BUNTE WELT
Mr. 6
Unterhaltungsbeilage
1935
Die Tränen der Madonna
Keinen verschont die Krise. Sie zieht über fernste Meere, sie steigt auf höchste Berge, sie nistet in den Tälern und Wäldern; immer dort, wo es menschliche Ansiedlungen gibt; wo Men schen zu leben versuchen vom Ertrag ihrer Arbeit. Und wo sie leiden müssen, wenn man ihnen die Möglichkeit zu arbeiten nimmt.
Bon Grete Livius
der mit dem Laszlo zusammenzukommen. Ein Problem, das dieser sehr einfach löste, indem er die Maruška vom Fleck weg heiratete. Nun mußte der dicke Pfarrer die beiden sogar noch eigenhändig tranen. Ja, ja, so wird Gott vom Menschen überlistet!
dem Pfarrer ihre Sünden. Ihre Kleinen Herzensgeschichten, ihre fleinen Betrügereien und Dies bereien, ihr Familiengezänt, ihren Klatsch, ihren Tratsch. Der Pfarrer saß im Beichtstuhl, did, wohlgenährt, die Soutane nicht ganz sauber, sondern schon ein bißchen verstaubt und ramponiert, hörte sich das alles, weil bereits zu oft Es gab da ein kleines Dorf in Karpathos vernommen, mit leisem Gähnen an und hatte rußland . Ganz in der Nähe von Jasina, dem mitunter Mühe, dabei nicht einzuschlafen. von Sommerfrischlern und Wintersportlern sehr Manchmal, besonders an heißen Sommertagen, geschätzten Kurort. Es liegt zivischen zwei Ber- fielen ihm wirklich die Augen zu, und dann gegen, ein jeder über 2000 Meter hoch, die Gipfel schah es nachher, daß er oft sehr merkwürdige bedeckt von ewigem Schnee. Karg ist die Land- Bußstrafen verhängte. So brauchte die Ilona schaft. Sie kennt feine grünen Wiesen, üppige für ihren Ehebruch nur einen Rosenkranz zu Weidepläge für fettes Vieh. Keine goldenen beten, und sie dachte frohlockend bei sich, das sei Getreidefelder sich übersättigt biegender schwerer er wohl wert gewesen. Hingegen mußte die reifer Halme. Keine Gärten voller Obstbäume, arme Maruška, jung, unvermählt, die nichts bas Nauschen und Duften der vollentfalteten weiter getan hatte, als nach dem Tanz mit ihrem Natur. Der Boden ist steinig, gibt nur wider- Burschen noch ein wenig spazieren zu gehen, willig das Notdürftigste. Verfallen sind die Hüte züchtig in allen Ehren ztvölf Rosenkränze beten, ten der Bauern, das Vich mager, ungeglättet. zehn Ave Maria sagen und einen ganzen WoHart und verkniffen sind die Gesichter der Dorfchenlohn der nimmersatten Kirche opfern. Außerbeiwohner. Das zähe Ringen um jenes Bißchen, dem berbot ihr der Pfarrer streng, jemals wie was zu des Lebens Notdurft gehört, hat sie so gefaltet. Bigott blicken die Augen der Frauen, die ganz gefangen sind in den Fallstriden der Kirche. Zwischen ihren zwei Bergen leben die Menschen und kommen selten hinüber. Reist einer in die Städte, nach Mukačevo , Uzhorod, Chůst oder bringt im Sommer Beeren und Pilze nach Jasina, zum Verkauf an die Kurgäste, so ist dies ein Ereignis, von dem man lange spricht. Aufklärung und Hygiene, Kultur und Bildung, das Wissen um die Erlösung durch sozialistisches Denken niemand weiß etivas davon im Dorf stvischen den zwei Bergen. Nur der Aberglauben, vor Jahrhunderten eingezogen, haust noch heute dort. Und der Glauben. Die Kirche hat es verstanden, über die Berge zu steigen. Es gibt zwei Kapellen in dem armen Dorf. Einen Pfarrer, einen Kirchdiener, Mesner und Chor Inaben. Der Pfarrer hält sich an die Seelen der Frauen und Kinder, die Männer machen mit, benken, es muß so sein, schließlich, schaden, so meinen fie, fann es sicher nicht, wenn man in die Kirche geht. Alle vierzehn Tage wird Beichte abgelegt, und es macht sich sehr hübsch, wenn so eine gebirgsblonde Maruška im Rauschen ihrer zahllosen Feiertagsröcke, die Taille gold- und buntbestidt, eine weiße Schürze glänzend und im Winde wehend, zur Kapelle schreitet und ihre Meinen Sünden Gott befiehlt. Bum Beispiel Maruška: daß sie am letzten Sonntag abends nach dem Tanz mit Làszlo noch einen Spaziers gang über die Felder machte. Nun ja. Und Flona, das Weib des Bauern Janka meint, sie sei noch viel zu frisch und unverbraucht, um auf die Liebe ganz verzichten zu können. Der Janka, früh gealtert, tauge nicht mehr fürs Bett. Hin gegen ihr Knecht Milan bei der Madonna, sie habe seinen Anträgen widerstehen wollen. Aber dann dann sei sie doch schwach geworden. So tamen seit Jahren die Bewohner des Dorfes zwischen den zwei Bergen und beichteten
