— s— merkwürdig substanzlos. Er merkte auch bald, daß er auf die Brüder keinen großen Eindruck machre, packte die Akten zusammen und erhob sichs An der Tür blieb er noch einen Augenblick stehen und besah sich liebevoll das Grammophon des alten Lönnrot. „schön hat der Feuerstein neulich gespielt", meinte er.„Wer ist denn der Künstler auf der Platte des alten Herrn, Mörne?" Der hob den Kopf: „Fritz Kreisler , Herr Kommissar." „Oh, Kreisler", staunte der,„lvenn ich das einmal vergleichen dürfte!" „Aber bitte sehr", beeilten sich die Brüder Lönnrot zuzustimmen. Und D körne fügte hinzu: „Oberste Reihe, ganz links die erste Platte, Apollo Nr. 3000. Ich weiß die Mprken- nummer natürlich auswendig. Darf ich sie her- nntergeben?" „Danke, danke, es geht schon", kam ihm Urquist zuvor und griff nach oben in den hohen, dichrgefüllten Plattenschrank. Tann hielt er die runde, schwarze Scheibe.in der Hand. Er reichte sie Mörne: Aber auflegen müssen Sie sie. Ich gehe nicht gern an fremde Apparate." Mörne stellte den elektrischen Anlasser ein. Lautlos setzte sich die Plptte in Bewegung. Dann fuhr die Nadel in die erste Rille... Und statt des sanften Geigenstriches Fritz Kreislers ertönte ein wildes, markerschütterndes Schreien. Es heulte in schrillen Schreckensrufen von der Platte her: „Was willst du denn, Mörne? Bist du wahnsinnig geworden? Laß das doch. Um Got- teswillcn— du reißt mir ja die Jacke herunter — Hilfe— Hilfe-r- Mörne— die Tür — laß die Tür zu— hier hast du das Geld-— hier— hier— Hilfe...' Hil ,..."- Dann starb die' Stimme plötzlich. Der Apparat knackte, stand. Die Brüder starrten sich entsetzt an, starrten auf Mörne, der mit hocherhobenen Armen wie ein Wahnsinniger von dem Apparat zurückgetaumelt war, jetzt«inen erstickten Schrei der furchtbarsten Angst ausstieß und zur Tür hinaus stürzte. Man hörte ihn die Treppe hinaufjagen. Urquist war in langen Sätzen nachgesprungen. Aber Mörne erreicht« sein Zimmer im zweiten Stock doch vor dem Kommissar und riegelte ab. bevor dieser die Klinke ergreifen konnte. Kurz darauf fielen drinnen zwei Schüsse. Urquist hörte einen Körper dumpf zu Bode» krachen. Er ging m die Halle zu den völlig verstörten Brüdern zurück. „Er hat sich erschoffen. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie in eine so große Aufregung stürzen mußte. Aber ich.wollte Sie als Zeugen des Mörneschen Geständnisses haben. Die Platte da auf dem Apparat ist nicht„Apollo Rr. 3000", sondern eine Platte, die mir der Schauspieler Moore nach meinem Text besprochen hat. Ich habe sie durch ein Taschenspielerkunststück vorhin beim Herunrernehmen umgetauscht. So ungefähr wird sich die Szene im Flugzeug abgespielt haben, Mörne hat von der Mitnahme des Geldes gewußt. Er ist es gewesen, der Ihren Vater hinausgestürzt hat. Dann hat er Ge- wiffensbisse bekomme» und sich noch während des Fluges des Geldes wieder entledigt. Aber er hat Pech gehabt. Er hat im Nebel nicht gesehen, daß das Flugzeug schon über der Küste war. Gestern hat man mir von Reval den Fund»er Brieftasche signalisiert." Die Brüder fragten entsetzt wie aus einem Mund: /„Aber der Mörne—< dreißig Jahre —?" Nrqusst lächelt« resigniert:„Wer kennt- den Menschen neben sich?" Der Dichter der Indios In diesen