beamten, die vielfach kaum etwas zu thun haben, aber sämmtlich hohe Gehälter beziehen. Man sagt, es gäbe einen General- inspektor, der jährlich vier Stunden zu arbeiten und dafür einen Gehalt von 12 000 Franks zu verzehren habe. Und die Gehälter dieserBeamten " würden immer noch erhöht, so daß sie sich in die hunderte von Millionen beliefen. Eine solche Verschleuderung der öffentlichm Gelder wird Frankreich , deffen Staatsschuld pro Jahr am 750 Millionen zugenommen hat, ins Elend stürzen, wie Malon mit Recht befürchtet. Dazu kommt ein Rückgang in der Industrie und die steigende Verschuldung des Grund und Bodms, welche die Bauern unzufrieden macht, eine Unzufriedenheit, die sich stets gegen die jeweilige Regierung kehrt und somit für die Republik ein Pfahl im Fleische ist. Malon ist ehrlich genug, alle diese Wahrheiten laut und öffentlich zu sagen, denn er begreift, daß die Kalamität seines Vaterlandes nicht mehr durch den glänzendm Flitter der Ausstellung verhüllt werden kann. Die öffentliche Schuld ist höher als der Eiffelthurm. Wir beklagen es mit Malon, daß Frankreich das Unglück gehabt hat, einer Kliquenwirthschaft in die Hände zu fallen, welche die demokratischen Institutionen korrumpirt und das Volk um die aus denselben entspringenden Vor- theile betrogen hat. Aber wir ziehen aus diesen Dingen andere Schlüffe, als jene deutschen Philisterblätter, welche Malon's kritische Arbeiten schadenftoh abdrucken, nur um den Franzosen etwas am Zeuge flicken zu können.Wir sind allzumal Sünder," sollte sich dieses Philisterthum sagen, und wir sind der Meinung, die deutsche Bourgeoisie würde auch nicht besser regieren als die Französische. Denn der Beweis ist in der Geschichte nun mehr als einmal geliefert worden, daß die moderne Bourgeoisie, wo immer die Staatsgewalt in ihre Hände fällt, darin nur eine neue Gelegenheit zur Kapitalanlage und zur Bereicherung sieht. Wer von ihr ein Streben nach Verwirklichung humaner, zeitgemäßer, freiheitlicher Ideen erwartet, der täuscht sich; von dem Mensch und Thier, wenn sie hineingerathen, ver- schlungen werden. Die Natur hat diesem Giftmischer der Pflanzenwelt einen Standort angewiesen, wo er am besten versteckt ist. Wo aber die Waffertrichterwinde an den kolbigen Rohrstengeln hinaufläuft, wo die schönen Dolden der Waffer-Viole zwischen den grünen Binsen sich schaukeln, dort ist schon Kieselgrund, der nicht immer unter Waffer zu stehen pflegt. Dort endlich, wo der Mannaschlingel ein dichtes Gestrüpp zu bilden beginnt, bei besten Durchbrechen dem Schiffer die Ränder seines Hutes mit jenen kleinen Samenkörnern überschüttet werden, die eine Speise der Annen, das Manna der Wüste, dort muß schon aufsteigen- des Erdreich sein, so daß nur der Fuß der Pflanze unter Waffer steht. Der Kahnschiffer, der sich auf diese Pflanzenwegweiser nicht versteht, kann in dem Rohrwald sich so verrennen, daß er den ganzen Tag nicht wieder herausfindet. Als Timar sich durch dieses Gestrüpp, das mit seinen fleischfarbenen Blüthentrauben ein ganzes Labyrinth bildete, hindurch arbeitete, erblickte er plötzlich vor sich, was er ge- sucht hatte: eine Insel. Es war dies ohne Zweifel eine ganz neue Alluvial- bildung, von der auf den neuesten Karten noch keine Spur zu finden war. Im Bett des rechten Donauarms war lange Zeit eine Felsenmaffe, an deren Basis die träg um dieselbe herum- fließenden Fluthen eine Sandbank ablagerten. Bei einem winterlichen Hochwaffer nun riß der auf die Oßtrova-Jnsel anstürmende Eisstoß eine Jnselspitze ab, Erde, Steine und einen Wald von Bäumen entführend; dies sündfluthliche Gemenge aus Eis, Felsstücken und Baumstämmen stoppte sich auf der Sandbank neben der Felsmaffe. Der Klumpen blieb dort. Neue Hochwasser überzogen ihn von Jahr zu Jahr mit neuen Schlammschichten und erweiterten seinen Um- kreis mit neuen Kieselablagerungen; aus dem Humus der vermoderten Baumstämme wucherte eine Vegetation hervor, armseliges Phrasenwerk muß bei ihr den groben MaterialiS- mus verdecken. Die Machtmittel des Staats sind nur dazu, die UnternehmungenderherrschendenKlastenzu fördern. Frankreich führt in Tongking Krieg warum? Damit die Kapita- listen ihr Geld in Staatsanleihen anlegen, gut verzinst und gelegentlich zurückgezahlt bekommen können. Für die Staatsmänner" fällt dabei auch eine Provision ab. Die Republik ist von der Bourgeoisie diskreditirl