betteln geht, und Dorfpläbe, auf denen man dann und wann am Abend singt. Dummheiten habe ich früher einmal geſchwäßt. Das ift lange her. Damals wußte ich auch noch, daß es etwas anderes als Landstraßen gibt. Genau fann ich mich nicht mehr erinnern, ich war zu jung. Seither.

Das Mädchen schweigt und blidt hinaus

auf den See.

Der Mann hat sich aufgerichtet. Unber­wandt starrt er die Fremde an.

Das Mädchen beginnt wieder zu sprechen. ,, Auch Landstraßen find schön. Auch Dorfpläße mit uralten Kastanienbäumen, einer Bank rund um den Stamm und mit alten Leuten darauf find schön, wenn man sie so sehen kann wie Sie zum Beispiel. Wenn man sie so sieht wie ich, ist das alles sehr traurig." Plößlich fährt sich die Sprechende mit der Hand über die Stirn. ,, Verzeihen Sie, ich schwäße. Ich verderbe Ihnen den schönen Abend?" Ein Versuch, zu lächeln, spielt um den schmalen Mund.

fort?"

Das Mädchen steht auf.

Auch der Mann erhebt sich.

Bleiben Sie da. Warum wollen Sie

., Gehn wir ein venig?"

Sie beginnen um den See zu wandern. Sie leben sicher in einer großen Stadt?" fragt das Mädchen nach einer langen Weile.

Ja", anitvortet der Mann. ,, Aber einen großen Teil des Jahres bin ich hier. Ich liebe den See und das Arbeiten fällt mir hier leich­

ter als irgendtvo sonst", sett er erklärend hinzu.

,, Wie schön Sie es haben!"

Sie find eine große Strede von ihrem ursprünglichen Lagerplatz entfernt. Die Zeit ist weit fortgeschritten. Im Often beginnt es grau zu werden.

,, Wie schön Sie es haben!" sagt das Mäd­chen noch einmal und seht dann hinzu: Und was Sie alles ertvartet! Ich aber

Der Satz bricht jäh ab. Das Mädchen neigt den Kopf.

Das Haar hängt wirr herab. ,, haber

Wieder bleibt es bei diesen Worten. Der Mann stört seine Begleiterin nicht. Er geht neben ihr her und wundert sich über die zarten Hände und über das fluge Geficht dieses Kin­des der Landstraße.

.

,, Ich aber", beginnt das Mädchen twieder ,,, ich habe nichts zu ertvarten. Ich weiß genau, was lommen wird. Ich fürchte mich nicht mehr babor, weil ich mich damit abgefun­ben habe. Für mich gibt es weder ein Vortvärts, noch ein Zurüd... Wenn ich früher die Autos an mir vorbeifahren fah, beneidete ich die Frauen, die in ihnen saßen. Ich wünschte mir, nur einmal mit einer zu tauſchen? Heute Ich sehe nichts mehr rings um mich. Früher hatte ich Sehnsucht nach allem Schönen. Ich Tonnte stundenlang vor einem Denkmal stehn, es anstarren und versuchen, es zu verstehen. Heute? Ich gehe am Schönsten blind vor­über. Nur die Abende gehören mir. Sie und ihre Schönheit...

Das Mädchen schweigt. Minuten bergehen. Plötzlich wirft es den Kopf zurück, streicht mit einer haftigen Betvegung das Haar aus dem Geficht und fieht den Mann an seiner Seite berwirrt an. Warum erzähle ich Ihnen das?

. Warum?... Ich glaube, daß Sie gut find. Ich glaube, daß ich Ihnen alles sagen fönnte. Bon Ihnen strömt ettvas aus, das wie Gebor­Bensein anmutet. Wenn ich morgen, wenn ich

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Hinterhäuser- Romanze

das aber ift der Blick aus meiner Kammer. Getünchte Wände... drängende Gespenster Reihauf reihab das Einmaleins der Fenster Der ganze Großstadt- Hinterhäuſer- Jammer. Hie da gewasch'ne Wäsche, schon berußte.

Quer übern Schmalhof prüft des Nachbars Auge,

Wie's um mein Tagwerk stehe, ob's ihm tauge, Db ich was tat, was er bisher nicht wußte. isher night Es ist bequem für ihn, so aus der Nähe Zu schauen, wie ich komme, wie ich gehe. Bescheid'nes Schauspiel, so genügt's ihm doch. und wenn mein Fenster ich mit schnellem Griffe Verschließe, bringen eines Tanglieds Pfiffe Noch zu mir, einen halben Ton zu hoch.

Erwien,

Ein paar Sekunden starrt Tanja vor sich hin. Dann fintt sie zusammen, liegt am Boden und weint. Der Mann läßt sich neben ihr nieder. Langsam streicht er über ihr Haar.

Nach einer Weile richtet sich Tanja auf. Wortlos starrt fie auf den See. Minute um Minute berrinnt. Dann wendet sie sich dem

Manne zu. Ein müdes Lächeln liegt auf ihren

3ügen.

,, Und wie heißt du?" fragt sie. ..Herbert."

"

Gute Nacht, Herbert", sagte sie ,,, gute Nacht! Bisher träumte ich mir nur den Mann, den ich unendlich lieb haben könnte. Jezt kenne ich ihn.

Sie füßt ihn...

Und ehe der Mann noch begreift, was geschieht, hat sich Tanja aufgerichtet. Mit raschen, leichten Schritten eilt sie über das Stoppelfeld und über die Landstraße zum

in einem Jahr an diesen Abend zurüddenken agen, dessen Tür Sekunden später ins Schloß werde, an die Reinheit dieser Stunde, dann

Da steht der Mann plöblich vor der Spre­chenden. Ich will nichts hören. Nur deinen

Namen."

