BUNTE WELT
Nr. 51
Enterhaltungsbeilage
1934
Ernst Volkers heilige Nacht
Bon Pierre
ihr noch notwendig erscheinende erzieherische Beeinflussung angedeihen zu lassen... Die Verhandlung ist geschlossen. Der Ver urteilte ist abzuführen."
Es war am Tage des Heiligen Abend, vor-| aus der Volksgemeinschaft aus. Wir haben uns| klagten nach Verbüßung der Zuchthausstrafe jede mittags um 11 Uhr 20 Minuten... Im lange überlegt, ob das ruchlose Treiben des AnSchwurgerichtssaal, der in jenem mystischen geklagten nicht einzig und allein durch die Todes Halbdunkel lag, der den Hallen der Gerechtigkeit strafe gerecht geahndet werden könne. Wenn wir das charakteristische Gepräge unabwendbaren schließlich nur auf drei Jahre Zuchthaus und Schicksals zu geben pflegt, flammten foeben Stellung unter Polizeiaufsicht, selbstverständlich feierlich die Kronleuchter auf... bei Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, erkannt haben, so geschah es aus dem Gefühl heraus, daß die klägliche Ohnmacht dieser wahnwißigen Bersezungsbestrebungen am Körper des glücklich geeinten Volkes sonnenklar ist.
Die Mitglieder des Volksgerichtshofes betraten den Raum, einer hinter dem andern, im Gänsemarsch kamen sie aus der engen, niedrigen Tür, die in das Beratungszimmer führte.
In ihren Mienen zu lesen, war unmöglich. Steinern, mastenhaft, tiefgleichgültig so schienen die Gesichter, um die Lippen, die fest aufeinandergepreßt waren, zitterte nichts von Bewegung, nichts von Rührung.
Im übrigen ist ja den Organen der Erefutive jederzeit Gelegenheit gegeben, dem Ange
Als Ernst Volker durch den schmalen, um gitterten Gang geführt wurde, der die Verhandlungssäle mit dem Untersuchungsgefängnis ver bindet, gewann er durch Zufall noch einmal einen Blick in die Freiheit. Die Fensterscheiben des düsteren Ganges , in dem es nach Schweiz und Mäusekot roch, waren blind, sie schloffen den Häftling ab von aller Außenwelt. Indes, fast am Ende des Ganges , schon im Angesicht der schweren, eifernen Tore, die in das Meer der
Eines Lumpen Weihnacht dumpfen Menschenkäfige münden, stand eins der
Unter den Hörern entstand ein leichtes Eines Lumpen Weihnacht
Scharren und Drängen, dem eine atemlose, nervenanspannende Stille folgte.
Der Angeklagte war aufgestanden. Ein nervöses Zuden lag auf dem bleichen Gesicht des noch jungen Mannes, in den großen hellbraunen Augen fladerte die Unruhe durchwachter Nächte, die Not monatelangen Alleinseins in der kahlen Belle des Untersuchungsgefängnisses..
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Von Ostar Kohlbrunner
Hülle dich dichter in deine Lumpen, Winddurchpfiffen und schneedurchmäßt, Denn ein Wetter durchwirbelt die Straßen, Das teinen Hund vor die Türe läßt. Aber dich haben sie draußen gelassen Wetter und Menschen sind hart wie Stein; Stürbest du heute auf diesen Gassen, Würd's eines Tieres Verenden sein.
Aber er stand aufrecht und fest, nur die Hände zitterten ein wenig, diese Hände, die zart und weiß, schlank und durchgeistigt wie die Hände eines Gelehrten waren. Kränze hingen sie hinter die Fenster, Die Richter setzten sich der Vorsitzende Stechpalmkränze mit Beeren geschmückt, schob das Barett ein wenig in den Kopf, holte Tannenbäume mit Flitter und Kerzen, eine goldumränderte Brille aus dem Futteral, Stellten sie hin, die kein Schnee mehr drückt. hielt sie ein wenig gegen das Licht, hauchte sie| Friere vorüber, fie brennen dir nimmer, fast zärtlich an, rieb sie ab, hauchte nochmals, rieb wieder und setzte sie schließlich auf. Er war ein wenig turzsichtig und der Blick, den er jetzt auf den Angeklagten warf und der eigentlich ernst und gemessen sein sollte, sah wie ein hilf loses Blinzeln aus.
Dann lehnte er sich fast behaglich im Sessel zurück, räusperte ein, zweimal und begann mit einer freundlich- gutmütigen Stimme:
Wische das Eis und den Frost aus dem Bart, Stemme dich gegen des Schneewinds Gewimmer, Du bist ein Lump und ein Lump sein ist hart.
