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He'mdah kehrt heim

Wenn der alte Heimdahl unter der endlosen Schar Arbeiter abends das Walziverk verließ, sah man ihm immer noch den ehemaligen Bauern schmied an. Er hatte etivas Selbstbewußtes in seinem Gehaben, das auch durch die Müdigkeit nicht verwischt wurde. Aus dem Vollbart lugte das knochige Gesicht unter der schwarzen Bauern kappe, die Kenner rheinischer Stammesarten so­fort als Hunsrückisch ermittelten.

Zuhause warteten das Abendessen, die lange Pfeife, seine Zeitung und der Polstersessel. Da saß er, vom ewigen Hammerlärm schwerhörig geworden, und sprach wenig. Nur wenn land­mannschaftlicher Besuch sich einfand oder ein Brief eintraf, fonnte er gesprächig werden. Dann war zu merken, daß sein geistiges Dasein nicht am Niederrhein Wurzel gefaßt hatte, sondern auf den rauhen Höhen des Hunsrück , seinen verschlunge­nen Tälern und weiten Wäldern geblieben war.

Sprach er im flobigen Heimatdialekt von den Dörfern und Menschen da droben, leuchteten seine Augen unter den fahlen, von der Schmiedehike bersengten Brauen und er konnte lebhaft werden. Nicht aber redete er von dem Heimweh, das er in sich trug.

Vor Jahren war der Schmied Heimdahl von den Höhen des rheinischen Hunsbuckel nach Düsseldorf gezogen. Er hatte in seinem Heimat­dorf eine Schmiede gehabt, war aber durch un­glückliche Umstände in Shwierigkeiten geraten und verließ, noch ehe die Zwangsvollstreckung ihm alles nahm, mit Frau und Kindern den Ort, Wehmut im Herzen und das Gefühl, daß er im Kampf ums Dasein eine Niederlage erlitten.

So war er, seelischer Bitternis, aber auch verbissener Willenskraft voll, an den Niederrhein gekommen, wo für tüchtige Schmiede immer Wer wendung war. Heimdahl fand sich nur mühsam in der großen Stadt zurecht, unter den Menschen, deren singende Sprache kein Hunsrücker verstehen, geschweige denn erlernen fonnte. Noch schwerer lebte er sich in der Fabrik unter den Hunderten von Arbeitern ein und unter den vielen Maschi­nen, die ihn verwirrten. Auch ermüdete ihn die gegen seine frühere vielseitige Handwerkertätig keit jest mehr gleichmäßige Arbeit zunächst mehr.

Wennn er auf die Rotglut des Eisens den

Lehistuhl hinter den Fensterblumen auf hastende Menschen und sausende Autos, den schwarzen Kater neben sich, und ließ in Gleichmut die son­derbare Welt da draußen vertrubeln.

Die Schiveißtropfen fielen herab und verzischten. Am Mittag saßen die Zwei vor der Schmiedehalle auf der Bank. Die anderen stain­ten, daß der Heimdahl reden und neugierig sein konnte. Als sie aber genauer hinhörten, wußten sie Bescheid: der junge Hilfsschmied war vom Hunsrück .

Der Bursche mußte erzählen, wie es jetzt dort aussehe, was sich alles verändert, wo er schon geschafft habe. Begierig lauschte der Alte auf die Antworten des Jungen. Mit der derben Mundart lebte er beglückt auf und sprach, als sei er überhaupt vom Hunsbuckel nicht fortgewesen. Die Mittagspause verflog. Weiter ging die Schmiederei, bis am Abend die Hammer in die

Viele Jahre hatte Heimdahl die Heimat nicht mehr gesehen. Er wollte ja auch nur zurück­fehren als Herr seiner Schmiede. Aber das Leben in der großen Stadt verschlang leicht das Mehr, das man verdiente. Das aber, was man Glück nennt, ist selten mit denen, die es mit Muskeln und Fänsten erarbeiten wollen. Nur ein Wunder fonnte ihm das Verlorene wieder zurückbringen! Ecke gestellt wurden. Es spielte zwar ein Achtellos in der Klassen­lotterie; es mußte pünktlich erneuert werden, trug aber in der langen Zeit außer einigen Frei­losen nur einen einzigen fleinen Gewinn ins Haus.

