8 „Ach was. Dein Oller, der alte Sozi, der Mtch einfach!" „Er soll doch dem Führer dankbar sein, Hatz er jetzt wieder Arbeit hat." Fritz trat in die Hitlerjugend ein. Ohne zu fragen und ohne etwas zu erzählen. Als im März die allgemeine Wehrpflicht verkündet wurde, zog Fritz im Aufenthaltsraum seines„Banns" die Uniform an, die ihm der Bannführer auf„Stottern" verkauft hatte und ging stolz nach Haufe. Konrisch, Vater schimpfte gar nicht. Er machte nur ein so verflucht sonderbares Gesicht und sagte kein Wort. Fritz ging wieder fort, gar nicht ein bitzchen mehr froh und stolz. Vater Thomas stmnpfte mit schweren Schritten in der Wohnung umher. Di« illegal« Leitung und dir beiden Flugblätter freuten ihn nicht mehr. Verbittert, niedergeschlagen stand er vor seiner abgehärmten Frau: „Was nützt das alles. Mutier, wenn sie UNS doch die Jugend nehmen. Wir haben unsere Jungens aufgezogen mit Mühen und Opfern, wir haben ein neues Geschlecht heranziehen wollen, das einmal unser grosse- sozialistisches Ziel erreichen sollte. Jetzt kommen sie und steh-, len uns die Kinder mit Uniformen und Phrasen und Trara." »Fritz ist vernünftig, Ernst, sprich ruhig mit ihm. Erzähl ihm alles noch einmal. Weitzt Du, vielleicht ist es ganz gut, wenn Du ihm aus„unserer" Zeitung vorliest. Damit er hört, wie sie lügen, wie sie mit Arbeitern umgehen, wie sie ihre Versprechungen halten." „Dem Jungen Yon unserer Zeitung erzählen? Bist Du verrückt, Dtutter? Der ist so will von dem verfluchten Nazigift, der kriegt es fertig und verrät seine eigenen Elterir. Nee, Mutter, Prügel mutz er haben, Prügel auf di« verdammten braunen Hosen, bis sie von seichst rot werden." Aber Mutter lieh nicht locker, Mutter redete und redete:„Fritz ist unser Junge, ist Dein Sohn, der wirft daS ganze Zeug fort, wenn Du ruhig mit ihm« sprichst." Und Thomas versprach es schlietzlich. Am nächsten Abend nahm er Fritz vor. Sehr lange satzen sie zusammen mit ernsten Gesichtern. Thomas erzählte und las vor und erklärte. Er zerpflückte die Phrasen, er zeigte dem Jungen das wahre Gesicht des Nationalsozialismus und seiner Führer. Er zeigte ihm, lvo das Kapital sah und der Militarismus, wie di« Arbeitermörder schwelgten und die„Arbeiterführer" ihre„Untergebenen" beglückten. Stunden und Stunden sprach er zu seinem Sohn. Fritz zog die Uniform nicht mehr an, ging nicht mehr zu den Gruppenabenden, zog sich zurück und macht« lieber lange Spaziergänge mit dem Vater. In der Schule begann nian ihn zu quälen. „Der olle Sozi"— sein Vater— und der verfluchte„Marxismus " waren die beliebtesten Themen, an denen sich alle beteiligten, weil es gegen ihn ging. Einmal lief es bei Fritz über. Er schrie ihnen hemmungslos seine Wut inS Gesicht.„Lasst euch mal von meinem Vater erzählen, was mit„ihnen" los ist, ihr Ouatsch- köppe. Mit euch können ste's ja machen, ihr seid so dos, datz ihr alles glaubt, was fie euch erzählen. Aber bei uns nicht der Hilm. Vater wcitz Bescheid, der kann's euch vorlesen, ihr Idioten." Morgens früh holte die Gestapo den Vater ab. Man fand eine illegal« Zeitung und einige Flugblätter. ThomaS Überstand das Verhör kn der Mbrechtstrasse. Man vernahm ihn bis znr „physischen Vernichtung" Tag und Nacht. Er sagte nichts aus. Zeitung und Flugblätter gefunden, weiter sagt« er nichts. An dem Tage, als der„Volksgerichtshof " sein Urteil sprach: Dreieinhalb Jahre Zuchthaus wegen„Verbreitung hochverräterischer Schriften", sah er Frau und Sohn wieder. Fritz war tränenüberströmt. „Sie haben mich so gepiesackt, Vater, ich hab' nicht mehr gewutzt, was ich redete. Ich hab die Schuld."^ „Schad' nichts, Junge, halt den Kopf steif, hilf Mutter und werde ein tüchtiger Sozialist." „DaS verspreche ich Dir, Vater, wir holen Dich raus. Immer dauert es nicht mit den Nazis. Wir sind auch bald wieder dran." Der Metallarbeiter Thomas sitzt im Zuchthaus und wartet. Mit ihm warten Tausend« und Abertausende in Zuchthäusern, Gefängnissen, Konzentrationslagern. Zett. Als die Osterglocken klangen Ueber dem Grenzwald und dessen Vorgelände hallten die Osterglocken. Feiertagsstimmung webte um das Land und die Menschen, die hier'daheim. Schöner Vorfrühling mit Sonne, Vogelsang und glänzenden Weidenkätzchen machten die Ostern 1913 zu einem wirklich heiligen Erleben in diesem Winkel des Friedens hinten an dem grossen Grenzwald., Mutter Kraus, damals