BUNTE WEIT Nr. 38 Unterhaltungsbeilage 1936 In den Oetzthaler Alpen Im D-Zug, der mich nach Oetzthal in Tirol brachte, hatte ich ein paar ganz inter­essante Gespräche mit meinen Mitreisenden. Ein Linzer z. B. fragte mich: Nnn, wie stellt sich die Tschechoslowakei zn unseren neuen Freund- schastsbcziehungen zum Reiche? Als ich ihm ruhig sagte, daß wir uns nicht übermäßig dar­über freuen, meinte er noch: Ja, wir könnten ja mit Euch viel besser stehen, wenn ihr hart nicht mit denBolschewiken" so dicke Freund­schaft halten würdet! Darauf mengte sich em zweiter Mann in das Gespräch und fragte: Ist es denn wahr, dah man in Prag schon so viel russische Offizier« in Uniform auf den Straßen sieht? Die Antwort, die ich darauf gab, veranlaßte meine nazibegeisterten Mit­reisenden, kein Wort mehr mit mir zu sprechen. Als ich dann stn Gang stand, unterhielt ich mich mit einem jungen Burschen, der mir von seinen Bergtouren erzählte. Auf einmal packte er mich beim Arm, zeigte auf ein Häuschen der Ort­schaft Braunau , an der wir vorbeisausten, und schrie ganz begeistert: Schauen Sie schnell, schnell, in diesem Häuschen ist Hitler geboren! Als ich ihm darauf antwortet«, daß mich das nicht im geringste» interessier«, prallte er förm­lich zurück und konnte sich von seinem Schrecken über eine solcheBarbarei" kaum erholen. Ich ließ mir aber die gute Laune nicht verderben und schließlich hab« ich im Laufe meine? Ur­laubes auch eine Menge Menschen kennen ge­lernt, die ganz anderer Gesinnung waren und mit denen ich bald Freundschaft geschlossen habe. Sonntag nachmittags langte ich in Söl­ den an, dem bekanntesten Ausgangspunkt für Bergtouren im Oehthal, wo mich schon mein treuer Wandergefährte erwartete. Trotz durch­wachter Nacht war ich von all den neuen Ein­drücken so erfüllt, hatte ich gar kein Gefühl des Dtüdcfeins und so beschlossen wir, die ziem­lich günstige Witterung auszunützcn und gleich am nächsten Morgen eine zweitägige Bergtour zu mache». Auf die Wildspitze, den König der Oetzthaler Alpen I Als unser Führer sah, daß ich gut ausgerüstet war, auch kräftig aussah, meinte er, daß wir wohl den schwereren Anstieg ma­chen könnten, und zwar den Gepartsch, oder Oetzthaler Urkundwcg, da dieser viel lohnender sei als der gewöhnliche Touristcnanftieg. Wir marschierten schon am nächsten Mor­gen um fünf Uhr früh von Sölden los. Das Herz wurde weit vor Freude, als wir durch das liebliche Tal von Zwicselstein nach Bent wanderten. Trotz des schwer bepackten Ruck­sacke? schreitet man so leicht aus und die Lun­gen dehnen sich wohlig in der würzigen Höhen­luft. In Bent, das mit Obcrgurgl zusammen die höchst gelegene Ortschaft(2000 Meter) in Tirol ist, wird kurze Rast gemacht und dann geht es weiter in immer steiler werdenden Ser­pentinen zur Breslauer Hütte. Erst langsam kommt mir zum Bewußtsein, daß ich wieder in meinen geliebten Bergen bin. Wie wohl tut dem Auge das frische leuchtende Grün der Almen, die belebt sind durch die rotbraunen Farbenklexe der weidenden KLhei Immer von neuem bewundere ich die kräftigen Farben der Alpenblumen. Jeder Blick, jeder Atemzug tut wohl und macht leichter und freier. Die letzten zwei Stunden geht eS über Geröllhalden, dann ist die Hütte, die schon 8000 Meter hoch liegt, erreicht. Die.Kutte">st aber ein ziemlich großer Steinbau. Endlich kann ich mir die erste Erbswurstsuppe bestellen und Kaiserschmarrn, was nirgends so köstlich schmeckt, wie in den Alpenhütten. Nachher be­wundern wir noch das herrliche Gletscherpano­rama, klettern ein bißchen im Gestein herum und unterhalten uns köstlich mit den Schafen, die zu hunderten dort weiden und die wir mit ein bißchen Salz herangelockt haben. Schließ­lich treibt unS die Kälte in die Hütte zurück. Die Gaststube ist übervoll und behaglich geheizt und nun geht der sogenannteHüttenzauber" loS. Man erzählt einander, welche Gipfel man morgen stürmen wird, was man alles schon ge­leistet hat, wo man eingeregnet und ringe» schneit war usw. Wir und ein Wiener find, die einzigen Dentschsprechendcn; die Holländer überwiegen weitaus, dann kommen Engländer und Fran­ zosen . Die Franzosen besuchen in größerer An­zahl erst seit ein bis zwei Jahren die österrei­chischen Alpen und erweisen sich angeblich als sehr geschickte Bergsteiger. Unsere Unterhaltung besteht aus einem bunten Kauderwelsch und ist gerade deswegen umso lustiger und anregen­der. Immer wieder stößt man auf Erstaunen, daß man