BUN
WEIT
NW
Jhf. 47
Lrnterhaltunssveilage
1934
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Daß man ihn auf den Steinen bettete, daß Ring den Vater holte, daß Tücher nm seinen Fuß gewunden wurden, durch die das Blut sickerte, wußte Kwan nicht mehr. Tseng warf den Kohlenkorb zu Boden, er hob Kwan auf und trug ihn auf den ausgestreckten Armen nach Hanse, als wollte er ihn allen Menschen zeigen und mit stummer Stimme sagen: Seht, dies ist Kwan, mein Sohn. Er saß an seinem Lager und legte feuchte Tücher auf Kwans Stirn, bis der Arzt kam. Die Hände Kwans hingen schlaff herab, die rechte Hand war zur Faust geballt. Tseng öffnete die verkrampften Finger, das Silberstück rollte zu Boden, es war fahl im trüben Licht der kleinen Lampe. Der Arzt schüttelte den Kopf, er zuckte die Achseln, er wusch die Wunde, er schnitt Hautfetzen und Fleischlappeu weg, Blut troff auf die nackten Bretter des Bodens. Dann ging er, aber in Tseng? Augen zu blicken wagte er nicht. Die ganze Rächt saß Tseng am Lager seines Sohnes. Er hielt die Hand Kwans zwischen seinen Händen, das Fieber brannte auch in seinen Adern. Das Silberstück, das neben den Baitmatten lag, rollte zum Himmel empor eine blaßschimmernde Mondscheibe, und bahnt« sich mählich einen Weg durch die Wolken. In den Bergen von Ho-Ran erzählten sie, der Mond sei das Auge eines Gottes, der die Erde wie einen Ball in seinen Händen halte und seinen Atem als Sturm über sie hinwehen lasse, wenn er ihr zürnte. Den Lauten, die von den Lippen der Menschen kommen, verschließen sich die Ohren; di« lautlose Stimme des nächtlichen silbernen Auges aber dringt durch alle Poren des Leibes bis zum Herzen. Da zog T'mg sanf die Hand Kwans aus seinen Fin- ,.t und legte sie auf die Decke. Er holte Räucherwerk und entzündete eS in der Ecke vor dem Bilde des Gottes, der ihn beschichte. Er warf sich zu Boden und betete: Rette Kwan, meinen Sohn, und strafe seinen Mörder. Immer wieder verneigte sich Tseng vor dem Bild des Gottes, die Räucherkerzen brannten herab, ein Streifen feiner, graubrauner Asche lag auf dem gesprungenen, olivengrünen Lack der Truhe. Am Morgen pochte es an die Türe. Ein Mann in weitem, dunklem Mantel stand draußen, neben ihm eine schmale Frau, eine Kappe über dem blonden Haar. Sie hätten lange fragen müssen, bis sie erfuhren, wie der Junge hieß, sagte die Frau, und sie hätten lange suchen müssen, bis ste das Haus gefunden. Der Mann blickte sich im Zimmer um. Tseng wußte nicht, was er sagen sollte. Er wies mit der Hand auf Kwans Lager. Dann schob er der Frau einen Sessel hin, holte den Meilen für den Mann. Ob ein Arzt hiergewesen, fragte der Mann. Tseng nickte. Ob Kwan wieder die Augen aufgeschlagen, ob er gesprochen habe, fragte die Fra». Tseng schüttelte den Kopf. Da erhob
«o« Fritz Rosenfeld sich der Mann und ging zu Kwans Bett. Er muhte niederknien, so niedrig war Kwans Lager. Er beugte sich über Kwan, er legte die Hand auf seine Stirn. Kwan fuhr auf, sein« Augen glänzten groß und glasig, seine Lippen öffneten sich, doch in dem schimmernden, leuchtenden Schweigen, das um ihn war, erstarb seine Stimme. Er reckte die Hände mit gespreizten Fingern dem Mann in dem blauen Mantel entgegen, als wollte er ihn abwehren, dann sank er zurück, sein Antlitz erwsch, fahl, grau, mit geschlossenen Augen lag er da. „Ihr Sohn?" fragte der Mann. „Mein Sohn". „Können wir helfen?" Tseng zuckte die Achseln, sah zu Boden. Der Mann legte Banknoten auf den Tisch. Tseng schob sie zurück. Er hob den Silberdollar auf, der neben den Matten lag. „Anch dies ist Ihr Geld," sagte er und legte das Silberstück auf die farblosen, rissigen Bretter. Der Arzt kam. Die Frau sah auf, sie folgte mit den Blicken allen seinen Bewegungen. Der Arzt murmelte fremde Worte vor sich hin. „Retten Sie ihn," sagte der Mann.