Nr. 239.

Sonnabend, de« 18. Oktober 1889.

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IcrlinerDolksblöll. Brgan für die Interessen der Arbeiter.

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Die Vcrdlenvesttzrefiavmee in Vev Schnreiz. Dec Vorkämpfer für Bodenbesitzreform, Herr F l ü r- s ch e i m in Baden-Baden , machte im Vorjahr eine AgitationS- reise durch die Schweiz und erzielte damit den Erfolg, daß in einer Anzahl von Städten, wie Basel , Bern , Zürich , Baden sc. sich Vereine für Bodenbesitzreform bildeten; ver­flossenen Sommer hielten dieselben bereits in Baden einen Kongreß ab, um weiteres Vorgehen zu berathen. Zhre Ziele fassen sie in folgenden Sätzen zusammen: Wir wollen, was alle wohldenkenden und edlen Menschen aller Zeiten gewollt haben: Jedem einzelnen Gliede der Menschheit den größtmöglichen Antheil am Lebensglücke sichern. Wir wollen, daß die menschliche Gesellschaft, die sich vermöge ihres sozialen Instinkts zur heutigen Kulturhöhe emporgearbeitet hat, ein solidarisches Ganzes bildet, in welchem jedes einzelne Glied als Organ in selbstständiger Arbeit für sich selbst und dadurch für das Ganze schafft; in welcher das Leid der einen von allen anderen mitgetragen und darum gehoben und geheilt wird; wir wollen eine melischliche Gesellschaft, in welcher jedes Talent, jede Be- aabung, jede Geschicklichkeit, jede individuelle Nuanzirung deS Charakters sich ungehindert Geltung verschaffen und in der freien Ausübung seiner Kräfte Glück und Wohlstand erringen kann. Wir wollen eine Gesellschaft, in der die Arbeit als die Urcrzeugerin aller Werthe nicht fasten muß; der Müßiggang nicht schwelgen, die Ungerechtigkeit nicht triumphiren kann. Wir wollen eine Gesellschaft, m welcher die durch tausend- jahrigen Kampf errungene religiöse, politische und gewerb- liche Freiheit dazu dient, auch die ökonomische Freiheit aller Stünde und aller Schichten der Bevölkerung herbeizuführen; der ökonomischen Freiheit, die da besteht: in dein stecht auf Arbeit, ein Recht auf das Arbeitsprodukt, das allen den- jenigen gehören soll, die in irgend einer Weise an dessen Entstehung und Bewegung, an der Werthvermehrung und Wertherhältung mitgewirkt haben, wir proklamiren das Recht auf das Brot, weil wir wissen, daß die Natur und mit ihr in Verbindung die fortgeschrittene Technik unserer Zeit für alle Menschen Brot genug erzeugt, weil wir wissen, daß jeder Mensch, der auf die Welt kommt, nicht nur einen Mund, sondern auch zwei Hände mit sich bringt, die für jenen genugsam Nahrung herbeizuschaffen vermögen' wir proklamirzn das Recht auf Arbeit und Brot, weil w?r wissen, daß die Pflege der idealen Güter der Menschheit nur dann ivirksam sind, wenn der Magen gestillt ist.... Daß die Konkurrenz unter den Arbeitern die Löhne zum Existenzminimum herabdrückt, daß eine Vermehrung der Ar- beiterbevölkerung sie Ursache des Lohnrückganges so lange bleibt, bis durch daS Elend die Zahl der Arbeiter sich wieder vermindert und dann der Lohn wieder das Hunger- _ Feuilleton.[89 iHafibnnf octbottn.]_ lny E i n o 1 b m c n r«f>. Roma» von Maurus Jükai. Dreizehntes Kapitel. Der Niemand. Seit dem Verschwinden Timar's aus Komorn waren oieizig Jahre verflossen. Ich war damals ein A-B-C-Schütz gewesen, als wir Schüler zum Begräbniß jenes reichen Herrn ausrücken mußten, von dem man später erzählte, er sei vielleicht gar nicht gestorben, sondern nur verschollen; im Volke war der Glaube stark verbreitet, Timar lebe noch und werde plötzlich wieder zum Vorschein kommen. Mög- !ich, daß Athalie'S drohende Worte diesen Glauben erzeugt hatten. Die öffentliche Meinung hielt daran fest. . Auch die Gesichtszüge der wunderschönen Dame schweben mir noch vor, die ich jeden Sonntag Vormittags "eben der Orgel anstaunte; sie saß in der ersten eSs m*!"er der Kanzel. Sie war so strahlend von nud doch so sanft. Ich entsinne mich noch der 018 kaä Allarmgerücht durch die Stadt -rni.. ttt- Rächt ein Mordattentat an der schönen �rau von e,n er Gesellschafterin verübt worden. Ich habe auch gesehen, w,e man die zum Tode Verurcheilte auf dem Annensunderwagen zum Richtplatz führte; eS hieß, sie werde geköpft werden Sie hatte ein graues Gewand an mit schwarzen Bandschleifen. Sie saß mit dem Rucken gegen den Kutscher und ihr gegenüber der Pope, das Kruzifix m der Hand. Die Marktweiber über- .»listen sie mit Schniahworten und spuckten ihr nach, i i aber blickte kaltblutig vor sich hin und beachtete nichts.

