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Wiener Gefpenſterſonate

Bon Ludwig.

Schwarzenbergplatz. Wer läßt sich heute| Dorf der Welt werden. Aber Ordnung muß sein, von wem huldigen? Dollfuß ? Der neue Herr sonst...." Bürgermeister? oder Herr Handelsminister? Heil Dollfuß!" schreit einer aus der zu Starhemberg? Nein. Diesmal huldigt man der schauermenge. Es ist fein Wachmann in der schtvarz- gelben Vergangenheit, symbolisiert im Nähe. " Wehrmann in Eisen".

Eine Menge Polizisten sind da, damit das Voit von Bien seiner Begeisterung für die Re­gierung nicht allzu vehementen Ausdruck ver­leihe! Heimwehrleute( pro Mann 3.50 Schil ling im Tag) und eine illustre Gesellschaft aus den Kreiſen des Adels, der alten Wehrmacht. Sie tauchen auf wie aus einer Theaterversen­fung. Karnevalsfiguren, Kavaliere echter Vor­friegsqualität, Fleischgewordene warnen aus der Geſellſchaftsrubrit" des Lippowik- Journals". Das Volk", das zu dieser Regierung steht.

Die Frau Erzherzog ist da, mit dem Pu­delsgesicht, aus dem zwei waschblaue Augen mofant in die Menge ſtarren, Damen mit Hals­bändern, die den Kropf zusammenpressen, be­handschuhte, gemiederte Offiziersweiber, die sich in der Sonne wiedererlangter Repräsenta­tionsgelegenheiten tummeln, Generale, denen das Stiergenid aus dem etwas schäbig gewordenen Goldfragen quillt wie Germteig, der unter dem Eindruck der Wärme im Topf cmporsteigt, Pfaffen, das Brevier überm Schlappbauch, Spießer, die von Rührung überfirömen, die Ar­beiterführer" des Regimes mit frummdevotem Rücken, Industrielle ohne Unterschied der Kon­fession und Raffe. Es tut sich was: Man stellt den Wehrmann in Eiſen wieder auf.

Glazen schwitzen in der Frühlingssonne. Man erwartet den Herrn Bundespräsidenten , der die Festrede halten soll.

Waren Sie bei der Huldigung der Stände, Frau Major," Nicht wahr, großartig! Reizend war das, wie das Bäckermädel dem Herrn Bundeskanzler das Salzstangel reichte!...

,, Amelie, wo bist du morgen? Sigung beim Verband christlichdeutscher Gagistenhausfrauen. Schade, ich habe gerade einen Tag für dich frei. Die Sorgen mit dem Frühlingsfest der katholi­schen Jungmädchen...."

Frau Oberstleutnant! Frau Obfrau! Oh, die Frau Präser!.... Herr Minister! Herr Kommerzialrat! Er­zellenz!....

Der Bundespräsident erscheint. Musif. Be­grüßungsreden. Tusch.

Mitlas: Die Bundesregierung hat be­fchloffen....

Bei einem Heurigen unweit von Mauer. Der brave Wiener Bürger padt umständlich seine Schnißel aus, sucht ein Taschenmesser und be= ginnt zu fauen. Er unterbricht sich nur in seiner Tätigkeit, wenn er ein Glas Wein hinter die Binde gießt. Kinder quietschen, Liebespaare rüden näher, in periodischen Abständen ver­schwinden die Männer hinter einem Holzver­schlag.

Ein Bauchredner taucht auf, steigt auf einen Stuhl und beginnt seine Vorführung. An­dächtiges Lauschen, als er seinen Gehilfen" aus einem Koffer zerrt.

Hier sehen Sie meinen Gehilfen Engel­bert! Ein liaber Schned, net wahr? A bissel furz gewachsen ist er, der Pamperletsch, aber a gscheiter Bua. Wirst stad sein, Lauser! Gredi wird nig, du bringst mi ja no vors Standgericht! Waas, dös macht nig? Du bist a feiner Herr! Du läßt dirs Reden net verbieten? Stad sein, jag i! Also erzähl den Herrschaften, wie's dir gcht! Waas jagst, a Kriminalbeamter is da? Aber dös is nur a Einbüldung, bei uns darf mo derzöhln, was ma will. Stier bist? Na ja, dös sa ma alle. Es wern scho andere Zeiten tumma. as sagst von Bezüglich? Bezüglich ist heut

auszüglich. Stad ſein, sonst schias i mit Kanonen. Was, dös laßt dir net gfolln? Als freier Wiener? Die Pappen wirst halten, dalkerter Bua!"

Alles wittert die Nebenabsichten dieses Dialogs und selbst die Spießer lachen befreit.

,, Engelbert, du Raubersbua, jezze mach ma Schluß!" endet der Bauchredner. Was, du wüllit net eina? Er padt die Figur beim Kopf. " I reiß dirn oba, den Schädel!" Hilfe, Staatsanwalt, Standgericht! Wo ist der Henker? Hilfe!"

Ueber allen Tischen liegt breites Wiehern.

Arme, glückliche Mutter

Siche, mein Kind, wir müssen hungern. Ich und du. Nach glanzlojem Tage

deckt eine falte Nacht uns zu. Und doch ertrage ich alles. Ertrage den Tag und die Nacht und den düsteren Traum,

denn immer, immer bist du im Raum, und du bist stärker, als Tage und Nächte und Träume find,

du bist die Zukunft, mein Kind!

