BUNTE WELT

Nr. 12

Max Barth:

Unterhaltungsbeilage

Mord am Maschinenmeister

Na, und wie fühlst du dich so als Ver- ſcheinlich das Herz getroffen. Biſſter hob den lagsdirektor?" fragte Ehret lächelnd, während Oberkörper des Toten etwas an und gab dem sein Blick durchs offene Fenster über die tannen- Kopf eine leichte Drehung. Man sah ein breites, dunklen Hänge ſtrich. Es war ſchön, wigger ein- flopig geschnittenes, Geficht mit ſchwarzem mal in der alten Heimat zu ſein. Er freute sich Schmurrbart. Die Augen ſtarrten gläſern inz auf die Bergivanderungen. Leere. Sieht nicht gerade sympathisch aus, sagte sich Ehret, auch wenn man sich das Grinsen wegdenkt, das jetzt auf beinahe obszöne Weise die Zähne entblößt. Daß dem Mann nicht mehr zu helfen war, bedurfte teiner Frage.

Camille Bissier, sein Schulfreund, war jahrelang auch sein Kollege im großen, haupt­städtischen Verlagskonzern gewesen, dessen Wo­chenschrift Herold" Doktor Ehret redigierte. Vor fast einem Jahr war der alte Bissier ge= storben, und Camille hatte sich entschlossen, die Leitung des väterlichen Verlags zu übernehmen, da sein Bruder ein Interesse daran hatte und sich auf die papierfabrit konzentrierte, in der er schon bisher unter der Leitung des Alien ge­arbeitet hatte.

Weißt du", sagte Biffier, das Leben in unserem Nest hier ist ja nicht gerade aufregend. Aber ich konnte es nicht über mich bringen, den Laden in andere Hände übergehen zu lassen. Mein Urgroßvater hat den Kirchwalder An­zeiger" gegründet, und seither gehört das Blätt chen zur Familie. Ich habe irgendwo irgend einen Rest Traditionsbewußtsein sißen. Uebri­gens ist es nicht so ohne, sein eigener Herr zu sein. Noch dazu hier, wo wir in einem Rabius von zwanzig Kilometern die einzige moderne und wirklich leistungsfähige Druderei jind. Lie­ber in Kirchwald der Erste als in Rom der Zweite hat schon Caesar gesagt. Wirklich, ich

tanu nicht lagen: Aufträge für die Akzidenz haben mir massenhaft und, wegen der hiesigen niedrigen Tarife, auch von auswärtigen Groß­firmen, und was die Blätter anbelangt, so haben wir außer dem ehrwürdigen Anzeiger" noch ein gutes halbes Dußend Vereins- und Fachzeitungen zu drucken. Du wirst dir den Be­trieb natürlich ansehen; du wirst staunen: wir haben sogar eine Rotationsmaschine, allerdings nur für acht Seiten. Aber das Wunderbare daran ist, daß sie sich tatsächlich rentiert."

In diesem Moment fiel der Schuß. Biſſier war mit einem Sap draußen. Seine unge duldige Neugier, seine stete Sprungbereitschaft hatte ihn bou jeher zun guten Reporter ge stempelt. Als Ehret durch die Tür irat, sah er den Freund gerade noch im Eingang der Seßerei verschwinden. Ehret folgte ihm und stieß unterwegs mit einem großen, blonden Arbeiter zusammen, der aus einer Seitentür des Korridors trat.

Der Seßerraum war leer; das Geplapper der beiden Maſchinen schwieg. Ehret sah sich um. Rechts führte eine Tür in die Druderei; man hörte das gleichmäßige Rollen und Stampfen der Maschine. In einer Ede der Seherei stand ein kleiner Heidelberger Tiegel und arbeitete rubig drauflos, saugte das leere Blatt an, legie es an, bedrudte es und legte es seitlich in einen Behälter ab. Ehret warf einen Blid auf den Teri. irgendein auttliches Forumular. Er beirat die Druckerei.

Der Maschinenmeister lag mit ausgebrei­teten Armen neben seiner Maschine, das Gesicht der Erde zugewandt. Der Einschuß war im Rücken, und die Kugel, dachte Ehret, hatte wahr

1937

Er begann mit der Vernehmung: Die Aus­sagen waren einfach, ftimmten überein und brachten tein Licht in die Sache. Man hatte den Schuß gehört, Der Mann war umgefunden, und als man ihn aufzuheben verſuchte, ſah man sofort, daß es mit ihm aus war. Steiner der Arbeiter war mit ihm näher befreundet; tats sächlich hatten alle irgendeinen Groll gegen ihn. Er war ein unfreundlicher Mensch und allges mein unbeliebt, daß tvar leicht zu merten. Die Die Maschine arbeitete unverdrossen wei- fünf Setzer waren, als der Schuß fiel, im ter, druckte, falate, spudte fertige Nummern des Rebenraum, der Stereotypist im Lagerraum, Anzeigers" aus. Der Ablegetaften war über- am anderen Ende des Korridors, der zweite voll, die Blätter flossen über seinen Rand und Druder arbeitete auf der anderen Seite der breiteten sich auf dem Fußboden aus. Jenseits Maschine an der Schnellpresse. Er war der eins der Rotationsmaschine fah Ehret eine gewöhn- zige, der sich im tritischen Moment im selben liche Schnellpresse. Die Arbeit an ihr war mit ten im Einschießen unterbrochen worden.

