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Kanonier Zarathustra Artedrieh Riehfehe oM Soldat
Von Friedrich Nietzsche , dessen 90. Geburtstag sich am 16. Oktober jährte, existiert«ine Photographie aus dem Jahre 1868, die den Propheten des Uebermenschen im bunten Rock eines Kanoniers des 4. Feldartillerieregimentes zeigt, ein Bild, das wie eine Satire anmutet. Zarathustra als Kanonier! Der Ueber- mensch meldet sich gehorsamst zum Stalldienst! Tücke des Objekts, daß gerade diese militärische Photoidylle erhalten blitbl Eine Hand in. die Hüfte gestemmt, das lange Schwert gezückt, die unwiderstehliche Pickelhaube auf einem Teetischchen neben sich, so steht Nitzsche , der Allzer- malmer, da, den bebrillten Blick forsch auf den Kameramann gerichtet, der offenbar gerade sein Unvermeidliches:„Bitte, recht freundlich!" löslich. Nein, Elisabeth Förster , die betriebsame Schwester des Philosophen, hätte diesen ernüchternden Kitsch aus Grohvätertagen ruhig dem Ofen anvertrauen können! Es wäre eine natür-. liche, ja notwendige Korrektur gewesen, neben den vielen unzulässigen, die sich diese Pythia der Dritten Reiches als Verwalterin des geistigen Erbes ihres Bruders und Leiterin des Nietzschearchivs in den letzten Jahren geleistet hat. Aber als F r e u n d i n H i t l e r s fühlte sie sich verpflichtet, ihren grohen Bruder in der Wichs der deutschen Wehrhaftigkeit vorzuführen, ihn, den leidenschaftlichen Hasser deutschen Ungeistes, ihn, der sich stets als Abkömmling einer, polnischen Adelsfamilie gefühlt hat. Schrieb er nicht 1888 seinem Freunde Georg Brandes nach Kopenhagen ?„Meine Vorfahren waren polnische Edelleute(Niözky); es scheint, daß der Typus gut erhalten ist trotz dreier deutscher Mütter". Im Auslande gelte ich gewöhnlich a l s P o t e; noch diesen Winter zeichnete mich die Fremdenliste Nizzas als„comme Polonais". Man ssagt mir, dah mein Kopf auf Bildern Matejkos(eines polnischen Malers)/vorkomme......" Freiwilliger Nietzsche, treten Sie vor! Er war als Soldat nicht glücklich. Nachdem er wegen seiner kurzsichtigen Augen wiederholt als dienstuntauglich vom Militärdienst enthoben wurde, wurde er schließlich 1867 einberufen, da der Feldzug vom Jahre vorher und auch die böse Cholera grohe Lücken in die Reihen der Armee gerissen hatte. Diesen beiden Umständen dankt er seine kurze militärische Laufbahn. Mitten aus seinen philologischen Studien gerissen, beklagt er bitter sein Schicksal in einem vom 4. Oktober 1867 datierten Brief an seinen Freund M u s h a k e.„Wir sind selten des Schicksals Herren, aber glauben es zu sein, wenn es lange Zeit uns günstig war. Dies soll keine Einleitung zu einer Tragödie, sondern nur die Vorbemerkung zu einer Zwischenakt-
UPTON SINCLAIR : Briefe an einen Arbeiter mit Zeichnungen von Lili R£thi KC 20.— Zu beziehen durch alle Kolporteure Auslieferung: Zentralstelle für das
musik sein, die ich in diesem Leben nicht mehr zu hören hoffte. Trommeln und Pfeifen, kriegerischer Klang: das Schwert schwebt nicht über meinem Haupte, sondern an Meiner Seite, diese Feder in meiner Hand wird in Kürze ein Mordgewehr sein, diese mit Notizen und Entwürfen bedeckten Papiere werden wahrscheinlich etwas Modergeruch annehmen. Der Kriegsgott hat meiner begehrt, d. h., man hat mich für tauglich zum Freiwilligendienst befunden, während ich noch bei meiner Abreise zur Philologenversammlung in Halle im Glauben st and, daß dieser Kelch an mir vorübergegangen sei. Mit großer Mühe habe ich durchgesetzt, daß ich wenigstens einen Versuch machen darf, ob man mich in einem anderen Ort, als Naumburg ist, und bei einer anderen Truppengattung als Artillerie annehmen will. Mißglückt der Versuch, so beginne ich am nächsten Mittwoch die hiesigen Kanonen zu umarmen— mitmehr Ingrimm als Zärtlichkeit." Der junge Gelehrte beklagt sich ständig, aus seinem gewohnten Milieu, den Büchern und seiner Arbeit so jäh entrissen wyrden zu sein. Seinem Freund Gersdorff berichtete Nietzsche am 24. November 