BUKTE WEIT
1935
ttnterOattuno^Mlaoe
3tr. 20
Die verüymte 9iuntmer Skizze von Grete Livius
.Bist du in guter Stimmung?" fragte Ja mes Brown . Er lehnte an der dünnen Wand der Zirkusgarderobe. Fast machte es den Eindruck, als ob sie nachgab unter seines plumpen, schweren Körpers wuchtiger Last. Olga Rasputina sah mit schnellem schrägen Blick aus ihren Manager. Dann gähnte sie. Müde.„Ich bin gar nicht in Stimmung. Ich habe überhaupt keine Lust mehr, das noch länger mitzumachen. Ich möchte—", sie verschränkte sitzend die Hände über den Knien, .nach Hause. Mer ich hgbe keins." Ihre Augen blickten stumpf ins Leere. James Brotvn fuhr auf..Goddam, was ist mit dir? Bist du besoffen? Oder zu nüchtern. Auch nicht gut. Wie sehen denn deine Augen aus. Kein Glanz, kein Feuer. Wieder mal ver- gessen, Belladonna eiuzuträufeln. Auch ein Kognak, könnte dir nichts schaden. Eine kleine Injektion. Ich hol dir die Morphiumspritze." Das Gesicht der Frau wurde weist.»Ich will nicht. Hörst du? Du ruinierst mich bewustt. Aber ich hab genug."—.Goddam, du Aas", James Brown schlug Olga Rasputina mit der Faust auf die Schulter, deren verblühendes Fleisch nackt aus dem grellroten Trikot hervorquoll,.weiht wohl nicht mehr, dast du mir 8000 Dollars schuldest. Womit willst du die abzahlen, wenn nicht mit deinem Namen? Mit deinem Körper würdest du es umsonst versuchen. D ich kann man nicht mal mehr auf den Strich schicken. Bist zu alt, liebe Olga." Die Frau schwieg. Sie hatte den Kopf gesenkt, Das grelle und zugleich trübe Licht der elektrischen Glühbirne über dem Schminktisch enthüllte unbarmherzig die grauen Fäden in ihrem schwarzen Haar. Brown sagte jetzt gelassen:„Also mach keine Menkenke. Sei vernünftig. Ich bring die Belladonna, Kognak und Morphium. Dann wird's schon gehen. Bedenke— der Zirkus ist ausverkauft. Die Leute sind von weither gekommen. Aus Texas , aus Oklahoma . Bis hierher. Bis nach Peru im Staate Indiana . Um dich zu sehen. Die berühmte Nummer. Zu der hab i ch dich gemacht. Also?" Olga Rasputina nickte. Ergeben. James Brown schritt zur Tür..In einer Minute bin ich wieder da." — Er hatte schon die Klinke in der Hand. .Augenblick", rief ihm Olga zu,»weistt du, ob Fedor Kalganoff im Zuschauerraum ist?"— „Weist nicht. Möglich. Wenn's dir Spaß macht, sehe ich nach."—.Ja, sieh nach." Der Manager James Brown ging. Olga Rasputina war allein. Sie löste die Hände von den Knien, stand langsam auf, trat vor den rahmenlose» Spiegel, der— primitiv an die kalkweiste Wand gelehnt— ihre Gestalt in Lebensgröste wiedergab. Er zeigte eine Fran von mittlerem Wuchs, deren Nacktheit da? grelle Trikot eher unterstrich als verhüllt«. An den Füßen trug die Rasputina rote Ledersandalen, mit Straststeinen besetzt. Strastspangen umschlossen ihre Arme, deren Haut ebensowenig straff war, wie die ihrer kleinen welkenden Brüste. Um den Hals der Zirkusdompteuse Olga Raspu
tina schlang sich eine^schwere goldene Kette. Dies« Kette war echt. Auch das griechische Kreuz, das daran hing mit funkelnden Amethysten. Die Frau war einmal schön gewesen. Noch liest sich der beginnende Verfall durch das Trikot, durch glitzernde Steine, Schminke, Puder und Farbstifte verbergen. Wie lange noch? Olga Rasputina zählte vierzig Jahre. Sie seufzte. Sie griff von neuem zu den Schminktöpfen, ergänzte hie und da ein wenig Rouge, zog die Linie des schmalen, gutgezeichneten Mundes orangefarben nach. James Brown trat ein. Ohne anzuklopfen. Er fühlte sich hier als unumschränkter Herr. „Da—" er stellte alles vor sie hin. Ein Gläschen Kognak,«ine Ampulle Morphium, eine Fritze, ein Fläschchen Belladonna.„Im übrigen — dein verrückter Maler ist da. Bist du nun beruhigt?" Olga nickte.„Mir ist leichter. Wieviel Zeit hab ich noch bis zum Auftritt?" James Brown sah nach seiner Armbanduhr.„Zwanzig Minuten. Genug, um dich zu restaurieren."— „Wie sind die Tiere?"— All right. Mit Fleisch und Kokain gefüttert. Brauchst keine Angst zu haben."—„Ich hab' aber Angst. Immer wieder. Jeden Abend."—„Sei still—". James Brown schrie, hob die Hand.