BUNTE WELT

Nr. 26

Enterhaltungsbeilage

Vor 7000 Jahren

Auf den Spuren der frühesten Kultur

Die Ausgrabungen auf Malta  Im Jahre 1924 tat die von der italieni­schen Regierung auf die Insel Malta   entsandte archäologische Forschungskommission den ersten Spatenstich auf der Suche nach Spuren und Denkmälern einer uralten Zivilisation. Leiter der Kommission war Luigi M. Ugolini  , ein ganz junger italienischer Archäologe, der sich be­reits durch seine Forschungen in Albanien   einen Namen gemacht hatte. Jahrelang gruben die Italiener auf Malta   und ie weiter die wissen­schaftliche Expedition in das Inselgebiet vor­drang, desto erstaunlicher wurden die Funde: Batten, Skulpturen, Gefäße, Prunfgegenstände. Anfangs vermutete Professor Ugolini Spuren einer früheren Bronzeperiode gefunden zu haben, es dauerte vier Jahre, ehe er mit un­zweifelhafter Gewißheit feststellen konnte, daß das, was er entdeckt hatte, Produkte einer weit früheren Steinzeit waren. Die Ausgrabungen find nun beendet und in furzer Zeit wird Pro­fessor Ugolini, der mittlerweile wieder nach Italien   zurückgekehrt ist, die Resultate seiner Expedition veröffentlichen. Sie ändern die bis­herige Auffassung über die Anfänge der mensch­lichen Kultur wesentlich; sie eröffnen ganz neue Perspektiven über die soziale, wissenschaftliche und fünstlerische Vergangenheit der Menschheit. Ehe die Forschungsergebnisse offiziell veröffent licht werden, war Professor Ugolini so liebens­würdig, einige Aufschlüsse über seine Entdeckun­

gen zu geben.

Siebentausend oder

nirgends gefunden wurden. Riesige Tempel­bauten wurden bloßzgelegt. Sie sind alle in der Form von Ringen gebaut, ihr Eingang war in der Mitte und sonderbarerweise gab es nur bis zum ersten Schiff der dreiteiligen Tempel einen Bugang. Das zweite und dritte Schiff war durch ungeheure Steine versperrt, so daß es unverständlich ist, wie diese Teile betreten wur­den und welchen Zwecken sie gedient haben. Gigantia, Tarsen, Mnaidra und Hagiar sind unsere wichtigsten Fundorte. Bei Hal Salfieni fanden wir einen riesigen unterirdischen Tempel mit einer ungeheuren Anzahl von Geräten, Ton­gefäßen, Skulpturen und ornamentalen Gegen ständen. Es ist unbegreiflich, wie die Männer der Steinzeit die 18 Tonnen schweren Stein blöcke auf eine Entfernung von zehn, oft zivan­zig Kilometern zum Bau herbeischleppen konn ten. Die riesigen Felsblöcke aufzustellen und zu meißeln, daß sie genau aufeinanderpassen, ist selbst heute eine große Aufgabe für einen ge­schulten Ingenieur. All das brachten die Män ner der Steinzeit mit ihren primitiven Instrus menten zustande.

Die Skulpturen und Gefäße, die wir im Inneren der Tempel und Paläste fanden, find aus Kalkstein oder Ton angefertigt. Die Sta­tuen, die wir fanden, stellen nur zum Teil nackte Menschen dar. Auf anderen sind die Figuren, deren Geschlecht nicht festzustellen ist, bekleidet. Folglich trugen die Menschen der Steinzeit Kleider, und zivar, wie wir ebenfalls an Hand der Skulpturen feststellten, kompli­zierte und reich verzierte Kleider. Wir fanden zehntausend Jahre? einen Torfo, die prähistorische Venus", die Es ist unmöglich, genau festzustellen, wie bon so überlegenen anatomischen Kenntnissen, alt die von uns geförderten Denkmäler aus der einer derart künstlerischen Ausdrucksfähigkeit Steinzeit sein mögen", erklärte Professor Ugo- zeugt, daß sie die Arbeit eines unerhört begab­Tini. ,, Es ist möglich, daß sie fünftausend Jahre ten Künstlers, eines Pragiteles ode: Michelan alt sind, aber ebensogut können sie sieben- oder gelo der Steinzeit sein muß. Ein Teil der zehntausend Jahre alt sein. Eines jedoch ist Skulpturen stellt Tiere dar: Ziegen, Schweine ficher: nirgends sind zusammenhängende Spuren und Stiere. Die in den Tempeln aufgefundenen

einer älteren Kultur gefunden worden, als in Malta  . Schon früher einmal fand man Spuren aus der paläolithischen Periode: Zähne und Gebisse, die an das Gebiß des Neandertalers erinnerten. Meine Ausgrabungen stammen ohne Zweifel aus dem, dem Paläolithifum un­mittelbar folgenden Neolithikum.