minimum erreicht; diese Escheinung ist ja nicht eine Ursache der sozialen Roth, sondern nur eine jener traurigen Wirkungen der falschen Vertheilung der Güter. Wird die Erde von den Fesseln des Privatbesitzes befreit, die Arbeit ftei und dem Arbeiter die Möglichkeit gegeben, seine zwei Hände zu be- thätigen, so erzeugt er wenigstens genug, um sich und die Seinen anständig zu erhalten... Der Uebergang des Grund und BodenS in den Privat- besitz ist die letzte Ursache aller sozialen Roth. Wer daher die soziale Frage lösen und an der Beseitigung der sozialen Mißstände mitarbeiten will, wer die von unS Eingangs er- wähnten Ziele verfolgt, der muß sich als ein Feind deS Privatbesitzes von Grund und Boden erklären und mit aller Macht dahin wirken, daß die Mutter Erde, die Urquelle aller Reichthümer und aller Güter, der Herrschaft der ein- zelnen Menschen entzogen und wieder in daS alleinige Besitz- thum der menschlichen Gesellschaft, deS Staates und der Gemeinde übergeführt werde. Unsere Parole lautet daher: Frei L a n d." Ja wohl, wir wollen das Land frei machen von der Herrschaft des Kapitals, von der Herrschaft des Privat- befitzes. Wir wollen, daß jeder Erdenbürger nicht nur ein Anrecht auf Licht und Luft, sondern auch auf den Erd- boden habe. Frei Land heißt Gemeinland, Gemeinland heißt freies Anrecht auf Arbeit, freie Arbeit heißt reich- liche Versorgung jedes arbeitswilligen und arbeitsfähigen Menschen mit allen Gütern, die zum LebenSunter- halt und zur Lebensverschönerung nöthig sind. Frei Land ist daher gleichbedeutend mit ökonomischer Freiheit, durch welche erst die sittliche und politische Freiheit jedes Erdenbürgers zur That und Wahrheit wird. Die Verstaatlichung von Grund unv Boden, daS Land- Monopol ist keine revolutionäre Idee, sondern sie kann auf Grund der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und auf fried- lichem Wege durchgeführt werden. Zur Begründung dieser Behauptung wollen wir zunächst daran erinnern, wie der Privatgrundbesitz eigentlich auf unrechtmäßigem Wege ent- standen ist. Die Geschichte der Entwicklung der Gemeinde in Deutschland und der Schweiz zeigt, daß ursprünglich alles Land, mit Ausnahme eines kleinen Platzes um das HauS, Gemeindeland, Allmend war. DaS ganze Gemeindeland war, je nach der Entfernung, in mehrere konzentrische Kreise abgetheilt, der nähere Theil nach dem System der Drei- felderwirthschaft bebaut, war in radialer Abgrenzung in so viel Parzellen gegliedert, als Haushaltungen zum Gemeinde- wesen gehörten. Der entfernteste Theil war Weideland, auf welches jeder Hausvater sein Vieh treiben konnte. Min- dere Bürger, die weniger Gemeindeland oder gar keines hatten, gab eS ursprünglich nicht. Mit der Zeit jedoch kamen in jede Gemeinde auswärtige Hintersassen als Hand- werker, Tagelöhner und dergleichen; sie waren vom Ge- meindeland ausgeschlossen. Im Buch der Zeit gab es auch unter den ansässigen Bürger» Unterschiede; das Recht des Stärkeren über den Schwächeren machte sich immer mehr

