Nr. 11 Unterhaltungsbeilage 1936Jaromir John:Eine Beichte*>Ich mutz beichten, was für ein erbarmungsloser Kerl ich war... Urteilt gerecht,sonst komm ich um den Verstand. Mein Gedächtnis schwindet und es freut mich nichts.Gleich als ich von der Klinik kam, hat manmich wegen Desertion und Trunksucht einge-sperrt.Trink ich eine Viertelstunde, so sehe ichBerge... Wohin ich schaue, schneebedeckte hoheBerge... wie in Albanien, ein Schauder packteinen; nach einer halben Stunde... werdensie schon kleiner, die Ludern... klein, wie ausder Ferne gesehen. Ich fürchte mich nicht mehrund denke mir:„-Kinderchen, lebt wohl!" Ichstelle mir vor, daß ich im Zuge von ihnen weg«fahre. Rach einer Stunde... sind es Hügel geworden, unschuldig und lick', daß man sie streicheln möchte; Gras und Gesträuch ist darauf,Nalder, Forsthäuser. Und zuletzt— da brenntmir schon der Kopf— sehe ich eine wunderschöneEbene, unabsehbar, ohne Ende, Rüben- undGetreidefelder wie Stücke Tuch, Wiesen wieBillards, Dörfer wie aus Zuckerwerk und prächtige Städte; von Türmen und Häusern wehenFahnen.Ich sehe dieses Menschenwerk— bin selbstein Mensch, einer aus der Masse— ach, dannist mir wohl..."Niemand wird mich je wieder in die Bergebekommen, solange ich lebe.Nach dem Typhus in Albanien sind mirdie Beine bis zum Knochen ckbgemagert und abgestorben.Jetzt kann ich wieder gut gehen. Elektrizität und Massage haben mir geholfen.Nur der Kopf— der KöpftIch denke ineinemfort über jene? Unglücknach und sehe ineinemfort die armen Teufel,die ich ums Leben gebracht habe... Amschlinunften ist eS, wenn in der Stacht der Windbraust und im Ofen heult:„Hu— hu... sieholen dicht..Gerade heute geht's mir schlecht.Ich weiß nicht, wen ich bitten soll, miralles richtig zu erklären. Irge ndjemandmuß das doch verstehen. Ich habe anden Professor geglaubt, er hat mich untersucht,hat gesehen, wie ich tobte, weinte, mit dem Kopfgegen die Wand schlug, alles wegen dieser WienSerben, dieser armen Teufel— zwölf warenes, wie die heiligen Apostel.AlS ich ihm alles erzählt hatte— es wurdeja zur Erinnerung an fstenographiert— undich ihn mit gerungenen Händen bat, mich davonzu befreien— da lachte er.Gott weiß, woran er dachte. Damals begriff ich, daß er mir nicht helfen wird und daßeigentlich alles zum Lachen ist.Es kommt vor, daß ich vergesse, bei derArbeit, beim Rapport, oder wenn meine Fraumit der Kleinen zu Besuch kommt.Aber sie fahren wieder weg und ich binwieder in dieser Stille, ich spreche, weiß nicht*) Aus dem Novellenband„Abende aufdem Strohsack"— Soldaten erzählen ihreKriegSerlebnisse.was, ich tue meinen Dienst, führe die Patrouille,!alles tvie im Traum.Menschen, Wagen, Züge, Marode sehe ichwie im Biographen; um mich kann noch sogroßer Lärm sein, eS hilft nichts, ich bin inmitten der Stille. Ich höre die Stillerauschen.Jenda, mach das Taschentuch naß, derKopf will mir verbrennen...Damals... damals.., wurden wir ausMontenegro über Diakovo nach Albanien geschickt. Wir sollten mit der Gebirgsartillerie di«Serben verfolgen, gegen Durazzo zu.Aber Hunger und Elend trieben sie haufenweise ans den albanischen Bergen zurück undsie ergaben sich. Die Unseren ließen in denArnautendörfern nur eine Charge und zwei,drei Mann zurück, um Ordnung zu halten. Vielehunderte, tausende Serben liefen ihnen aus denBergen zu und bettelten um Brot.«.Die Unseren stellten sich ihnen in den Wegund riefen, wie die Serben herankamen:„Wirhaben nichts!... kein Brot dal... marschI. Belgrad!" Und sie wiesen nach Norden.Die Serben marschierten also nordwärts.Die Straßen wimmelten von ihren Haufen, ander Raska war bis Mitrovica kein Fußbreitfrei.Sie gingen sich selbst überlassen. Abendswaren sie auf den felsigen Anhöhen wie rostbraune Ameisen anzuschen; auf jedem Wiesenfleck Feuer an Feuer, überall beißender Rauch.Sie kletterten auf die Pappeln, rissen diefrischen Aeste ab, verbrannten die Weidensträucher, verbrachten die Nacht, und mn frühenMorgen— ging es heidi weiter... auf Bel-grad zu.