eine gesunde fünfundvierzigjährige Frau, ging in ihrem Festkleide den Kirchenberg hinan zur Frühmesse. Gar oft blieb sie auf dem Wege, der steil hinaufführte, stehen und blickt« rückwärts in ihr Dorf und ihre Heimat. Sie sah vom Berge aus ihr kleines Häuschen, sah ihre Stube und ihre Menschen darin. Sah den Mann, wie er schwerfällig die Rasierklinge über den Stoppelbart führte, die beiden Jungen, kaum der Schule entwachsen, putzend und strähnend vor dem Spiegel stehen. Sonntags und an allen Feiertagen gibt sich ja die Jugend ein„Groh-Rendezvous" auf dem Kirchplatz vor dem Walde. Sonn- und feiertags, da lachen die Menschen bei uns daheim, kaum wissend tvarum. Und als Mutter Kraus all die kleinen vertrauten Bilder ihrer Familie drunten im Dorfe geschaut, wendet« sie sich wieder und stieg weiter hinan. An ihre klopfende Brust hatte sie ein starkes, in Leder gebundenes Gebetbuch gepresst. Ja, an diesem Tage wollte fie inbrünstig beten, den Herrgott bitten, ihr Herzblut, das weit draussen Irgendwo im Krieg« stand, wieder heimzubringen. Im Schatten des hohen Kirchturmes stehend, blickte sie lang und weit in den verflachenden Osten hinaus. Sie suchte ihr Grosskind, ihren Erstgeborenen.> Da stiegen herauf die Erinnerungen an die grosse junge Liebe zu dem Jüngling, der dann ihr Mann geworden. Da erlebte sie noch einmal all die Sehnsucht und das zitternde Erwarten in ihrer jungen Ehe. Dann war sie Mutter geworden. Ihr Leben wäre bald um dcS Kindeslebens willen dahingegangen. Die grosse Liebe zu dem Kinde und dessen Vater rissen fie vor der TodeSpforte zurück. Sonnentage kamen. Und es kamen Tage voll harter Arbeit und Entbehrung. Kleines Glück ivechselte mit Schmerz Und Weh, und die Zeit ging dahin. Dem Erstgeborenen folgten zwei Brüder und eine Schwester. Mutter KrauS war fünfundvierzig Jahre, als chr grosser Sohn als aktiver Soldat in den Krieg gezogen... Dröhnend fiel der Klang der Glocken in das Land, das einem weiten Dom glich. Mutter Kraus ist als eine, der letzten in die Kirche eingetreten. Eng beisammen sahen die vielen Gläubigen in langen Kirchenstühlen. Ihr Glaube ist echt, wahr und tief. Sie glauben um der grossen Gerechtigkeit willen, di« der Nazarener gelehrt. Ehern steht der Bibelspruch in ihrem Denken:„Früher geht ein Kamel durch«in Nadelöhr, denn ein Reicher in den Himmel!" Wehe, wenn diese Dienschen einmal erkennen, dass man sie irregeführt! Orgelspiel brauste durch das weihraucherfüllt« Kirchenschiff. Mutter Kraus lag auf den Knien und betete um ihr Kind. Ihre Blicke hingen gross an dem Bilde Christi, der gütig und verstehend auf die Schar der Gläubigen herabblickte. Segenspendrnd stand der Priester vor dem Altar und sprach ein letztes Gebet für die Krieger der Heimat und deren Sieg. Neugestärkt ging Mutter Kraus talab ihrem Dorfe zu... Die schöne Osterzeit ist vorübergehuscht. Anschloh der Alltag und die alte Angst um das Kind im Kriege draussen. Acht Tage sind schon vorbeigegangen. „Warum nur der Franz nicht schreibt?" klang verängstigt die Stimme der Mutter Kraus. Und ihr Mann antwortete mit seiner gesamten Kenntnis vom grossen Kriege, empfangen durch das allwöchentlich einmal erschienene Provinzblatt:„Vielleicht haben sie das Regiment vom Franz wieder an«inen anderen Ort geschoben- Weisst doch, dass er noch nicht lange vo^ Serbien herauf gekommen, um die Russen mit aufzuhalten, die von den Karpathen aus in Ungarn einfallen wollen. Darauf wieder Stille. Die Tage schlichen trotz Sonnenschein und blühender Blumen träg dahin.' Mutier KrauS stand eben im Hofraum mit dem GraSkirb auf dem Rücken, ferfig zum Gehen, als ihr Blick über die Wiese fiel, die an den Wald anschloh. Da kam wie«in Betrunkener mitten im Arbeitstag ihr Mann gegangen. Ihm folgten die zwei Buben. Ahnungsschwer schrie Mutter Kraus übe« die Wiese hinweg:„Franz?" Der Mann schlug die Hände vor sein Gesicht-und stöhnte jäh auf. Die beiden Buben weinten laut und schrien den Namen ihres BruderS. Da schlug Mutter Kraus hintenüber. Eine lange Ohnmacht folgte. Nach dem Erwachen ein hilfsloses Wimmern wie daS eines Kindes und dann die grosse unheimlich« Stille, die mit Mutter Kraus in das weitere Leben zog. Nur einmal, gleich nach der Ohnmacht, hat fie gefragt, wann und wo ihr Bub gefallen sei.
Ausgabe
16 (11.4.1936) 15
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