Nach Feierabend nötigte Heimdahl den jun­gen Landsmann, mit ihm die gleiche Wegrichtung zu nehmen. Nie war er bislang auf dem Heim­weg eingekehrt. Kein Zahltag hatte eine Aus­nahme gemacht. Er trank selten Bier und dann nur zu Hause, und er kannte die Wirtshäuser allenfalls vom Vorübergehn. Es kam ihm selbst überraschend, daß er es fertigbrachte, eine Schenke zu betreten und an einem der kleinen Tische Plaiz zu nehmen. Daß er Bier trank, war auch nicht aus Bedürfnis nach Genuß, aber es belebte seine Zunge.

Nach und nach wurde Heimdahl die Arbeit schon schwerer; er war ja auch kein Riese an Ge­ſtalt, sondern ein Schmied der Zähigkeit. Es gab oft blaue Flecken und Beulen, manchmal auch Aergeres. Einmal saß er mit geprellten Zehen wochenlang daheim. Qualvoller fast noch als der Schmerz war ihm das Sißenmüssen und das evige Geplätscher des Weiberschwatzes. Er fing nun selbst zu erzählen an von sei­Seine vage Hoffnung, doch noch auf seine Seiner Kindheit und Lehrzeit, von seinen Wander­matschmiede zurückzukönnen, behielt Heimdahl für schaftserlebnissen. Der junge Schmied hörte ihm sich. Er wurde verschlossen und mürrisch. So ließ willig zu. man ihn gehen und fümmerte sich nicht mehr um ihn. In der Arbeit war er Meister und als sol­cher fühlte er sich auch unter den anderen. In nerlich verachtete er jene, die sich mit ihrer Tage­löhnerei abgefunden hatten. Der alte Hand­werferstola saß ihm im Blute. Mit seinem Hilfsschmied sprach er kaum ein Wort. Man hielt ihn für einen ausgemachten Dickkopf und feiner wußte, was in ihm vorging.

Eines Tages befam er einen neuen Hilfs­

schmied; der bisherige Helfer war weggeblieben, die Arbeit war ihm zu schwer geworden. Ein handfester Bursche war dieser Neue, mit breiten Schultern, einem gutmütigen Gesicht und hellen Augen, wie sie das Bauernland hergibt. Als er den Mund aufmachte, horchte Heimdahl auf, schaute ihn an und fragte ihn, woher er fäme.

Arbeitspause

Da spizzte auch der junge Schmied die Ohren schweren Hammer sausen ließ, huschten seine Ge- und man merkte ihm die Freude übers Gesicht an. danken zuweilen in die gemütliche Dorfschmiede Die Arbeit ging weiter, aber welche eine mit dem Blasebalg und dem verrußten Fenster Arbeit! Das fang zwischen Ambos und Hammer in die Obstwiese hinaus. In den Arbeitspausen, und das ging Hand in Hand, Stück um Stück. den Henkelmann mit dem ans Tor gebrachten Mittagessen vor sich, war ihm in der ersten Zeit. als müsse er jetzt aufstehen und irgendwo hin­ausschauen oder sich auf die Bank am Spalier vor dem niederen Bauernhause niederlassen. Aber wo er in dieser Riesenschmiede sich hinwendete, sah er verrüßte Mauern und Hallen, Schlote, graue endlose Höfe, keine grünen Wiesen, kein wogendes Kornfeld, hörte kein Ruhgebrüll, fein Pferdegetrappel die Dorfstraße herauf. Da war es ihm recht, wenn die Arbeit weiterging...

Sommersonntags wanderte er mit Frau und Kindern aus den Schluchten der hohen Miethäuser hinaus gen Benrath , Flingern , Kai­fersiverth oder über den Rhein nach Neuß zu. Da gab es wohl Aecker und Wiesen und auch anmutige Wälder. Aber da roch es nicht nach Hunsrücker Tannen- oder Eichenschlägen, da war nichts als Ebene, wo er Höhen und Tiefen suchte, in der Feerte gespensterten Windmühlen und die waren für ihn ein verwirrendes Zeichen fremden Landes.