Du bist ein Lump! Also höhnen die Kinder, Wenn du im Trunk durch die Gassen dich wälzt. Du bist ein Lump! so höhnen die Väter. Wenn du den Hut für die Gabe hinhälst. du lächelst ein Lächeln der du lächelst bei Muttern zu Haus, Glimmerte Flitter und dufteten Kerzen, Einmal... du weinest?... Das Lied ist aus.
Einmal
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Schmerzen Einmal
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„ Das Gericht sieht die Schuld des Angeflagten für erwiesen an. Die umfangreiche Beweisaufnahme hat mit aller Klarheit ergeben, daß der Angeklagte seit Monaten mit beispielloser Keckheit hochverräterisch tätig gewesen ist. Nicht nur die Herren Beamien der Geheimen Staatspolizei, die ihn schon seit langem beobachteten, haben den Angeklagten aufs schwerste belastet, auch die Dugende privater Zeugen, ehrenwerte Männer, die über die Sabotage des Angeklagten am großen Werk des Führers entrüstet waren, haben die Schuld dieses artver: gessenen Menschen eidlich unter Beweis gestellt. Es gibt kein Wort, das scharf gemug wäre, das verbrecherische Verhalten des Angeklagten verbientermaßen zu geißeln. In einer Zeit, wo die Vernichtungssucht unserer Feinde einen Ring des Hasses um das erwachte Deutschland spannt, hat er die Schamlosigkeit besessen, illegale Leichenstarr im Angesicht marristische Propaganda su treiben. Ein Indibiduum, bas so handelt, schließt sich von selbst
Und er ging durch die Weihnacht der Gassen, Ohne Ziele und ohne Plan, Einmal, da hielt ihn ein Lump um Beistand, Einmal, da hielt ihn ein Schuhmann an. Christnachtchöre aus hellen Kapellen, Klangen durch Sturm und durch Glodengeweh'; Einmal warf einer dem armen Gesellen Eine Münze hin in den Schnee.
Aber er torfelte blindlings fürder, Nur einer Stimme ging er nach: Du bist ein Lump, so flang's in den Ohren... Ob diesen Fluch seine Mutter sprach?... Morgens, da fand man ihn nah dem Flusse,
Und ein Schußmann meinte zum Schlusse: Ein Lump erfroren.. pah! schade ist's nicht!
blinden Fenster halb offen. Es war ein Erleb nis für Ernst Volker, ein Erlebnis nach langen Monaten der Untersuchungsfolter, der Dauerverhöre in den Kellern der Gestapo , nach der ganzen Hölle dieser Treibjagd auf den Verhaßten, der mürbe gemacht werden sollte um jeden Breis.
Durch die dicken, rostigen Gitterstäbe sah er den Hof, der Gerichtsgebäude und Unterfuchungsgefängnis trennte. Es war ein kahler, schmuckloser Hof, mit drei entblätterten, dürren, verlorenen Bäumchen, ganz am Rande, aber er fühlte den Wind der Freiheit, der aus diesem freudlosen Hof hereinwehte und wie eine Vere heißung um seine heiße Stirn strich, er sah ein Spaßenpärchen die Luft durchschneiden und er jah ein Stückchen Himmel für einen Augenblick, ein Stückchen Himmel mit ziehenden Wolken, er sah durch den Spalt einer aufgerissenen Wolfen< bank die Sonne hindurchblizen, unsagbar und erschütternd schön. Wie geblendet, schloß Ernst Volfer die Augen. Da rasselten schon die Schlüssel der Wärter, die Türflügel öffneten sich, verdrießlich krächzend, die hoffnungslose Dunkelheit nahm den Gefangenen auf...
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Still, bewegungslos, fast erloschen saß der Strafgefangene Ernst Bolter in seiner engen, lichtlosen Zelle. Wie erstarrt fauerte er auf der Pritsche, nur die Augen des Mannes lebten... Sie wanderten die fargen, erdrückenden Maße der Zelle auf und ab, ab und auf, ruhelos, als wären sie zum ewigen Wandern an diesen jämmerlichen vier Wänden verurteilt..
Die Dämmerung kam, die Nacht sank herab. Ernst Volker rührte fich nicht. Von irgendwoher begann ganz leise, ganz zaghaft ein dünnes Glöckchen zu läuten... Verwehte Töne flossen in dies melancholische Lied der Glocke, von unendlich weit her schienen sie zu kommen- „ Heiliger Abend -" dachte Ernst Volker und lächelte ganz matt. Ein Weihnachtsbaum wuchs vor seinen Augen auf, mit Tannennadeln, die nicht immergrün, sondern gelb und verwelft teine Lichter trug dieser Baum, son dern brennende Hakenkreuze, und an jedem die
waren-,