Tage» vollendet sich ein Jahrzehnt, seit die Büchergilde Gutenberg mit der Herausgabe der Werke von B. T r a v c n begann. Wir geben ans diesem Anlaß eine Ueber- sicht über das bisherige Schaffen des proletarischen Schriftstellers. ,,... Ich betrachte den mexikanischen Indianer und den mexikanischen Proletarier, der zu 98 Prozent Indianer ist, als meinen Herzensbruder, der mir nähersteht, als mein leiblicher Bruder; ich weiß, mit welchem Mut, mit welcher Hingabe, mit welchen— in Europa unbekannten und unerhörten— Opfern der proletarische Indianer in Mexiko um seine Befreiung kämpft, um zum Licht der hellen Sonne zu kommen..." So schrieb B. Traven im Jahre 1927, als eben sein Buch„Land des Frühlings" erschienen war, jenes Reisebuch, das eigentlich kein Reisehuch im üblichen Sinne, sondern ein völkerkundliches Dokument ist. Denn der Autor läßt sich nicht daran genügen, das darzustellen, was die Augen sehen, oder das wiederzugeben, was man in den Bibliotheken erfahren kann, sondern er bemüht sich vor allem, das Herz und die Seele eines Landes zu erkennen, von dem er glaubt, daß es noch eine bedeutende Rolle in der Weltgeschichte spielen werde. Traven hat bis jetzt elf Bücher in deutscher Sprache veröffentlicht; ein zwölftes steht nahe vor der Herausgabe.*) Bon diesen zwölf Werken beschäftigten elf sich mit Mexiko und geben uns irgendwie Kunde von diesem inter - esianten Lande, von seinen Bewohnern, ihren Sitten, Anschauungen und ihrem Gefühlsleben. Zwischen dem ersten Werke Travens— „Das Totenschiff "— und seinen folgenden Büchern liegt, rein äußerlich gesphen, ein Ozean. In der Gegend von Dakar , dem nordwestafrikanischen Hafen, versank das Totenschiff, jenseits des Golfs von Mexiko sehen wir den Erzähler wieder. Hier wie dort tritt eine bunt zusammengewürfelt« Gesellschaft auf, die weder Vaterland noch Habe kennt und mit keinerlei bürgerlichen Vorurteilen belastet ist. Eigentlich bewegt sie nur eine Frage: Wo finden wir Arbeit, wo Brot? Was tue ich, um nicht zu verhungern? Traven, der sich stets eng an seine Erfahrungen in der Wirklichkeit hält, schrieb einmal:„Es gibt Leiste, die machen ein« Reise durch den Wald in Thüringen und können nach Beendigung der Reise einen Dschungel- oder Buschroman schreiben. Jene Leute nenne ich mit Ehrfurcht und Bewunderung Dichter und Künstler. Da ich aber weder Dichter noch Künstler bin, muß ich misten hinein in den Dschungel und in den Busch, wenn ich etwas über den Busch erzählen will... Man muß sich mit ihm verheiraten.. Die aus solcher„Ehe" entsprungenen Kinder, seine Werke, dokumentieren denn auch überzeugend die Echtheit ihrer Herkunft. Und diese Echtheit ist es, die sie uns so nahebringt und unser Interesse an ihnen wach erhält. Wer uns so eindringliche Bilder vor das Auge stellt, wer so unsere Seelen bewegt, unsere Herzen erschüstert, wie Traven es tut, der wird sich schon gefallen lassen müssen, daß wir ihn ganz unironisch einen Dichter nennen, *) Traven übergibt alle seine Werke erstmalig der Büchergilde Gutenberg in Zürich und Prag , weil sie von Arbeitern geschaffen wurde. Mit dein Werke„Das üroeenschiff" führte die Büchergilde Gutenberg Anfang April"1928 den bis dahin unbekannten Traven in die deut sche Literatur ein. Es war gewiß ein guter Griff, mit einem Werk« zu debütieren, das in seiner Art keine Vorgänger hat. Verlogene Romantik füllte bis dahin mehr. oder weniger alle Seemännsbücher.