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VartS hintenrum Von Ludwig.

In den.Verliehen de» Vatikans" erzählt der große französische Dichter Andre Gide die Geschichte eines Biedermannes aus der Provinz , der durch einen Hochstapler aus seiner molligen Kleinstadtidylle aufgescheucht, nach Rom fährt, um den Papst auS der.Gefangenschaft der Freimaurer " zu befreien. Mit dieser roman­tischen Geschichte hält der Schwindler die Spießer, die kleinbürgerlichen wie die feudalen, in Bann und es gelingt ihm, reiche Beute zu machen. Die fromme Einfalt der lieben Mit­bürger bringt dem findigen Kopf, der sich nicht scheut, als hingebungsvoller Pater aufzutreten und der mit dem Freimaurergespenst alle In­stinkte der Paternosterseelen zu mobilisieren ver­steht, klingende Ernt«. Ein herrlicher Beitrag zur Seelen« und Sittengeschichte der französi­ schen Bourgeoisie um die Wende des Jahr­hunderts! Ueberall dort, wo Menschen durch die Här­ten einer finnlosen Gesellschaftsordnung aus dem geordneten Erwerbsleben ausgeschieden werden, überall dort, wo Luxus einer schreienden Armut gegenüber steht, gibt es Outsieder, die auf ihre Art daS Problem des Fortkommens lösen, die den krummen Weg des Verbrechens wandeln. Alle Welt hat ihre Gauner. Nirgends aber wird man so vollendet gescheiten Betrügern begegnen wie in Paris . Der Pariser Pro­fessionalbetrüger ist kein Bauernfänger, kein Taschenspieler, seine Arbeit verrät systematische Durchbildung, er ist ein hervorragender Schau­spieler, er ist ein glänzender Psychologe, er ver­fügt über Sprachkenntnisse und ein Bildungs­niveau, das erstaunlich ist. Der eine gibt fich als Student. In beschei­dener Kleidung, ein Buch unterm Arm, so lauert er vor der Sorbonne auf die Gimpel, die mit gezücktem Baedecker aus dem AuwbuS klettern. Sein Spezialgebiet sind die Gäste aus Deutschland , die bildungSbrfliffenen Raffkes und Prettwitz(samt Gemahlin), die HochzeitSrei- fenden, die in Paris flitterwöchnerische Freuden suchen, die Neureichen auS Berlin W und auS Dresden , die neben allnächtlichen Exkursionen inS Reich des Lasters vormittag auch etwas für die Bildung tun. durch die Säle des Louvre spazieren, um sich nach Ueberwindung des vor­nächtlichen KaterS zu Appetit anzuregen. .Sie sprechen deutsch ? Oh, wie mich da? freut! Darf ich mich den Herrschaften ein wenig anschliehen? Ich bin nämlich Germanist, be­geisterter Germanist und möchte, da mir sonst Gelegenheit zu deutscher Konversafion fehlt, ein wenig plaudern." So überfällt derStudent" Pierre seine Opfer. Man ist entzückt, man läßt sich die Sorbonne zeigen, man geht ins Restau­rant auf einen kleinen Imbiß, denn das geistige Schauen macht Hunger. Pierre rezitiert die ersten Verse des Nibelungenliedes, er kennt die deut­ schen Klaffiker besser als Raffke(Gummiwaren en groS) und Raffkes Gattin findet den kleinen Franzosen, der Germanistik studiert, äußerst amüsant. Pierre hat einen Onkel bei der Bank und die Herrschaften wollen Geld einwechseln. Wenn Sie gestatten, werde ich die Sache bei meinem Onkel erledigen l" erklärt der anhäng­liche Fremdenführer und seine Versicherung, er werde es billiger machen als andere, läßt RafffeS obligates Mißtrauen verstummen. Schließlich verschwindet drr liebenswürdige Germanist durch den zweiten Ausgang der Bank, während feint