Es sind die bisher allerältesten, bekannten Spuren, die auf eine hochentwickelte Kultur, auf ästhetischen Sinn, technische Kenntnisse und ein differenziertes Seelenleben schließen lassen. die bisher bekannten, frühen Bronze- und Kup­ferkulturen, wie jene von Kreta  , Mykenä   oder Troja, deuten auf eine weit weniger entwickelte Technik hin; es muß nach der Steinzeit irgend ein fürchterliches Ereignis die frühere Kultur weggefegt haben, so daß alles wieder neu er­rungen werden mußte.

Tempel und Götzen

Die Ausgrabungen auf Malta   haben Steins zeitbauten zutage gebracht, wie sie bisher noch

Altäre zeigen spiral ineinander gewundene Ornamente in der Art von Mäandern. An

einigen fanden wir Spuren von Malerei mit roter und weißer Farbe.

Es ist von größter Wichtigkeit, daß wir in einigen Tempeln Fragmente von ileinen Ton­modellen der Riefenbauten vorgefunden haben. Es scheint, daß die Urbewohner von Malta  , ebenso, wie die Aegypter ein Modell des ferti­gen Baus im Tempel unterbrachten. Aus den Ruinen der Tempel sowie aus den Resten der fleinen Modelle können wir haargenau fest­stellen, wie diese Tempel tatsächlich ausgesehen haben.

1935

Dünne. Je tiefer wir in die Erde drangen, unt so überraschender waren unsere Entdeckungen. Religion und soziale Ordnung

Wie mochte die soziale Struktur dieser Steinzeitmenschen gewesen sein? Wir wissen nichts davon, keinerlei Spuren sozialer Einrich tungen sind vorläufig aufzufinden geivesen. Von ihrer Religion jedoch können wir einiges erraten, denn wir fanden in den ausgegrabenen Tempeln Altäre und Gözenbilder. In ihrer Nähe entdeckten wir Tierstelette, Ziegen- und Kuhhörner. In fast allen Tempeln fanden wir eine akustische Einrichtung. Der Ton, welcher in der Nähe einer Mauer geflüstert wird, klingt geheimnisvoll vertieft und vielfach im Raume wieder. Es scheint, daß die Priester des Eteins zeit- Gößendienstes es wohl verstanden haben ihre Getreuen im Banne der Religion zu halten. Der Gläubige, der seine Opfertiere der Gotts heit darbrachte und sich vor dem Altar auf den Boden warf, hörte eigentümlich surrende, klin­gende Flüstertöne und glaubte, die Stimme der Gottheit zu vernehmen. Die zahllosen Wert­gegenstände, die in den Tempeln vorgefunden wurden, deuten darauf hin, daß die Getreuen der Gottheit kostbare Schäße darbrachten.

Im Klassischen Altertum sind unterirdische Höhlen, die die Priester zum Wahrsagen, Rat­geben und Annehmen von Geschenken benutzten, keine Seltenheit gewesen. Wenn uns auch die Religion der Steinzeit auf Malta   nicht in ihren Einzelheiten bekannt ist, können wir doch mit Sicherheit annehmen, daß sie der garnicht pri­mitive Glaube von Menschen war, die der Gott heit Opfer darbrachten und Priestern und Pro­pheten gehorchten. Auf einzelnen Tonstatuetten fanden wir übertriebene Geschwülste, Spuren

von Verlegungen oder Knochenkrankheiten.

Offenbar handelt es sich um Votivgaben an die Gottheit, wie sie bei den Primitiven auch heute noch dargebracht werden, um Genesung zu er­

flehen oder zum Dant nach erfolgter Genesung."

Die Wohnstätte des Steinzeit­menschen

In Tarscien fanden wir ein Modell von ganz besonderem Interesse: Der Grundriß eines Wohnhauses. Aus diesem Grundriß und aus den aufgefundenen Ruinen konnten wir feststellen, daß das Haus des Steinzeitmenschen tellerförmig gewesen sein muß. In der Mitte befand sich ein breiter Eingang. Er führte in ein Atrium. Von dort aus gelangte man in einen großen, zentralen Raum, an den sich meh Ich kann nicht genügend betonen, mit wel- rere kleine Räume anschlossen. Das Modell cher technischen Fähigkeit die Riesenbauten eben- sieht aus, als hätte man das altrömische und so wie die kleinsten Gebrauchsgegenstände ver- das altgriechische Haus zusammengebant. Es fertigt worden sind. Die Mauern der Tempel befindet sich darin das altrömische Atrium, sind bis auf den heutigen Tag kauna   zerstörbar; ebenfalls der große Mittelsaal, das von Homer  dagegen drehten die prähistorischen Töpfer Ton- so oft besungene Megaron. Bisher waren die gefäße von dreiviertel Meter im Durchmesser beiden Wohnhaustypen nur gesondert bekannt. mit einer Wand von kaum einem Zentimeter Die ,, Domus romana", der römische Häusertyp,