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Bissier ließ den Leichnam in seine ursprüng­liche Lage zurückſinken und richtete fich auf. Er hatte ähnliche Situationen als Kriminal­reporter oft genug mitgemacht; aber jest, da sich in seinem eigenen Milien ein Mord abge: spielt hatte, war er doch eiivas aus dem Kon­sept geraten. Er sah ratlos aus.

Telephoniere", sagte Ehret. Sag dem Wachtmeister Febon- er ist doch noch nicht pensioniert? er muß gleich von auswärts die Striminalpolizei anfordern. In einer Stunde können sie hier sein."

Bissier verschwand. Einer der Arbeiter be­

Raum befand wie der Tote. Bu allen drei Arbeitsräumen gab es nur einen Eingang vom Korridor her. Druderei und Stereotypie tvaren nur durch den Seversaal zu erreichen.

Wachtmeister Febon sah streng und mit leichtem Grausen auf den jungen Drucker. " Meier, haben Sie ein Geständnis zu machen?" Ich", fiammelte der Mann, Herr Wachts meister, was denken Sie von mir!" Er begann eine wirre und überstürzte Verteidigungsrede. Aber Febon winkte ab: Durchsuchen!"

Es wurde nichts gefunden. Ebensowenig bei den anderen. Und auch die Durchstöberung der drei Arbeitsräume ergab nichts.

getvorfen haben", warf Ehret hin, und Febon Man kann den Revolver durchs Fenster griff aufatmend nach diesem Rettungsanker. Er beorderte seine beiden Sklaven nach draußen. Sie strichen ums Haus herum und schnüffelten in alle Eden und Winkel.

Unterdessen kam der Bezirksarzt und kons

gann die überquellenden Blätter aufzulesen. Die Seger verzogen sich langsam in ihren Arbeitsraum. Bald hörte man ihre Maschinen wieder flappern. Der blonde Riese, mit dem Ehret im Korridor zusammengestoßen war, nahm eine Kifte mit verbrauchtem Satz vom Boden auf und trug ſie in den dritten Raum. Nach ſtatierte als Fachmann den von den Laien bes furzem Zögern folgte ihm Ehret. Es war die reits festgestellten Tod des Maschinenmeisters. Stereotypie. Der Arbeiter ſtand beim Ofen und Nach der Lage der Leiche und der Schußrichtung warf die ausgedienten Metallzeilen vorsichtig in schloß er, daß der Mann, mit dem Gesicht zur das flüssige heiße Metall im Kessel. Die Guß- Maschine, aus Richtung der Stereotypie erschoss form für die Walze stand offen, mit eingesen worden war. Damit schied der junge spannter Mater.

Druder als Täter aus wenigitens wenn man Der Raum hatte drei Fenster. 8wei ihm glaubie, daß er sich im Moment der Tat führten ins Freie; man sah auf die nackte, dem Meister gegenüber auf der anderen Seite weiße Mauer irgendeines Nebengebäudes. Durch der Maschine befunden hatte. Die Stereotypie das dritte fonnte man verfolgen, was im war im entscheidenden Augenblick leer. Maschinensaal vorging. Ehret stellte sich mitten in den Raum: das Innenfenster vecte sich ge­nau mit dem rechten der beiden Außenfenster.

Er fehrte in den Mittelraumn zurück. Der Lote lag schwer, maſſig neben seiner Maschine, die jest ein schmächtiger junger Bursche be­diente. Draußen in der Seßerei saßen die beiden Maschinenseger an ihren Linotypes. An den Tischen und Pulten arbeiteten drei Hand­feber. Alles in allem acht, dachte er, das heißt fieben ohne den Toien. Einer von diesen sieben muß es sein, wenn es keine Außenarbeit war.

Nach zehn Minuten traf der alte eben ein, der seit vierzig Jahren im Städtchen die niedrige Gerechtigkeit verförperte. Es war sein erster Mordfall, und man fonnte ihm ansehen, daß ihm in seiner Haut nicht wohl war. Er hatte atvei Schuyleute mitgebracht.

Der Schuß muß also von draußen ges fomnien sein, durchs Fenster", meinte der Arzt. Ehret midte. Siebt so aus."

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Die Schußleute fehrten zurück. Der eine brachte drei Personen. Eine Waffe war nirs gends gefunden worden.

Der Täter hat sie mitgenommen; sie hätte ihn verraten", sagte der Wachtmeister. E3 bleibt uns nichts übrig, als auf die Ankunft der Kriminalpolizei zu warten."

Ehret ging in die Stereotypie und lehnte fich zum Fenster hinaus. Etwa einen Weter über der Erde befand sich der obere Rand der Einfassung eines Kellerfensters. Er sprang un­gefähr einen Zentimeter vor, und an einer Stelle war ein dunkler, ölig aussehender Fleck. Er starrte einige Minuten auf die gegen­überliegende, fensterlose Band. Dann wandte