BUNTE WEIT Nr. 35' Unterhaltungsbeilage 1937 Vor dreißig Jahren Der Internationale Sozialistenkongreß August 1907 Kurt Eisner  , Siidekum, Jaures  Unter den internationalen Kongressen der sozialistischen   Arbeiterschaft nimmt der Stutt­ garter   Kongress von 1907 der Bedeutung nach eine hervorragende Stellung ein. Er ivar die siebente sozialistische internationale Tagung, aber die erste, die in Deutschland   statt­finden konnte. Das kaiserliche Deutschland  , be­sonder? aber Preussen, zeichnete sich damals vor allen anderen Ländern durch den herrschenden Polizeigeist aus. Es ist bekannt, mit wie viel Schikanen und niederträchtigen Polizei- und Justizmassnahmen die aufstrebende deutsche  sozialdemokratische Bewegung niedergehalten werden sollte. Ein internationaler Kongress auf deut­schem Boden war darum ein grosses Wagnis. Im ZüricherVolksrecht" wurde jetzt daran erinnert, dass die Bertreter der Partei in Württemberg  , wo seit Jahrzehnten eine demo­kratische Tradition gegeben war, mit der Lan­desregierung auch darüber verhandeln musste», was geschehen würde, wenn etwa von Berlin  aus die Verhaftung und Auslieferung eines der mit zaristischen SteSriefen verfolgten russi­schen Sozialisten verlangt werden würde. Der Ivürttembergische Innenminister gab den Ge­nossen darum die Antwort, er werde in einem solchen Fall dem betreffenden Sozialisten die Gelegenheit geben, das Land über den Boden-, see zu verlassen. Trotz dieser indirekten Stel­lungnahme gegen den preussischen Polizeigeist liess sich die württembergische Regierung wäh­rend des Verlaufs des Kongresses zur Auswei­sung des englischen Delegierten Ouelch zwin- gen. Ouelch hatte in einer Rede die.Haager Konferenz der Diplomatena tief's suppet" genannt, woraus die reaktionäre PresseDiebe und Räuber" gemacht hatte. Obwohl der englische   Sozialist sich dagegen verwahrte, musste er am fünften Kougresstag das Deutsche Reich verlassen. Das Jahr 1907 sah, ebenso wie die voraufgegangenen Jahre, die internatio­nale sozialistische Arbeiterbewegung in kräftigem Aufstieg. Die russische Revolu­tion von 1903 hatte die Aktivität des sozialistischen   Proletariats in zahlreichen Ländern belebt. In Frankreich   war kurz vorher die.Einigung der sozialistischen  Parteien hergestellt worden, und in Oesterreich   hatten die Arbeiter eben das allgemeine Wahlrecht erobert und-bei den Reichstagswahlen im Mai 1907 einen glänzenden Erfolg errungen, an dem die deutschen   Sozialdemokraten in Böhmen   einen starken Anteil hatten. In dieser Situation trat Ende August 1907 der internationale Sozia- listenkongress in Stuttgart   zusauunen. Unter den mehr als 800 Delegierten kamen 287 aus Deutschland   und 73 aus Deutsch  -Oesterreich. Die Länder aller Erdteile waren vertreten und unter de» Delegierten befanden sich Bebel, Jaurbz, Bandervelde, der Engländer H h n d m a n, der Amerikaner Hillquit, MarrellCachin, die Russen Plechanov  , I. Axel- r o d und aus den österreichischen Län­dern Viktor Adler  , Pernerstor- fer, Glöckel, Czech, Seliger. Der Kongress hatte als Tagesord­nung folgende Punkte zu beraten: Der Militarismus und die internationalen Konflikte; Die Beziehungen zwischen den politischen Parteien und de» Gewerk­schaften; die Kosonialsrage; die Ein- und Auswanderung der Arbeiter; das Frmienstinunrecht. Die geistigen Aus­einandersetzungen über die Stellung­nahme der Arbeiter zum Militarismus und den internationalen Konflikten zogen sich in den Kommissionssitziingen mehrere Tage hin. Die marxistische Richtung musste die von dem Franzosen Herve vor­getragene anarchosyndikalistische Auffas­sung znrückweisen. Herve ist dann wäh­rend des Krieges zu einem der extrem­sten und wüstesten Militaristen geworden. ES lvar Iauris,-er in der Debatte fol­gende klassische Formulierung über die Stellung der Arbeiter dem Parlament gegenüber fand. I a u r i s sagte: Das Vaterland will Herve zer­stören. Wir wollen das Vaterland zum Nutzen der Proletarier sozialisieren durch Ueberführung-er Produktions­mittel in das Eigentum aller. Denn die Nation ist das Schatzhaus des Menschlichen Genies und Fortschrittes, und es stünde dem Proletariat schlecht an. diese koschare» Gefässe menschlicher Kulwr zu zertrümmern." Der Kongress legte die Stellungnahme der sozialistischen   Parteien in einer einstimmig an­genommenen Entschliessung sest. in- der es am Schluss heisst:Der Kongress ist der lleberzeu- gung, dass unter dem Druck des Proletariats durch eine ernsthafte Anwendung der Schieds­gerichte an Stelle der kläglichen Beranftalwn- gen der Regierungen die Wohltat der Abrüstung den Völkern gesichert werden kann, die es er­möglichen würde, die enormen Aufwendungen an Geld und Kraft, die durch die militärischen Rüstungen und die Kriege verschlungen werden, für die Sache der Kultur zu verwenden. Droht ,der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeiten­den Klassen und deren parlamentarische Ver­tretungen in den beteiligten Ländern verpflich- tet. unterstützt durch die znsammenfaffende Tätigkeit des internationalen Bureaus. alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden. Mfttel den Aus­bruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klaffenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situa­tion naturgemäss ändern..Falls der Krieg den­noch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und poli­tische Klüse zur Aufrüttelung des Volkes auszu­nutzen und dadurch die Beseitigung der kapita- listischen Klassenherrschaft'zu beschleunigen." Es ist noch in Erinnerung, dass sich in dem Axel rod (Rußland) Hyndmon (England)