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^trichtliche Entscheidung zu erwirken. Als die verwandten gegangen Ivaren, trat Gloria auf Men Onkel Rop zu, der schweigend der ganzen .Szene beigewohnt und sich jetzt als Letzter zum Gehen erhoben hatte. Sie umschlang ihn mit ihren beiden langen, dünnen Kinderarmen.„Onkel Rop, warum hast du nicht gesagt, daß ich zu dir kommen soll? Ich wäre sofort einverstanden gewesen." Onkel Rop sah einen Augenblick nachdenklich in des kleinen Mädchens große schwarze Augen. Dann löste er sanft die schmalen Arme von seinem Körper.„Weil ich es nicht sagen durste. Du
Heimkeyr Noch seufzte die Lokomotive, nach langer Fahrt veratmend, ihr letztes Aechzen und schon prasselten wie Hagelschauer dürrer Erbsen die tausend Fragen des Ferundes auf ihn ein, auf ihn, den Weitgereisten, den Weltwanderer, der ^vieler Menschen Städte gesehen und ihre Sitten gelernt hat". Wie das sei mit den Hünengräbern auf den nordischen Inseln und wegen pes Essens bei den Chinesen. Und das Bettel- tvesen dort und die Uebervölkerung und der Totenkult und die Kämpfe der Ranking-Regie- rung mit den Kommunisten? Aber den Gum- misklaven in den südamerikanischen Distrikten gehe es^ewiß doch immer noch viel elender! Und ob er aztekische Tempelreste gesehen habe und mexikanische Terrassenruinen? Aber die Pyramiden wirkten gewiß ungleich mächtiger! Und die neue Türkei , Ankara ?! Und das alte Tibet und der— Himalaija, und die verunglückte Expedition?! „Lieber Freund, alles, alles will ich dir erzählen", sagte der Heimgekehrte. Und er zürnte sich selbst, daß ihm das Gestage des langentbehrten Freundes so langweilig, albern, kleinlich, so ganz—„dürre Erbsen" erschien. Und doch, hatte nicht dieselbe Sensationsgier ihn selbst einst bekoegt, hatte nicht gerade sie ihn hinausgetrieben in die weite Welt, hin zu all den unfaßbaren romantischen Wundern-der Weite? Ganz bestimmt er war blasiert geworden von all dem Schauen. Gewiß, er hatte seine Eindrucksfähigkeit abgestumpft, war wissend geworden und— kalt.' Leerheit war sein Gewinn. Fast hätte der Weltbummler die Hände vors Gesicht geschlagen und weinen mögen über sich selbst; den fragenden Freund wollte er schweigen heißen. Aber er durfte nicht: Er mutzte lächeln und freundlich nicken und sprechen:„Lieber Freund, alles, altes will ich dir erzählen—" Also daheim! Und alles war so bekannt, als wäre er erst, gestern fortgegangen; die Stadt, die entlegene Borstadt, die Keine Gasse. Nur viel mehr war da in der alten Gasse, viel mehr als ehemals. Biel mehr Details! Nischen und formschöne vorspringende Ecken an den Häusern entdeckte er, Blüten und Hecken hinter den Zäunen und dort im fernen Hintergrund die. stillen Kreuze des Friedhofs. Jeden einzelnen Grabstein, jedes einzelne von den vielen kleinen Kreuzen nahm er wahr. Und die alte Fabrik rechts auf der Höhe war deutlich in drei Trakte gegliedert und vier Schornsteine hatte sie.— Das war alle? so wie gestern, nein, damals; nur so recht eigentlich gesehen, so mit der Wimper aufgetrunken hatte er's damals noch nicht. Der Weltwanderer wunderte sich: von der fremden Welt glaubte er nichts erzählen zu können, und in der engen, kleinen Gasse der längst
verstehst das nicht, Gloria"(zum erstenmal im I Leben sagte er„Gloria" und nicht„kleiner Affe");„aber später wirst du es bestimmt einmal verstehen. Und die Gründe sicher würdigen. Good bye, Gloria." Der gute Onkel Rop verneigte sich fast«in bißchen förmlich und feierlich vor seiner kleinen Nichte. Dann ging er. Das Kind Gloria sah ihm mit großen fra- genden Augen nach. Nein, es verstand seinen Onkel Rop wirklich nicht. Zum«rstenmal im Leben nicht. Noch nicht.
