BUNTE W 9tr. 9 Unieröaltnnftdbeilage
Ernst Friedrichsen war nur ein kleiner Angestellter der großen Firma Wittner& Co., Textilwaren. Er war eine jener anonymen Naturen, die im jahrzehntelangen Dienst sich fremden Interessen so völlig assimilieren, dass sie nur willenlose Rädchen im verwirrenden Getriebe des Unternehmens werden. In der Atmosphäre seines schmalen, dumpfen Bürozimmrrs, in dem eS stets ein wenig nach Moder und Schweiß roch, leibte er; hier fühlte er sich verwurzelt, hier klammerte er sich an mit jenem Rest von Leidenschaft, der ihm in der Dürre seines farblosen Lebens noch geblieben war. Di« große, blinkende Schere, di« Rechnungen, das Lineal, selbst die Reißzwecken, die er im rechten Schubfach liegen hatte—, all diese Kleinigkeiten seiner armseligen bürokratischen Existenz waren Dinge, an denen er hing, die ihm vertraut waren, mit denen es umging, als wären eS Menschen aus Fleisch und Blut—. Sein Gehalt war knapp, in den letzten Jahren war eS noch beschnitten worden.„Lieber Friedrichsen“ hatte der Personalchef achselzuckend gesagt und dem leicht gebückt vor ihm stehenden Angestellten gönnerhaft auf die Schulter geklopft,„wir wissen ja, daß Sie fleißig und interessiert sind. Aber es geht nicht. Wir müssen uns alle einschränken und Opfer bringen—l Direktor Lux hat jetzt sogar sein zweites Dienstmädchen abgeschafft—. Ich weiß, daß Sie Verständnis dafür haben werden! Ihre Berbundeicheit mit unserem Werk liegt auf höherer Eben« al- auf der von Arbeit Und Lohn!" Ja, das hatte der Personalchef gesagt und ihm, dem kleinen Angestellten Ernst Friedrichsen, sogar die Hand geschüttelt. Ganz beklommen, aber zutiefst beglückt stand Friedrichsen da, als der Personalchef gegangen war.„Verbundenheit" murmelte er und in seine glanz losen, immer«Noas demütigen Augen kam ein feuchter Schimmer,„ja, das ist das richtige Wort". Und dies« Verbundenheit war in der Tat so groß, daß er di« zehn Prozent, di« man ihm am Monatsende abzog, überhaupt nicht be- merfte——. Ernst Friedrichsen war päpstlicher als der Papst. Er verfügte über jene hysterische Anhänglichkeit an etwas, das ihm nicht gehörte, die immer tragisch wirkt Und auch etwa- lächerlich. Während die Direktoren von Wittn«r& Co. Wittner& Co. sein ließen und sich in Monte Carlo wintersportlich amüsierten, wütete Ernst Friedrichsen förmlich in Ueberstunden... Am Morgen stand er um fünf Ahr auf,' weil er zu unruhig war, um die ihm zur Verfügung sichende Freizeit voll auSzunützen. Auf keinen Fall wollte er'zu spät kommen. Kleine Irrtümer anderer Angestellter konnten ihn in schreckliche Erregung versetzen, gr- schästlich« Fehlschläge verursachten ihm lebensgefährliches Herzklopfen und in seiner Arlaubs- zeit blieb er stets daheim...
Zwar schämte er sich, in diesen Urlaubstagen während der Arbeitszeit inS Büro zu kommen; aber am Abend, wenn die Jalousien längst heruntergelassen waren, schlich Friedrichsen, der einen Schlüssel zum Haus besaß, in sein geliebtes schmales Zimmer, in dem eS stets nach Moder und Schweiß roch. Dort"saß er nun bis in die tiefe Nacht, über Zahlenkolonnen, Geschäftsbriefe und Preisberechnungen gebeugt und fühlte sich glücklich und geborgen..-. Ein privates Daheim kaiinte Ernst Friedrichsen nicht mehr. Wenn er ins Freie trat, wenn ihm der Wind des wirklichen Lebens um die Ohren pfiff, krümmte er sich zusammen, sein hageres Gesicht versteinerte sich—, tot war er gegen alle Eindrücke der Umwelt. Früher, sehr viel früher hatte Ernst Friedrichsen eine Zeitlang versucht, auch so etwas wie ein privates Leben zu führen. Es war ihm nicht recht gelungen. Seine Ehe blieb kirwerlos, seine Frau, ein mürrisches, zänkisches, stets besorgtes Wesen, trennte sich nach vier Jahren von ihm. So stand er wieder ganz allein und flüchtete in die magere Welt seiner Zahlenkolonnen und Geschäftsbriefe, in der er seit nun IS Jahren zu Hause war.... Im öden Gleichmaß dieser arbeitsüberfüll- ten Tage wäre wahrscheinlich, auch das anonyme Dasein Ernst Friedrichsens