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Llnleryaltungsveilage
1934
HZanania Geschichte einer Massenpsychose Bon Den«»«« Wen Sei
Wenn der Fall des Mültimillioiien- schwindlerS S t a v i s l y die Presse zu der Feststellung nötigte, daß eS der getvaltigste Finanzbetrug seit dem Panamaskan- dal sei. so ist die Erinnerung an jene gigan­tische Gaunerei, die mit dem Namen Ferdi­nand von Le s s e p S untrennbar verknüpft bleibt, nicht nur in Frankreich   noch recht le­bendig. Dass im Argot, der Pariser   BolkS- mundart, die Hauptstadt nicht anders al» Panam" heisst, hängt sicher damit zusam­men; darüber hinaus wurde Panama   allent­halben zum Sinnbild eines pompös angeleg- te» Unternehmen», das, nachdem es Unzähli­gen die Taschen geleert hat. mit ungeheurem Krach in die Luft geht. Auch reizt eine Dar­und Klarstellung jener ziemlich verwickelten Vorgänge, die der Generation von heute in ihren Einzelheiten kaum mehr bekmint sind, immer lvieder die Schriftsteller; so erschienen in den letzte» Wochen von dem Franzosen Adrien Dansette.LeS affaires de Pana­ma" und von dem Deutschen   Bruno Weil Panama  ". Befassen sich diese Bucher vorwiegend mit dem, tvas sich hinter den Kulissen an Be­stechungen einflussreicher Persönlichkeiten und ähnlich unsauberen Manövern vollzog, so bie­
ten auch die Ereignisse vor den Kulissen deS Nachdenklichen genug; sie sind das Muster­beispiel einer Massenpsychose, in der fast eine ganze Ration kritiklos auf einen sie mit Phrasen einseifenden Hoch­stapler hereinfällt. Dabei war L e s s e p S kein gewöhnlicher Dieb, dem es nur auf die schmnlose Ausplünderung seiner Mitmenschen ankam; Tatendurst, Geltungsdrang und Ehr­geiz arbeiteten wahrscheinlich als stärkere Triebkräfte in seiner Brust als Gewinngler. Dass cs ihm 1868 gelungen war, mit Durch­stechung der Landenge von Suez einen alten Traum der Menschheit zur Wirklichkeit zu macken, hatte ihm allen möglichen Ruhm ein-! getragen; jetzt dachte der mehr als Siebzig- I jährige, ein anderes Werk anzupacken, von dem schon der Saint-Simonismus geschwärmt und das Goethe vorausgeahnt hatte: die Verbindung die» Atlantischen mit dem Stillen Ozean   durch einen Kanal, der den schmalen Isthmus von Pana­ ma   durchbohrte. 1878 entschied sich ein Inter­nationaler Kongress zu Paris  , der allerdings
mehr privaten Charakter hatte, für den Plan, einen Kanal ohne Schleusen zu bauen. 78 Kilometer lang, sollte er rund 1206 Mil­lionen Goldfranken kosten, al.r dass er brr günstigster Berechnung nur 72 Millionen FrmicS jährlich einbringen lvürde, lockte die Sparer wenig; von 400 Millionen, ans die die 1878 gegründete Panama   A.-G. im erste» Anlauf rechnete, wurden klägliche 30 gezeichnet. Ging er nicht, galt es, die gläubi­gen Elemente, die man brauchte, durch ameri­ kanische   Reklame einzufangen. Im Jänner 1880 tut L e s s e p S in Person den er st en Spatenstich des KanalbauS, und als sei nunmehr alles geschafft, folgen Feste, Ban­kette, Trinkgelage. Truppenparaden, Illumi­nationen und Feuerwerke. Zugleich verkünde» er, dass der Kanal nicht 1200, sondern nur 800 Millionen kosten und sein Bau nicht acht, sondern nur sechs Jahre dauern werde; über­allhin reist er, überall redet er. überall wirkt er als Triumphator. Und alle öffnen Kassen» schrank oder Sparstrumpf, Bürger. Bauern, Arbeiter. Jahr für Jahr wird