Nr. 229.

Dienstag, den 1. Oktober 1889.

6. Jahrg.

Berliner Volksblatt

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Bolfsblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Bei Abholung aus unserer Expedition Zimmerstraße 44 1 Mart pro Monat. Bostabonnement 4 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1889 unter Nr. 866.) Für das Ausland: Täglich unter Kreuzband durch unsere Expedition 3 Mart pro Monat.

Redaktion: Beuthstraße 2.

Abonnements- Einladung.

Für den Monat Oftober eröffnen wir ein neues Abonne­ament auf das Berliner Volksblatt" nebst dem wöchentlich erscheinenden Sonntagsblatt.

Der Abonnementspreis beträgt frei ins Haus für das ganze Vierteljahr 4 Mark, monatlich 1 Mark 35#f., wöchentlich 35 Pf. Bei Selbstabholung aus der Expedition, Zimmerstraße 44,

1 Mark pro Monat.

Bestellungen werden von sämmtlichen Zeitungsspediteuren, fowie von der Expedition unseres Blattes, Zimmerstraße 44, entgegengenommen.

Ja dem täglichen Feuilleton werden wir Anfang nächsten Monats G. Bola's

Germinal,

janes ergreifende Gemälde von dem milden Kampf einer unter­brückten, ausgefogenen Arbeiterbevölkerung gegen die Ueber anacht des Kapitals, veröffentlichen. Gerade jegt, wo wir noch mittelbar unter dem Eindruck des gewaltigen Frühjahrsaus Standes der deutschen Bergarbeiter stehen, dürfte dieses be­Beutendste Werk des großen Naturalisten unsern Zefern will­tommen sein.

Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Be­Bellungen für das Vierteljahr gegen Zahlung von 4 Mart an. Die Redaktion und Expedition des Berliner Volksblatt".

Das Koalitionsrecht der Arbeiter.

Die Lohnbewegung, welche im vergangenen Frühjahr stattfand, und die sich voraussicht, in noch größerem um­fange wiederholen wird, hat die im Dienste des Kapitalis­mus stehende Bourgeoispresse in große Erregung verfeßt, and Vorschläge gezeitigt, welche sich den übrigen sozialrefor­matorischen Maßnahmen der herrschenden Klassen würdig an bie Seite stellen können.

Namentlich die Nordd. Allg. 3tg.", welche von dem Ausspruch des Herrn v. Puttkamer, daß hinter jedem Streik die Hydra der Revolution laure" lebt, und die jede, von Arbeitern ausgehende Bestrebung, ihre Klaffenlage zu ver­beffern als fozialrevolutionäre Ümtriebe" bezeichnet, vertritt die Ansicht, daß die bestehende Gesetzgebung nicht ausreicht, um die ,, armen Unternehmer" vor dem gänzlichen Ruin zu schüßen.

Nachdem die kapitalistische Presse aller Schattirungen fich vergeblich bemüht hat, die Sozialdemokratie für den Bergarbeiterausstand in Rheinland- Westfalen und Schlesien

Feuilleton.

Mladbrud verboten.]

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Ein Goldmensch.

Roman von Maurus Jókai . Timars Augen hafteten wie festgebannt auf dem von der Wunde arg entstellten Fuß.

Dent Dir aber, Ramerab, wie gütig das Schicksal sein fann. Die Wege der himmlischen Vorsehung sind oft wunder­bar, auf den fie einen armen Dulder unverhofften Freunden in die Arme führt. Auf derselben Bank, die man mir so gnädig war anzuweisen, war auch ein ehrwürdiger Greis nit ftruppigem Bart angeschmiedet. Der sollte nun auch fünfzehn Jahre mein Schlaffamerad werden. Es ist nur in der Ordnung, daß man sich einen Menschen, der einem auf fo lange Zeit angetraut wird, gut ansieht. Ich gaffte ihn cine Weile an und sagte ihm dann auf spanisch:" Sennor, mir fommt es so vor, als hätte ich Sie schon irgendwo ge­fehen." Deine Augen können wohl recht gesehen haben, mögen sie von Blindheit geschlagen werden!" antwortete der liebenswürdige Alte. Ich redete ihn nun in türkischer Sprache an: ,, Effendim, hast Du Dich nicht einmal in der Türkei herumgetrieben?"