1867:„Wie überraschend dieser Umschwung war, wie gewaltsam >ch meinem gewöhnlichen Treiben und bequemen Dahinleben entfremdet wurde, wirst Du vielleicht nachfühlen... In den ersten Wochen hatte ich noch den Stalldienst durchzumachen: morgens um 5% Uhr war ich im Pferdestall, um Mist hinq.uszuschasfen und das Pferd mit Striegel und Kartätsche zu putzen?" Jetzt ist mein Dienst durchschnittlich derart, daß ich von 7 bis halb 11 Uhr und von halb 12 Ka? 6 Uhr abends beschäftigt bin, und zwar den größten Teil dieser Zeit mit Fußexerzieren." Recht eindringlich schildert Kanonier Nietzsche in einem Brief an Rohde(Dezember 1867) sein Leben.... Rohde werde fragen, lvas er, Nietzsche, eigentlich mache, wenn er nicht mit gelehrten Dingen-beschäftigt ist.„Er exerziert. Ja, mein lieber Freund, wenn Dich einmal von Admon in einer ftühen Morgenstunde, sagen wir zwischen 5 und 6 Uhr, nach Naumburg geleiten und in gefälliger Weise die Absicht haben sollte, Deine Schritte in meine Nähe zu lenken: so erstarre nicht über das Schauspiel, das sich Deinen Sinnen darbietct. Plötzlich atmest Du die Atmosphäre eines Stalles. Im halben Laternenlichte erscheinen Gestalten. Es scharrt, wiehert, bürstet, klopft um Dich herum. Und mitten drin, im Gewände eines Pferdeknechtes, heftig bemüht, mit den Händen Unaussprechliches, Unansehnliches wegzutragen oder den Gaul mit dem Striegel zu bearbeiten— mir graut es, wenn ich s e i n A n t l i tz s e h e— es ist beim Hund meine eigene Gestalt... Zu anderen Tagest zeiten steht er, emsig und aufmerksam, am gezogenen Geschütz und holt Granaten aus der Protze oder reinigt das Rohr mit dem Wischer oder richtet nach Zoll und Graden usw.... Ich versichere Dich bei dem schon erlvähnten Hund, meine Philosophie hat jetzt Gelegenheit, mir praktisch zu nützen. Ich habe in keinem Augenblick bis jetzt eine Erniedrigung verspürt, aber sehr oft wie über etwas Märchenhas t e s gelächelt. Mitunter auch raune ich, unter dem Bauch des Pferdes versteckt, „Schopenhauer , hilf!"..,
Ein Treffer.
Paßt ganz genau!
In einem anderen, vom 1. Feber 1868 datierten Brief an Rohde klagt Nietzsche 1 „Elender Mensch, sage ich zu mir, du hast nicht zwei Stunden des Tages Und selbst diese muht du dem Mavors opfern, der dir sonst das Leutnantspatent verweigert. Ach, lieber Freund, was ist ein reitender und fahrender Artillerist für ei« Unglückstirr, wenn er literarische Triebe hat? Mein alter Kriegs-^ gott hat eben die jungen Weiber, nicht alte Vera' schrumpelte Musen gern... Wenn ich Dir sage," daß ich täglich von mürgens 7 Uhr bis abends um 5 Uhr im. Dienst bin, außerdem noch bei einem Leutnant und bei einem Tierarzt Bor« träge höre, so kannstDu ermessen, wir schlimm ich daran bin. Abends ist der Leib schlaff und müde und sucht zeitig sein Bett. Und so geht es ohne Rast und Ruh aus einem Tag in den andern. Wo bleibt da für wissenschaftliche Ausarbeitungen nötige Samma lung und Kontemplation!" Resigniert fügt sich der später zum Ge- freiten avancierte Nietzsche in das von Zwang und Drill erfüllte Leben, freilich, um oft verzweifelt nach der Ruhe der Studierstube zu rufen. Er findet Vergnügen am Reiten, aber eines Tages wird ihm dies zum Verhängnis^ Er erlitt beim Reiten eine Verletzung an der. Brust, die operativ behandelt werden mutzte und Nietzsche lange Jahre zu schaffen machte. Auf 8. August 1868 teilte, er Gersdorff mit, daß et wegen seines Leidens frühzeitig den Dienst beim Militär verlaffen werde:„Es versteht sich, daß ich jetzt meinen Militärdienst nicht fortsetzen kann; zunächst werde ich für„zeitig ltif* brauchbar" erklärt. D a ich wünsch« nachgerade, nachdem? es mir doch nun einmal unmöglich geworden ist, Landwehroffizier zu werd en, langsam aus den Listen der Wehrfähigen zu verschwinden." Noch einmal jedoch gerät Nietzsche in nähere Beziehung mit dem Militärischen. Diesmal allerdings in einer mehr platonischen Form. Es war ün KriegSjahr 1870, als er als Sanitäter 'Dienst machte. Ludwig.