eine Emission der Panama  -Aktien spielend untergebracht, hundert Millionen und noch einmal hundert und wieder hundert und so fort. Wohl sickert manchmal ein Gerücht durch, dass nicht alles nach Wunsch gehe, dass Gelände und Klima unerwartete Schlvierigkeiten bereiten, dass die Gelder bei tveitem nicht ausreichen, aber dmik einer gekauften Presse Lberdröhnt die dicke Pauke der Reklame alles mit ihrem Bumbum- bum. Wo immer L e s s e p S erscheint, ent­facht er Rausch und Taumel. Den aus Panama   Zurückkehrenden empfangen 1886 Tausende wie den ersehnten Retter mit unbeschreiblichem Jubel; in der Generalver­sammlung des gleichen Jahres, als für jeden halbwegS Einsichtigen die Dinge schon sehr schief stehen, umbraust ihn nicht endende Be­geisterung von fünfzehnhundert Aktionären. Wer an L e s s e p s zweifelt, ist kein guter Franzose. Hat er nicht selbst gesagt, dass er bei Auflegung seiner Aktien zunächst das Interesse der kleinen Leute im Auge habe? Heil 2 e s s e p sl Da er in die Akademie aus­genommen wird, hält Renan die Einfüh­rungsrede:Man liebt Sie, man will Sie sehen, und bevor Sie noch den Mund geöffnet haben, klatscht man Ihnen Beifall. Ihre Feinde nennen das Geschicklichkeit. Wir nen­
nen eS Ihre Zauberkraft... Ihre Beredsam­keit hat die Welt erobert. Hoch LessepSl" Eine gutorganisierte Volksbewe­gung, ein PetitiouSsturm beginnt, um die Regierung zur Erlaubnis einer Panama  -Prämienanleihe zu bewegen. Zu­gleich werden in welchem Umfang, weiss man heute noch nicht genau Abgeord­nete und Minister bestochen, von der Korrumpierung einer käuflichen Presse erst gar nicht zu reden. Aber obwohl die Kämmen: dem Gesetz über die Lotteriemllcihe für den Panamakanal zustünmen, zieht sie nicht; 1.3 Milliarden sind verpulvert, ohne dass das Werk beendet, ohne dass es mich nur seinem Ende nahe wäre. DaS Vertrauen der Oesf-nt» lichkeit ist ins Wanken geraten, und damit wankt auch die Pmrama-A.-G.; am 14. De­zember 1888 stellt sie ihre Zahlungen ein. Fast anderthalb Milliarden Goldfranken hat sie aus dem französi­ schen   Volk herauSgekeltert. von denen nahezu ein Drittel für Verwaltung. Zinsen und Be­stechungen draufgegangen sind. 800.000 Franzosen haben das Ihre in Panama  - Aktien angelegt und find nun zum grossen Teil dem Ruin, der Verzweiflung, dem Selbstmord überantwortet. Hunderttausend­stimmiger Fluch derer, die ihn vordem ge­priesen, gefeiert, gesegnet haben, umbrandet 2 e s s e p S, der an seinem Lebensabend ge­richtlicher Untersuchung und Verurteilung entgegengeht; haushoch schlagen in den näch­sten Jahren die Wellen des Panamaskandals, die so manche politische Existenz, Minister» Kammerpräsidenten. Abgeordnete, rnhmloS wegschwemmt. Ob sich dergrosse Franzose" in diesen widrigen Tagen der Worte erinnert, die er 1887 bei seinem Besuch in Berlin   von BiSmarck   vernommen hat?Früher." sagte ihm der Kanzler,konnte ich in Berlin  nicht über die Strasse gehen, ohne dass die Leute vor mir anSspuckten, um mir ihren Ab­scheu auszudrücken. Jetzt drängt man sich mir derart in den Weg. dass ich kaum mehr aus­gehen kann. Vielleicht kommt noch ein Tag» wo man wieder vor mir ausspuk« k e n wird. DaS ist unser aller Geschick.^ Der Panamaskandal aber, dessen Bau die Bereinigten Staaten auch ans mili­tärischen Gründen fortfetzten, wurde erst 1814 beendet und dem Verkehr übergeben.