Du bist auf dich gestellt:

Blühe hinein in die rauschende Welt, halte in starken Händen das Licht der Frühe, durchglühe

den Tag und die Nacht, durchglühe den Traum,

aufrecht stehe in deinem Raum. Jede Stunde, die verrinnt,

hämmert die Zukunft, fündet dich, mein Kind! Erich Ruschkewitz.

Ein Kind tanzt

ganze Welt der Not und des Elends. Ein Mädel wird um 30 Silberlinge verschachert, um in seiner Unschuld in kurzem Spizenrödchen auf den Zehen zu tanzen, um irgendwelchen Gästen als Amüsement zu dienen, um den Besuchern des Kaffeehauses etwas Kurzweil zu bieten, un in seiner grenzenlosen Hilfloſigkeit von bla­fierten Jünglingen belächelt zu werden, um die Anziehungskraft des Etablissements zu steigern, und letzten Endes, um als wertvolle Kapitals anlage spärliche Zinsen zu bringen.

Ein Kind tanzt. Jeden Abend um haib zehn| ges Mädchen, und glaubt, damit eine Bomben hüpft es auf die fleine Bühne des Kaffeehauses attraktion gefunden zu haben. Jeden Abend um und zeigt einen artigen Tanz aus der strengen halb 10 Uhr trippelt das arme Ding auf die Schule der Spigenteni. Bierlich schreitet es Bühne und in die zigarettengeſchwängerte Luft auf den Schen an die Stampe und dankt mit hinaus, um einem Kaffeehaus- und Dancing­einer Inigenden Berdengung für den spärlichen Bublikum zu zeigen, daß man ihm in strenger Beifall, der ihm entgegenricfelt. Aber das Mäd- Schule den Spizentanz beigebracht hat. chen würde auch danken, wenn sich seine Hände Aber hinter diesem Kinde verbirgt sich eine regten. Denn c3 danft, weil es danken muß. Und das bleiche Gefichtchen bleibt fiarr und un­beweglich, streng darauf bedacht, leinen Fehl­Schritt zu tun. Eine Bewegung nach der andern, Figürchen um Figürchen, immer genau im Talie, immer auf den Behensviken und nie müde wer­dend, immer so, wie es beigebracht, gelehrt und gedrillt worden ist. Die Scheinwerfer firahlen. Das Publikum trinkt Kaffee und raucht Ziga­retten. Die Kellner gehen in den weißen Kit­teln auf und ab oder stehen gelangweilt am Büfett. Und auf der Bühne tanzt ein Kind. Müde und schüchtern, angsivoll, in beklagens werter Craftyeit. Ein Kind von acht oder neun Jahren. Tanzt, weil es tanzen muß. Weil es durch seine Eltern kontrattlich verpflichtet wor­den ist. Wir haben ein Verbot der Kinderarbeit. Wir haben dafür gekämpft, daß die Kinder aus den Fabriken herausgeholt wurden. Und wir fämpfen heute noch darum, daß die Kinder in Sonne und Freiheit groß werden sollen. Wir sind Männlein und Weiblein, Gesichter wie- heute stolz darauf, daß wir ein Verbot für tuffe im Beingeiſt, zirpende Stimmen, falten- Kinderarbeit in Fabriken befizen, daß die Ju­reiche Hände.

Er verzieht beim Sprechen schief den Mund. Am Ring stehen Arbeiter in Gruppen. Die ge­ballten Fäuste in den Taschen.

A propos Dollfuß! Waren Sie schon in der Liliputanerausstellung im Praier? Ich sage Ihnen, pyramidal!"

Man hat den armen Krüppeln ein Dorf aus Holz und Pappe aufgebaut und dort hau­ſen fie für einige Stunden, begafft von dummen Spießern, die meinen, es gäbe irgendwo in der Welt ein Land, wo diese Zwerge geboren

werden.

In dem Liliputanerdorf gehts autoritär zu, wie in Bien selbst. Einer mimt den Bürger meister, ja das bedauernswerte Kretin hält eine Ansprache an das Zwergenvolf. Laut Vertrag.

Wir lieben unser Dorf über alles! Wenn wir wollen, dann wird dieses Dorf das größte

gendlichen von jeder Nachtarbeit gesetzlich befreit find. Wir rühmen uns dieser Taten, wir freuen uns über diesen Fortschritt, und wir glauben, es herrlich weit gebracht zu haben.

Und im Jahre 1932 fommt ein Grand Café der Stadt Zürich und verpflichtet zur Be­luftigung seiner Gäste ein acht oder neunjähri­

Ein Geschäft, bei dem alle gewinnen: die Eltern; die ihr Kind jeden Abend in die ziga­ retten - und parfümdurchhauchte Luft des Kaffee­hauses werfen und schmunzelnd den Beifall und die Gage fassieren, das Lokal, das um eine At­traktion reicher ist, und die Gäste, die nicht ahnen, welch grenzenloses Elend hinter dem blei­chen Gesichtchen des Mädchens verborgen iſt.

Nur eines verliert bei diesem Geschäft: das blaffe, durchsichtige Geschöpf im furzen Spizen­leid, das in Kaffeehäusern auf schwachmüden Zehen tauzen muß, das jeden Abend um halb zehn Uhr im Lichte der Scheinwerfer hundert Augenpaaren preisgegeben und in artiger Ver­beugung für den spärlichen Beifall danken muß, weil es durch Eltern und Direktor kontrattlich verpflichtet ist. Aber was bedeutet dieser Verlust in einer Zeit, wo man stolz ist darauf, wenn man sagen kann: Ein Kind tanzt..."§§