3 MvfGted vorn Leven Bo» Adrienne Thoma» Adrienne Thomas  , die mitKatrin wird Soldat" einen Welterfolg hatte, veröffentlicht im Verlag Allert de Lange  , Amsterdam  , einen ckusgezeichneten neuen Roman. Er heißtDreiviertel N e u g i e r" und beschreibt ein Frauen­schicksal unserer Zeit. Der folgende Ab­schnitt ist die Schlußszene des Romans. Viel zu früh ist Barbara am Abend auf der Bahn. Ihr Gepäck ist aufgegeben. Bis zur Ab­fahrt des Zuges hat sie noch über eine halbe Stunde Zeit. Langsam geht sie vor dem Bahn­hofsgebäude auf und ab. Der Wind fegt Re­gen und Schnee wie Schleier über den Platz. Bogenlampen und die Lichter der großen Hotels .spiegeln sich im nassen Asphalt. Hinter einem erleuchteten Fenster sieht man eine alte Dame in einem weiß-seidenen Morgenrock ihrer Mani­küre gegenübersitzen. Barbara schaut lange zu diesem Fenster hin­auf. Wie sonderbar man konnte alt werden das ganze Leben hinter sich haben und mit weißen Haaren seiner Maniküre gegen» tibersitzen als sei nichts geschehen. Das war möglich. Sie sah es ja vor sich. Neins" sagt sie und geht lächelnd weiter. Das erleuchtete Hotelfenster war vielleicht nur der Ausschnitt aus einem Museum. DaS galt ja alles längst nicht mehr: Maniküre seide­ner Morgenrock und am wenigsten die weißen Haare? Das gab eS nicht mehr. Siefriert. Aber sie kann sich nicht entschließen, schon zu ihrem Zug zu gehen. Ihr gehört nur noch eine knappe halbe Stunde, und sie er­scheint ihr wie die letzte zusammengeschmolzene Barschaft eines großen Vermögens. Jede kleine Münze hat unwiederbringlichen Wert, Dreißig Minuten. Völlig ihr Eigentum. Sie kann damit tun, was sie will. Sie wohnt nir­gends. Nicht mehr hier und noch nicht dort. Niemand begleitet fie. Und sie wird von nie­manden erwartet. Nie zuvor in ihrem Leben ist sie so frei gewesen. Losgelöst von allem. Sie darf alles. Und außer dieser kleinen von Se­kunde zu Sekunde sich verringernden Barschast hat sie nichts mehr zu verlieren. Sie könnte zum Beispiel jetzt, zur Zeit des größten Ver­kehrs, mit festgeschlofsenen Augen langsam über den Bahnhofsplatz gehen. Sie riskierte damit 'nicht das geringste. Sie ist niemand und gehört nirgends hin. Ist nicht mehr hier und noch nicht dort. Das Leben hat sich von ihr abgewandt, und der Tod kümmert sich nicht um sie. Tod? Wie war das? Sie glaubte ihm nicht. Er betrog. Lockte die Müden mit falschen Vor­stellungen von der Gnade des Aufhörens: aber man hörte nicht aus. Solange noch ein Atom von einem da»war, lebte es weiter als Sehnsucht und wartete. Man hörte nicht auf und wenn man sich mit Dynamit.   in die Luft sprengen würde. Dynamit? Vielleicht doch Dynamit? Da konnte doch nichts von einem bleiben? Irgend­wo an der Wand klebte dann vielleicht noch ein Auge. Nur ein Auge. ES sieht nicht mehr es weint' nicht mehr kein Hirn mehr da­hinter, das wartet. Nicht mehr warten? Nie mehr warten? Ir­gend etwas mußte eS doch geben, was einem endlich Ruhe gab Dicht neben Barbara hält ein Auto. Sie kann nicht sehen, wer aussteigt, aber ihre überwachen Nerven spüren schmerzhaft, daß ein Eingriff in die Freiheit dieser letzten Minuten droht. Und sie hat sich auch nicht geirrt: die Dame, die den Chauffeur bezahlt, ist Cleo. Als Barbara sich heute von ihr verabschieden wollte, hatte sie den.Arm um sie gelegt und den Abschied hinausgeschoben:Ich bin an Ihrem Zug." Barbara hatte gedankt und ihr die Abfahrtszeit des Nachmittagszuges ange­geben. Mit einem Lächeln und einem sonder­baren Nachdruck in der Stimme hatte Cleo ge­antwortet:Ich bin in jedem Fall an der Bahn." Nun war sie da. Kam ganz selbstverständlich zu dem Abendzug, als sei sie zu dieser Zeit bestellt worden. Sie muhte aber in großer Eile aufgebrochen sein. Der Mantel war nicht ge­schloffen und eine Haarsträhne hing ihr unter dem Hut vor. Als das Taxi sich in Bewegung