„Nein, nein. Nicht schlagen." Olga Rasputina wich zurück, bläh. „In fünfzehn Minuten am Eingang zur Manege. Ich sehe mir inzwischen die. sechs Motor- sisters an. Die Dolly, die Fünfzehnjährige, Schenkel hat sie— süst, zum Reinbeisten." Ein verächtlicher Blick streifte Olga Rasputina. Ja mes Brown konnte es nicht mehr begreifen, was er einst an ihr gefunden hatte. Es war schon lange her. Der Zirkus von Peru im Staat« Indiana der Vereinigten Staaten bestand aus einer roh zusammengehauenen Bretterbude. Auf Holzbänken saßen die paar hundert Zuschauer, gekommen hauptsächlich, um Olga Rasputina zu sehen. Angekündigt als Bändigerin von sechs wilden himalayischen Bären, angeköndigt als Tochter des zaristischen Wundermönchs, ange- kündigt als die„berühmte Nummer", vor deren Glanz alle anderen Sterne des Bariett- und Zirkushimmels verblahten.(Auch wenn diese ihre Namen durch noch so langjährige disziplinierte Arbeit erworben haben.) DaS Publikum im Zirkus von Peru bestand zum größten Teil aus Kleinbürgern oder Arbeitern von den Goldfeldern, den Eisenbahnstrecken, aus den.Baumwollgebieten und den Häfen. Bei den Darbietungen asten die Leute Orangen und warfen deren zerschnittene Schalen achtlos hinter sich. Oder sie tranken Schnaps unter Umgehung des Glases, gleich aus der Flasch«. Ihre Frauen und Mädchen trugen bunte Kleider und zeigten zum Teil wild bemalte Gesichter. Ein paar Kinder hatte man auch eingeschmuggelt. Sie sahen mit bewuudernd-veräng- stigten Blicken in die Manege, in der Elowus Staub austvirbelten, Kunstreiterinnen Halsbrecherisches bollführten und mit ihren straffen
Gliedern das Blut der Männer entzündeten. Die Luft war Heist von Staub und Ausdünstungen, es roch nach Alkohol und dem schweren Dunst der Arena. Mitten unter diesen Arbeitern und Kleinbürgern von Peru , den paar illustren Gästen, Parvenüs aus Texas und Oklahoma , hergekommen in feudalen Fords, fast der Maler Fedor Kalganoff. Hätte man sagen können, wie alt er sei? Schwer. Seine funkelnden dunklen Augen waren Heist und jung, doch müde, alt und skeptisch verliefen di« Linien des dünnen Mundes. Grau hing ihm das Haar, langsträhnig um den Kopf. In seinem Gesicht gab eS unzählige Falten. Er war eher klein als grast, von zarter, leicht gebeugter Gestalt. Schmale unruhige, sehr gepflegte Hände, gepflegter als alles andere, Wäsche, Anzug, die schwarze Pelerine und der zerbeulte Hut, hielten Skizzenbuch und Bleistift. Das war der ehemalige Liebling des letzten russischen Zaren, das war der einst so berühmte Maler Fedor Kalganoff. Vom Petersburger Hof bis nach Peru im Staate Indiana — das ist ein weiter Weg. Fedor Kalganoff hat etwas erlebt. Er kann euch etwas erzählen. Doch so ohne weiteres tut er es' nicht. Man must ihm ein« kleine Karaffe mit eisgekühlter Wodka hinstellrn, dazu etwas rosenfarbenen Wolgalachs und WeiMrot, dann ißt und trinkt er. Besonders das letztere. Und— so nach dem fünften, sechsten Wodka erzählt er. Hört zu, wenn Fedor Kalganoff redet. Es lohnt sich. Also: er war der Liebling des Zaren. In vielen Schlössern schuf er ihm Decken- und Wandgemälde, besonders Jagdmotive, die der Zar so gern mochte. Dann kam der Oktober. Und es war aus mit Schlössern, Jagden und Malen. Auch mit dem Zaren. Was sollte ein Fedor Kalganoff da anfängen?„Trotzki sagte nur:„Hören Sie auf, Ihre Schinken zu kleistern. Malen Sie etwas Anständiges. Motive aus der Revolution!" Ich versuchte es. Ich— konnte nicht. Da ging ich fort. Zuerst nach Deutschland . Rach Berlin . Es liest sich dort gut leben. Mer es liest sich kein Geld verdienen- Man machte sich auch da über meine Art zu malen lustig. Ich war unmodern geworden. Schließ« lich geriet ich in eine sonderbare Gesellschaft, ehemalige Priester, Mönche, Bankiers, Kaufleute, Hochstapler von Berufs wegen. Sie kamen auf die Idee, falsche Rubel herzustellen, um die neue russische Währung zu diskredstieren. Ich erhielt den Auftrag, Zeichnungen zu den Falsifikaten zu entwerfen. Ich— nahm ihn an. Die Sach« endete damit, dast wir alle ins Gefängnis kamen. Im Gefängnis war man nicht schlecht zu mir. Ich durfte sogar eine für die Gefangenen neu erbaute Kapelle ausmalen. Man war so zufrieden mit meiner Arbeit, dast mir der Rest der Strafe erlassen wurde. Aber jetzt hatte ich genug von Berlin . Ich fuhr nach Paris . Hier traf ich Olga Rasputina. Ich hatte sie schon in Ruß land gekannt. Ms junges Mädchen. Wie schön sie gewesen war. Mit ihrer bronzefarbenen Haut