mich das Seil um die Leibesmitte ein. Schließlich lande ich glücklich und nachdem wir mm beide»gesichert" haben, zieht sich unser dritter Mann langsam-und geschickt in die Höh«. Jetzt heißt es, bei jedem Schritt und Griff genan Prüfen, ob das Gestein auch sicher hält, denn.abgesehen davon, daß man selber bei dem kleinsten unsicheren Tritt sofort den Halt verliert und nur durch das gespannte Sell zurückgerissen wird, verursacht niassStein- schlag, was für" etwa nachkomm ende Touristen verhängnisvoll werden kann. Noch eine schwierige Stelle ist zu überwindens eine voll­kommen glatte, drei Meter breste Gesteinsrinne, die möglichst rasch gequert werden muß, weil dort schwere Stcinschlagsgefahr ist. Bei die­sem Kunststück ist mir so sehr Hören und Se- hen vergangen, daß ich nicht mehr genau be­schreiben könnte, wie wir eigentlich hinüber­gekommen sind. Es ist nur gut,, daß man so diel mit sich zu tun hat, daß man weder spürt, wie das Herz arbeitet, noch Zeit hat, ist die schauderhaften Abgründe zu. blicken, die zu beiden Seite» gähnen. Nun setzt noch heftiges Schneegestöber ein! Weiche Schneeflocken wä­ren eine Wohltat gewesen, aber nein, scharfe Eisnadeln peitschen uns ins Gesicht! Endlich, endlich.ist der Gipfel erreicht. Doch stelle man sich ja nicht vor, daß man sich nun gemütlich ausruhen kann. Da oben tobt ein solcher Orkan, daß wir fest aneinander und an das Gipfelkreuz geklammert nur ein paar Minuten verfchnaufen und dann ein paar Me­ter tiefer, wo man doch wenigstens fitzen kann, Zuflucht suchen, denn nun kommt ja die Be­lohnung für all unsere Plage: Die Aussicht! Alle Angst und Erschöpfung ist vergessen. Wenn eS noch zehnmal mühsamer gewesen wäre, es hat sich gelohnt, denn vielleicht nie kommt einem die erhabene Schönheit der Na­tur so zu Bewußffein, wie inmitten dieser vergletscherten' Bergriesen. Mit rasender Schnelligkeit rasen Rebel und Wolkenmassen vorüber und verhüllen in«in paar Sekunden das ganze Bild. Um so mehr staunt man dann, wenn die dichte Nebelwand plötzlich zerreißt und sich neue ungeahnte Schönheiten dem Auge darbieten. Doch da mein Begleiter und ich vor Kälte schon hall> erstarrt sind unser Führer schätzte auf 12 Grad unter Rull schnallen wir, nachdem man ein. paar getrocknete Früchte gcgcffcn hat, unsere Rucksäcke wieder um und jetzt geht eS über unabsehbare steile Schnee­felder abwärts. Da der Schnee stellenweise sehr weich ist, bricht man ost bis zu den Knien und bis zum Bauche mn und muß sich dann Schritt für Schritt mühsam weiterarbeiten. Wir müs­sen jetzt weiten Abstand voneinander und das Seil streng gespannt halten, denn nur so kann man, wenn einer von unS in eine Spalte fällt, ihn ziemlich rasch wieder hcrausbekvmmcn. Run geht unser Führer als letzter und alle paar Schritte heißt es: Achtung, Spalte, springen! Mein Vordermann geht dann, vorsichtig mit dem Pickel den Schnee abtastend, bis zum Rand der'Spalte und springt dann soweit wie möglich hinüber, während ich schnell die Schlingen des Seils, die ich halte, lorlasscn muß, damft er nur weit genug springen kann. Fürchterlich und grauenhaft schön zugleich sehen die gewaltigen Gletscherbrüche aus, die wir in weiter Entfernung seitwärts liegen lasten, blau und grün schillern diese Todesgrotten und unterirdisch tost daS Wasser in Gletschermüh» len und Spalten. Die meisten der größeren Spalte» find durch das Wasser ganz glatt ge­schürft und verengen sich keilförmig nach un­ten,'so daß derjenige, der hinabstürzt, wenn er schon nicht erfriert, elend ersticken muß, weil
