Beilage zum Berliner Volksblatt.
Nr. 235.
Dienstag, den 8. Oktober 1889.
Ein neues Mittel zur Perhütung der Streiks. | damit fei dem sozialen Frieden gedient, wenn man versucht, bie
Das Unternehmerthum befindet sich feit Monaten bekanntlich in einem förmlichen Wettstreit nach Mitteln zur Verhütung ber Streifs", womit selbstverständlich die Beseitigung oder doch wenigstens die B.schränkung des Roalitionsrechts der Arbeiter gemeint ist. An diesem Wettfuchen betheiligen sich auch die Handelskammern, welche, lediglich aus Unternehmern gebildet, die Interessen des Unternehmerthums in hervorragender Weise vertreten. Dieselben haben alljährlich der Regierung einen Bericht 42 unterbreiten, in welchem sie fich aber zumeist nicht auf thatfachliche Mittheilungen und Nachweise über die Entwickelung und ben jeweiligen Stand der Industrie und des Handels beschränken, fondern auch das ganze sozialpoliti che Intereffengebiet des ternehmerthums berücksichtigen, insbesondere die Wünsche befelben in Bezug auf die sozialpolitische Gesezgebung zum u bruck bringen. Da kommt in der Regel die Arbeiterbewegung sehr schlecht weg. Die Handelskammern beurtheilen biefelbe eben vom einseitigen Interessenstandpunkte des Unternehmerthums aus. Es ist deshalb ganz erklärlich, daß sie dem Roalitionsrecht der Arbeiter durchaus nicht freundlich gesinnt Find. Auch ihnen, wie anderen Unternehmerkörperschaften, Fietet die Streitbewegung einen Anlaß, gegen dieses Recht zu Felde zu ziehen, wo bei fie fich becken mit dem Vorwande, daß es fich um„ Mittel zur Streifverhütung" handle.
Ein solches Mittel hat nun auch die Bochumer HandelsTammer entbedt und der Regierung in Folgendem Vorschläge zur geneigten Berücksichtigung unterbreitet:
Die Aufrechterhaltung eines guten Einvernebmens zwifhen Arbeitgebern und Arbeitern ist ohne Frage von höchster mirthschaftlicher, sozialpolitischer und fitlicher Bedeutung. Es barf daher nicht zugelassen werden, daß ultramontane, demoteatische und sozialdemokratische Hezer und Hezblätter diefes Ginvernehmen zu stören fuchen. Unserem Strafgesetzbuch fehlt es aber an einer flaren Bestimmung zur Verfolgung solcher Hekereien. Es dürfte sich deshalb empfehlen, eine Bestimmung ia das Strafgefeß aufzunehmen, nach welcher mit Gefängniß Derjenige belegt wird, der in Nede oder Schrift das EinDernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch unbegründete Beschuldigungen über ein angeblich arbeiterfeindliches Verhalten der erfieren oder ihrer Beamten, oder durch berabwürdigende Bezeichnungen der Arbeitgeber, oder durch wwwahre aufreizende Mittheilungen über Lohn- und sonstige Arbeitsverhältniffe zu stören sucht."
Dieses Mittel zur Streifverhütung" hat wenigstens vor ben meisten anderen seither vorgeschlagenen diesbezüglichen Mitteln den Vorzug, neu und so durchaus radikal zu sein, daß es felbft die Weisheit" der Norddeutschen Allgemeinen Bei ung" in den Schatten stellt. Mit der geforderten strafgetlichen Bestimmung wird in der leichteften und gründlichsten Beise nicht nur der Streit, sondern überhaupt die Lohnbewegung und die Arbeiterfoalition unmöglich gemacht.