alSBöhme" so gut deutsch und auch etwas englisch und französisch spricht und wenn man erklärt, daß bei uns mehr als drei Mil­lionen Deutsche leben, merkt man deutlich, wie ftemd den anderen unser Land ist. Ich wunder« mich immer wieder darüber, mit welcher Selbst» Verständlichkeit die Engländer in dieses Land kommen, ohne auch nur zehn Worte deutsch zu können. Sie setzen voraus, daß man cken ihre Sprache überall spricht. Jetzt fangen sogar schon einige Führer an, ein paar Brocken eng­ lisch und ftanzösisch zu lernen. Aber ich war Zeuge, wie eine Engländerin ihren Führer bat, doch lieber deutsch zu sprechen, weil sie bei sei­nemEnglisch " noch mehr erraten müsse, was er meine, als bei seinem Deutsch. Die Bauern sind auch, wenn sie untereinander in ihrer Mundart sprechen, kaum zu verstehen und mit den Kindern, die in der Schule noch nicht Schriftdeutsch gelernt haben, ist eine Verständi­gung fast unmöglich. Schließlich kriechen wir zähneklappernd auf unser Matratzenlagcr, nachdem jeder soviel Decken als nur möglich ergattert hatte. Der Sturm heult so stark und rüttelt so wütend an den Fensterläden, daß an richtiges Schlafen nicht zu denken ist. lind kaum scheint es einem, daß man sich ein bißchen eingewärmt hat und eingeschlummert ist, kommt schon der Führer mit den schlver Genagelten die Treppen hinauf und zieht einem incharmherzig die Decke von den Ohren. Wieviel llhr ist es denn? brummt es aus verschiedenen Ecken. Drei llhr, außa, autza. sunst wird der Schnee z'wach! Leise oder laut fluchend sucht man in dem spärlich beleuch­teten Raum erst seine erfrorenen Glieder und dann seine Sachen zusammen. Unten in der Gaststube dampft schon der Kaffee in den Kan­nen und leider begehe ich den Fehler, daß ich ihn heiß hinuntergieße, ohne etwas dazu zu essen, was ich später noch schwer zu bereuen Hoche. And nnn Abmarsch, eine Führergruppe ist schon vor uns aufgcbrochen! Langsam beginnt es zu dämmern, unten im Tal brauen dichte Rebel wie in einem Teufelskeffel und allmäh­lich heben sich die Konturen der Berggigantca aus der Nacht. Du bist verrückt, denke ich mir, steigst da um 4 Uhr früh in dieser unheimlich drohenden Bergwelt herum, anstatt in einem Weichen warmen Bett zu liegen! Und je höher wir steigen, umso komischer wird mir zu Mute oder besser gesagt, desto übler wird mir vom Magen. Was soll ich anfangeo, denke ich ver­zweifelt, umkehren und meinem Kameraden die Freude verderben, und den Führer zurückschik- ken ist ganz unmöglich, aber wenn dann die exponierten Stellen da sind, komme ich ja ein­fach nicht weiter in diesem Zustand! Noch nie ist mir Sehnliches auf meinen vielen Bergtouren geschehen. Ich beiße die Zähne zusammen und hoffe auf ein Wunder. Der Steig wird steiler und steiler, jetzt heißt es schon, den Fuß fest aufsctzen und von Stein zu Stein springen. Nun haben wir den ersten Grat vor uns, unser Johann macht halt und wir werden kunstgerecht ans Sell gelegt". Die beiden Männer sehen jetzt, daß ich käseweiß im Gesicht bin und mir die Knie zittern. Ja, was ist denn los? Nun muß ich beichten und wir beschließen, es noch ein Weilchen zu versuchen. Ich schleppe mich weiter und flehe in Gedanken: nur dies eine Mal soll es noch gut ausgehen, nie mehr wie­der mache ich die Dummhell, daß ich unausge­schlafen und vollkommen untrainiert gleich auf 8700 Meter steige! Doch plötzlich wlld mir jo übel, daß ich taumle. Erschrocken zieht mein Be­gleiter, der als Letzter am Seil geht, den Strick fest an, Johann springt zurück, packt mich beim Kopf und endlich, endlich ist das bißchen Kaffee draußen und ich fühle mich wie neugeboren und könnte jubeln, daß ich diesmal noch so gut davongekommen bin! Es war aber auch höchste Zell, daß ich wieder ganz bei Kräften bin, denn nun wer­den Anforderungen an uns gestellt, die auch für einen Durchschnittstouristen keine Kleinig­keit sind. Da hängt der Johann an einer glat­ten hohen FclSplatte und versucht mit Auf­wand aller Kräfte, sich in die Höhe zu ziehen oder für einen Fuß mich nur den kleinsten Stützpunkt zu finden. Schließlich arbeitet er sich doch kraft seiner Armmuskeln in die Höhr und schlingt dann das Sell um einen Fels­block, um uns zu sichern..Los" schreit er von oben, schon baumle ich in der Luft und versuche ebenfalls krampfhaft an dem glatten Fels einen Halt zu gewinnen.Ziehen!" schreie ich hin­auf, und werde nun auch so gründlich gezogen, daß es mir fast den Atem verschlägt, so schnürt