Mit großen Augen blickt ihn das Mädchen

an. Meinen?"

,, Deinen Namen." Tanja."

fällt..

.

lich vom See leer. Kein Wagen, kein Pferd ist Am nächsten Vormittag ist die Wiese nörd paar Meter von Pferdehufen zusammengetre­zu sehen. Nur ein fleiner Haufen Asche und ein tenes Gras geben Zeugnis dafür, daß in der bergangenen Nacht hier fahrendes Volk ge= Tagert hat, fie fünden aber nicht davon, daß sich ,, Du wirst mit mir gehn, Tanja, Du ge- in eben dieser Nacht das Schicksal eines Mäd­hörst nicht auf die Landstraße, nicht auf Dorfchens vollzogen hat. pläge und nicht in Dorfwirtshäuſer oder auf Bauernhöfe. Glaube nicht, daß du mit mir ein Leben in Saus und Braus führen kannſt. Auch Bekämpfen Sie ihre

mein Leben ist hart, aber es ist immer noch ein Quentchen besser als deins."

Tanja ficht ihn mit großen Augen an. Ihre Händ: beben.

Ich foll?" versucht sie dann zu spre­chen. Es bleibt aber nur beim Versuch. Tränen quillen aus ihren Augen. Plötzlich faßt sie die Hand des Mannes, um sie an die Lippen zu ziehen.

,, Tanja, dumme, fleine Tanja."

Herzogin Natalie

von Oldenburg

Eine österreichische Sozialistin, die, hoch be­tagt, in Stille und Zurüdgezogenheit lebt, schreibt uns:

In Brogyan in   Ungarn ist kürzlich im Alter von 82 Jahren Herzogin von Oldenburg gestorben. An ihren Tod knüpfen fich allerlei Gerüchte, so unter andern auch das, sie habe die letzten vierzig Jahre ihres Lebens in einem grauen Turm zugebracht.

Herzogin Natalie, die warmfühlende und mitleidsvolle Frau, vierzig Jahre in einem Turm! Nein! Wer immer diese Information gegeben hat, sie ist unrichtig! Ich lernte diese Frau in meinem zehnten Lebensjahre kennen und konnte sie nie vergessen. Wenn auch mein Leben ein ganz anderes war, so interessierte ich mich doch immer für die Frau, die mir in mei­ner Jugend, wie eine Lichtgestalt erschien. Ein Engel an Schönheit und Güte. So wie ich jetzt von ihr schreibe, sche ich sie vor dem Schlosse Alt- Erlaa vor mir: Im hellen, geblumten Reitkleid, das Pferd besteigend und mir zu rufend, ihre Rückkehr abzuwarten. Sie beschenkte mich, wie hunderte andere auch. Auch mit Bü­chern. Sie beschäftigte meine Mutter, als diese arbeitslos war. Sie war damals eine sehr junge Frau und fuhr im Park ihres Schlosses oft selbst

Frühlings- Müdigkeit

Seit man von den fleinsten Lebensstoffen, den Vitaminen, Kenntnis hat und immer mehr solcher Nahrungs- Inhalte entdeckt, ja selbst her­stellt, weiß man, daß zum Beispiel die Sitte der Gründonnerstag- Suppe aus fiebenerlei oder neunerlei Kräutern durchaus kein Aberglaube ist, ebensowenig wie das Bestreuen der fertigen Suppe mit Suppenkräutern( Petersilie, Schnitt­

eines ihrer Kinder. 1879 übersiedelte ich mit meiner Mutter nach   Wien und ich hörte jahre­lang nichts mehr von der Herzogin. Durch meine

Tätigkeit, auch die schriftſtelleriſche, und verſchie=

dene Zufälligkeiten, kam ich Ende der neunziger Jahre wieder mit ihr in Beziehung. Sie besuchte damals mit einer auch mir bekannten Dame eine Versammlung, die eine Solidaritätskundgebung für die streikenden Bergarbeiter von Mährisch=  Ostrau war. Unter dem Motto: Schwarze Damen" leisteten beide ihren Unterstützungsbei­trag für den Streiffonds. Damals aber soll sie nach dem Brünner Tagesboten" schon weltab=

gewandt in dem grauen Turm gelebt haben! Daß das nicht stimmt, beweisen noch andere Tatsachen. Aus dem Jahre 1906 besige ich drei Briefe von ihr. Doch vorher noch eine Sache, die von ihrer geistigen Einstellung und von ihrem Verhalten zu den Arbeitern Klarheit gibt. Neben ihrem Schlosse in Alt- Erlaa hatte sie schon zu Lebzeiten ihres Mannes ein Spital eingerichtet, in welchem mittellose Leute unentgeltlich aufge= nommen wurden. Arzt und Medikamente wurden von ihr bezahlt. Auch in ihrem ungarischen Dorfe Brogyan erhielt sie ein Spital. Einmal hatte sie im Spital zu Alt- Erlaa einen Arbeiter aufge= nommen, der wegen Majestätsbeleidigung ver­folgt wurde. Damals wandte sie sich an Doktor Viktor   Adler, er möge fie besuchen. Sie erbat von ihm Rat, wie man den Arbeiter fortbringen könne, um ihn vor der Strafe zu schüßen. Nach dem Umsturz übernahm sie vorübergehend das Protektorat über den von Dr. S. Weiß ge­