DaS Volk drängte sich dem Wagen nach; neugierige Jungen eilten schaarenweise herzu, um sich das Schauspiel anzusehen wie ein schöner Kopf vom Rumpfe getrennt wird. Ich sah ihr furchtsam aus dem verschlossenen Fenster nach. Hei, wenn sie zufällig mich angeblickt hätte. Nach einer Stunde kam die Volksmenge murrend zurück. Sie war unzufrieden, da- mit, daß die schöne Verurtheilte begnadigt worden. Man hatte sie nur auf daS Schaffst gebracht und dort die Be- gnadigung verkündet. Und auch nach dieser Zeit sah ich noch lange jene an- dere schöne bleiche Frau jeden Sonntag in der Kirche; jetzt schon mit einem rothen Strich auf der Stirne und von Jahr zu Jahr mit traurigerem, blasserem Gesicht. Man erzählte sich von ihr allerlei Geschichten; die Kin- der hörten sie zu Hause von den Müttern, und erzählten sie einander in der Schule. Dann verwischte die Zeit die ganze Geschichte aus dem Gedächtniß der Menschen. Vor Jahren erzählte mir ein alter Bekannter, ein Natur- forscher, der als Pflanzen- und Jnsektensammler nicht nur in unserem Vaterlande, sondern in der ganzen gelehrten Welt berühmt ist, von jenen eigenartigen Landstrichen, die sich zwischen Ungarn und der Türkei befinden, und, weil sie weder zu dem einen noch zu dem anderen Staate gehören, auch kein Privateigenthum bilden. Eben deshalb seien sie ein wahres Kalifornien für passionirte Naturforscher, die dort die seltenste Flora und Fauna beisammen finden. Mein alter Freund pflegte diese Orte jedes Jahr zu be- suchen und Wochen lang dort in eifrigem Saminlerfleiß zu verweilen. Einmal überredete er mich, im Herbste seine Ausflüge mitzumachen. Ich selbst bin Dilettant in diesem Fache, und da ich freie Zeit hatte, begleitete ich den alten Freund an die untere Donau . Er führte mich auf die herrenlose Insel. Mein ge- lehrter Freund kannte diesen Ott schon seit fünfundzwanzig

geltend. Der eine hatte mehr Vieh als der andere und da- her auch mehr Antheil am Landnutzen. Nun kam die Auf- theilung deS Ackerlandes. Schon hier ging ein Theil der Bürger leer auS; aber die Ausscheidung in Reiche und Arme begann erst, als jeder seinen ihm zugesprochenen An- theil verkaufen konnte. Durch List, Gewalt und Roth und ungleichen Fleiß'kam der eine in den Besitz der Antheile seiner Mitbürger, der Landlose verarmte bald und die Land- besitzer wurden immer mächtiger. Wo ist hier ein ver- nünstiger Rechtsgrund zu finden, auS welchem man auch die Rechtmäßigkeit des Privatbesitzes an Grund und Boden schließen könnte? Ist es nun gar so schwer, Grund und Boden dem Besitz der Privaten zu entziehen.und in den Besitz deS Gemeinwesens zurückführen? Hat der Staat nicht schon heute das Recht, für gewisse Bedürfnisse deS öffent­lichen Wohles Privatbesitz zu expropriiren? So sehen wir denn in einer einfachen Ausdehnung eines bisherigen Ge- setzes die Möglichkeit, unser Ziel zu erreichen. Die Staatsschulden für den expropriitten Boden wer- den aus den Pachtetträgnissen verzinst und nach und nach aus dem Mehrwerth der Rente abbezahlt. Desgleichen wird der Staatshaushalt aus dieser Rente bestritten. Es ist wohl selbstverständlich, daß wir nicht daran denken, der Staat müsse Grund und Boden dem jetzigen Besitzer rauben. Nein, er soll ihn bezahlen und kann ihn bezahlen. Nun wird das vom Staate erworbene Land verpachtet und diese Vetträge werden auf mehrere Jahre, vielleicht auf die ganze Lebensdauer des Pächters lauten. So würde, wenn Grund und Boden dem Gemeinwesen gehören, der Fortschritt jeglicher Art wirthschaftlicher Thätig- reit nicht mehr dazu dienen, einige Wenige unendlich reich zu machen, indessen der einfache Arbeiter bei der hundert Mal mehr produzirenden Maschine nur immer größere Roth und größeres Elend erleidet, fondern dieser Fortschritt käme der ganzen menschlichen Gefellschaft zu Gute. Dann, aber erst dann wäre jede arbeitsersparende und die Pro- duktivität erhöhende Erfindung eine Wohlthat für die Menschheit. Der Arbeiter ist wieder seines Lohnes werth und ge- nießt den Segen feines Bemühens und seines Strebens. Die soziale Roth hat ihr Ende erreicht und die Länder und Völker werden von einem alle Daseinsfreuden erstickenden Druck befreit, nämlich von dem Gedanken, daß Hunger, Noth und Elend in den unteren Volksklassen nur eine Wirkung menschlichen Unrechts sei. Wer darum Glaube und Vertrauen auf die Wahrheit hat, wer Muth besitzt, Unrecht in Recht zu kehren, wer ein Herz hat für die leidende und darbende Mensch- heit, der schließe sich unS an und arbeite mit unS an der Verbreitung dieser Ideen in allen Schichten deS Volkes unter der Parolefrei Land". Alles durch das Volk und für das Volk!" Man sollte meinen, so human und idealistisch könne nur ein Sozialdemokrat sprechen und doch sind die Herren

Jahren, wo er noch zum großen Theil eine Wildniß und alles erst im Entstehen begriffen war. Abgesehen von dem Röhncht, das noch immer die Insel umgiebt und verbirgt, ist hier jetzt eine wahre Musterwitth- schaft. Von einem Knüppeldamm eingefaßt, ist die Insel jetzt ganz vor den Hochwassern geschützt und außerdem von Kanälen durchschnitten, welche eine von Pferden getriebene Pumpmaschine mit Wasser versieht. Wenn ein richtiger Gärtner an diesen Ort kommt, kann er sich kaum mehr davon trennen. Jedes Siück Erde ist nutzbar gemacht, oder dient zur Verschönerung der Gegend. Der MuSkateller-Tabak, den man hier baut, hat das vor- züglichste Aroma und ist, gehörig behandelt, eine Prima- Waare. Der Bienengarten der Insel nimmt sich aus der Ferne wie eine kleine, für die Liliputaner-Einwohner erbaute Stadt aus, mit stockhohen Häusern und mannigfaltig gestalteten Hütten. In einem eingefriedeten Hain sind die seltensten Arten edlen Federviehs beisammen, sowie im künstlichen Teiche auserlesen seltene Exemplare bunter Enten, Gänse und Schwäne. Aus den üppigen Wiesen grasen ungehörnte Kühe, Angora-Ziegen und Lamas mit langen, glänzend- fchwarzen Haaren. Man siebt es der Insel an, daß hier ein Gebieter wohnt, der sich auf den Luxus versteht. Und doch hat dieser Gebieter nie einen Heller zu seiner Verfügung. Auf diese Insel kommt kein Geld. Diejenigen aber, welche der Erzeug- nisse der Insel bedürfen, wissen schon, was hinwiederum die Bedürfnisse der Inselbewohner sind, als: Getreide, Kleidungsstücke, Werkzeuge, gefärbtes Garn 2c., und bringen diese in Tausch. Mein gelehrter Freund pflegte neue Gartensämereien und Eier neuer HauSvögel mitzubringen und erhielt dafür Exemplare seltener Insekten und getrockneter Pflanzen in Tausch, welche er dann an naturhistorische Sammler und ausländische Museen verkaufte und daraus einen schöne»