BUNTE WELT

Nr. 37

Unterhaltungsbeilage

1937

Jeder war einer Mutter Sohn

Eine Episode aus dem deutschen   Bürgerkrieg 1919 von Walter Hornung( Schluß)

Der Hausmeister kommt herein: Wollt grab. Der Pfarrer spricht vom sinnlosen Tod

ihr hier warten, bis die Weißen euch ausheben oder die erbosten Bürger euch herausholen?"

., Was sollen wir tun?" fragt Pawel und tupft seine Zigarette am Fenstersims aus.

Der Hausmeister, ein kleiner freundlicher Mann mit gutmütigem Gesicht erwidert: Geht in euer Lager zurüd!"

Pawels energischer Mund kneift sich zu­sammen. Die Rückkehr ins Lager ist einem Wortbruch gleich. Aber, warum hat man sie in diesen Schulsaal gelegt und nicht mehr nach ihnen gefragt? Jedoch es nüßt nichts, darüber zu grübeln. So sagt er:

,, Es ist klar, wir müssen hier heraus!" Die Männer begreifen das. Der Haus meister erläutert ihnen den Weg, den sie ein schlagen müssen.

Bald sieht man sie, das Gewehr geschultert, in losen Gruppen über die große Wiese gen Westen dahintrotten.

Sie sind schon eine Stunde weg, da fällt dem Hausmeister ein, es wäre vielleicht besser gewesen, die Männer hätten die Gewehre nicht mitgenommen. Er erinnert sich der Anordnung der Weißen: Wer mit der Waffe in der Hand betroffen wird, ist zu erschießen! Nachdenklich trast er sich hintern Ohr. Freilich, wenn die Weißen bei der Besetzung der Stadt im Schul­hause die dreiundfünfzig Gewehre finden würden...

Rund um die Stadt spielen die Maschinen gewehre ihr mörderisches Tadetack; dazivischen bellen die Geschüße. Die Dachſchüzen der roten Armee kämpfen bis zur letzten Patrone. Bleiben sie nicht durch einen guten Schuß des Gegners auf der Strecke, so enden sie nach der Gefan= gennahme sofort an der nächsten Wand. Auch

dieser Tage...

*

Ueber das weitere Schicksal des Russen­trupps gibt nur eine lafonische Pressenotiz Auskunft, die in diesen erregten Tagen taum beachtet wird. Sie meldet, daß dreiundfünfzig russische Kriegsgefangene, die sich der roten Armee angeschlossen hätten, in einem Walde bei Gräfelfing   ,, mit der Waffe in der Hand" betroffen und standrechtlich erschossen worden seien. Das sozialistische Blatt der Stadt er laubt sich die Frage, ob der Führer der Truppe, die die Füsilierung vollzogen hat, sich verge wiffert habe, ob diese russischen Kriegsgefan­genen tatsächlich am Kampfe beteiligt waren. Auf diese Frage wurde nie eine Antwort gegeben.

Der einzige Zeuge der Exekution war der Ortspfarrer von Gräfelfing  , denn als gute Christen schickten die Ordnungstruppen" die Russen nicht ohne geistlichen Zuspruch ins Jen­seits. Oder war ihnen die Anivesenheit eines Pfarrers etiva zugleich Alibi vor Gott   und ihrem Gewissen?

Die dreiundfünfzig Russen wurden in eine Kiesgrube getrieben und dann mit Maschinen­gewehren zusammengeschossen. Sie mögen wohl wie eine verschüchterte Schafherde aneinander­gerückt sein und das Gebet des Geistlichen wie eine sinnlose Kette von irren Worten empfun­den haben.

Und Pawel dachte vielleicht noch an den Brief, den er in der Tasche barg und vergessen hatte aufzugeben..

der wehrlos Gewordene ist noch Feind, er ist es Ziel und Zuversicht

noch im Tode, wenn ihn die Gegner mit einem Tritt auf die Lastautos befördern.

Wer einen persönlichen Feind hat, kann ihn in diesen Tagen schnell und bequem los

werden.

Der Haß regiert die Stunde. Für die von den roten Garden in einem Gymnasiumshof füfilierten vierzehn Geiseln aus dem Kreise der verschwörerischen Thulegesellschaft fällt in den Arbeitervierteln die fünfzigfache Zahl dem Standrecht zum Opfer. Mütter und Frauen rennen zu den Sammellagern, bringen Zeugen mit, die Unschuld des Sohnes, des Gatten zu beweisen. Sie erhalten in der Mehrzahl der Fälle den Bescheid, daß der Gesuchte Revo­Iutionär und bereits erschossen sei.

