— 2—deschästsmäßig klingt,„es fehlen genau».50 KC."„Na, na ," meint der Beamte unzu frieden,„da wollen Sie vielleicht noch Straf-Anzeige gegen den Mann stellen?"Mte sieSeltsame SellTäglich berichten die Zeitungen, daß da»der dort einer sein Leben fortgeworfen hat,weil es ihm eine Bürde war, weil er müde geworden war des hoffnungslosen Kämpfens. DerLeser überschlägt die Berichte, so sehr hat er sichgewöhnt, den Selbstmord als etwas Alltäglicheszu betrachten, als eine Konstante in der Statistik großstädtischen Lebens. Nur jene Fälle interessieren ihn, die durch die Besonderheit des Betroffenen oder die Eigenart der Methode desSterbens über den Durchschnitt hinausragen.Unglückliche Liebe, häuslicher Zwist, Angst vorStrafe, Krankheit, vielfältig sind die Motiveder Selbstvernichtung, die in den Berichten angeführt werden, wie aber kann diese Vielfaltdarüber Hinwegtäuschen, daß die Grundursachealler Selbstmorde in wirtschaftlichenVerhältnissen liegt und es ist kein Zufall, daßdieses freiwillige Sterben oder Symptomdes kapitalistischen Zeitalters,eine der vielen scheußlichen Krankheiten der bürgerlichen Gesellschaftsordnung darstellt.Auch die Art zu sterben unterliegt scheinbar der Mode, letzten Endes spielt auch derFortschritt der Technik in dieser Hinsicht einegewisse Rolle. Denken wir nur, wie bei derEinführung der Gasbeleuchtung die Giftigkeitund"relativ bequeme Verwendbarkeit des Gasessofort erkannt und von Lebensüberdrüssigen genützt wurde, welche Rolle die Elektrizität in derSelbstmordstatistik spielt! Nicht vergessen darfguch die Verschiedenheit der Tötungsartbei den beiden Geschlechtern werden, esist eine bekannte Tatsache, daß Männerund Frauen gewisse Arten des Sterbens bevorzugen. Während sich Männer vornehmlicherhängen, wird der Gastod von den Frauenvorgezogen, die„in Schönheit sterben" wollen.Selbstverständlich spielt auch der Beruf einedominierende Rolle. Ein Mechaniker wirft sichin der Fabrik in das Räderwerk der Maschine,«iri Apotheker vergiftet sich mit Blausäure, eineHebamme mit Lysol, ein Brauer wirft sich inden Sudkessel, Soldaten, Förster erschießen sich,Matrosen und Fischer suchen im Wasser denTod. Waren ursprünglich Erhängen und Ertränken die häufigsten Todesarten, so ist nun-mchr der Gastod und das Vergiften in denVordergrund getreten.Eine der furchtbarsten Todesarten dürftewohl das Verhungern darstellen, zu demdas kapitalistische Zeitalter die überwiegend«Mehrheit der Menschen verurteilt hat, das aberim Altertum als Selbstmordart durchaus nichtungewöhnlich war. Bekannt ist der freiwilligeHungertod des Philosophen Demonax vonCypern, eines Anhängers von Diogenes, der wieSokrates der Gotteslästerung angeklagt, aufdiese grauenvolle Art seinem Leben ein Endebereitete. Dictarch, ein Schüler des Aristoteles,berichtet, daß Pythagoras trotz seiner Ablehnung des Selbstmordes im Tempel der Musen in Mctapont nach SOtägigem Fasten seinLeben endete. Der letzte bekannt gewordeneSelbstmord durch Hunger ist der des englischen„Ich bewahre" lacht der Kommer zialrat gezwungen,„aber die 6.K0 KC müssenwir ihm von dem gesetzlich zustehenden Finderlohn abziehcn. Es ist nur der Ordnung halber.Na— und— schönen Dank jedenfalls!"starvenHistorikers Dr. Lingard, der in Dover 1883 denfreiwilligen Hungertod gestorben ist. Ueber einescheußliche Art des freiwilligen Todes berichtetSeneca. Ein germanischer Sklave, der beieinem Tiergefecht in der Kampfarena Mitwirkensollte, stieß sich auf dem Abtritt der Arena einenStab, in dem ein Schwamm befestigt war lderzur Reinigung des Abtritts benützt wurde) inden Mund und erstickte sich so.Zu den seltensten Selbstmordarten gehörtzweijellos das freiwillige Erfrieren.Im Jahre 1845 machte ein Bauer in Württemberg sein Testament und legte sich dann in denSchnee, wo man ihn am folgenden Tag tot auffand. Das Erfrieren gilt bei den Tibetanernzu einer heiligen Todesart und sie wird heutenoch ost praktiziert. Bekannt ist der Fall einerOesterreicherin(über die Oettinger berichtet),die sich auf glühende Kohlen legte, um sich solangsam zu Tode rösten zu lasten. In denletzten Jahren häufen sich auch die Selbstmordedurch Sprengmittel.Bei der Erstürmung Kamalas in Galiläadurch die Römer stürzten sich die Juden mitFrauen und Kindern von einem steilen Felsenins Meer und bei der Zerstörung Jerusalemsim Jahre 70 töteten sich mehr als 2000 Judenin unterirdischen Schlupfwinkeln, in die sie sichgeflüchtet hatten. Bekannt ist der heroischeMartyrertod hunderter Wiener Juden, dievor ihren Verfolgern in den Tempel geflüchtetwaren, den sie dann in Brand steckten. Diemittelalterliche Geschichte berichtet-uns