BUNTE WELT

Nr. 20

Vojtěch Martinek:

Das Lied der Heimat

Aus dem neuesten Werke des Ostrauer Heimatdichters, dem Gedichtzyklus Pisen o domovině".

Vielliebes Land... aus blauem Dunst ersteht Dein Antlik, körperlos, von nächt'gem Traum umweht,

Im Orgelrauschen... die Berge im Gebet, Ein fahles Leuchten vom Himmel niedergeht.

Vielliebes Land... dann, wenn der Dämmer flicht,

Der Hang in einem Funfenmeer erglüht, Die Felder lohen, die Blumen duften mild, Die Saaten wogen, so läutert sich dein Bild.

Bielliebes Land. es strömen übers Wehr Im naben Fluß die Wafferwogen schwer, Dazwischen tönt in heller Stimmen Klang Zur Mittagszeit ein froher Erntefang.

Vielfiebes Land... dann kehret Nuhe wieder,

In milden Farben sinkt der Abend nieder, Großväterchen, von Sorg und Alter krank, Sagt demutvoll: ,, Dem Herm sei Lob und

Dant"

Leidvolles Land... fchwer dringt die Hacke ein, Hart bist du, lehmig, gibst schwarzes Brot allein,

Ihr Menschen benget tief die Häupter gran, Ihr Hütten, ewige Not dedt euer Bau.

Leidvolles Land... wofür magst du uns nähren?

Seht, ach, flachshaaciger Kinder stille Zähren, Die blauen Aenglein blicken schen darein, Die Wangen blaß vom dumpfen Kämmerlein.

Unterhaltungsbeilage

1937

Die Austrocknung des heiligen

Geistes

Eine Pfingstwundergeschichte von Kurt Eisner Kurt Eisner

wäre in diesen Tagen, am| Preſſe reizte zum Sturm auf man war stür­14. Mai, 70 Jahre alt geworden. Vor genau misch. Die Presse verlangte, daß man irgend 20 Jahren, zu Pfingsten 1917, hat er die fol- etwas restlos jein müjje- man war restlos. gende satirische Geschichte geschrieben. Es war in Kriegszeiten und Eisner mußte sich sehr vorsichtig ausdrücken. So ist eine Pfingst­geschichte entstanden, die sich gerade jest höchst

In ähnlicher Weise wurde man aller Schivierigkeiten Herr. Als es im falten Winter teine Stohlen gab, feierte man den Nuzen des Frierens, das die Fäulnisfeime im menschlichen

Welt in diesen 20 Jahren nicht allzu viel ge- Als Milchmangel eintrat, bewies man, daß bessert hat.

Milch gesundheitsschädlich sei. Wenn trotzdem die Kleinen Kinder massenhaft starben, so lag daz eben daran, daß sie noch nicht leſen konnten, folglich nicht wußten, daß Milch ungesund und Milchmangel gesund sei...

Ich habe vergessen mitzuteilen, daß es eine höchft liberale und aufgeklärte Regierung war, die auf diese sinnreiche Weise die Menschen er

Begehrt man zu erfahren, in welchem Lande es sich begab, so kann ich es deutlich tenn­zeichnen, indem ich verrate, daß es früher ein­mal so und so viele Seelen gehabt hat, jetzt aber nur noch aus Regierung, Armee, Munitions­arbeitern und Presse besteht. Das ist, denke ich, flar genug. Die Pieffe das war cininci der obliga- 30g. Selbstverständlich konnte nur eine liberale torisch eingeführte heilige Geist, und auserdem und aufgeklärte Regierung dermaßen mit rein der kitt, der den Zuſammenhalt der übrigen ge- es nicht verschweigen) sie erlitt Schiffbruch mit geistiger Beeinflussung arbeiten. Aber( ich darf dieser humanen Methode. Das Unheil tam von der Milch. Man hatte zu lange wiederholt, dai wieder genügend Milch hatten, taufte ſie nies die Milch gesundheitsschädlich sei. Ats die Küse

nannten Bestandteile möglich machte Die Regierung ließ es fich viel Mühe kosten, diesen Stift in immer gleicher Norma- gite und flebris ger Zähigkeit zu liefern. Von dem Zentral presseamt rann unablässig der schwärzliche Stoff über das ganze Land und verstopfte alle Poren eigenwilligen Widerſtandes und ſelbſtändigen Troyes . Niemand bedurfte mehr der Mühe zu

denken oder zu fühlen.