In einem Hause im Zentrum der Stadt haben sich an einem der unruhigen Abende vierundzwanzig junge Männer, Angehörige eines katholischen Vereins, im Erdgeschoß ver­sammelt. Die Weißen, durch Angeberei aufge­hetzt, wittern eine rote Verschwörerbande, drin­gen ein, jagen die Menschen in eine Ede zu ſammen und ſchießen sie ab. Nur durch Zufall bleiben drei der jungen Menschen übrig. Ein= undzwanzig Mütter stehen vor einem Massen=

Geht auch dein Sehnen manchen irren Weg und schwindet dir im Wandern oft das Ziel und wirst im Schreiten müde du und träg', drückt dich verwirrend auch das Weggewühl: Du findest, Mensch, wo du auch immer bist, den Ort, der aller Träume Ende ist!

immer ist er gleich,

Was du auch hoffteft ob Blüten oder Sterne du geträumt; die Stunde wird dir, sommerdämmerweich, die du im Haſten immer noch versäumt: Die Stunde tiefer, allertieffter Ruh', die find'st nun, Ruhelosester, auch du!

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*

Doch aber sei dein letztes, höchstes Ziel: Ob du gestümpert oder hast gekonnt; daß du gelebtob wenig oder viel- und sagen kannst: Es hat der Welt gelohnt! Dann wird bein Rahen erst ganz stark und reich und bist du, Mensch, den sel'gen Göttern gleich!

Hans Honheiser.

Ein Jahr später. Ich wandere durch das anmutige Mühltal   und komme zu der Nies­grube an der Straßenkreuzung, die still in der Sonne liegt. Gegenüber ist der Ortsfriedhof. Ich erfundige mich nach der Grabe der ers schossenen Russen. Der Totengräber deutet nach einem Winkel neben der Leichenhalle. In der Ecke erhebt sich, mit der Mauer verbunden und über sie hinausragend, ein Grabmal. Dort kann es doch wohl nicht sein? Ich bin im Begriff zu­rückzugehen, da kommt mir der Totengräber entgegen und sagt:

,, Es ist schon das Grab, das Sie suchen! Der Grabstein ist noch nicht lange da!" äher an

Ich trete näher an das Grabmal heran, das in gemauerten und glatt verpuzten Flach­säulen, von einem Kursivbogen überspannt, an den Eden das Kreuz der russisch- orthodoxen Kirche  , in der Mitte das Roms trägt. Auf einer Marmorplatte lese ich:

Fern von der Heimat Fanden hier hr Grab 53 russische Kriegsgefangene, zum zweiten Male gefangengenommen im Kampfe gegen Regierungstruppen am 2. Mai 1919. Standrechtlich erschossen in der großen Sandgrube nahe bei diesem Friedhof. Wanderer, wer du auch seieſt, Wünsche ihnen eine fanfte Ruhe. War denn nicht auch von ihnen Jeder Einer Mutter Sohn?

Diese Tafel errichtete der Deffentlichkeit für kommende Geschlechter

Die Bäderinnung München  .

Der Leser wird zu erfahren hoffen, welche Bewandtnis es mit diesem Grabmal und seiner merkivürdigen Unterschrift habe. Es kann leider nur gesagt werden, daß die Bäckerinnung in der Nähe jenes Friedhofes im Walde ein Ferienheim besitzt. Wohl hat die Innung einen Aft über die Entstehungsgeschichte des Grab­mals; er ist aber niemandem zugänglich. Neu­gierige befommen den Bescheid, daß die Lef= fentlichkeit sich mit dem sichtbaren Att der Pietät begnügen müsse. Nur ist leider die fromme christliche Geste durch die unwahrheit in der Inschrift entwertet, daß die dreiund­fünfzig unglücklichen Menschen im Kampfe" gefangengenommen worden seien.

Ich stehe nachdenklich vor dem Grabmal, zu dessen Füßen fümmerliche Flora blüht, halbe Wildlinge, Abgetriebene aus dem großen Weber­fluß der Welt, wie die Toten da unten.

Der Krieg hat Millionen Menschen ver­nichtet. Mord zeugte immer wieder Mord, Krieg den Bürgerkrieg. Neber den Gräbern aller Gemordeten stehen unsichtbar die Borie der Grabplatte, die den dreiundfünfzig Söhnen Mutter Rußlands   gewidmet sind Jeder war einer Mutter Sohn!"