Bald hatte er sich an der Umgebung satt gesehen; er meinte, Kaffee mit Bauernblaß und Apfelfraut schmecke daheim ebenso gut. So blieb er auch an den Sonntagen zu Hause. Nur halb auf seine geschwäßige Frau hörend, schaute er im

Arbeitspause, Transmissionen gleiten schwer und langsam noch einmal herum. Klappernde Maschinen in dem weiten

Raume halten an und werden stumm. Regungslos aus allen Ecken lauschen die Regale von der grauen Wand, so, als hätte das verstummte Rauschen tansend Geisterchen darin gebannt.

Aber jetzt doch volle Menschenstimmen! Mädchen plandern bei dem kargen Mahl. Blasse, müde, stumpfe Augen glimmen,

leise rötet sich der Wangen Fahl. Eine spricht von dem, was sie gelesen: Trotz der Fährnis wurden sie getraut, Arbeitsmädel war auch sie gewesen und sie wurde eines Grafen Braut. Ein Roman von flitterndem Gepränge,

jede malt für sich ein gleiches aus Ah, da stößt der Kolben ans Gestänge, Der Roman des Alltags braust durchs Haus.

Marie Pu of I. ( Aus ,, Fabriksmädellieder".)

Nach einer nachdenklichen Pause, als müsse

er sich erst besinnen, fragte Heimdahl endlich den jungen Landsmann, ob er das Dorf O. und darin die Schmiede kenne.

Das Dorf kenne ich freilich, antwortete der Junge und dachte etwas nach, aber eine Schmiede gibt es dort nicht mehr.

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Es fiel ihm nicht auf, daß der Alte mit starren Augen an seinem Munde hing.

Die Leute erzählen so fuhr der junge Schmied fort, der letzte Besitzer habe sich bil­lig in das gemachte Nest gesetzt, groß getan und wäre bald großartig verkracht. Um den Bankroit zu verschleiern und vielleicht noch ein Geschäft zu machen, habe der dumme Teusel das Anwesen angezündet und sei dann ins Gefängnis gewan­dert. Nachher habe niemand mehr den Mut zu einem Anfang gehabt. Die Schmiede ist verfallen, Die Bauern müssen ihre Schmiedearbeit ins Nach­bardorf bringen.

Der Geselle schwieg nun. Heimdahl schaute an ihm vorbei ins Leere, sein rungliges Gesicht hatte plötzlich mumienhafte Starre. Er sprach nichts mehr. Sein Gegenüber empfand die self­same Stille und sah ihn fragend an. Heimdahl griff nach seinem Glas und trant aus. Dann zahlte er für beide und erhob sich. Vor dem Gast­haus gab er dem Hilfsschmied die Hand und ging eilig weg.

*

Als am nächsten Morgen der junge Schmied ins Wert fam, war der alte Heimdahl nicht da; er fam auch nicht verspätet. Im Laufe des Ta­ges sprach sich herum, daß er in der Nacht einem Herzschlag erlegen sei. Die Frau hatte ihn am Abend besorgt erivartet. Sie merkte, daß irgend etivas mit ihm vorgegangen war, aber er ber= harrte bei seiner Gewohnheit, sich durch Schwei­gen Ruhe zu erzwingen.

Sie ging nach ihm zu Bett und sah beun ruhigt, daß sich seine Lippen bewegten, aber deut­bare Worte drangen nicht durch seinen vollen Krausbart.

Am Morgen war die Frau nicht überrascht, daß ihr Mann den Wecker überhörte, denn er war ja etwas spät heimgekommen. Er hörte nicht auf ihr Rufen und da beugte sie sich über ihn und berührte seinen fahlen Schädel. Zu ihrem Schrecken wurde ihr klar, daß er für immer ein­geschlafen war... J. Zerfaß.