tr. 223.

Mittwoch, den 1. Onder 1890.

7. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

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Organ für die Inferessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

29

dicheint täglio Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei ' s Haus viereljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Fonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Postabonnement 3,30 Mart pro Quartal. ( Eingtragen in der Postzeitungspreisliste für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.) Unter Kreuband, täglich durch die Expedition, für Deutschland und Desterreich- Ungarn 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mark pro Monat.

Insertionsgebühr

beträgt für die 5 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs­Anzeigen 20 Pf. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Beuthstraße 3, sowie von allen Annoncen- Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 1hr Mittags und von 3-7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet. Fernsprecher: Amt VI. Nr. 4106.

Redaktion: Beuthffrahje 2.- Expedition: Expedition: Beuthstraße 3.

Abonnements- Einladung.

Mit heute eröffnen wir ein neues Abonnement auf das

mit dem

Berliner Volksblatt"

Sonntagsblatt"

als Gratisbeilage.

Große Veränderungen sind mit Bezug auf unsere Partei er: folgt, größere stehen ihr bevor. Der diesjährige 1. Oktober ein historischer Augenblick für die proletarische Bewegung, er ist der wichtigste Moment, den die heutige politische Geschichte kennt. Mit dem 1. Ottober fällt ein Gesetz, melches zwölf Jahre lang die Entwickelung der modernen Arbeiterbewegung einzudämmen fuchte; mit dem 1. Oktober wird das deutsche Proletariat seinen Weg ohne die Feffeln eines Ausnahmegesetzes zu gehen haben.

4. Abschaffung aller Ausnahmegesehe, namentlich der Preß-,

Programm der sozialistischen Vereins- und Versammlungs- Geſche, überhaupt aller Geſeße, Arbeiterpartei Deutschlands .

welche die freie Meinungsäußerung, das freie Denken und Forschen beschränken.

I. Die Arbeit ist die Quelle alles Reichthums und aller 5. Rechtsprechung durch das Volt. Unentgeltliche Rechts­Kultur, und da allgemein nußbringende Arbeit nur durch die Ge- pflege. sellschaft möglich ist, so gehört der Gesellschaft, das heißt allen 6. Allgemeine und gleiche Voltserziehung durch den Staat. ihren Gliedern, das gesammte Arbeitsprodukt, bei allgemeiner Allgemeine Schulpflicht. Unentgeltlicher Unterricht in allen Arbeitspflicht, nach gleichem Recht, Jedem nach seinen vernunft- Bildungsanstalten. Erklärung der Religion zur Privatsache. gemäßen Bedürfnissen. Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert innerhalb der heutigen Gesellschaft:

In der heutigen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Kapitalistenklasse; die hierdurch bedingte Abhängigkeit der Arbeiterklasse ist die Ursache des Glends und der Knechtschaft in allen Formen.

Die Befreiung der Arbeiterklasse erfordert die Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und die genossen­schaftliche Regelung der Gesammtarbeit mit gemeinnütziger Ver­wendung und gerechter Bertheilung des Arbeitsertrages.

Die Befreiung der Arbeit muß das Werk der Arbeiterklasse sein, der gegenüber alle anderen Klassen nur eine reaktionäre 11. Von diesen Grundsägen ausgehend, erstrebt die sozia­

Die zweite Hälfte der ausnahmegesetzlichen Zeit in Berlin ist eng und unauflöslich mit dem Organ der Berliner Arbeiter, dem Berliner Volksblatt" verknüpft. Das ,, Berliner Volks­blatt hat das Sozialistengesetz überdauert, aber in seinen masse sind. Arbeiterschaft wieder. Von den Zeiten des berüchtigten ,, Volksfreund" an bis zu den legten Erlassen des Ministers Herrfurth hat das liftische Arbeiterpartei Deutschlands mit allen Mitteln den freien Berliner Volksblatt" treu und unentwegt zur Berliner Staat und die sozialistische Gesellschaft; die Zerbrechung des Sozialdemokratie gehalten- und so soll es auch für alle Zeiten ehernen Lohngesetzes durch Abschaffung des Systems der Lohn­arbeit; die Aufhebung der Ausbeutung in jeder Gestalt; die Be­seitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit.

bleiben.

Aber neue und schwere Kämpfe stehen uns bevor. Die sozialdemokratische Presse kennt keine Zeit der Ruhe, sie muß fortwährend gewappnet sein, denn wenn irgendwo, so gilt für uns der Spruch:" Feinde ringsum!"

Um den erhöhten Pflichten und Aufgaben, welche das Er löschen des Sozialistengesetzes unserer Partei auferlegt, nach jeder Richtung hin gewachsen zu sein, treten wir vom 1. Oktober an mit verstärkten Kräften vor unsere Leser.

Wie unseren Lesern schon bekannt ist, gehört

Wilhelm Liebknecht

seit heute der Redaktion des ,, Berliner Volksblatt" an. Auch nach anderen Richtungen ist der Stab unserer Mitarbeiter

vermehrt worden.

Arbeiter, Ihr seid die Majorität der Bevölkerung, Eure Bresse muß daher die gelesenste sein.

Der Abonnementspreis beträgt frei ins Haus für das ganze Vierteljahr 3 Mark 30 Pf., monatlich 1 Mark 10 Vf., wöchentlich 28 Pf.

Bestellungen werden von sämmtlichen Zeitungsspediteuren entgegengenommen.

Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Be stellungen für das Vierteljahr gegen Zahlung von 3 Mark 30 Pf. an. ( Eingetragen in der Post- Zeitungsliste für 1890 unter Nr. 892, V. Nachtrag.)

Die Redaktion und Expedition des Berliner Volksblatt".

Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

Victoria.

Roman von Minna Kautsky .

Erstes Kapitel.

( 1

Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands , obgleich zunächst im nationalen Rahmen wirkend, ist sich des internationalen Charakters der Arbeiterbewegung bewußt und entschlossen, alle Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt, zu erfüllen, um die Verbrüderung aller Menschen zur Wahrheit zu machen.

1. Möglichste Ausdehnung der politischen Rechte und Frei­

heiten im Sinne der obigen Forderungen.

2. Eine einzige progressive Einkommensteuer für Staat unuar Gemeinde, anstatt aller bestehenden, insbesondere der das V er­belastenden indirekten Steuern.

3. Unbeschränktes Roalitionsrecht.

Juar Rents

4. Einen den Gesellschaftsbedürfnissen entsprechenden Normale Arbeitstag. Verbot der Sonntagsarbeit.

5. Verbot der Kinderarbeit und aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigende Frauenarbeit.

6. Schußgefeße für Leben und Gesundheit der Arbeiter.

Sanitätliche Kontrole der Arbeiterwohnungen. Ueberwachung der Bergwerke, der Fabrik-, Werkstatt- und Hausindustrie durch von den Arbeitern gewählte Beamte. Ein wirksames Haftpflicht­

gefeß.

7. Regelung der Gefängnißarbeit.

8. Volle Selbstverwaltung für alle Arbeiter- Hilfs- und Unter­stützungskassen.

Der 1. Oktober.

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Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert, um die Die Ketten, mit denen das Sozialistengesetz die deutsche Lösung der sozialen Frage auzubahnen, die Errichtung von sozia- Sozialdemokratie fesseln sollte, sind zerbrochen, längst listischen Produktiv- Genossenschaften mit Staatshilfe unter der zerbrochen, und die Bruchstücke werden am heutigen Tag ein Denkmal der ver­demokratischen Kontrole des arbeitenden Volkes. Die Produktiv- in die Rumpelkammer geworfen Genossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem brecherischen Thorheit, die da wähnte, eine weltgeschicht­Umfange ins Leben zu rufen, daß aus ihnen die sozialistische liche Bewegung willkürlich erdrosseln zu können. Organisation der Gesammtarbeit entsteht. Das Sozialistengesetz ist gefallen, und seine Urheber Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert als liegen am Boden. Einen Löwen bindet man nicht mit Grundlage des Staates: Zwirnsfäden, und die ehernen Gesetze der wirthschaftlichen und staatlichen Entwickelung lassen sich nicht abschaffen, nicht ändern, nicht fälschen.

1. Allgemeines gleiches direktes Wahl- und Stimmrecht mit geheimer und obligatorischer Stimmabgabe aller Staatsangehörigen vom zwanzigsten Lebensjahre an für alle Wahlen und Abstimm­ungen in Staat und Gemeinde. Der Wahl- oder Abstimmungs­tag muß ein Sonntag oder Feiertag sein.

2. Direkte Gesetzgebung durch das Volt. Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk.

3. Allgemeine Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere.

Die Träger der Staatsgewalt und alle auf dem Boden der heutigen Gesellschaftsordnung stehenden Parteien hatten sich zusammengethan, um die Sozialdemokratie zu vernichten. Und die Sozialdemokratie, stark in dem Be­wußtsein ihres Rechts und ihrer Macht, nahm heiteren Muths und voller Siegeszuversicht den anscheinend so ungleichen Kampf auf. Gegen uns der Klassenstaat

sten Bauernhofbesitzer in der Umgebung hatten seinerzeit Man vernahm das Summen der zahlreichen Fliegen, das diesen Artikel nur bei ihm bestellt. leise Rascheln des Strohes, und selbst jenes zarte Geräusch, das Die Großbauern hatten ihren Stolz darein gesetzt, ihre das Einfahren der Nadel in einen start gestärkten Stoff hervor Pferde und Ochsen in prächtiger Weise herauszupußen bringt. Nur hie und da tönten die kurzen dumpfen Schläge und Einer wollte es dem Andern darin zuvor thun. Für des kleinen Hammers, den Meister Brandhofer führte, kräf­ein solches Rummetpaar waren zwei- und dreihundert tiger dazwischen.

Gulden bezahlt worden, jetzt mußten sich die Ochsen zu- In diese Ruhe schrillte ein Pfiff. frieden geben, wenn man ihnen eines der gewöhnlichsten

Sorte um den Hals warf und man feilschte an dem Preise Der Sattler hob den Kopf und sah nach der Wanduhr. Es war der hohe durchdringende Ton einer Lokomotive.

von achtzig Gulden.

Es war am 15. Juni und außergewöhnlich heiß. Reiche Großbauern waren in dieser Gegend, in der all- Was ist denn das halb sieben das ist nicht der In dem engen Thale Niederösterreichs , Kaltenbach, jährlich neue Villen und Gartenanlagen entstanden, über Abendzug," sagte er rauh und gallig. pas ein Flüßchen im raschen Gefäll durchströmt und das zu haupt nicht mehr zu finden, und mit ihnen zugleich war die beiden Seiten von reichbewaldeten Hügeln umgeben ist, war Anzahl des nüßlichen Viches geschwunden. Dem Meister Falte reihte und nicht damit zu Ende kommen konnte, sah Sein Töchterchen, das an dem weiten Rocke Falte an indeß die Temperatur zu dieser späten Nachmittagsstunde Sattler , der dadurch in seinem Gewerbe stark beeinträchtigt eine Sekunde nur von ihrer Arbeit auf und entgegnete bereits angenehm gemildert und die Luft von dem würzigen war, erschien dies als ein bedrohliches Symptom und eine in durchaus indifferentem Ton: Mit dem heutigen Tage Dufte der nahen Föhren und Fichtenwaldungen erfüllt. In grenzenlose wirthschaftliche Miserabilität. beginnt die Sommerfahrordnung, da gehen mehr Züge ab." der Werkstatt des Sattlermeisters Brandhofer stand ein Flügel der Thür, der nach der Straße führte, offen, und des Arbeit gebeugt, so daß ihm die dichten Büschel grau wollte, auf den Tisch, daß er klirrte. Noch mehr Züge! Er hatte in diesem Augenblick den Kopf tief über seine Der Vater warf den Messingbeschlag, den er eben befestigen Meisters Töchterlein, Emilie, hatte sich mit ihrer umfang schwarzen Haares über die gerunzelte Stirn fielen, und mit Es ist gerade, als ob die ganze Welt jetzt zu uns herein reichen Näharbeit, es war ein leichter Frauenrock, der sich den borstigen weitabstehenden Brauen sich zusammenfanden. wollte ins Gebirge. Und nicht nur diese sakramentischen da ausbreitete, nahe an dieselbe postirt. Ihre Mutter, eine Sein fräftiger ausdrucksvoller Mund war fest übereinander Wiener werden per Bahn herein spedirt, auch ihre ganze runde Dame mit überquellendem Embonpoint, dem sie an Wochentagen keine Fessel anlegte, befand sich, an einem gelegt und zeigte einen mürrischen Zug. Die ganze Physio- Bagage, ja wirklich Bagage das! Fuhrwerk giebt's feines gnomie hatte etwas von einem Bullenbeißer. Strumpfe strickend, auf einem Stuhle dicht hinter ihr. mehr, man braucht es auch nicht mehr zu was denn? Im Hintergrunde dieses häuslichen Genrebildes zeigte Das Dampfroß schleppt alles miteinander. Menschen und Vieh sich in einem Rembrandt'schen Helldunkel ein etwas struppiger und Waaren, alles, alles, alles! Da saust es vorüber! Wie Jüngling, der siebzehnjährige Lehrling und einzige Gehilfe das puftet und poltert, und der Rauch, der Schmutz,- des Meisters, der rittlings auf einem hölzernen Bock saß, pfui Teufel! Er spuckte aus, und sah sich dann und ein vor ihm sich aufbäumendes Kummetfutter mit Stroh grimmig um. Ein forschender Blick traf seine Frau und anstopfte. Es war heiß und still in der Stube. seine Tochter. Wagte sich vielleicht ein Widerspruch hervor? Keiner sprach ein Wort. Er wollte es ihnen nicht rathen.

Der Meister, eine vierschrötige knorrige Gestalt, saß vor seinem Arbeitstisch. Er war beschäftigt, ein Ochsen fummet mit Messingzierrathen zu beschlagen und es in fofetter Weise mit rothen, gelben und grünen Leder ornamenten zu schmücken.

Seine Kunstfertigkeit hierin war bekannt und die reich­

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