ihn die immer enger werdende Spalte so zu» sammenpreßt, daß er nicht mehr atmen kann. Und doch war dieser Abstieg eines der schönsten Erlebnisse, die ich in den Alpen  hafte. Der Sturm hatte sich gelegt und die Sonne fing so an zu sengen, daß wir uns öfter tüchtig einölen mußten, wenn die ohne­hin schon wunde Haut später nicht in Fetzen heruntergehen sollte. Und nun kam das Schön­ste: Nachdem wir ein spaltenftcies steiles Schneefeld vor uns hatten, erlaubte uns Jo­hann,abzufahren". Gewöhnlich tut man das stehend und lenkt und bremst mit dem Pickel wie mft einem Skistock. Doch da der Schnee nun wieder ziemlich hart war, setzten wir uns alle drei auf den Hosenboden hintereinander und die Arme um den Leib deS Vordermanns geschlungen, ging» in rasender Fahrt den Ab ­
hang hinunter, daß der Schnee nur so auf« stob. Ich hätte am liebsten läut' geschrieen vor Freude, denn etwas Lustigeres und'Tolleres kann man sich kaum denken, als in einer Höh» von 8400 Meter auf solche Art hinunterzusau« sen. Als wir dany auf Eis kamen und krampf« hast bremsen mußten, um uns wieder auftap« Peln zu können, und nun zurückblickten, waS für ein steileS Stück wir abgefahren waren, dachten wir Wohl alle drei im Stillen: ,F!a, ein bißchen riskiert war es doch! Dann tauchte schon die Braunschweiger Hüfte auf, die unser nächstes Ziel war. Die große Gaststube war um diese Zeit fast leer, so konnten wir unS auf den Bänken ausstrecken und es läßt sich gar nicht schildern, wie Wohl das tat, nachdem nun alles gut abgelaufen war. Cläre Landsmann.
Blondei
I. Wir sitzen am Ufer der Newa   in einem leichten wiegenden Schiffrestaurant und essen Krebse, in Erwartung des bescheidenen Abend­mahles. ES ist schon halb elf Uhr abends, aber hier ist eS noch ganz licht. ES find dies die langen, maften, schlaflosen, Weißen Peters­burger Rächte der Ruhm und das Leiden dieser Stadt. Wir find unserer fünf: der Clown vom Zirkus Tschinelli, Tauft Dschereft, mit seiner Frau Ernestine Ernestovna; der Clown Dscha- komo TschirenS(«infach Dschakomo) vom Zir­kus.Modern" und Euer ergebener Diener und Tierbändiger Leon Guritsch, ein reinblütiger und reinrassiger Jude, der einzige seiner Stammes, der nach dem Propheten Daniel sich mit diesem sellenen schweren und gefahrvollen Berufe besaßt. Diesem Zusammentteffen fehlt die ge­wöhnliche ungezwungene Luftigkeit;.S ist unser Abschiedssest vor der baldigen Trennung. Die großen Zirkusse unterbrechen jetzt ihre Arbeit, weil mft dem Eintritt des Sommers ihre Ein­nahmen sehr mager werden. Fast die Hälfte deS Publikums geht auf Sommerfrische oder.reist ins Ausland; die andere Hälfte vergnügt sich in verschiedenen Freilustkabaretis und Müsikhal« len. So bleiben die kleineren Zirkusarüsten einfach freie Himmelsvögel bis zum nächsten Herbst.' Diejenigen aber, denen der Zufall, das Talent oder der Erfolg einen großen Namen geschaffen, haben sich längst