Freunde vorm Eingang warten. Auf Nimmer­wiedersehen verschwindet der Student mit dem Buch unterm Arm. Diese PierreS find Jungen, die jahrelanges Spezial-Studium hinter sich haben, die wirklich mittelhochdeutsch, ja sogar gotisch lernen, sie schreiben Dissertationen über die germanische Abstammung der Basken, über Heine und Georg«, sie schwärmen vom Rhein und für Bismarck und wenn es sein muß auch für Hitler. Die Opfer dieser.Germanisten" ist Legion. Der Fremdenführerberuf ist höchst man­nigfaltig. Man will in Paris nicht nur die B«nus von Milo und das Schloß Versailles sehen, man will auch ein wenig hinter die Kulisien der weltberühmten Unzuchtsindustrie sehen, die diversen Salons, wo marmorweih gepuderte arbeitslose Warenhausmädchen.le- lenbe Bilder" zeigen, wo sich der deutsche Spie­ßer den wonnigen Schauer ehebrecherischer Ge­lüste über den Rücken laufen läßt, wo er sich für wenig Geld über die Schrecken sadistischer Kreationen" entrüsten darf, wo in diskret be­leuchteten Separks sein Herz und seine Brief­tasche bluten. Nachher, am stillen Herd heimat­licher Belange freut sich dann Biedermann am Erlebten und staunend horcht der Stammtisch auf, wenn er, der Wrltrnbummler, von der handfesten Mulattin erzählt, der man eine ganze Seeschlacht auf den Bauch tätowiert hatte. Wollen Sie etwas JntereflanteS sehen, Monsieur? Sehr pikant! Noch nie dagewesen! Filme, mein Herr, Sie verstehen!" Der Schlep­per naht mit einladenden Gesten. Dieser Schäk- ker! Er führt den Gast durch enge Gasten des Montmartre, durch schweigende, übelriechende Höfe ins.erotische Kino". Der Spaß kostet «in Heidengeld, an die 30 Franken, aber da­mutz man gesehen haben. Ganze zwanzig Männer sitzen dort, voll Spannung auf den Moment harrend, da das Licht verlöschen, die Vorstellung beginnen wird. Der Schlepper verabschiedet sich höflich, nachdem er wegen des geringen Trink­geldes von 20 Franken gemault hatte..Beden­ken Sie, Herr, mein Risiko! Zwei Jahre kann ich wegen der Sach« kriegen I" meint er, als Julius Plattfuß nur 6 Franken geben will..Wissen Sie denn, was Sie da sehen werden I" Und dann dann sieht Julius ein lang­weiliges Produkt aus den Anfangstagen der Filmproduktion, ein antikes Liebesdrama, über das unsere Großväter gegähnt haben werden. Ein paar dekolletierte römische Sklavinnen, eine viel zu dezente Badeszene, der Rest könnte in jedem Priesterseminar gezeigt werden. Schweinerei so wat! Für 70 Franken! Man hat nur ein paar Flöhe mitgenommen und die Reue. In ganzen Kolonnen werden die Fremden in die.Apachenkneipen" des Montmartre ge­bracht. Ein paar stellenlose Theaterstatisten als Apachen k ostümiert, bevölkern das raucherfüllte Lokal, die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Kappe schief über der Sfirn, Weiber mit seidenbestrumpsten Waden, kurzen Röcken und auffordernden Hüsten. Man wagt sich an die Dingerchen nicht heran, der Führer warnt, denn die Burschen find gleich mit Mester und Brow­ning bei der Hand, sagt er. Lolita wirft einen schwärmerischen Blick auf einen kleinen Dicken aus Elsterwerda und der bleibt mit den Augen auf den Rundungen der niedlichenApachin" hängen. Plötzlich kracht ein Schuß. Wüster Lärm.

Einer Engländerin fällt das falsche Gebiß aus dem Munde, die Gäste stürzen zum Ausgang, Tische und Stühle umwerfend. Der Führer be­ruhigt die Herrschaften. Manchem fehlt die Brieftasche. Die Polizei? Gott behüte, die darf nichts von der Schießerei erfahren, sonst werden allesamt eingelocht. Die Gäste haben ihreSen- ätion" und find sie wieder abgefahren, so er» hält jeder derApachen" 5 Franken Gage pro Austritt. Die nächste Exkursion kann beginnen. Charles hat ein Montmartreatelier ge­mietet und gibt sich als Maler. Ein paar Skiz« zen hängen da an den grauen Wänden, mit Pinsel und Palette in der Hand empfängt er die Fremden, die ein Freund Benjamin durch das Künstlerviertel des Montmartre führt. Engländer, Deutsche , Holländer. Man sieht di­berühmten Bohemiens an Ort und Stelle be­wundern. Für Junggesellen oder Strohwitwer ist Ivette da(vom Cafö Lune) und spielt in splitternackigem Zustand das Modell(für 2 Franken die Stunde). Charles will nicht mehr riskieren, weil sie ohnehin dabei gute Geschäft« macht. Peinliche Erlebnisse kann man haben, wenn man nicht die Augen offen hält. Da lehnt sich ein alleinstehender, kokainblaster junger Mann an Eduard und versucht den verehrten Fremdling zum Besuch eine» intereffanten Klub» zu nötigen. Da Eduard entschieden dankt, fängt der Puppenjunge in unverfälschtem Berlinerisch mit der Polizei zu drohen an:Sie Schwein, haben mir einen unsittlichen Antrag gestellt! Si« haben mich unzüchtig berührt! Kommen Sie zum Polizisten mit!" Er nimmt schließlich 100 Franken Schweigegeld, der Volksgenosse au» Berlin . Mancher unternehmungslustige Welten* bummler wurde während eine» Schäferstünd­chen» vomGatten" seiner Partnerin über­rascht und konnte dieSchande" nur mit klin­gender Münze gutmachen, so mancher wurde bi» auf di« Haut leergeplündert. Die Opfer haben den Trost, Gaunern aufgeseffen zu sein, die weltmännische Eleganz mit Geist verbinden. Ein schwacher Trost, aber immerhin ein Trost.

Heiteres

'n Tag, Schröder! Ulkig, jedesmal, wenn ich Sie sehe, muß ich an Müller denken." Wieso, mit dem hab ich doch aber auch gar nichts gemeinsam?"Hm, ja von dem be­komme ich meine 23 Mark auch nicht wieder." Na, wiffen Sie, der Geiger in diesem Lokal spielt ja jeden Tag schlechter, aber heute spielt er wirklich wie llebermorgenl" Sie:Sie haben einen schlechten Charakter! Wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihnen Gift geben!" Er:Wenn Sie weine Frau wären, würde ich es trinken!" Sie:Vater steut fich, daß du Schriftsteller bist." Er:Wieso? Hat er literarische Inter­esten?" Sie:Das nicht gerade. Aber mein letzter Freund, den er rausschmeitzen wollte, war Boxer." Richter:Und warum sollen Ihnen mil­dernde Umstände zugebilligt werden? E» ist doch nicht einmal Ihr erstes Vergehen!" Angeklag­ter:Gewiß, aber es ist der erste Prozeß, den mein Verteidiger führt!?