„Aber", so meinte Tra ven ,„da es Literaten gibt, die imnier nur Schiffe malen, wo den ganzen Tag Opernarien gesungen werden, so kann das Gleichgewicht in der Welt nur dadurch hergestellt werden, daß auch gelegentlich Schiffe gemalt werden, wie sie wirklich find." Sachkundige Kritiker und fachkundige Leute bezeugten denn auch:„Hier haben wir das erste wahre Seemannsbuch." Die Geschichte beginnt in Antwerpen mit einem Deckarbeiter, der i» eine so feffelnde Unterhaltung mit einem hübschen Mädchen vertieft Ivar, daß er darüber die Abfahrt seines Schiffes versäumte. Das Schicksal, das diesen Deckarbeiter kurz nach dem Weltkriege traf, ist heute zu tausendfacher Alltäglichkeit geworden. Vor wenigen Wochen erst stellte der Ausschuß für internationale Flüchtlingshilfe bcinr Völkerbund fest, daß schätzungsweise über eine Million Menschen staaten- oder paßlos oder beides sind. Ihr« Lage ist schon lange unhaltbar; aber alle Diplomaten zusanmien fanden bisher keine defini- ttve Lösung des Problems. Die Bestoffenen sind nach wie vor vogelfrei; niemand will sie rechtlich anerkennen, kein Land räumt ihnen ein- wirkliches Daseinsrecht ein— und anderseits sind sie gefesselt, weil vor ihnen an jeder Landesgrenze schleunigst der Schlagbaum fällt. Unser Dcckarbeittr freilich nahm die Sache mehr von der komischen Seite, obwohl man ihn einige Male hinter eiserne Gardinen bringt. Möglicherweise, so dachte er, ist ein Gefängnis- Entlasiungsschein auch eine Legitimation. Schließlich gelingt es ihm, sich nach Spanien durchzuschlagen. Dort fragt keiner nach Papieren, und er ist entzückt, daß er ungestört auf der Kaimauer einer Hafenstadt sitzen, sogar fischen und sich in einer beliebigen Ecke zum Schlafe niederlegeu darf. Aber dann, eines Tages, manöveriert die „Aoriste" sich langsam zum Hafen hinaus- Sie braucht gerade noch einen Mann, ruft ihm zu — und er läßt sich an Deck hieven. Run ist er auf dem Totenschiff, das sich auch nicht viel um Papiere kümmert. Die Mannschaft ist ja eigentlich schon tot, befindet sich auf ihrer Begräbnisfahrt. Sie wird mit dem„Eimer" versinken, und die Unternehmer werden frohmütig das schöne Bersicherungsgeld einstellen. Vorher schmuggelt man noch Waffen als„Pflaumenmus" an die marokkanische Küste. Geschäft ist Geschäft! Aber auch diese alte, verbeulte„Kanne" braucht Dampf zum Fahren. Wer macht ihn? Die Heizer und die- Kohlenschlepps. Der Erzähler wird Schlepp und kann uns darum nicht nur das schmierige, höchst dürftige Mannschaftsquartier, nicht nur die heruntergekommene Mannschaft bildkräftig beschreiben, sondern vor allem auch seinen Arbeitsraum und die Arbeit« Der Leser fühlt sich fast physisch gepackt und seelisch so aufgewühlt, daß er in die zahlreich umherschwirrenden Flüche und Verwünschungen einstinunen möchte. Hier fühlt man: daS konnte nur einer schreiben, de« durch diese Hölle hindurchgegangen ist. Und nur ein so überlegener Geist wie unser Autor konnte ein so höllisches Gelächter anstimmen über die bodenlose Heil-
Ausgabe
16 (23.5.1936) 21
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten