L Verschmähte, sie sagte:Der Teufel soll die Neu­bauten holen, alles nur fürs Auge, kaum faßt Mans an, so gehts entzwei". Strnad, dumpf und hoie betäubt von dem Geruch der Frau, die nichts trug als«inen Hausanzug aus bunte» derben Leinen, vom Anblick ihrer Brüste und ihres festen Halses, dachte, daß es mit ihr sicher nicht so sei: griffe nian zu, so hielte man herrlich-pralleS Menschenfleisch in den Händen, saftig, über­quellend vor Blut und Leben. Schnell lies er fort, um Handwerkszeug zu holen, rauchte rasch eine Zigarette, wurde nüchtern, kam wieder, führte die Reparatur aus, erhielt fünf Kronen geschenkt und ging. Die junge Frau lobte ihn am nächsten Tag, sagte, er habe alles wunderschön gemacht, «s funktioniere jetzt tadellos, und sie nickte ihm zu. Er wollte irgendetwas sagen, da rief die Freundin von oben:Viktoria, ans Telephon". Und Viktoria lief schnell die Treppen hinauf. Jan Strnad wälzte sich in dieser Nacht auf sei­nem Strohsack,»den er sich ins Zimuir einer leeren Wohnung des Hauses gelegt harte und dachte in demütiger Glut:Viktoria, Viktoria". Es war stärker als er. Ging die junge Frau an ihm vorüber, so versuchte er, ihren freundlich­gleichgültigen Gruß in derselben Weise zu er­widern. Aber Jan Strnad koimte es nicht ver­hindern, daß ihm manchmal beim Anblick Vik­torias das Blut in den Kopf stieg, und er sie an­sah wie ein Mann eine Frau. Viktoria war viel zu klug und bewußt, um es nicht schließlich zu bemerken» Erst machte ihr die plumpe Verliebt­heit dieses Menschen Spatz. Sie buchte es als einen neuen Triumph in der Reihe zahlloser Siege. Aber dann begannen ihr die begehrlichen Blicke StrnadS, die sie manchmal rücksichtslos fntkleideten, unangenehm zu werden.Wenn der Kerl nur erst weg wäre", sagte sie zu ihrer Freundin. Diese lachte sie auS, glaubte nicht, was Viktoria sagte. Fand, daß° der Mann sie selbst höflich und so wie es sich gehöre, grüße. Glaubte der jungen Frau erst, als sie eines Tages vor ihr stand, mit weißem Gesicht, atemlos, Strnad habe sie an» hellerlichten Tag versucht zu küssen. Im Hausflur. Sei mit ausgebreiteten Armen auf sie zugegangen. Viktoria hielt ein Fläschchen in der Hand. Vor Schreck schrie sie auf. Warf das Fläschchen nach dem Mann. Es flog aber an die Wand. Im Hausflur sah die Freun­din noch einige Minuten später die Scher­ben. Hingegen war Strnad nicht zu sehen. Die Freundin, aufs höchste entrüstet, wollte den Vorfall der Baugesellschaft melden. Doch dagegen sträubte sich Viktoria:Nur kein Gerede. Vielleicht war der Kerl betrunken. Um seine Arbeit will ich ihn auch nicht bringen. Im Übrigen ist das Haus ja bald endgültig fertig. Dann geht er sowieso weg, und ich sehe ihn in meinem ganzen Leben nicht wieder." Die Freun­din zuckte die Achseln.Wie du willst. Wenn es dir nicht unangenehm ist, hier allein zu sein. Du weißt, daß ich in drei Tagen verreise." Macht nichts", sagte Viktoria und steckt« die Hände in die Taschen ihres HauSanzuges,ich fürchte mich nicht." Strnad sah es vom Fenster aus, wie Vik­toria mit der Freundin fortging und diese einen Koffer trug. Am Abend kam die junge Frau allein nach Haus, sie klapperte selbstbewußt mit dem Schlüffelbund und pfiff sich etwas. Strnad grüßte artig, den Kopf