„Bringen Sie ihn ins Spital. Ich bezahle." „Es ist zu spät," sagte der Arzt. Da sanken Tsengs Hände schlaff herab. Seine Lippen schienen zu einem schmalen, blaßroten Strich zu verschmelzen. Er wollte aufschreien und sich über KwanS Körper werfen, er wollte das erloschene Antlitz seines Sohnes mit den Fingern liebkosen— aber er stand starr, als wäre er aus Stein. Der Mann im blauen Mantel sah den Arzt an, als erwartete er von ihm ein Wunder. Der Arzt klappte seine Tasche zu und ging. „Ich wollte es nicht," sagte der Mann mit gepreßter, wnloser Stimme. Tseng sah an ihm vorbei in den Winkel. Er holte neue Räucherkerzen, dünne, graublaue Rauchstreifen stiegen zur Decke empor. „Es tut mir leid—" sagte der Mann. Ich werde einsam sein, dachte Tseng, Den einsamen Hund, der über die Straße läuft, streichelt-vielleicht eine fremde Hand. „Ich kann doch nichts dafür," sagte der Mann, seine Stimme zitterte. Die Katze, die im Haustor hockt, hat ein Junges, für das sie sorgen darf, dachte Tseng. Ich habe nichts mehr. „So reden Sie doch ein Wort," schrie der Mann. Die Frau erhob sich, legte die Hand auf seinen Arm. Ich werde für den Silberdollar ein Kleid aus weiher Seide kaufen, dachte Tseng. Die Trommeln sollen dröhnen, wenn sie Kwan in die Erde senken. Da trat die Frau zu Tseng, sie stand vor ihm mit gesenktem Kopf.
(Schluß) „Verzeihen Sie uns." Tseng hob die Hand, sie wies zu Kwan. „Wir können nicht fortgehen, ehe Sie uns verziehen haben," sagte die Frau.„Wir sind schuld daran und wir sind nicht schuld daran." Sie ging zu Kwan, ihr Haar leuchtete hell über seinem wächsernen, vom Frost überhauchten Gesicht. „Kwan hätte uns verziehen," sagte sie mit fester Stimme, als erteilte sie Tseng einen Befehl. Tseng blickte zu ihr, er streckte die Hand aus, der Finger deutete auf das Bild seines Gottes. „Rur er kann verzeihen," sagte Tseng. Der Mann zog die Uhr aus der Tasche. In seinen Augen gellte die Sirene. Er winfte der Frau. Sie nahm eine weiße Karte aus dem Handtäschchen.„Wenn Sie uns brauchen—" sagte sie. Tseng versteckte die Hände in den Acrmeln seines Rockes. Er verneigte sich stumm. Da schob die Frau das weiße Blatt auf den Tisch. Tseng zitterte, als er die Tür hinter dem fremden Mann und der Frau mit den hellen Haaren schloß. Nun verließ ihn die Kraft, mit der er sich aufrechterhalten, nun löste sich der Schmerz in seiner Seel« und strömte in einen Schrei, der dumpf aufgellte- und langgezogen hinrollte durch das Haus, durch die Straße. Er kauerte sich neben Kwans Lager auf den Boden und weint«. Er lag zusammengerollt auf den nackten Brettern und wimmerte, bis der Abend sank und der Arzt mit zwei Männern kam, die Kwans toten Körper auf eine weiße Bahr« betteten und forttrugen. Ueber dem Schiff, das Hongkong längst verlassen hatte und nordwärts dampfte, stand der Mond, das Auge eines Gottes, der die Erde wie einen Ball in seinen Händen hält und seinen Atem als Sturm über ihre Meere und Gebirge wehen läßt, in den Stunden seines Zornes. Die Sirene gellte, aber der Mann im blauen Mantel, die Frau mit den hellen Haaren hörten sie nicht; die Bordmusik spielte, doch dumpfer, als die Trompeten, sehnsüchtiger als die Geigen, drohender als die Trommeln klang der Schrei in ihrem Ohr, den Tseng ausgestoßen, als sie das Zimmer verlassen hatten. Sein Leben war in diesen Schrei geströmt; er folgte dem Schiff, er hüllte es ein in einen wehenden, brennende» Mantel von Schmerz, er erfüllte den Raum bis zu den Sternen und flackerte als stummes Weinen Rächte und Nächte in ihrem Licht. Der Mann im Mantel verklammerte seine Finger in der Bordivand, die Frau kroch tiefer in ihren Pelz. Ein Schiffsostizier ging vorüber. Er hob die Hand, wies auf eine Wand von Wolken, die am Horizont aufzog. „Frisches Futter für die Hgifische," rief lachend ein Matrose, der eine Leiter auS Tau« werk mit schnellen Griffen emporkletterte-