ten die Regierung. Nun tam die Reaktion ans mand. Die Milchbauern wurden wild und stürz Ruder. Die erkannte, daß alles Unheil von der Presse gekommen sei. Die Ueberfütterung des

fogenannten Geistes führe nur zu Unzufrieden­Was litt man früher unter der menschheit, Nörgelei, Opposition, Revolution. Da lichen Einrichtung, die man Gedächinis nenni! außerdem die Männer der neuen Regierung Das war eine etvige Quälerei. Man erinnerie unter dem vorigen Regime das Gedächtnis fo sich nicht nur an alte böse Erfahrungen, sondern sehr eingebüßt hatten, daß sie auch die Buch­schlimmer noch an frühere ieberzeugungen. Im staben vergessen und nicht mehr lesen konnten, mer hatte man das schlechte Gevjjen, als ob unterdrückten sie mit einem Schlage die ganze man sich in Widerspruch mit sich fit sebe. Preſſe. Jest war der Fluch des Gedächtnisjes gänzlich von der Menschheit genommen. Atemand erin­nerte sich mehr, was er gestern gesagt, verspro­Noch kann der Alpdruck vollends nicht ent- chen, gewollt hatte. Das war der Erfolg der

Leidvolles Land... was fränzet deine Matten? Der Schächte Dunkel, der Schlöte stumme Schatten,

schwinden,

Nicht jede fleißige Hand auch Arbeit finden.

Leidvolles Land... Sonntage, Festesstanden, Auch gran in grau und lanter Frend entwunden, Herrisch aus der Fabrik Sironen hallen, Die ihr da front, kennt ihr gebietend Schallen.

Heimaterde... nun sch' ich es ein: Dein Erbe hüllt mein ganzes Leben ein, Tief dringt euer Anblick in mein Innres ein, Da alter Arbeitsmann, am Feld du Mägdelein.

Und plötzlich tönt ein füßer Geigenlaut, Du, Erde, sprichst verhalten, leis und traut, Urahns Vermächtnis man vernehmen kann, Was fündet, Tote, ener Anf mir an?

Die Ewigkeit schant strengen Blides brein, Erschüttert fühl ich es, o Heimat mein, Wie ich allein in diesen Weihestunden Deiner Geheimsprach Schlüssel hab gefunden.

( Aus dem Tschechischen von Emil Beinſtein.)

Presse. In der Zentrale wurden nur Leute zu gelassen, denen das Gedächtnis auf verativem Bege entfernt worden war. Ihr geistiger Ein­fluß teilte sich dann durch alle Vermittler der Prejje den Zeitungslejern mit.

Die Welt war über Nacht restlos!- gewandelt. Es gab keine Zeitungen mehr. Man erfuhr nichts mehr, außer die regierenden Be fehle, die nach alter Weise vom Boten ausges flingelt wurden. Man wußte nicht mehr, was man denken, glauben, empfinden solle. Der Geist war ausgerottet. Es war eine Luit, zu regieren. Die Austrocknung des heiligen Geistes nannte den Zustand der Kriegsminister, ein wißiger und energischer Mann.

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Zugleich war mit der leberwindung des Gedächtnisses auch die alte lästige Frage der so­Ja niemand war sich bewußt, wie ez genannten Wahrheit zu aller Befriedigung aufs fam allmählich ging eine Aenderung in den glücklichste gelöst. Was jeweils in der Presse Seelen vor sich. Es regie sich etwas Neues, stand, war die Wahrheit. Da jede Zeitung un rührte sich, wuchs, quoll. Und auf einmal war mittelbar nach Gebrauch an das Kriegspapizes da neu, start, gewaltig: das Gedächtnis, ami zurückgeliefert werden mußte, konnte man auch nicht etwa durch müßiges Aufbewahren und Zurückblättern den Gedächtnisverlun um gehen und an der Wahrheit von heute dadurch irre werden, daß man im gestrigen Biar eine andere, entgegengesetzte Wahrheit las.

So war man, obwohl es schlimme Zeiten waren, im ganzen Lande einig und zufrieden. Besonders die Stimmungen waren prächtig organisiert. Die Presse verkündete Begeisterung

man war begeiſtert. Die Presse forderte: Entrüstung- man war entrüſtet. Die Presse mahnte zur Geduld man war geduldig. Die

das längst verlorene Gedächtnis. Und anderes blühte auf: die Menschen fingen plößlich an zu denten, ganz gerade und einfach zu denken, ver­nünftig zu denken. Aus dem Innern rauschte etwas Unbefannies, Herrliches empor: ein tiefes, glühendes, menschliches Fühlen. Es war, als ov man sich selber wiedergefunden hätte, seitdem man nicht von außen mehr durch den Pre­geist dressiert worden war. Man war nicht mehr so einig untereinander, aber wunderiam einig mit ſich ſelbſt. Aus dieser jungen Klarbeit und Kraft wuchs dann eine andere große Ein­heit hervor, die Einheit der Erkenntnis, wie

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