zu Ende gegangen, wenn ihn nicht ein Zwischenfall, ein ungeheuerlicher, alles zunichtemachender Zwischenfall aus der Bahn getvorfen hätte——. Ein Leben, dessen sinnlose Zweckhaftigkeit ebenso hoffnungslos wie gesichert schien, ein Leben, das sich nach der Uhr des Bürohauses mechanisch von selbst regelte, wurde plötzlich in den Mittelpunkt eines tragischen Konfliktes gestellt, eines Konfliktes, der eS auseinandcrbrach, ohne es seinen scheinbar abgezirkelten Kreislauf vollenden zu lassen. Der Zufall, stets tückisch und unberechenbar, wollte es, daß der Kassier just an jenem Tag krank im Bette liegen mußte, als die 256.000 Kö Lohngelder abgeholt werden sollten. Das Beheben von Geld war Bertrauenssach«..- Es war selbstverständlich, daß, wenn der Kassier ausfiel, nur Ernst Friedrichsen für das Abholen der Summe in Frage kam. Der Weg war nicht weit; bis zur nächsten Zweigstelle der O.-Bank waren es keine sieben Minuten... Friedrichsen zog sich Gummischuhe und Mantel an, warf noch einmal einen lastzen, zärtlichen Blick auf den Schreibtisch, die blanke Schere, den Swß der zum Glück noch unerledigten Akten— welch' reizvolle Möglichkeiten für neue Ueberstunden — nahm«ine Mappe und ging——, Was nun kommt, scheint spukhaft, aber schicksalsbedingt. Ernst Friedrichsen erschien nach knapp sieben Minuten am Schalter der Bank,
erhielt das Geld, ging zurück und wurde plötzlich in der Borhalle des Bürohauses, von einer entsetzlichen Ahnung gepackt. In panischem Schrecken riß er die Aktentasche auf, durchwühlte sie mit fiebrig zitternden Händen, stüspte sie um, sie war leer—1 Totenbleich stand er da, die demütige» Augen hatten nun etwa» gläsernes, die Händ« griffen, als ob sie einen Halt suchten, in die Luft——. „Das Geld " schrie er mit einer Stimme/ die so schrill war wie die eines Tieres, das sich auf der Schlachtbank gegen das Messer des Heisters wehrt,„das Geld l! Bei allen Heiligen, es ist mir gestohlen worden—I Wie ein Gehetzter stürzte Friedrichsen zur Bank zurück. Dort bedauerte man höflich, aber entschieden, bedeutete dem wild Gestikulierenden, hemmungslos Schreienden, daß er das Geld vor dem Fortgehen in seine Aktentasche gesteckt hab« und daß in der Bank, angefangen vom Schalter, an dem die Auszahlung stattfand, bi» zur eisernen Gittertür das Geld auf keinen Fall verloren gegangen sei. Friedrichsen nahm diesen Bescheid entgegen wi« ein Ertrirstender, dem die erbarmungslosen Wellen die letzte rettende Planke aus den Händen spülen... Halb von Sinnen taumelte er ins Freie. Bon dieser Stunde an hörte man über zwei Tag« nichts von ihm■. Ins Büro war er nicht wieder zurückgekehrt, er blieb, wie vom Erdboden verschluckt, verschollen, Direkwr Lux nannte das Ganze ein« schmähliche Finte, Friedrichsen einen Defraudanten und versicherte immer wieder, wie sehr man sich in einem Menschen irren könne. Er hätte das, meinte er, gerade bei Friedrichsen nie für möglich gehalten. Außerdem er stattete er Strafanzeige gegen den Verschollenen. Einen halben Tag später fand man d«n entseelten Körper des Angestellten Ernst Friedrichsen, an einem alten vettvitterten Buchenbaum im Neustadtpark hängend... Man nahm ihn ab, die Aerzte beklopften den schon längst erkalteten Leichnam und stellten fest, daß Ernst Friedrichsen mindestens anderthalb Tage vor deur grausigen Fund freiwillig in den Tod gegangen sein müsse. Neben dem Toten fand man einen Brief, der an die„hochwohllöbliche Direktion" von Wittner& Co. gerichtet war. „Ich kann", so hieß es in dem Brief,„di« namenlose Schande nicht ertragen, die jetzt auf meinem Namen lastet. 19 Jahre habe ich der Firma treu gedient— und nun soll ich nicht nur ehrlos als Verbrecher gebrandmarkt, sondern auch für immer aus meinem Zimmer und von meinen Akten verbannt sein l Vor dem Zuchthaus hätte ich keine Angst, die Trennung von der Firma flößt mir namenloses Grau«»' ein——. Ich habe fahrlässig gehandelt——, ich sühn« e» durch meinen Tod. Vergeben Si« mir den Verlust der 256.000 Ai und glaube»