nochzahlreiche ähnliche Vorkommnisse, aber auch dreGeschichte der Judenpogroms im zaristischen Rußland vorm Weltkriege.AIS der spanische Eroberer FerdinandCortez 1520 die Hauptstadt der Mexikanereroberte, versuchten zwei junge Mexikaner mitCortez von einem hohen Turm in die Tiefe zuspringen, um sich mit dem verhaßten Usurpatorzu töten, doch starben sie allein, da Cortez raschzur Seite wich.Eine einheitliche Wertung des Selbstmordes ist unmöglich. So verschieden weltanschaulich-religiöse Auffaffungen sind, so verschieden die moralische Wertung desFreitodes. Hat der Mensch ein Recht, sein Leben zu vernichten oder kann darüber nur dieGemeinschaft entscheiden, in deren Verband erlebt? Eine eindeutige Antwort wird nie gegeben werden können, ja die Antworten hängen vom geographischen Breitengrad, von zahllosen anderen Umständen ab. Ist der Selbstmord mit der Moral vereinbar oder ist er alsunmoralisch abzulehnen? Eine müßige Frage fürden, der sie sich nicht stellen mutz; der sie stellenmuß jedoch, zerbricht sich gewöhnlich über dieethische Wertung nicht mehr den Kopf. Er stehtvor einer Vis major.Wenn die eigentliche objektive Grundlageder Selbstmorde die wirtschaftliche Lage des betroffenen Individuums ist, so wird diese Kardinalursache verschieden maskiert. Am seltsamsten ist der Selbstmord aus Langeweile. Der berühmte Virtuos« Lebrunflüchtet« von Paris aufs Land, mietete eineWohnung, zündete im Schlafzimmer Schwefelan und starb so an der Einatmung der Dämpfe.-In St. Denis erschaffen sich zwei Dragoner nachreichlichem Weingenuß— aus Langeweile.„Wirhaben alle Genüffe erschöpft," schrieben sie imAbschiedsbrief, selbst unseren Nächsten gefälligzu fein; aber jedes Vergnügen hat seine Grenze,wodurch es vergiftet wird. Das Lebenstheaterekelt uns an, der Vorhang fällt für uns, undwir überlassen unsere Rollen andere», lvelcheschwach genug sind, sie noch einige Stunden spielen zu wollen.„Da, wo das wirtschaftliche Motiv wegfällt, können wir mit Sicherheit einepsychopathische Veranlagung der Beteiligten annehmen. So bei Philipp Mordant, dem LVjährigen Neffen des Grafen von Petersburg, derinmitten von Reichtum und Glück plötzlich ausdem Leben schied. Aus Langeweile. Er schrieban einen Freund, daß seine Seele des Körpers„müde" sei und man, sobald einen das Haus anekele, aus ihm heraus müsse."Bemerkenswert ist der Selbstmord einesBauern im Glarus(Schlveiz) aus Angstvor Reichtum, wohl eine ganz seltsame,einzig dastehende Ursache. Er wollte sich«demElend entziehen, das großer Reichtum mit sichbringt"(wie er schrieb)' und tötete seine Frau,fünf Kinder und sich, als er eine reiche Erbschaftgemacht hatte. Di« Zahl der Selbstmorde ausNotlage ist wohl Legion und wird cs wohl bleiben, so lange die kapitalistische Wirtschafts„ord»nung" besteht.Nicht selten sind seit jeher Selbstmordeaus politischen Gründen gewesen. DerSchriftsteller Sebastian Roch-Nicolas(C h a m»'ort) schoß sich, als er von den Jakobinernverhaftet wurde, eine Kugel in den Kopf undschnitt sich, als er dennoch nicht sterben konnte,die Gurgel ab. Chamfort war Girondist wieC o n d o r e c t, der ebenfalls nach seiner Verhaftung Selbstmord beging. Er nahm Gift. Der.Gesinnungsgenosse dieser beiden, der sehr bejahrte C l a v i i r e, stieß sich während der Hastein Messer in die Brust, um sich dem Henker zuentziehen. Der ehemalige Theologe JaqueSBrux, der Ludwig XVI. zur Richtstätte begleitet hatte und später vom Revolutionstribu«aal zum Tode verurteilt wurde(er war selbstRevolutionär gewesen), erstach sich im Gefängnis. Der Kapuzinermönch Chabot, ein begeisterter Anhänger Dantons, vergiftete sich.L'H u l l i e r, der das Weib eines Emigrantenbeherbergt hatte, stieß sich einen Nagel ins Herz.Der frühere Premierminister Ludwig XVI.,Erzbischof von Sens, Lomsnie de Brienne,der später Revolutionär wurde, entzog sich demSchafott durch Gift.Der berühmte Berliner Psychologe RichardS e m o n fühlte sich durch den Zusammenbruchdes wilhelminischen Deutschland so erschüttert,daß er sich im November 1918 in eine schwarz-weiß-rote Fahne wickelte und dann erschoß. Ausdem gleichen Grunde vergiftete sich AlbertBallin, Reeder in Hamburg, ein FreundWilhelm II., Besitzer einer großen Schiftahrts-linie.So starben sie und sterben noch. Von vielen,vielen Tausenden wissen wir nicht warum.Voltaire sagte einmal:„Es wäre zu wünschen, daß alle diejenigen, die sich entschließen,aus dem Leben zu scheiden, schriftlich ihr«Gründe nebst«inem Wort'über, ihre philosophische Anschauung hinterlaffen würden; daswürde durchaus nicht ohne Vorteil für die Lebenden und die Geschichte des menschlichenGeistes sein." Ludwig.