worden. Von den nächsten Wahlen hängt viel ab. Wenn die Franzosen eine Kammer wählen, welche gleich weit davon entfernt ist, die einseitigen Bourgeois-Jntereffen wie die ver- brecherischen Pläne des Generals Bum zu fördern, dann kann alles gut werden. Dann muß aber diese Kammer eine Regierung Hilden , die dem Lande endlich die so dringend begehrten politischen und sozialen Reformen bringt. Geht's im alten Schlendrian weiter, so wird die KrisiS permanent und die Zukunft bleibt dunkel. MovreMondenzen. Uew-Uork, 28. Juni. Innerhalb der sozialistischen Ar- beiterparlei sieht eS gegenwärtig wieder einmal nicht sehr ge- müthlich aus. Gegen das Rat. Exekutivkomitee ist seitens de» Zentralkomitee'S der Sektion New-Pork eine ganze Reihe An- klagen wegen der verschiedensten Begehungö- und UnterlastungS- sünden erhoben und von einer Sektionsversammlung einem Spezialkomitee zur genaueren Untersuchung übergeben worden. Das ist auch eine Folge der gegenwärtigen Stagnation in der Bewegung. Wäre erstere nicht vorhanden, so könnte die Parteileitung mit mehr Erfolgen aufwarten, die Thätigkeit der Mitglieder wäre weniger durchinnere Angelegenheiten" in Anspruch genommen, und so würden kleine Differenzen stets auf gemüthlichem Wege beigelegt werden können. Nun herrscht aber infolge der gegenwärtigen Schlafmützigkeit der Massen so- wohl, wie auch der sonst stets thätigen vorgeschrittenen Elements eine ungemein knurrige Stimmung, die bei jeder Gelegenheit sich geltend macht. Daß damit der Stand der Dinge nicht gebessert wird, liegt auf der Hand, aber es nutzt auch nichts, darüber Ermahnungen vom Stapel zu lassen. Die ungemüth- liche Stimmung wäre nur damit in eine angenehmere um- zuwandeln, wenn man die eigentliche Ursache die(Stagnation tu der ganzen Bewegung entfernen könnte. Grottkau in Chikago der übrigens kein Mitglied der Partei ist hat das zwar intheoretischer" Weise versucht, indem er sie in einer kürzlich dort gehaltenen Rede einfach ab- leugnete. Er sagte:Die gegenwärtig und seit 1886 beobachtete schembare Stagnation der proletarischen Bewegung ist im Wesentlichen nicht vorhanden. Die Verhältnisse gestatten eine solche Stagnation gar nicht. Was die Zerfahrenheit in der Arbeiter-Bewegung an der Oberfläche charakterisirt, ist wieder das:Niemand hat Zeit, alle haben Pläne. Jeder sucht vor dem nahenden Sturm sein Heu so rasch wie eine Naturschöpfung der neuen Welt, und sa entstand an jener Stelle eine namenlose Insel eine Insel, von der Niemand Besitz ergriffen hat, auf der es keinen Grundherrn, keinen König, keine Obrigkeit und keinen Geistlichen giebt, die zu keinem Land, keinem Komitat, keiner Diözese gehört. Auf türkisch - serbischem Gebiet giebt es viele solche paradiesische Plätze, die Niemand pflügt, noch abmäht, noch als Weide benutzt. Sie sind nur die Heimath wild wachsender Blumen und wilder Thiere und Gott weiß von was noch. Das nördliche Ufer zeigt deutlich ihre Genesis. Das Kieselgeröll ist in ganzen Barrikaden um sie aufaethürmt, oft in Stücken von der Größe eines Menschenkopfes oder Fasses; dazwischen Schilfwurzeln und inorsche Bauintrümmer; die seichteren Stellen der Sandbank sind mit grünlichen und braunen Donaumuscheln bedeckt' an den sumpfigen Ufer- stellen aber sind kegelförmige Löcher ausgewaschen, in welche auf den Schall sich nähernder Schritte hunderte von Schild- kröten sich zu verstecken eilen. Das Ufer bedeckt seiner ganzen Länge nach zwerghaftes Stechwetdegcbüsch, welche« die Eisschollen bei jedem Eisgange bis zum Wurzclstock ab- rasiren. Hier zog Timar seinen Kahn aus Ufer und band ihn an einen Weidenstamm fest. Weiter vordringend, mußte er sich durch ein Dickicht riesiger Weiden und Pappeln hm- durcharbeiten, welche der Sturm an manchen Stellen über- einandergeworfen hatte, und dort bildet die fruchttragende Schwarzwurzel ein Dorngestrüpp und mischt die aus dem verwitterten Erdreich hoch aufgeschossene Valeriana ihr wür- zigeS Aroma mit dem heilkräftigen Duft der Pappel. Auf einer tiefgelegenen Fläche, wo weder Baum noch Strauch wächst, ragen um einen mit Sumpfgras bedeckten Sumpf üppige Doldengewächse empor: die Tollkerbel und daS nach Zimmt duftende Simon Amonum; in einer Gruppe beisammen wie eine sich absondernde Pflanzen- aristokratte prangt mit feuerrothen Blüthen das Veratnim; zwischen dem GraS sprießen üppig daS Vergißmeinnicht und