BUNTE WELT
tr. 35
Unterhaltungsbeilage
1934
Ein Star fährt durch die Stadt
Auf dem Wege in die Redaktion fallen die Gedanken über ihn her. Der Augenblick ist da: der Tod hat ihm eine große Chance gegeben. Nicht aus den unleserlichen Zetteln, die die Telegraphenkompagnie auf seinen Tisch wirft, nicht aus den Zeitungen ferner, fremder, feindlicher Städte wird heute ein Bericht wachsen: was er mit eignen Augen gesehen, mit eignen Ohren gehört, mit eignen Händen gegriffen, mit dem gläsernen Auge der eignen Kamera festgehalten, wird er in Worte formen und die Welt wird auf ihn hören.
Herr Fletcher erwartet ihn bereits. Er ist mißmutig, zu dieser Stunde schläft er am besten; er ist aufgeregt, eine Extraausgabe soll die Leistungsfähigkeit seines Blattes, die Firigkeit seines Nachrichtendienstes beweisen und vielleicht einen Teil der verlorenen Leser
zurückgewinnen. Herr Fletcher flucht:
"
Bo stecken Sie denn, stundenlang lungern Sie in der Redaktion herum, aber wenn man Sie braucht, sind Sie nicht da. Bissen
Sie schon...?" Jimmy fällt ihm ins Wort. alles. Er sei selbst dort gewesen. Photos gemacht.
Er wisse Er habe
„ Dann dittieren Sie sofort den Bericht. Wir machen eine Extraausgabe. Sie muß in einer halben Stunde auf der Straße sein.."
Diftieren? Das Wort versetzt ihn in einen Zeitungspalast in Chicago . In Jadsonville ist niemand, dem man diftieren könnte. Er muß sich schon selbst an die alte, schlecht geölte Maschine mit dem schliſſigen Farbband seven. Er spannt ein Blatt Papier ein. Er
will mit einer eindrucksvollen Schilderung beginnen der Haupiplay von Jacksonville im Morgengrauen, unheimlich stehen die schlafenden Häuser da, ein großes, fremdes Auto surrt heran, der kleine, alte Wagen biegt um die Ecke- da reißt er das Blait aus der Maschine. Sachlich, ſachlich, denkt er, nur die Tatsachen gelten in diesem Augenblick: das Ereignis muß aus dem steinernen atmenden Block der Sprache gemeißelt wer den, Blut muß in den Worten pulsen.
Seine Finger fliegen über die Tasten. Schon ist ein Teil des Berichtes fertig, der weiße Bogen ist ein Spiegel, in dem er die Dinge förperhaft sieht; der Setzer steht neben ihm und nimmt ihm das Manuskript, Blatt für Blatt, aus der Hand, bittet ihn, auf kleinen Zetteln zu schreiben, Zeile um Zeile zur Maschine zu senden... Die Bedeutung des Toten will Jimmy würdigen, seine Veliebt heit im ganzen Lande, seine Triumphe in weltbekannten Filmen da läutet das Tele= phon. Eine fremde Stimme, sie fommt von weit her. Chicago .
Von Friß Rofenfelb
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( Schlußz)
„ Herr Kollege wir erfahren soeben Blättchen, das nur im Umkreis weniger Meifönnten Sie uns einen Bericht geben mit allein Einzelheiten-" Jimmy legt den Hörer auf. In einer halben Stunde wird Chicago wieder anrufen, dann muß der Bericht fertig sein.
Die Klingel schrillt wieder: Boston . Ein Bericht über das Ereignis. Ob der Tote allein in seinem Auto gefahren? Ob bestimmt feine Frau in seiner Begleitung gewesen? Ob jemand mit ihm gesprochen? Seine letzten Worte? Wenn es sie gesprochen: das Bild des Mannes, der Frau, des Kindes, zu dem er sie gesprochen?
San Franzisco meldet sich, London ruft an: das Telephon steht keinen Augenblick still. Storrekturenfahnen flattern auf den Tisch.
Den Hörer am Ohr, den Bericht diftierend- nun formt nur sein Mund die Worte, eine fremde Hand schreibt sie nieder!-sieht er die feuchten Zeilen durch. Herr Fietcher steht hinter ihm. Herr Fletcher ist aus dem Chefzimmer in den schmalen, engen Verschlag gefommen, in den nie ein Sonnenstrahl bringt. Herr Fletcher ist sogar freundlich und lobt ihn; der Bericht ist lebendig geschrieben, er wird in ganz Jacksonville beivundert werden.