fetzen wollte, öffnete sie noch einmal den Schlag und griff nach einem vergeffenen Blumen­strauß. Und das alles ließ sich mit ihrer pedan­tischen Ordnungsliebe schwer in Einklang bringen. Barbara könne sich gerade noch hinter einem anderen Auto verbergen. Nur noch zehn Minu­ten, die ihr gehören. Wer kann denn verlangen, daß man seinen letzten Groschen mit ihm teilt? Es blieb ihr ja nichts mehr nur noch ihre letzten zehn Minuten. Sie war doch eine Schlaf­wandlerin und man durfte fie nicht anrufen wußte Cleo das denn nicht? Nur noch sieben Minuten Eher verzichtet sie darauf, den Zug noch zu erreichen, als noch einmal von einem Menschen berührt zu werden; denn dieser Mensch gehört zu dem Leben, das sich von ihr abgewandt hatte. Keine Menschen mehr keine Irgendetwas hetzt sie über den Bahnhofsplatz jagt hinter ihr her bis zur Kaiserstrabe ein Lastauto biegt um die Ecke rasend nähern sich seine feurigen Augen das Herz setzt aus vor Anspannung man kann noch mit einem Sprung zur Seit« ausbiegen aber hinter ihr ist Cleo, und mit Cleo das Le­ben, das sich schon von Barbara abgewandt hat. Die Feueraugen sind nun dicht vor ihr ganz nah aber tiefinnen haben fie ein stilles, mil­des Leuchten soll man sich ihm überlasten? Soll man nicht? Da geht der Wagen über sie hinweg. Der Tod steht schon bei ihr, aber für Sekun­ den.  streift sie noch einmal das Leben. Ueber sich sieht fie Cleos Gesicht, aber es verschwimmt, verwandelt sich in das der Großmutter, die auS- gestreckte Hände in Kreuzesform übereinander­legt. Eine Elbelandschaft zieht vorüber. Ganz deutlich stehen die sieben Kirchtürme am Hori­zont und die Achteckgeschoffe der Domtürme. Da letzt der Tod ihr die Hand auf. Sie emp­fängt ihn ganz wach, sieht die vielen Menschen ringsum groß und erstaunt an... die vielen Gesichter... so viele Gesichter... nur nicht das eine, für das sie gelebt hat, das fie mit hinübernehmen möchte, das Gesicht... schön und häßlich, jung und alt... dieses Gesicht... Es läßt sich nicht mehr rufen. Immer wieder schiebt sich eine Partiturseite des Adagio Can­tabile dazwischen, der Schluß, und nun hört sie ja auch wieder, hört die ruhevolle barm­herzige Quinte im Baß hört sie, kein Holz mehr, kein Draht, hört sie und verlischt langsam. Schnell, meine Boxhandschuhe! DaS wird eine heiße Geschichte werden. Aber»S geht z« mache«! Durch die beginnenden Rebel tönt das letzta Geschenk des Lebens... eine Autohupe rüst über den BahnhofSplatz,.. AS, eS. Dig Quinte. Wußten Sie das schon? Daß es im Bereiche aller Länder deS Welt« Postvereins insgesamt 1% Millionen Posts beamte gibt, wovon auf Nordamerika   289.000, auf Deutschland   246.000, auf England 228.000, auf Japan   181.000, auf Frankreich  110.000, auf Britisch-Jndien 107.000, auß Rußland 87.000, auf die Tschechoslowakei  42.000, auf Polen   33.000, auf Rumänien  25.000, auf Argentinien   25.000, auf Spanien  . Ungarn   und Italien   je rund 20.000 und auf die Schweiz   16.000 entfallen? Daß es nach den neuesten Statistiken 189 verschiedene TodeSarten gibt? Daß in einem Laboratorium in Kanada   eine Menge Spinnen regelrecht als Arbeiter be­schäftigt werden, um Fäden zu spinnen, die man für photographische Zwecke benötigt? Daß die Schneebeseitigung in New Kork in einem einzigen Winter 8.5 Millionen Dollar kostet, daß ein einziger Schneefall bei 14 Zenti­meter Schneehöhe mit folgendem Tauwetter 150.000 Dollar verschlingt, während ein an­derer, nur 8 Zentimeter hoher Fall mit ein­tretendem Frost 700.000 Dollar Kosten ver­ursacht? Daß der Sohn eines Profeffors in Harvard  im Alter von sechs Monaten das ganz« Alphabet kannte, mit zwei Jahren lesen und schreiben konnte und als Elfjähriger die schwierigsten mathematischen Probleme zu lösen vermochte, dennoch aber, wie die meisten sogenannte« Wunderkinder, durchaus kein großer Mann wurde?