-..Wenn wir in den albanischen Bergen bisauf den letzten Mann umgekommcn tvären, niemand würde je erfahren haben, wann, wo undwie wir diese jammervolle Welt verlassen hätten.Solange zwei Batterien zusammen marschierten, war eS noch gut.•Wege gab es nicht, mit den Saumtierengingen wir über Stock und Stein, watetendurch Wasser und Schnee, arbeiteten uns stundenlang durch Gestrüpp und Eichenholz durch.Die Pferde stürzten von den Felsen, wirivaren hoch oben, Schneegestöber gingen aufuns nieder, es war grimmig kalt, undschließlich wußten wir nicht, wo wir waren,wohin wir gingen. Wir schauten von oben aufdie Dörfer im Tal hinab— durch die Wolkenunter uns, aus denen es vielleicht schneite,während auf uns die Sonne schien'— wie einfalsches Geldstück.Wie oft standen wir an einem steilenKelsen, konnten weder hinauf noch hinunter.Der Oberleutnant sagte, das sei wie aufder Martinswand und es wäre gut, wem: einEngel käme, uns zu befreien. Wir aber meinten: Wenn nur ein Engel käme, uns zu sich zunehmen und uns für alle Zeit zu befreien.Einer von uns erklomm den Gipfel, besahsich die Situation, darauf verbanden wir denPferden die Augen und bekreuzten uns-..Zweimal ließen wir die Pferde an Seilenhinunter. Zuletzt hatten wir kein Stückchen richtigen Strickes mehr, nicht einmal einen LappenZelttuch, wir hatten daraus Putschen für di«Pferde gemacht, damit sie nicht auSglitten. ESgab nichts, worunter zu schlafen, aber es konnteohnehin keiner schlafen seit dem Tage, an demder Kanonier Foltanicki eingeschlafen und er«froren war.Viele Pferde erfroren. In Albanien durfteman den Bergbewohnern kein bißchen Heu wegnehmen außer gegen bar. Der Oberleunanthatte zwanzigtausend in Papiergeld bei sich,sie aber wollten Gold.Schade um die Pferd«, den Stolz derBatterie. Als wir von Prag abfuhren, warensie rund wie die Walzen.Was haben wir uns mit ihrer Pflege abgemüht! Sie fraßen Nadelstreu und kriegtenKolik. Oft und oft hab ich ihnen mit der Handin den Steiß gegriffen und sie so gerettet, jetztaber schoflen wir eins nach dem andern nieder.Die Pferde, die die Gebirgsgeschütze trugen,hatten eiserne Sättel mit Roßhaarunterlage,aber die armen Pferde, dir die Munition tragenmußten, di« waren Märtyrer. Unsäglich hattensie unter dem improvisierten Packsattel zu leiden, den ein Major in Wien ersonnen hatte.Er wollte beflere Sättel konstruieren als di«bosnischen! Was versteht denn auch so ein dummer bosnischer oder dalmatinischer Bauer, wenner«inen so wundervoll konstruierten und seitJahrhunderten erprobten Sattel aus seinemEsel hat? Wären bosnisch« Sättel zu haben gewesen, wir hätten sie mit Wonne genommen,nm di« Pferde zu schonen. Ich wünschte euchnicht, die Druckschäden zu sehen, groß wie einHut, mit kahler löcheriger Haut und Litern vonstinkendem Eite».- Immer und immer wiederhab« ich diese Wunden gereinigt, hab« die abgestorben« Haut mit der Scher« weggeschnitten;sie ließ sich ziehen wie Teig und eine gelbeFlüssigkeit quoll daraus hervor, und im lebendigen Fleisch waren tief« Löcher, in die ich karbolgetränkte Fetzen stopft«.Aber was half das alles? Die Pferd«magerten furchtbar ab, waren nur noch Hautund Knochen, bissen sich in den HalS, fraßet!Schnee, fraßen die Holztvolle ans den Polsterungen, so daß wir ihnen das bloße Holzgerüftdes Sattels auf das lebendige Fleisch, auf dieWunden auflegen mußten, und dann wurdeihnen ein Meterzentner avfgepackt— Kochoder Munitionskisten.Ach mein GottlFerdtk erfror, der Apfelschimmel, der sichlange gehalten hatte. Er toar das schönste Pferdder Batterie und trug ein Geschützrohr. EinesMorgens, als es tagte, stand ich vom Feuer aufund konnte keinen Schritt tun, so steif warenmir die Füße vor Kälte. Ferdik stand im Schnee,ungefähr zehn Schritt entfernt, auf einem sla-<ben Steinblock, die Beine gespreizt wie um zupissen.Ich warte— er rührt sich nicht.—• Ichpfeife ihm— wieder nichts.Ich schreie:„Ferda— la-la-la!" Er bewegt sich gar nicht.