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Ich bin auch dort gewesen. Was fümmert Dich das?" Dann sagte ich in ungarischer Sprache zu ihm: Haft ihm: ,, Haft Du bort nicht ursprünglich Krißtyan geheißen?" Der Alte war höchlich erstaunt und antwortete: Ja wohl!"" Dann bin ich Dein Sohn Theodor, Dein liebes Theodorchen, Dein cinziger Sprößling."

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Insertionsgebühr

beträgt für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs­Anzeigen 20 Bf. Inferate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Bimmerftraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 3-7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtagen bis 10 Uhr Vormittags geöffnet. Fernsprecher: Amt VI. Mr. 4106.

Expedition: Bimmerffraße 44.

sowohl als für die sonstigen Arbeitseinstellungen verant­wortlich zu machen, nachdem sie ebenso vergeblich und er­folglos die deutschen Sozialdemokraten der Anstiftung des Londoner Dockarbeiterstreits beschuldigt hat, kommt sie zu dem Vorschlage, durch gefeßliche Vorschriften Arbeitsein­stellungen von größerem Umfange möglichst zu verhindern.

Obgleich man vorläufig noch nicht den Muth hat, weil dies der offiziell als nothwendig bezeichneten Sozial­die gänzliche Beseitigung des Koalitionsrechtes zu fordern, reform geradezu ins Geficht schlagen hieße, verlangen die

Organe des Unternehmerthums doch Bestimmungen, wonach

nur bei einer Arbeitseinstellung direkt betheiligte Personen an diesbezüglichen Versammlungen, Verhandlungen und Be­schlüssen mitwirken dürfen.

Man will also die Möglichkeit beseitigen, daß das So­lidaritätsgefühl der Arbeiter zum Ausdruck kommt, man will verhindern, daß beim Ausbruch einer Arbeitseinstellung die Berufsgenossen anderer Städte zu Hilfe eilen, man will Sammlungen für die Streikenden als unzulässig erklären, kurz man beabsichtigt dadurch, daß man die Theilnehmer eines Streits vollkommen isolirt, die Unterstützung anderer Berufszweige, und von auswärts unter Strafe ſtellt, einen Bustand herbeizuführen, bei dem die Möglichkeit durch Koalition beffere Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erzielen noch geringer wird, als sie es heut schon ist. Daß in ge­wissen und sehr einflußreichen Kreisen dieser Plan besteht, unterliegt feinem 3weifel und man braucht nur die Unter­nehmerpresse sowie die Organe der den Arbeitern ganz be­fonders feindlich gesinnten Innungen zu lesen, um sich klar barüber zu sein, daß die herrschenden Klaffen und Gewalten wieder einmal dabei sind, ein Schußmittel gegen die ,, An­maßung der Arbeiter" zu schaffen.

Die Sozialreform", mit der man sich nun seit mehr als einem Jahrzehnt offiziellerseits herumquält, will bei den Arbeitermassen nicht verfangen; trog Ausnahmegesetz und Verfolgungen aller Art, nimmt die Sozialdemokratie stetig zu, das Klassenbewußtsein der Arbeiter führt täglich neue Schaaren in das Lager der Unterdrückten, da ist es erklär­lich, daß die Bourgeoisie auf neue Mittel finnt, ihre bereits stark wankende Position zu befestigen und die in ihrer Hand befindliche Klinke der Gesetzgebung in Bewegung setzt, um die Frevler, welche an die Nothwendigkeit der kapitalistischen Ausbeutung nicht glauben, in die Gefängnisse zu werfen.

Während man so auf der einen Seite an die sich augenblicklich im Besitz der herrschenden Klassen befindlichen Gewalt appellirt und nicht begreifen will, daß eine Kulturs frage großartigster Natur, wie der Klassenkampf der Arbeiter, nicht durch mechanische polizeiliche Eingriffe auch nur einen Augenblick aufgehalten werden kann, fehlt es andererseits nicht an Stimmen in dem gegnerischen Lager, welche das Vergebliche der Unterdrückung der Arbeiterbewegung einsehen und gegen die Art, in welcher die Arbeitervereini­gungen behandelt werden, Stellung nehmen.

zusammengeführt! Hahaha! Aber ich bitte Dich, gieb mir einen Krug Wein und etwas zu beißen; denn ich bin so durstig und hungrig und habe Dir noch interessante Ereignisse zu erzählen, welche Dich königlich amüsiren

werden."

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Timar erfüllte seinen Wunsch und gab ihm Schinken, Brot und Wein. Der Gaft setzte sich an den Tisch, nahm die Flinte zwischen seine Kniee und fing zu essen an. Er so gierig wie ein ausgehungerter Hund und sprach eifrig dem Weine zu; nach jedem Trunk schnalzte er mit der Bunge wie ein Gourmet, der einen guten Schluck gethan hat. Und dann fing er mit noch vollem Munde zu er­zählen an: Nachdem wir uns von der ersten Freude des unverhofften Wiedersehens erholt hatten, fragte mich mein lieber Papa, indem er mir mit seiner Faust auf den Kopf flopfte Sett fag' mir aber, Du Galgenstrick, wie bist denn flopfte Set fag' mir aber, Du Galgenstrick, wie bist denn Du hierhergekommen?" Mir hatte natürlich der kiudliche Respekt nicht erlaubt, eine ähnliche Frage an meinen Er­zeuger zu richten. Ich erzählte ihm nun, daß ich einem ungarischen Kavalier, Namens Kimar, zehn Millionen Reis durchgebracht habe. Und wo hat der das viele Geld ge­stohlen?" war die Bemerkung meines Alten. Ich klärte ihn darüber auf, daß der kein Geld stehle; denn er sei ein reicher Grundbesizer, Kaufmann und Schiffseigenthümer. Das änderte jedoch keineswegs die Ansicht meines Alten über die Sache. Gleichviel. Wer Geld hat, der hat es gestohlen. Wer viel davon hat, der hat viel gestohlen, und wer wenig, wenig; hat er nicht, selbst gestohlen so hat deffen Vater oder Großvater es gethan. Es giebt Hundertdreiunddreißig Arten zu stehlen, und unter diesen find nur dreiundzwanzig, welche den Dieb auf die Galeece bringen." Da ich fah, daß es vergebliche Mühe gewesen wäre, meinen Alten von seiner Ansicht zu bekehren, diskutirte ich den Gegenstand nicht weiter mit ihm. Hierauf fragte er mich: Wie zum Teufel bist Du aber mit diesem Limar

Hahaha! Dank Dir, Kamerad, ich fand meinen Vater, meinen längst verloren geglaubten Vater drüben in der neuen Welt auf der Bank der Galeerenstlaven. Die götts Die gött liche Vorsehung hatte auf wunderbarem Wege Vater und Sohn, die so lange von einander getrennt gewesen, wieder zufammengekommen?"

Wir lesen im Deutsch. Wochenbl." einen Aufsatz von Dr. jur. 3acher, in welchem der, dem Berliner Polizei­Präsidium angehörende, Verfasser, bekannt durch seine vor einigen Jahren erschienene Streitschrift gegen die Sozial­demokratie, nachweist, daß die Fachvereine unter einer Rechts­ungleichheit in Bezug auf die Beurtheilung ihrer Thätigkeit leiden und daß nur die Fachvereine vereinsgefeßlichen Be­Bestrebungen der Innungen u. f. w. unbeanstandet bleiben. schränkungen unterliegen, während die notorisch politischen s. Wir freuen uns dieses gewiß unverdächtigen 3eugen, der hauptung, das Sozialistengesetz sei nicht zur Bekämpfung der sog. gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, sondern zur Unterdrückung der Arbeiterklasse und der auf Erringung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen gerichteten Bestre­bungen derselben, ge- oder vielmehr mißbraucht worden, bekräftigt, aber wir glauben, der Herr Verfasser wandelt schließlich denselben Weg, den er so lebhaft bekämpft.

unbeabsichtigt, aber um so glänzender, unſere wiederholte Be­

Denn was soll es heißen, wenn Herr Dr. Zacher empfiehlt, die vereinsgefeßliche Maßregelung auf Fachvereine mit nachweisbar staatsfeindlichen Tendenzen zu beschränken"?

Was sind in diesem Falle staatsfeindliche Tendenzen" und wer entscheidet, ob die Tendenz eines Fachvereins ,, staats­feindlich" ist?

Macht die Mitgliedschaft einiger Sozialdemokraten einen Fachverein staatsfeindlich" oder reicht die Wahl eines sonst als Sozialdemokrat bekannten Mannes zum Vorstandsmitglied hin, dem Fachverein das Gepräge der Staatsfeindlichkeit" auf­zudrücken, und ihn damit der von Herrn 3acher gewollten

vereinsgefeßlichen Maßregelung" preiszugeben? Wenn Herr Bacher eingesehen hat, daß die heutige Handhabung des Vereinsgesetzes bezüglich der Fachvereine unrichtig und unhaltbar ist, so ist dies sehr anerkennenswerth, aber er muß dann auch begreifen daß sein Vorschlag dieselben Miß­stände, dieselben Ungerechtigkeiten im Gefolge haben muß.

Auch die Bacher'sche Arbeit bestärkt uns in dem Glauben, daß die schon so geringfügige Koalitionsfreiheit noch mehr bedroht ist, und wenn wir auch der sicheren Ueberzeugung sind, daß nichts das siegreiche Vordringen der in der Sozial­demokratie politisch formirten Arbeiterklasse aufzuhalten ver­mag, so wollen wir doch, jeden Rückschritt nachdrücklichst be­kämpfend, auf die drohende Gefahr aufmerksam machen und den Arbeitern zurufen seid auf der Hut!!!

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Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter.

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Unter dem Titel: Erläuterungen zu den Wohl hüttenwertes Marienhütte bei Roßenau( A. G.)", bat fahrtseinrichtungen für das Arbeiterpersonal des Eisen­das genannte Werk in der Ausstellung für Unfallverhütung ein Büchlein ausgelegt, welches in trefflicher Weise das sozial­jefuitische Gebahren gewiffer Unternehmerkreise illustrirt. Die

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,, Ich erzählte ihm den Hergang. Ich kannte diesen Timar, als er noch ein armer Schiffskommissär war, und vor der Schiffsküche sich selber die Kartoffeln zum Gulyafleisch schälte. Einmal mußte ich einen durchge= brannten Pascha im Auftrage der türkischen Polizei aufspüren, der gerade auf einem Schiffe Timars nach Ungarn entwischt war. Wie hieß dieser Pascha?" brummte mein Alter. Ali Tschorbadschi." Ali Tschorbads schi!" brüllte er, mit der Faust mich aufs Knie schlagend. Er fuhr auf, daß ich dachte, er wolle ins Meer springen. Hahaha! Das hatte gute Wege, wegen der Eisen. Haft Du ihn vielleicht auch gekannt?" Darauf schüttelte der Alte zornig sein Haupt und sagte: Fahre fort, was wurde aus Ali Tschorbadschi?" Bei der Ogradina- Insel stöberte ich ihn auf. Ich eilte nun dem Schiffe auf Rebenwegen nach Pancsova voraus, wo alle Vorbereitungen getroffen wurden, um ihn festzunehmen. Allein das Schiff kam ohne den Pascha an. Er war unterwegs gestorben, und da man ihn nirgends zu beerdigen erlaubte, hatte man die Leiche zuletzt ins Wasser geworfen. Das Alles wies Timar mit Dokumenten nach." Und dieser Timar war damals ein armer Teufel?" ein armer Teufel?"" Nicht reicher, als ich selbst." Jett aber hat er Millionen?"" Von denen ich so glücklich war, zehn Millionen Reis auszugeben."

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,, Nun siehst Du, Dummkopf, daß ich wahr gesprochen habe; er hat seine Schäße gestohlen. Von wem hat er sie gestohlen? Er hat den Pascha umgebracht und seine Schäße versteckt. Auch ich habe Ali Tschorbadschi gekannt. Ich habe ihn sehr gut gekannt. Auch er war ein Dieb, wie jeder Mensch, natürlich wie jeder, der viel Geld hat. Er gehörte zu den Dieben Nr. 122 und 123. Unter diesen Biffern kommen die Gouverneure und Schatzmeister vor. Ihm waren die Schäße eines andern Diebes anvertraut. Eines Diebes Nr. 133 des Sultans. Einmal erfuhr ich, daß der Dieb Nr. 132, der Großvezier, dem Khazniar den Kragen umbrehen wolle, um dessen da und dort zusammengestohlene