gesenkt, damit Viktoria seine Augen nicht sah, die sie entkleideten. Natürlich," dachte die junge Frau,war er be­trunken. Gut, daß ich mich nicht über ihn be­schwert habe. Hätt' der arme Kerl noch die Stel­lung verloren. Dabei hat er sicher für einen Hau­fen Kinder zu sorgen". Und sie pfiff noch unbe­kümmerter. Am nächsten Abend aber betrank sich Jan Strnad nach fünf Jahren zum erstenmal. Er wußte keinen anderen Ausweg, um das Bild Viktorias aus seinen Sinnen zu verdrängen. Die Frau war weit, die Kinder und die Erinnerung an das kleine Mädchen Manja blaß geworden. Als er heim ging, torkelte er an den Häusern entlang. Schwer die Glieder vom Schnaps, das Gehirn umnebelt, wach nur die dumpfe Brunst. Die ihn daS Kind in den Wald hatte locken lassen. Aber daran dachte er jetzt nicht. Er dachte an die derbe, feste Frau Viktoria, an den Ge­ruch von Frische, den sie ausströmte, Geruch einer gebadeten und gebürsteten Haut. Als er die Haustür aufschloß, roch er sie schon. Sie war Sekunden vor ihm gekommen, vom Besuch bei Freunden. Jetzt stand sie da und fand im Dun­keln den Schalter des elektrischen Lichtes nicht. Auch sie merkte sonderbarerweise gleich, daß es Strnad war, der hinter sie trat.Na, Gott sei Dank, daß Sie kommen, ich find' doch diesen blödsinnigen Lichtschalter nicht." Und sie streckte den Arm von neuem suchend aus. Doch was Vik­toria ertastete, war nicht der Schaltknopf. Es war ein rauhes, bärtiges Gesicht, aus dem ihr Dunst von Alkohol und Tabak entgegenschlug. Sie fuhr mit einem Schrei zurück. Machte einen raschen Schritt vorwärts. Aber Strnad, der nicht mehr Strnad war, nicht mehr der besonnen­fleißige Mann, sondern das Opfer von Spiritus und Alkohol, rin Tier, ein wildes, krankes, stürzte sich über sie, riß sie zu Boden. Viktoria, stark und gewandt, kämpfte einen zähen Kampf mit diesem wilden kranken Tier. Doch das war mächtiger. Als die Frau sich noch wehrte, auch in der Vergewaltigung, und des Tieres Lust­raserei störte, tat es dasselbe wie vor acht Jah­ren im Wald. Es legte seine Hand um den Hals der Frau und drückte zu. Drückte solange, bis kein Schrei mehr, der stören und verraten konnte, aus dem Munde kam. Nachher ließ er los. glicht schwer war es, Tat und Täter zu identifizieren. Das Schwurgericht versagte dem Angeklagten mildernde Umstände und verurteilte ihn zum Tode durch den Strang. Ein Herbsttag, klar wie jener, an dem Jan Strnad die Wan­derung in das neue Leben angetreten hatte, sah ihm zum Galgen gehen.Verfluchter Schnaps", war das letzte, was Jan Strnad bewußt dachte- Die Tragödie des österreichischen Kron­prinzen, Erzherzog Rudolf , des einzigen Sohnes des Kaisers Franz Joseph und der Kaiserin Elisabeth, ist bereits des öfteren Gegenstand von Veröffentlichungen gewesen.' Nunmehr hat der Universitätsprofeffor Dr. Viktor B i b l in Wien soeben die Ergebnisse seiner interessanten Nachforschungen über die Hintergründe des Dramas von Meyerling veröffentlicht. Es dürste sich dabei um authentische Feststellungen han­deln. Entgegen der weitverbreiteten Version, daß es sich um die Geschichte einer Leidenschaft handle, kommt Prof. Bibl zu dem Schluß, daß ein Konflikt politischer Art im Vordergrund gestanden habe. Die Weltpresse befaßt sich be­reits mit den Forschungsergebnissen, aus denen wir nachstehend einen Auszug wiedergeben: Die Jugend deS Erzherzogs fiel in die Zeit, als Franz Joseph nach den Niederlagen von Solferino und Königgrätz (1866), wenn auch nur widerwillig, dem absolutistischen Regime entsagt hatte. Schon von seinem 16. Lebens­jahre an vertrat Rudolf politische Anschauun­gen, die denen seines Vaters diametral ent­gegengesetzt waren. In einem Brief an seinen Lehrer, den Grafen Latour, schrieb er, er müsse viel studieren, denn nur das habe einen Wert. Die Titel und Reichtum hätten keine Bedeutung mehr. Er verachte diejenigen, die sich für höhere Wesen hielten, einfach weil sie einer alten Familie enfftammten. Aber Rudolf lehnte sich nicht nur gegen die Aristokratie auf, sondern auch. gegen das monarchistische Prinzip. Wenige Monate später schrieb er, das gegen­wärtige Regierungssystem sei überlebt, und der Sieg des republikanischen Prinzips stehe bevor. Die Einrichtung der Monarchie laufe dem Zeit­geist zuwider. In Kürze werde der mensch­liche Geist über diese Spuren des Mittelalters triumphieren. 1876, im Alter von achtzehn Jahren, greift er in seinem Tagebuch selbst di« Einrichtung des Privateigentums an. Er schreibt dort, solange das System des Privateigentums eine Kluft zwischen Reichen und Armen austeiß«, könne man keine wahr« Prosperität erwarten. Und er fügt hinzu, Kriege seien unvermeidlich bis zu dem Tage, an dem alle Völker sich geeinigt hätten, um nur ein« einzige Familie zu bilden. Die Menschheit werde erst glücklich sein, wenn sie aus ihrem Schoß den Kampf unter den Klassen und di« bewaffneten Konflikte zwischen den Nationen verbannt haben werde. Während seiner ganzen Jugend propagierte Rudolf diese Ideen. Dabei zeigte er einen Abscheu gegen die spanische Hof­etikette und wandte sich von der Kirche ab. Der deutsche Boffchaster in Wien , Fürst v. R e u ß, schrieb 1886 in einem offiziellen Bericht über den damals 28jährigen, daß er sich in der religiösen Frage zu einem extremen Modernis­mus bekenne, daß er an nichts glaube und ostentativ seine Antipathie gegen die Kirche zur Schau trage. Die Hostreise, die zuerst an eine vorüber­gehende Krisenerscheinung glaubten, gaben eS schließlich auf, ihn. zu bekehren. Rudolf galt als exzentrisch. Bestimmt halten fle mich für einen Verrückten", schrieb der Erzherzog in fein Tagebuch. Der Kaiser verfolgte die geistige Entwicklung seines Sohnes mit wachsender Beunruhigung und er­klärte ost seinen Vertrauten, daß Rudolf ein geschwätziger Phantast sei. Delikatere Aufträge vertraute er ihm niemals an. Im besten Falle erhielt er den Auftrag, bei einem Bankett den Vorsitz zu führen oder Garnisonen zu in­spizieren. Während außenpolstisch die Sym­pathien der führenden Kreise auf das wilhel­minische Deutschland und daS zaristische Ruß­ land gerichtet waren, galten die Sympathien Rudolfs dem demokratischen Frankreich . Er sprach davon ost in seinem Briefwechsel mit seinem besten Freund, dem Wiener Journalisten Moritz Szeps . Man findet dort einmal die Aeutzerung, Frankreich sei das Wahlvaterland des Liberalismus in Europa und stehe heute an der Spitze des Fortschritts. Daran gemessen, rscheine das Deuffche Reich als die Hochburg