BUNTE WEIT 2tr. 17 Unterhaltungsbeilage 1934 Heilige, Helden, Aktionäre Von EkrßtH- Sottgetreu,(Jerusalem  ) Es gefiel dem bärtigen und bebrillten Btännchen, Lai in der letzten Sekunde in den Autobus gesprungen war und sich sofort als »Eremit" vorgestellt hatte, unter der heißen Sonne des Heiligen Landes, und es begriff nicht, daß seine Frau, die noch irgendwo in Europa  wohnt, ihm bis heute nicht gefolgt ist; das wußten wir schon nach den ersten fünf Minuten. Es gefiel dem Eremiten im Heiligen Lande und er erlebte es mit Begeisterung. Als wir an Abu Dis   vorbeikameu, dem Ränberdorf, dessen Scheich erst dann die Lust an Uebcrfallen a»f vorbeiziehende Reisende verlor, nachdem ihm die Regierung zmn Gendarmeriechef gemacht halte da fluchte er den Arabern, denn die seien vom Teufel und nicht von Gott  . Als wir die Gegend von Nebi Musa passierten, die di« Mo­hammedaner geschichlswidrig zum Todesort Muses erklärt haben da wiederholte er den Fluch in den lästerlichsten Worten. An anderer Stelle der Straße wollte er uns dazu bewegen, die dort gehandelte Nachbildung der Schleuder, mit deren Hilfe David Goliath steinigte, zu kaufen. An dem Ort aber, an den dir christliche Ueberlieferung die Legende vom Barmherzigen Samariter verlegt, war seine Dauerrede erfüllt von der Poesie der Bibel, die er zitierte. Nun lag schon der Blutfelsen hinter uns und das türkische Fort. In Riesenkehren giugS immer tiefer, bald mußte das berühmte Schild kom­men: Zea level. Bon hier aus sind'» nur noch wenige Kilometer bis zum Toten Meer  . Die Landschaft wurde immer kärglicher, karstiger, kahlkuppig, felsfaltig. Mauesel und Kamele fraßen sich an spärlichem Gebüsch halb­satt. Der Wagen bog links ab, ins Wadi El Kelt hinein. Unter uns eine Schlucht, an der Felswand gegenüber, vom Licht nicht beschienen, von aller Welt fast abgeschnitten, ein graues Rest am grauen Stein, ein Straftloster, behaust von Mönchen, die sich gegen Regeln ihre- Or­dens vergangen haben. Tas ist das Sibirien   des Kreuzes. Auf einem schmalen Saumpfad, den das Klosterzuchrhaus als einzigen Gruß an die Welt entsendet, kommen keine Poft, keine Be­sucher, nur hin und wieder eia Sack Erbsen und ein Sack Linsen, Alktagsmahl und Fefttagsmah». In Jericho   sieht der Ford wieder inmirien der wogenden Welt. Auf den alten, so berühmten Mauerresten klettern sich die Fremden unide; oder sie wandern zu jener Stell«, an der die Juden unter Josua den Jordan überschritten haben sollen, oder auch zu jener, an der Jesus   die Taute empfing; dann ruhen sie an dem trüben Elisabbrunnen, den ein siimmerlicher Gasthaus­betrieb umrahmr. Weniger primitiv als das Gasthaus am Brunnen vor der Mauer find eia paar größere Hotels eingerichtet, deren ara­bische Wirte Jericho   zur Winterfrische machen I wollen..Alteingesessene" Tel-Aviver kommen zu ihnen, wenn denen ihr Orient-Paris zu lärmend wird. Nun wurden wir animiert. Der Eremit warnte: ob uns nicht bekannt sei, daß s i« selbst die Beduinen der Berge sich durch Zauber­sprüche und Amulette-gegen die freien Sitten der entarteten Jerichoer vertoahrte». Es war uns nicht bekannt. Der arabische Wirt empfahl einen Feuerfreffer, der am Abend eine Galavor­stellung geben werde. Die Gesellschaft bestieg das Auto und fuhr auf glatter Straße, zwischen Hel­len Halden und Tafeln, die kristallisch-salzig schimmerten. Wüste ans Meer und Stein. Wüste in blau und gelb. Felslöcher zeigen, wo sich ehemals Eremi­ten niederließeu, Salzberge, wo Sodom und Gomorrha standen. Das ist am Siidende des Todesbeckens. Nach alter Ueberlieferung wurden die Sündenstädie von oben nach unten gestürzt, in Wahrheit aber wohl durch ein Erdbeben zer­stört; auch Totes Meer und Jordansenke selbst verdanken ihre Tieflage einer gewaltigen Natur­katastrophe. Fern allem Leben arbeiten am Süd­ende, das übrigens auch Petroleumlager birgt, Salzgräber. Alle zwei Wochen bringt ihnen rin Motorboot Lebensmittel. Das Schiff der Hölle nennen es die Beduinen. Und fügen hinzu: Wer toill, daß der Todesengel bald zu ihm komme, der steige ein. Und dann blocken sich hier Felsen, die in der Hitze Asphalt ausschwitzen. Im Alter­tum hat man ihn aus dem Salzmeer gefischt, da­bei dem Aberglauben folgend, daß nur Blut und Urin die größer» Stücke lösen könne. Alles wird hier zum Mythos, zmn Symbol. Da