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Sie setzte sich auf, fie warf di« Deck« fort. ES war dunkel, trüb brannten Wer den Gr- leisen gelblich und hoch ein paar Lampen. Dort stand noch der Zug. Eine Reihe von siebzehn Waggons, ohne Lokomotive, wie eine .Schlange ohne Kopf. Ein großer Fuß ist über den Zug hinweggeschritten und hatte sein Leben zertreten. Da stürmten die Gedanken durch Lings Kopf. Sie sah nicht mehr klar, ihre Blicke fieberten. Vielleicht ist er krank, dachte sie. Vielleicht ist er verwundet, hat eine Kugel sein Bein getroffen, er kann nicht mehr gehen. Ich habe ihn geboren, ich muß ihn suchen. Mit frierenden Fingern schob sie die schwere eiserne Tür des letzten Waggons zur Seite. Sie kletterte hinein, sie rief: Tengl Eine leere Kiste lag hier, ein Haufen Stroh. Sie wendete die Kiste um, durchwühlte das Stroh. Tengl Stille. Sie ließ sich zu Boden gleiten, öffnete den zweiten Waggon. Tengl Den dritten. Den vierten. Tengl Tengl Und als sie alle siebzehn Waggons durchsucht hatte, mit fiebernden Blicken, mit fiebernden Händen, kehrte sie zum letzten zurück und begann von neuem. Draußen schneite es. Sie fühlte ein kaltes, feuchtes, leichtes weißes Ding auf dem Rücken ihrer Hand und blickte auf. Weiße Tränen. Sie schloß die Augen. Nicht denken; suchen! Der Stationskomnmndant hob die Decke auf, die Ling zu Boden geworfen hatte- Sie ist nach Hause gegangen, dachte er. Arme Ling! Sie hat gehungert, seit der Sohn in den Krieg zog. Aber tausende hungern im Land, wie sie.. Gegen Mittag schiebt sich ein schwarzer, fauchender Drache an den erstorbenen Zug, Kettenglieder klirrten. Pfiffe gellten, dann rollt die Waggonreihe fort. Stunden, Stunden, einen Tag, eine Nacht. In Nan-Tsin, am Ufer des Meeres, hielt der Zug an. Zwanzigtausend Säcke Reis liegen
zur Verfrachtung bereit. Die Kulis rissen die' Türen auf und sprangen in die Waggon-. Sie warfen das Stroh, die Kisten, die Feldflaschen der Soldaten in den Schnee. Im letzten Waggon fanden ste Ling. Sie lag, die Hände in das Stroh verklanunert, das Gesicht nach unten, auf dem Boden. Ihre Finger waren erstarrt, fie schlief vor Erschöpfung. Die Kulis wanden ihren Körper um. Sie atmete schwach. Pie Kulis brachten Tee. Da schlug Ling die Augen auf, blickte um sich, stumm. Ein Kuli fragte fie, wer sie sei, woher sie komm«. Sie starrte ihn lange an, dann sagte sie:„Teng". Die Kulis kratzten sich den Kopf. Sie holten den Stationskonunandanten. Er ließ Ling in sein« Stube bringen. Dann trat er vor die Landkarte: Einen Hrt namens Teng gab es im ganzen Lande nicht. Die Frau des Stationskommandanten brachte Ling Effen und«inen Mantel. Ling zog den Mantel eng um sich, sie dankte mit einer Verneigung. Der Stationskommandant fragt«, ob sie hier bleiben wolle."Sie schüttelte den Kopf. Sie blickte ihn mit gläsernen Augen an, der Stationskommandant wich einen Schritt zurück. Es war, als stünde ihr Herz still, als' sei ihr Ohr taub geworden, ihr Auge blind und die ganze Welt ringsum für sie erloschen. Schweigend ging sie., Der Stationskommandant stand mit seiner Frau am Fenster. Wenn ein Mensch das Kostbarste verloren hat, das er auf dieser Welt besaß, eine Frau oder einen Sohn, ein Tier oder«in Ding, hat er auch seine Heimat verlern und muß wandern bis an den Rand seiner Tage. Schnee fiel, grau war Lings Gestalt in der Dämmerung, klein und gebeugt. Rur ihr Mund lebt«. Langgezogen und dunkel klang ihr Ruf: Tengl" Ihre Stimme griff mit unsichtbaren Riesenfingern um die Erde, als wollte fie sie fassen, hochheben und zerschmettern— tvie ein Gefäß aus Glas, das geborsten und zu nichts mehr zu gebrauchen ist.