im Vorhinein m:t einem Sommervertrag für dir großen Gouver­nement-Städte, die seü jeher durch ihre Lieb: zur Zirkuskunst bekannt waren, versehen..Die lleincren Fische aber schliessen sich den kleinen wandernden Zirkussen an, den sogenannten Schapitto. Diese erfteuen sich eines. guten Rusts und so verbringen diese Arftsten den Arbeitssommer unftr einem Segeltuchvorhang und durchwandern die Städtchen und Dörfer der Umgebung. Es ist schon wahr, daß man, wenn man zur Schapitto gehört, eigentlich zur Berühmtheit nicht gelangen kann, aber das eine ist gut, daß während der drei Sommermonat: der Körper, die Muskeln, dst Nerven und das Tempogcfühl dank dem andauernden Training nicht verloren gehen. Nicht umsonst sagen die Zirkuswriscn:die Uebung das ist der Vater und die Mutter des Erfolges!" n. Es spricht Guttvitsch, der Tierbändiger. Sein Reden ist wie immer gleichförmig und eintönig. Zwischen den Worten und Sätzen
macht er gewichtige Pausen. Seine seltenen Be« wegungen, ob er sich Bier aus der Flasche inS GlaS einschenkt, ob er dst Zigarette anzündet, ob er dem Tischnachbar ein Gericht reicht oder wenn er mft dem Finger auf dst tiefe Newa zeigt, find immer ruhige, rhythmisch«, langsame und durchdacht vorsichtige, wie eS übrigens bei allen Tierbändigern der Fall ist, die der Beruf so wahrhaftig gleichgültig und so scheinbar schläfrig macht. Sein Gesicht bleibt ganz unbeteiligt beim Reden keine Spur von Mimik. ES ist wie ein Stein, ganz ohne Ausdruck, seine Arbeit hat dieser Gesicht versteinert. Mit demselben immerwährend totem mar­mornen Gesicht und mit derselben kühlen Ruhe betritt er den Käfig und schließt hinter sich dst eisernen Riegel. Er benützt fetten bei stiner Arbeit Bor­schranken, Pistolenschüsse, bengalische Lichter oder Schreckrufe, oder all die übrigen lärmen­den Requisiten, deren sich die anderen so gerne bedienen, um beim Publikum verschwenderi­sches Klaffchen hervorzurufen. Hagenbcck, der große Zirkusdirektor, nannte ihnden besten der modernen Tierbändiger", und der Direktor des Pariser Zirkus, der alte Monsieur Lunel, sprach von ihm. wie von einem Künstler, wie er ähnlich nur noch von dem verstorbenen großen Blondel sprach. m. Ihre Frage, Frau Ernestine, sagte Gur- witsch, ist sehr schwer zu beantworten. Haben wir Angst vor den Tieren? Dies hängt von der Individualität, vom Charakter, von den Ge­wohnheiten und Angewohnheiten, von der Lieb» zum Berufe und natürlich auch von der Psyche der Tstre, mit denen man arbeistt, ab. Die Hauptsache aber ist dst vorhandene Begabung und ihr Ausmaß das aber ist von Gott  . Nehmen Sie zum Beispiel den großen, mwer- geßlichen und durch niemand übertroffenen Blondel! Dws war ein wirklicher Gott der Zir« kuskunst, der alle ihre Formen, Arten und Ber« zweigungen beherrschte, ausgenommen das Clowntum. Er war der erste, der es gewagt hatte, den Riagarawasserfall auf einem fest­gezogenen Sell ohne Gleichgewichtsstab zu überqueren. Später hat er dieser Kunststück schon mit einem Glcichgewichtsftab durchgeführt, trug aber dabei als Last auf den Schullern einen der Zuschauer, auf dessen Kältblütigkeft man bauen konnte. Blondel ließ nach seinem Tode ein Buch zurück, dar seine Memoiren enthält, in einer