wird ge- munkelt: die alte Bibeljtadt Sughar, die hier stand, hieß eigentlich JSälat": die Hölle. Eine andere Bibelstätte: Engcdi. In den Höhlen von Engedi hat David Saul gefangen, der ihn mit dreitausend Mann verfolgte. Und raufend Jahre später hausten hier die Esiener fromme Sek­tierer, Borchristen, friedliebend, luxu-feindlich, frauenlos. Heilige in unheiliger Welt. Während sie ihre Gebete zu den Sternen schickten, ramm­ten die römischen Legionen des Tttus die nur ein paar Meilen entfernt gelegene Felsenfeste Mas« sada,«inst von den Makkabäern geschützt, jetzt, nach Jerusalems   Fall, von den Zeloten mit To­desmut gehalten. Als sie-den Römern nach lan­ger, kriegstechnisch raffinierter Belagerung in die Hände fiel, fanden die Sieger in ihren Trümniern nur noch zwei Frauen und fünf Kinder. Die übrige Besatzung, eine Tausendschaft etwa, war in den Freitod gegangen.' Wer das Salzmeer entlangwandert feststellt, daß dies nur auf eine kurze Strecke möglich ist, da das weglose Ufer bald felsig steil in die bittere Flut hineinfällt wer also mit dieser Erkenntnis den See mit dem Schifi befährt, das aber gut gebaut sein muß, da die Dichte des Wassers den Tiefgang erschwert ur-> somit die Kentergefahr steigert der erlebt bald sein ödes Krauen, seine Trostlosigkeit und eben seinen Tod. Aschenartig aussehende Erd«, Lavafelsen, eine Feuerlandschaft. Höllenhitze überdamvft sie, kein Bogel sinkt in diesem Feuer­atem. Weit und breit kein Mensch am Ufer-. DaS Tote Meer hat einen schlechte» Auf. 88 l Meter unterm Wasserspiegel, und dann gehl? nochmal 888 Meter tief hinein! Seine Flut ist brennend bitter und widerlich ölig. Lein Fisch schtvinunt in dieser giftigen Lauge. Wer in ihr badet und sich nicht gut danach ab­trocknet, muß befürchten, daß ihm die Haut weg­brennt. Wer von diesem Bitterwasser geschluckt hat, muß mit inneren Schwellungen rechnen. Selbst der Nichtschwimmer geht in dem mineral­reichem Wasser kaum unter, Kaiser Bcspasian loar über dieses Phänomen so sehr überrasch», daß er,»des Interesse halber", wie Flavius JosephuS   schreibt, ein paar Sklaven mit zu- sammengebundinen Händen ins Bayer werfen ließ: sie ertranken nicht. Tie Reisegesellschaft ist vor einem elegan­ten Lokal ausgestiegen, zur Jazzmusik drehen sich die tanzenden Paare, Kellner tragen jede ge­wünschte Delikatesse auf und Architekten sitzen schon über den Plänen zu einem großen Luxus­hotel, Golf- und Tennisplatz werden sie nicht vergessen. Die Sonne zaubert in wundervollem Abendrot und Abendvioleit den Abglanz ihres Goldes auf die gegenüberliegenden, bis zu tau­send Meter ansteigenden Berge von Moab  . Spä­ter zeigt es sich, daß die Touristen noch sehr primitiv übernachten müssen die weiblichen in Baracken auf fteiem, nachtdunklen Felde, die männlichen in einer feldbettbesetzten Halle  , aber wenn erst das Hotel fertig ist, wird sicher aller Luxus locken, den der zivilisierte Mensch liebt. Schon meint einer spottend: Totes Meer, aber eine lustige Leiche Doch da kommt von einem, der lange hier unten gelebt hat, schwer die Erwiderung: .Im Süden, da wo der Tschebel llsdum sich der Erd« enireckt, Lots zur Salzsäule er­starrtes Weib, ein Stück biblisch« Geschichte, Sodom und Gomorrha da ist die Hölle." Unsere Reisegesellschaft halte ihre beschei­denen Abenteuer. Da sie auch in der Oede die Schönheit suchte, ließ sie ihr Schiffchen Jlal» lierhoe" in der Mitte des Ostufers, auf trans- jordanischer Seite also, an der oasenartig um­grünten Arnonmündung festmachen. In enger rottimfelster Schlucht, einer orientalischen Part­nachklamm, ergießt sich hier Süßwasser in die Salzflut. Hinter der ersten Krümmung der Klamm soll ein giganttscher Wasserfall zu Tal und rauschen. Aber niemand sah ihn. Tenn als plötz­lich ein junger Mann in einem unerwarteten, ungekannten Strudel verschwand und nur mit knapver Not vom Ertrinken gerettet werden konnte, erstarb die Lust zur Fortsetzung der Ex« vedition... Das zweitemal legte da? Schifi an jener warmen Ouelle an, in deren Dampf schon Herodes   Heilung von seinem Rheuma ge­sucht hatte vergeblich: er starb hier. Das drittemal ging die.Kallierhoe", und auch hier ihre Gäste zum Landaufenthalt entlassend, an der Zerkamündung vor Anker. Als sie sie wieder I gelichtet hatte und sich sozusagen schon auf hoher .-Ci