Alte Anekdoten Ein armer Teufel wurde gefragt, wie es ihm gehe.'-- „Oh, ich lebe wie im Himmel", antwortete er. „Wie soll das verstanden werden?" „Na doch: im Himmel wird auch nichtgegessen und getrunken l" („Anekdotenjäger", 1846). » Ein schlesischer Weber erzählte seinen Bekannten, daß er«inen Apfelbaum kenne, an dem sich, merkwürdig genug, drei Fabrikanten aufgehängt hätten.„Nachbar", sagte einer,„wo steht der Baum? Ich möchte mir«in Pfropfreis von ihm holen!"(Aus Schlesten). »* Das menschliche Herz hat drei Naturreime: Da- Herz des Fröhlichen auf Scherz, das Herz des Armen auf Schmerz und das Herdes Reichen auf Erz. (Sprichwörtlich in ganz Deutschland ). * Ein Reicher wurde vom Schlage gerührt. Man sagte:„So hat ihn also doch etwas zu rühren vermocht I" (Sachsen , sprichwörtlich angewendet bis in die neueste Zeit). » Ich bin überzeugt: der erste Mensch war ein Deutscher. Wer anders als ein Deutscher wäre im Paradiese eingeschlafen? Und wer anders hätte so geschwind in den sauren Apfel gebissen?(Saphir.) „Johann, Sie müssen bei Tisch exakter bedienen! Sobald wir beten: Unser täglich Brot gib uns heute, muß schon die Bratenschüssel auf dem Tisch stehen l" („Wahrer Jakob ", 1S11).
Von der Bundesschule zur Führer-Kaserne
Nicht weit von B e r n a u bei Berlin baute der Allg. deutsche Gewerkschaftsbund 1929 seine neue Bundesschule. Der Leiter des Bauhauses Dessau , Hannes Meyer , hatte die Entwürfe geliefert und so>var wirklich eine Anlage entstanden, die in vorzüglicher Anpaffung an das Gelände moderne Schul« und Wohnräume enthielt, die zusammen mit der 16 Meter hohen Aula und der lichtdurchfluteten Speisehalle den Geist modernen Bauens repräsentiertem Arbeiter aus allen Teilen Deutschlands kamen hier als Kursteilnehmer auf vier Wochen zusammen, um in getverkschaftlichem Sinn« ausgebildet zu werden(Volkswirtschaft, Sozialpolitik, Arbeitsrecht, Gewerkschaftswesen u. a.).. Die Kosten des Schulaufenthaltes trugen die' Verbände. Für die sportliche Ertüchtigung der Teilnehmer war ein Keiner See da, den eine 400 Meter lange Aschenbahn umschloß, Tennisplätze, eine Spielwiese für-Fußball und Schlagball, ein Luft--und Sonnenbad, ein Platz für Steinstoßen. In dieser Umgebung, losgelöst von der Unrast des Fabrikbetriebes, konnte der Arbeiter sich seiner Persönlichkeit bewußt werden und daS Rüstzeug gewerkschaftlichen Wissens erlangen. Daß sich das neue Regime nicht genierte, in diesem Baue, der Geist von: Geiste des verhaßten Bauhauses von Dessau war(man bedenke: flache,„orientalische" Dächer in der märkigen Sandschafti), eine Führerschule zu etablieren,, ist bezeichnend für die Verlogenheit dieses Regimes.