Die Arbeiterfoalition beruht auf der ganz selbstverständ lichen Voraussetzung, die Intereffen der Arbeiter im Gegenfat * denen des Unternehmer thums zu wahren und zu fördern. Um eine solche Koalition zu Stande zu bringen, müssen die Arbeiter diesen Gegensah erkannt haben. Aber gerade diese ErKenntniß ist es ja, welche das sogenannte gute Einvernehmen" amifchen Unternehmern und Arbeitern, wie erstere es meinen, ausfließt. Das gute Einvernehmen" pflegt für die Unternehmer nur dann da zu sein, wenn die Arbeiterschaft ihren einseitigen Entschließungen rücksichtlich der Lohn- und Arbeitsbedingungen fich willig fügt, wenn die Arbeiter ouf ihr gutes Ret, ihre Interessengemeinschaft als organificte Masse zu vers eten. Füglich würde nach dem Vorschlage der Bochumer Handelskammer schon jede Thätigkeit, welche darauf abzielt, emme Arbeiterfoalition zu schaffen oder ihr neue Theilnehmer zu gewinnen, als eine gegen das gute Einvernehmen" gerichtete Orberei" zu beftrafen sein. Kein Arbeiter und feine Zeitung Dürfte es wagen, ohne Bestrafung zu gewärtigen, über schlechte ober unzureichende Löhne Klage zu führen und auf eine Erhöhung brielben zu bringen, denn unwahr" und aufreizend" find folche Klagen nach Ansicht der Unternehmer in der Regel ja auf jeden Fall. Das Damoklesschwert des Strafgesetes mürde über Jedem schweben, der eine schlechte Behandlung der Arbeiter seitens der Unternehmer oder ihrer Beamten au rügen Sib unterfängt, denn immer werden die von der Rüge Be1offenen fich bemühen, dieselbe als unbegründet" und herabwürdigend" hinzustellen. Eine freie und ehrliche Darlegung Der Arbeiterverhältnisse, eine wahrheitsgetreue Schilderung der Lage der Arbeiter würde nur möglich sein durch Versündigung am Strafgefeß.
In der That, das von der Bochumer Handelskammer vorgefchlagene Mittel zur Streifverhütung" würde sich als ein redt radifales bewähren, um jede selbstständige Regung der Mcbeiter, ihre Lage zu verbessern, im Reime zu erftiden, porausgelegt allerdings, daß die Arbeiter mehr Respekt vor dem betreffenden Strafgefeßbuch- Paragraphen als vor ihrem guten menschlichen Rechte hätten. Wir find überzeugt, Letteres würde Der Fall sein! Würde die Gefeßgebung dem Verlangen der Pochumer Handels fammer entsprechen, so würde fie Verbrechen finitlich schaffen, wie es jede Vergewaltigung des guten Rechts, Speziell des Rechtes des freien Meinungsausdruces bis jest noh immer gethan hat. Nie wird eine ganze Gesellschaftstlaffe, beer bie unter vielfältiger Noth leidende Arbeiterklasse, ternen, nach Vorschrift einer sie beherrschenden In tereffenrichtung zu denken und zu handeln. Das müßte bre Arbeiterklasse aber, wenn das von der Bochumer HandelsTammer vorgeschlagene Mittel praktischen Werth für die Unterwebmerflaffe, mit deren Sonderintereffen es rechnet, haben sollte. Die wirthschaftlich- sozialen Anschauungen, denen die Arbeiter im Gegensatz zu den Anschauungen der Unternehmerschaft bulbigen, ihre Urtheile über das gegenseitige Verhältniß ent pegen dem Zustande der Gesellschaft. Solche Anschauungen, zumal wenn fie Gemeingut einer ganzen großen Klaffe find, Derfolgen und unterdrücken zu wollen, das ist wie der rngliche Kulturhistorifer Buckle so wahr sagt nicht mare eine der verderblichften, sondern auch der thörichtsten Sandlungen, die man sich nur vorstellen kann. Wird ren Menschen die Freiheit, ihre Ueberzeugung auszuprechen, 1, entzogen oder beschränkt, so werden sie wie schon Der Philosoph Spinoza feinen Zeitgenossen zuriefbesto hartnäckiger darauf bestehen, und zwar nicht die Schmeichler und andere geiftige Schwächlinge, deren höchstes Glück blos darin besteht, daß sie das Geld im Raften zählen und den Bauch voll haben, sondern die, welchen eine gute Erziehung einen rechtwhen Charakter und die Tugend der Freiheit zugewendet hat. Denn die Menschen können ihrer Natur nach nichts weniger er agen, als daß Ueberzeugungen, die fie für richtig halten, als Berbrechen gelten follen und daß ihnen als Unrecht das ange rechnet werden foll, was für fie ihr heiligstes Recht ist."
wie schon
Noch weit mehr als für das Gebiet des rein geistigen elens gilt das für das Gebiet der wirthschaftlich- sozialen 3 tereffentämpfe. Glaubt denn die Bochumer Handelskammer,
auf diesem Gebiete am ungünstigsten gestellte Klaffe, die der wirthschaftlichen Ueberlegenheit unterworfene Arbeiterklaffe, burch Unzufriedenheit mit ihrer Lage frei Strafgefeßliche Bestimmungen zu hindern, ihrer und offen Ausdruck zu geben? Solch' ein Glaube zeugt wahrlich nicht von Achtung des Rechts und von Verständniß für die wirthschaftlich- sozialen Aufgaben unserer Zeit. Mit Strafgesehen, die gegen die Aeußerung der Unzufriedenheit ge= richtet sind, wird man die Arbeiter wahrlich nicht zufrieden machen; man wird damit nur die Unzufriedenheit vermehren und den sozialen Unfrieden schüren. Die Grundwahrheit alles gefitteten Völkerlebens ist und bleibt: daß nur die Freiheit den Sieg des wahrhaft Guten und Rechten zu verbürgen und soziale Gefahren zu beschwören vermag. Mit jeder Unterdrückung der Freiheit des Handelns in gemeinrechtlichen Grenzen wird das Gegentheil erzielt.
H
Der Vorschlag der Bochumer Handelskammer, angeblich zur Verhütung der Streiks gemacht, läuft darauf hinaus, jede gegen die Unternehmerinteressen gerichtete wirthschaftlichfoziale Erörterung gewaltsam zu unterdrücken, unter Berufung auf ein Strafgefeß, also auf die Rechtsordnung, die Arbeiter von der Wahrung und Förderung ihrer berechtigten Interessen zurückzuhalten.
Nur der maßlofefte Egoismus, der in seiner Befriedigung die Wohlfahrt der Allgemeinheit begreift, vermag sich zu solch einem ungeheuerlichen Vorschlag zu verfteigen. Die Regierung aber hat alle Ursache, auf die Bochumer Handelskammer das Wort anzuwenden: Mit folchem Rath bleibt uns nur fern, denn er führt zum Verderben."
Lokales.
Die Lokalkommilfton veröffentlicht nachstehend die Liste der Wirthe, die ihre Lokale zu Versammlungen hergeben und bemerkt hierzu, daß dieselbe wöchentlich einmal mit event. Abänderungen abgedruckt wird, ferner, daß Veröffentlichungen in Bezug auf die Lokalfrage nur von den Herren Wilhelm Werner , Sebastianstr. 72, Arno Winter, Köpnickerstr. 126, Hans Baafe, Gipsstr. 31, auszugehen haben. Alle eventuellen Unregelmäßigkeiten sind an die genannten Herren zu berichten. Adler- Brauerei, Gesundbrunnen . Bergschloßbrauerei, Rixdorf . Bod- Brauerei, Tempelhofer Berg. Böhmisches Brauhaus.
Bohne, Hasenhaide.
Bolzmann, Andreasstr. 26.
Bobert, Weinftr. 11.
Brauerei Tivoli, R: cuzberg.
Bürgerfäle", Dresdenerstraße.
Deigmüller's Salon, Alte Jakobftr. 48 a. Deutsches Volkstheater, Schönhauser Allee . Feuerstein's Salon, Alte Jakobftr. 75. Gratweil's Bierhallen, Rommandantenstr. 77:79. Gnadt, Brunnenstr. 38.
Gottschalt( früher Hut), Badstraße, Gesundbrunnen . Gründer's Salon, Schwerinstr. 13. Habel's Brauerei, Bergmannstr. 5-7. Heife, Lichtenbergerstr. 21.
Heydrich's Säle, Beuthstr. 18/21. Industrie- Hallen, Mariannenstr. 31/32. Jordan's Salon, Neue Grünftr. 28. Rönigshof, Bülowstraße.
Klein's Festfäle, Oranienstr. 180. Königsbant, Gr. Frankfurterstr. 117. Krüger, Hochftr. 32a.
Luisenftädtisches Konzerthaus, Alte Jakobstr. 37. Mundi's Salon, Köpnickerstr. 100( 15 M.). Drschel, Sebaftianstr. 39.
Renz Salon, Naunynftr. 27.
Nennefahrt's Salon, Dennewigstr. 13.
Reyer, Alte Jakobstraße 83.
Sanssouci, Kottbuserstr. 4( 20 M.). Schneider, Belforterstr. 15. Sahm's Klubhaus, Annenstr. 16. Silber's Salon, Schwedterstr. 24. Schröder, Müllerstr. 178( Weddingpark). Schweizergarten, Am Königsthor. Süd- Dft, Waldemarstr. 75. Scheffer's Salon, Infelftr. 10. Neustädtischer Voltsgarten, Proskauerstraße. Weimann's Volksgarten, Gesundbrunnen . Wendt, Dresdenerstr. 116. Wollschläger, Blumenstr. 78. Wohlhaupt, Manteuffelstr. 9. Zemter, Münzftr. 11.
Eine Sihung der Stadtverordnetenversammlung findet in dieser Woche nicht statt, da genügendes Berathungsmaterial nicht vorliegt.
Daß Berlin die Einwohnerzahl von anderthalb Millionen erreicht hat, ist bereits von uns gemeldet. Es dürfte interessant sein, das Wachsthum der Reichshauptstadt in ber jüngsten Vergangenheit zu verfolgen. Bei der legten im Deutschen Reich stattgehabten Volkszählung vom 1. Dezember 1885 betrug die Einwohnerzahl von Berlin 1315 287 und hat also in den letzten 46 Monaten um rund 185 000 Seelen zu genommen, d. i. um 15 000 Personen mehr, als die fechftgrößte Stadt im Reich, Leipzig , am legten Volkszählungstermin im Ganzen aufmies; 5 Jahre früher, am 1. Dezember 1880, zählte Berlin 1 122 330 Einwohner und hatte etwa im Februar 1877 eine Million erreicht. Bei der Zählung am 1. Dezember 1875 betrug die Einwohnerzahl 966 858 Personen, am 1. Dezember 1871 825 937; die Hälfte der gegenwärtigen Einwohner fällt ungefähr in den August 1869. Die früheren Zählungen von 1867-1846 zurück wurden immer in dreijährigen Zwischenräumen am 3. Dezember vorgenommen. Vor 50 Jahren, also im Jahre 1839, zählte Berlin 412 154 Einwohner; vor 100 Jahren waren in Berlin etwa 148 000 Seelen vorhanden.
Die Jrrenanstalt in Dalldorf hat mit ihrem umfangreichen Krantenmaterial bereits wiederholt Gelegenheit zu wissenschaftlichen Beobachtungen geboten. Neuerdings veröffentlicht Dr. B. Aßber eine ziemlich umfangreiche Studie, auf Grund von Untersuchungen, zu denen ihn die Dalldorfer Kranken dienten, über Entstehung und Berlauf der allgemeinen Nervenlähmung. Dr. A. beobachtete eingehend 643 Kranke, bie an allgemeiner Baralyfe litten und die sämmtlich in Berlin ortsangehörig, wenn auch zum großen Theil von außerhalb zugezogen waren. Aus den Ergebnissen der A.'schen Beobachfungen ist folgendes bemerkenswerth: Das Alter von 40-45 Jahren weift die meisten Todesfälle infolge von allgemeiner
6. Jahre.
Baralyfe auf; bis zu jenem Alter nimmt die Zahl der Todesfälle in Zeitabschnitten von je 5 Jahren regelmäßig zu, um nach diesem Lebensalter ebenso regelmäßig wieder abzunehmen. Rechnet man also als die Jahre des träftigsten Mannesalters die Zeit vom 35. bis 50. Lebensjahre, so gehörten zwei Drittel der beobachteten Fälle dieser Lebensperiode an. Sämmtliche beobachtete Rrante starben in der Anstalt und nur der achte Theil der Kranken lebte nach der Aufnahme in die Anstalt noch länger als zwei Jahre; alle andern starben innerhalb dieses Zeitraums. Einer der Kranken starb nach 6jäh rigem Aufenthalt in der Anstalt; er hatte die längste Aufenthaltszeit zurückgelegt. Als Ursachen der Geistesfrankheiten werden verschiedene angenommen: erbliche Belastung, Belastung, anstedende Krankheiten, Vergiftungen durch Alkohol, Tabat, Blei, ausschweifender Lebenswandel und end lich physische Eindrücke: Sorge, Kummer und namentlich alle jene vielen Widerwärtigkeiten, welchen der Mensch im Kampf ums Dasein ausgesezt ist. Von denjenigen Kranten, wo über den möglichen Anlaß der Geisteskrankheit überhaupt etwas ermittelt werden konnte, fand Dr. A. etwa ein Drittel erblich bea lastet, d. h. es hatten Blutsperwandte dieser Jrren bereits an Nervenkrankheiten gelitten oder es waren von ihnen Tunfsucht, Selbstmord oder Verbrechen bekannt. Es zeigte sich übrigens, daß diese erblich Belasteten meist bereits im früheren Lebensalter in Geistesfrankheit verfallen und in den höheren Altersperioden eine Abnahme in der Zahl dieser Erkrankungen ein fritt; erklärlich wird diese Erscheinung dadurch, daß die erblich Belasteten früher dem Ausbruche des Leidens ausgesezt find als solche, die nicht erblich belastet sind. Von 110 Krankheitsfällen, in denen erbliche Belastung vorlag, konnte dieselbe in 45 Fällen auf den Vater, dagegen nur in 16 Fällen auf die Mutter des Erkrankten zurückgeführt werden. Diefe Eltern waren entweder geistestrant, Trinker, Selbstmörder oder nervenfrank gewesen. Ein zweites Drittel der Kranken hatte vor Eintritt der Nervenlähmung an ansteckenden Krankheiten gelitten. Hier verlief die Lähmung sehr schnell, sie endete schon nach einem durchschnittlichen Krankheitsstadium von 21 Monaten und nach einer durchschnittlichen Be handlung in der Anstalt von nur vierzehn Monaten tödtlich. Etwa bei einem Drittel der Kranten war Alkoholgenuß als Ursache der Nervenlähmung anzunehmen. In 58 einzelnen Fällen war der Krankheit eine Kopfverlegung des Era frankten voraufgegangen. In mehreren Fällen war der Erfrankung Arbeit in starter Sonnenhige, oder Arbeit am Feuer und in strahlender Hize voraufgegangen; 2 Heizer, 10 Bäcker, 4 Former, 8 Schmiede und 1 Roch befanden sich unter den Kranten. Als Vergiftungen wurden angenommen 5 Fälle, in denen dieselbe durch Tabat, einige andere, in denen sie durch Opium, Morphium oder Blei stattgefunden und die Nerven lähmung herbeigeführt haben sollte. Unter den mit Blei vers gifteten Nervenkranken befanden sich 17 Maler und 4 Schriftfeber. Besonders beachtensmerth aber dürfte es sein, daß fast ein Drittel der sämmtlichen beobachteten Paralytiker einen oder mehre Feldzüge mitgemacht hatten, und daß andere 61 der Kranten früher schwerere Freiheitsstrafen zu verbüßen gehabt hatten. Es ist dies besonders zu bemerken, da diese Vorkomm nisse in Begleitung der von ihnen nicht zu trennenden Aufregungen und Sorgen eine ganz besonders schädigende Einwirkung auf das Zentral- Nervensystem auszuüben wohl im Stande find. In manchen der beobachteten Fälle mag die Ursache der Paralyse in letter Linie lediglich fich von einem solchen Ereigniß herschreiben.
Am Hausvogteiplah vollziehen sich große Verände rungen. Die Häuser Nr. 8 und 9, von welchen das lettere die Trennung zwischen Plaz und Mohrenstraße bildet und bis zu den Kolonnaden reicht, werden niedergerissen, um durch einen großartigen Geschäftsbau nach dem Entwurfe des Regierungsbaumeisters March in Charlottenburg erfest zu werden. Mit seiner Nordfront soll der Neubau um mehrere Meter über die jezige Front in den Hausvoigteiplak vorspringen, so daß der jekt vorhandene spike Winkel, welchen jene alten Häufer bilden, zum Vortheil der gesammten Umgebung aufgehoben wird. An ber Oftseite des Plazes ist im Laufe des Sommers bereits ein ftattlicher Neubau emporgewachsen. Derfelbe ist nunmehr der Gerüste entkleidet und stellt sich mit seiner in rothen Verblendern und Sandstein ausgeführten Faffade als eine architektonische Perle des Hausvoigteiplages dar. Der fünfgeschossige Bau, der durch ein gewaltiges, von einem Rorbbogen überspanntes Schaufenster im dritten Geschoß als ein echtes Geschäftshaus gekennzeichnet ist, nimmt sich mit seinem am vierten Geschoß angebrachten Erfer und dem geschweiften, von einem Thürmchen befrönten Giebel wunderhübsch aus. Auch die inneren Räum lichkeiten dürften nach ihrer Vollendung dem soliden Aeußern entsprechen. Der Entwurf zu diesem Bau rührt von den Architekten Held und France her, in deren Händen auch die Bauleitung lag. Selbstverständlich dürften diese Neubauten, im Zentrum des Ronfektionsviertele geleaen, ebenfalls wieder mit Konfektionsgeschäften belegt werden. Von den benachbarten Neubauten schreitet der Manheimer'sche in der Oberwallstraße infolge feiner großen Ausdehnung nur langfam vorwärts, während der fleinere Bau an der Ecke der Leipziger - und Jerusalemerstraße feiner Vollendung entgegen geht und in furzem seine reich behandelte Front enthüllen wird. Auch diese beiden Häuser werden sich durch das prächtige Sandsteinmaterial, welches für die Fassaden zur Verwendung gekommen ist, vor theilhaft von den zahlreichen Buzbauten der Nachbarschaft unterscheiben.
Der Handel mit alten Möbeln zeigt in der Zeit vor und nach dem gegenwärtigen Umzugstermin wieder seine zahlreichen Schattenfeiten. Schleuderpreise werden von den Händlern für gebrauchte Möbel geboten und übertriebene Breife von ihnen während der Umzugszeit gefordert. Ein in der Köpe nicker Straße wohnender Kaufmann, der sein Geschäft aufgab und seine Komtoireinrichtung verkaufte, erhielt für ein kleines Regal, das zum Ordnen der Korrespondenzen mit Buchstaber fächern eingerichtet war, von einem Händler, der die ganze Romtoireinrichtung faufe, den Preis von 3 M. Als der Ver täufer sich überlegte, daß er ein solches Regal doch noch brauchen werde und wegen eines solchen bei dem Händler nachfragte, erklärte dieser, das von dem Kaufmann erworbene nicht mehr zu besigen und forderte für ein anderes, ähnliches 25 Mart und zwar mit der Begründung, er habe daffelbe auch theuer bezahlen müssen. Auch unter den ver schiedensten Masken erscheinen die Händler, wenn es sich um ben Ankauf von Möbeln handelt. Ein in der Adalbertstraße wohnender Handwerker hat einige Tage vor dem Umzuge ein Kleiderspind zum Verkauf ausgeboten. Es erschien bei ihm eine junge Frauensperson, welche um das Spinde handelte, ihre Dürftigkeit schilderte und erzählte, daß sie sich verheirathen wolle und ihre Mittel nicht ausreichten, den für das Spinde geforderten Preis von 36 Mart zu zahlen. Sie holte dann ein Taschentuch hervor, in deffen einem Zipfel 30 Mart in Silber gelb eingebunden waren in der Art, wie Landleute ihre Baarschaft bei sich zu tragen pflegen. Der Handwerker und