Von Snltatf 9ltartin bekannten heimatlichen Vorstadt schaute er tausend interessante Dinge mit einem einzigen, lästigen Blick. Er war sehr unruhig über sich! Wo blieben die großen Emotionen? Abhanden gekommen waren sie ihm mitten in der bewegten Weltreise und sie kamen nicht wieder, auch nicht im Augenblick der Heimkehr: Leer war er geworden, klein, kleinlich. Da stand er nun in seinem Stübchen im alten Haus mit dem simplen, akazienbepflanzten sogenannten Garten davor. Daß ihn der Freund allein gelaffen hatte, dah es ganz still um ihn geworden war, empfand der heimgekehrte Weltfahrer als Wohltat.— Tief tauchte er den heißen Kopf in die Wasch- schüffel. Hoch auf plantschte das kühle Naß, den Waschtisch im Nu überrieselnd. „Meer— Springflut— Halligen? Nein! — Taifun!" dachte er. Erfrischt lehnte er sich aus dem Fenster. Ganz erstaunlich, wie viel cs da zu sehen gab.. Ein Echslein huschte durch den Rasen des Gar tens. —„Alligator", dachte der im Fenster. Der Wind wirbelte ein paar Papierstückchen auf der Straße und sammelte sie mit dem Staub in einem kleinen kreisförmigen Hügel. „Windhose, Sahara !" dachte es im still Betrachtenden. Lächerlich! Nein, nicht lächerlich. Ob da nun rin Käferchen lebendig brgraben wurde, eine nubische Karawane oder eine Kakhikom- panie, das war im Grund doch gleich. Ein Schicksal. Der im Alten das Neue, im Heimatlichen das Fremde suchende Blick wanderte hinüber zum Friedhof. Pharaoneichyrauiiden—. Baumgräber der Südseeinsulaner— Hünengräber— christliche Grabkreuze— ein Schicksal. Und die Denkmäler der klein Gebliebenen sind nirgendwo zu finden.— Massengräber! Eine„ewige Ruh" von zehn Jahren, das ist für Milliarden das gemeinsame letzte Schicksal auf beiden Erdhälften. Nur in den Aeutzerlichkxiten drum herum liegen die unwesentlichen Unterschiede. Das Unterschiedliche, das Verschiedene aber ist das Fremdartige und das Fremdartige ist das Romantische. So ist das Romantische, ja! So ist das Romantische doch auch ganz nahe beim— Aeußerlichen! Und das Fremdartige i st das Aeußerliche So wäre das Gefrage seines Freundes doch albern, doch naiv; so wäre er, der auszog, selbst albern und naiv gewesen, äußerlich, oberflächlich-farbenfreudig; so wäre sein Ekel vor dem Buntscheckigen— eine Reife. Und nun war der grübelnde Heimkehrer wieder recht unzufrieden mit sich, unzufrieden, weil er sich schnell bereit fand, ein Selbstzufriedener zu werden.
Tod und Gräber. Das Nichts, die Lebensverneinung. Was Wunder, daß er von da aus zu falschen und schiefen, zu lebensunfähigen Sentimentalitäten kam! Das Leben ist bunt vieltausendfach. Und er, der auszog, um es kennen zu lernen, ist vor lauter Schauen blind geworden. Nun ist ihm alles grau Hatte ihn denn gar nichts ganz und gar Fremdartiges im Innersten erschüttert, sich unauslöschlich eingegraben, nichts auf seinen endlosen Fahrten durch die friedlose Welt? Doch!— Damals in jener nordischen Sturmnacht. Wie diese Seemenschen mit den harten, gegerbten Gesichtern ausfuhren, nicht um die Prämie zu ergatten für Rettung eines Schiffes aus Seenot, wie sie sonst wohl ost getan hatten, sondern um einen der Ihren,«inen der Fischer, der mit seinen„Jungs" in Seenot geraten war, zu retten und zu bergen. Sie stürzten sich nur in die Boote, und ihre dürren Weiber standen auf der Düne und wiesen mit den hageren Armen hinaus aufs Meer, wiestn ihren Männern den gefahrenschwangeren Weg mit brennenden Laternen und gellendem Zuruf.— Kameraden waren in Seenot. Und dann jenes andere im Roten Meer. — Den wahnsinnigen, wilden Blick jenes Regers, den konnte er nicht vergeffen, den furchtbaren Blick des Negers mit den fletschenden, weißen Zähnen, der mit hitzeverdorrtem Hirn aus dem Maschinenraum stürzte und über Bord sprang« Haifische schnappten auf und zerrten den dunklen Leib durch die violetten Wogen hin und her.... And der erste Offizier stand am Reeling und sagte: Hitze und Haie kosten viel Geld." Sonst nichts... Und dann und dann und da und dort..■, Da gellte die Fabrikssirene den Feierabendruf. Die schwarzen Tore öffneten sich und der Weitgereiste sah, wie sich die Derbknochigen seiner Heimat in die Stille seiner kleinen Gaste ersoffen. Fest und taktmäßig erklang ihr Schritt. Sie sprachen nichts, sie liefen nur, und ihre Schritte waren wie von einem Mann. Waren das nicht Leute wie die harten Seemenschen, innerlich genau so? Waren darunter nicht auch...? Gewiß auch hier; auch dies« Fabrik hatte sich Opfer erkoren, Opfer des irrsinnigen Seegangs der Weltwirtschaft, Opfer, die Qual, Verzweiflung und Erschöpfung über Bord geworfen hat... Mit einem weiten Blick umgriff der Mann am Fenster seine kleine Gaffe: Eidechse— Wirbelwind— Gräber— Kämpfe— Fronen« Nöte und Qualen! Im engsten Raum die ganze große Welt! Ein Gesetz in tausend Erscheinungen, ein Schicksal unter tausend Masken. „Nein, ich bin nicht leer geworden", dachte es im Abenteuermüden,„nein, nur der Schein ist mir unscheinbar worden, die Hülle eine Hohlheit, und ich habe den Allinhalt gefunden im kleinsten Kreis."— Da trat der Freund ins Zimmer und ward fröhlich empfangen:„Ausreisen will ich, komm mit! Ausreisen in diese kleine stille Gasse. Komm mit, will mit dir in ihr eine Weltfahrt tun. Will dir alles, alles zeigen, was ich draußen geschaut und gelernt, aufweisen will ich dir die ganze große Welt in unserer kleinen Gaffe. Aber der Freund verstand ihn nicht. Er war ja daheim stemd geblieben iM engsten Kreis, und er schüttelte den Kopf über des Heimgekehrte» närrische Rede..,