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Doch in der letzten Zeit hatte sich dies alles geändert. Familiengezänt und Liebesgeschichten traten in den Hintergrund. Dagegen flagten die Bauern über ihre Not. Die Frauen jammerten, daß ihnen ihrer geschickten Hände Arbeit nies mand mehr ablaufe. Sonst hatten sie genug zu tun gehabt. War das Antesen versorgt, das jüngste Kind gestillt, so saßen sie jede vor ihrer Tür, Haus bei Haus, die ganze Dorfstraße ents lang und arbeiteten an funstvollen Stickereien, deren Muster ihnen feit Generationen vertraut waren und die man stets treulich dem nachfolgenden Geschlecht überlieferte. Oder flocht aus buntgefärbtem Stroh allerlei: Körbe, Schalen, Pantoffeln, Matten. Die schönen Stidereien, dem Orient nachgeahmt und doch auf besondere Art eigene, gleichsam bodenständige Produkte, die geflochtenen Dinge, wurden den Händlern in Mukačevo und Užhorod verkauft. Von dort gingen sie weiter über das ganze Land. Bis in die Hauptstadt Prag . Der Händler zahlte den Frauen einen lächerlichen Preis. Aber die Masse machte es. Denn die Aufnahmefähigkeit schien grenzenlos. Bis die Krise tam. Durch den Händler hörten die Bauern zum erstenmal dies ses ihnen bisher völlig fremde Wort. Aber sie verstanden seinen Sinn sehr schnell. Denn es bedeutete für sie: Not, Hunger, Elend. Genau wie für die anderen. Die Leute in den großen Städten hatten kein Geld mehr für Ueberflüs siges. Die Stickereien in ihrem bunten fremden Glanz gefielen zwar immer noch. Man betrach tete diese zarten und derben Gebilde nach wie vor bewundernd, doch man faufte nichts. Die stark reduzierten Löhne und Gehälter wurden
für das Aller- Allerunentbehrlichste gebraucht. Dazu gehörten die Arbeiten der karpathorussi schen Bauern nicht. Die Stickereien und strohe geflochtenen Sachen häuften sich in den Hütten der Dorfbewohner. Schließlich sah man ein, es war überflüssig geworden sie herzustellen. Die Grauen legten die Nadel fort, blaß, mit zusam mengepreßten Lippen. Jetzt saßen sie ohne Ars beit vor ihren Häusern, starrten vor sich hin oder gingen eine zur anderen, sich gegenseitig ihren Jammer klagend. Oft mehr mit einer müden Geste als mit Worten. Denn sie waren nicht sehr redselig, die Bauern zwischen den zwei Bergen.
Oder sie gingen zum Pfarrer. Kniend, vor dem Beichtstuhl, löste sich ihr stummer Schmerz. Das schon magere, dürftige Vich ginge ein, weil es an Geld zum Futtereinkauf fehle. Was das steinige Land hervorbringe, reiche nur zum Strepieren. Das bißchen Feld und Grün, dem fünstlicher Dünger nachhelfen müsse, verdorre. Man mache Schulden, könne die Zinsen nicht bezahlen, zum erstenmal seien neulich Pfän dungsbeamte in das Dorf hinuntergestiegen. Ach- es gab nicht viel zu holen. Der Pfarrer sagte: Betet! Es wurden Prozessionen veran staltet. Gott wurde angerufen in stummer und lauter Qual. Sie zogen über ihre dünnen Fel der in Feiertagstracht, die Frauen voller Bunte gesticktem, die Männer mit Bändern am Hut. Die Kinder trugen das Muttergottesbild in den Händen und beteten, beteten. Doch die Krise wich nicht. Sie war mächtiger als Gott.
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Auch der Pfarrer spürte sie. Denn es fas men keine Gaben mehr ein für seinen Sprengel. Die Frauen der Bauern brachten ihm keine fetten Gänse mehr, zur Sühne für ihre Wollust. Im Beutel des Mesners flirrten am Sonntag nur wenige Kupfermünzen, immer sel tener wurden der Madonna Kerzen geweiht. Der Hunger ging durch das Dorf.
War es da wirklich ein Wunder, als eines Tages das Erstaunliche geschah? Oder schien es nicht vielmehr ein Innig- Selbstverständliches, ein Erbarmend- Teilnahmsvolles am Leid der Bauern? Der kleine Midy, sieben Jahre alt und Sohn des Bauern Joan, entdeckte es zuerst. Auf dem Heimweg der Schule, weit im nächsten Dorf, war er an einem Winternachmittag in starken Schneefall geraten. Der Junge flüchtete zur Kirche, die im eisig- bläulichen Schimmer des sterbenden Lichts dalag. Sturmwind pfiff um die kleine Kapelle, an den bemalten Fenster scheiben bildeten sich Eiskristalle, es inackte und prasselte gefährlich. Aengstlich stürzte der Knabe zum Altar und fiel vor dem Bild der Mutter Gottes nieder. In gläubigem Gebet, wie man es gelernt, faltete das Kind die Hände. Es hob den Blick zuerst voll Andacht, dann aber bliebent die Augen des Siebenjährigen mit unverhohlener Neugier auf dem Antlitz der Jungfrau Maria haften. Denn dort geschah das Seltsame, Noche niedagewesene: die Madonna weinte. Ueber iss