Kay kommt in die Redaktion. Sie hält seine Hand. Seine Blicke flackern, er hat kaum Zeit, Kay anzusehen. Sein Blut singt: die großen Blätter, die dich stumm gesehen, sie baben heute eine Stimme, sie sprechen zu dir, jie brauchen dich! Mitten in der Arbeit sagt es gehen! Wer glaubst du, wird in mein altes er zu Kay:„ Es wird gehen, Kay, nun wird Zimmer in Jacksonville einziehen?"
reine Stirn liegt in Falten. Stay sieht ihn schweigend an, thre klare,
Lie Tür seines Zimmers fnarrt wie ein Wetterhahn bei Sturm. Der Kellner der kleinen Bar an der Ecke kommt und bietet dem Herrn Redakteur Neuigkeiten an, er habe bemerkt, daß, er habe gesehen, wie, er wisse, warum... Ein Dußend Menschen steht vor ihm wie Bittsteller in einer Audienz vor einem König, er ist der wichtigste Mann im Ort, im Land, in der Welt...
Dann wird es ruhiger. Die Rotationsmaschine schweigt, das Geschrei der Zeitungsjungen, die mit den druckfeuchten Blättern in der Hand aus dem Hause gestürmt sind, verebbt in der Ferne. Kay sizzt neben ihm, sie hat ihm Tee gebracht, Brot und Butter, er wird heute die Redaktion nicht verlassen, noch rufen ihn Städte über Ozeane und Gebirge, noch braucht ihn London , Paris , New York , Chicago , San Francisco -
Er fällt ins Bett, die Rotationsmaschinen rattern durch seinen Traum. Aus ihrem Schlund quilt nicht der Expreß", das fleine
"
len gelesen wird, sie speien Millionenauflagen auf die Boulevards der Städte, wie Schneeflocken flattern die Blätter nieder auf die Wolkenkrazer, auf die Paläste, in denen Her= ren im Frad und Frauen mit nackten, leuch tenden Schultern im kristallenen Licht elektrischer Kerzen um eine weißgedeckte Tafel jizen, die wie eine unendliche Landstraße sich irgendivo in der Ferne verliert...
Der Postbote bringt am nächsten Tag die Blätter aus Chicago , aus New York . Auf der ersten Seite das Bild des Stars, der nach einem Streit mit seiner Partnerin, die seine geschiedene Gattin gewesen, das Atelier in Hollywood verlassen, eigenmächtig einen läns geren Urlaub angetreten, einen Koffer mit Sognakflaschen in ſein Auto geladen, ſich betrunten und eine tolle Fahrt kreuz und quer durch die Staaten gemacht habe die mit dem tragischen Unfall in Jacksonville endete. Ueber den Hergang des Unfalls berichtet unser Sonderkorrespondent Jimmy Smith ;" so stand es dort: unser Sonderkorrespondent Jimmy Smith . Kay glaubt es nicht; er zeigt mit dem Finger darauf, es ist sein Name, und ein paar Zeilen über seinem Namen steht der Kopf der größten Zeitung Amerikas !
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Am nächsten Tag wird die Leiche nach Hollywood überführt. Die ganze Stadt gibt dem Star das Geleite, es ist wie bei einem Begräbnis, obgleich nichts andres geschieht, als daß eine schmale, dunkle Kiste zum Zug verstaut wird. Als die Lokomotive läutet, gebracht und in einem leeren Gepäckwagen weinen ein paar Frauen. Sie sehen dem Zug nach, bis er zu einem winzigen dunklen Punkt am Horizont zusammenschmilzt.
aus Los Angeles . Der Geldbriefträger bringt Nach einigen Tagen tommt ein Sched eine Summe aus San Francisco . Chicago überweist ein Honorar an die Bank Jimmy berät mit Kah: die viele Geld muß flug an gelegt werden. Das wichtigste, findet Kah, ist eine neue Kamera. Jimmy wird sie brauchen. In New York , in Washington fann ein Res porter nicht mit einem alten Kasten auf die Straße gehen, die Gassenjungen würden ihn verspotten.
Es ist eine schöne Stamera, sie hat hundert Dollar gekostet. Sie liegt auf Jimmys Redaktionstisch, er will sie zur Hand haben, wenn das Leben ibn ruft.
Ein Brief kommt, aus St. Louis . Er öffnet ihn klopfenden Herzens. Hat ein Chefs redakteur das Talent erkannt, das in der engen Stube in Jacksonville modert- Holt er ihn aus der Dunkelheit in die Lichtfülle eines Boulevards? Ob Kah wird mitfahren fönnen, bentt er, als er den Brief öffnet. Es
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