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Der Primgeiger
Das Kaffeehaus, ausgestattet mit allen Einrichtungen, die vielleicht zu seinem Betrieb nötig wären, wenn es überhaupt einen hätte, ist erfüllt von einer prächtigen, tomfortablen und luguriösen Leere. Auf den niederen, rotsamtenen Fauteuils fibt fie, hingezogen, ein geschwelltes, üppiges Nichts. Ueber die kleinen viereckigen und niederen Tischchen aus gläfernen Platten, umrahmt von einem nach modernsten Verfahren verchromten Metall, streicht sie hin, die Leere, fließt über die blauen Tapetenwände und läßt sich von dem strahlenden Glanz der neusachlichen Lampen bestrahlen, die beleuchteten Zigarrenkisten aus matten Glasscheiben so verblüffend ähnlich sehen. An
Zuckerdöschen aus dunkelblauem Kristall
lehnen unberührt die silbernen schimmernden Zangen, Verwandte der benachbarten metallenen Aschenbecher, an denen noch niemand die Zigarrenasche abgestreift hat. Kellner wandeln durch den Raum, die Leere zu bedienen, die gar nichts.bestellt. An der großen Registriertassa steht regungslos ein Mädchen, wie ein schußbereiter Soldat neben einem Maschinengewehr. Ich bin der einzige Gast, aber ich verschwinde in der unermeßlichen Leere des umfangreichen Raumes und werde als ein unmoderner Gegenstand ignoriert von der moder
nen Einrichtung. Auf der Estrade mir gegen über spielt seltsamerweise eine Musikkapelle.
Eine fleine Kapelle, man nennt es Quartett. Der erste Geiger, frohgemut, in einem festlichen Smoking, läßt von Zeit zu Zeit die Geige aus der Klammer gleiten, die er aus Kinn, Kragen und steifem Hemd für sein Instrument hergestellt hat, hebt den rechten Arm mit dem Bogen, flopft auf das Notenpult, streichelt mit sanfter Lacks ubsohle das Brett der Estrade, auf dem er steht, lächelt mit entblößten schönen Inseraten- Zähnen aus schneeweißem Marmor, neigt den Kopf mit dem glatten Ebenholzhaar, das ein schmaler Strich, wie ein weißer Zwirn, in der Mitte in zwei gleiche Hälften scheidet, und benimmt sich genau so, als wenn das Lokal von Gästen erfüllt wäre. Wie er so dasteht, tannenschlant imd volledel, ein Mustereremplar der Geigergat tung, ein Liebling des nicht vorhandenen Bublikums und besonders seiner selbst, nimmt er sich ganz einmalig und erstmalig aus, und mir ist, als hätte ich noch niemals vorher einen ersten Konzertgeiger gesehen. Es ist, als steigerte die völlige Leere im Kaffeehaus die gewöhnliche Eitelkeit, die einen Kapellmeister ausmacht, zu einem exhibitionistischen Erzeß, und die Zwecklosigkeit dieser Eleganz, die das Geigenspiel einrahmt, umrankt und verbirgt, entwickelt sich zu der pathologischen Haltung eines Irren, einer Art Paranoia der Mondänität. Einbezogen in sie, und von ihr beinahe verschluckt, wird nicht nur die Musit, die ihr Geiger selbst erzeugt, sondern auch jene, die von den drei anderen Mitgliedern der Kas pelle ausgeht, so daß alle ,, Konzertstücke" anfangen, eher eine visionelle, als eine akustische Wirkung auszuüben als hätten sie sich in dem physiologischen Sinn geirrt, für den sie eigentlich bestimmt waren. Wie von tausend Hohlspiegeln wiedergeglänzt und vergrößert, erscheint in dem überflüssigen Lokal, in dem sich die Leere so viel wohler fühlt als ich, die überflüffige Eleganz eines ersten Musiksmokings, diese übertroffene, wenn auch urba= nisierte Noblesse eines Zigeunerprimas, und dem ruhenden Lurus der Zuckerzangen( mit denen nur Akrobaten hantieren fönnen) entspricht der eifrig bewegliche Lurus eines Geis genhalters, der sich sozusagen in Lüften windet.
Es scheint, daß er die ganze unaussprechliche| verneigt sich vor der Leere. Seine Augen und Süße der Wohllaute in seinem Innern vers nimmt, die er leider nicht produziert, und er ist also eine Art von Primlauscher und fein Primgeiger.
Dann beendet er mit einem fühnen Entschluß das Musikstück, als wäre es nicht von felbft zu Ende gegangen, wenn er nicht mit ausgebreiteten Händen den Schluß befohlen hätte, den üblichen Tusch, in den alle Konzertstücke münden müssen, wie Flüsse ins Meer. Er
seine Zähne glänzen dankbar ins Nichts, und es scheint, daß ihm die Leere applaudiert. Es ist unheimlich still, und man denkt an eine Lurusgruft. Der Geiger setzt sich, zieht ein seidenes, gebatiktes Tuch aus Kunstgewebe und wischt sich den imaginären Schweiß von der Stirn. Das Instrument hält er zwischen den Knien, wie ein Friseur einen Kopf aus Holz, auf dem Perücken hergestellt werden. Es ist Pause.
wir Mieter, wir Mieter..
Von Emil Otto
Als ich dieser Tage das Vorhaus meines| rende Bitte: Es wird ersucht, die Nachtruhe Wohnhauses betrat, leuchtete mir in blauer nicht vor neun Uhr zu stören." Es ist anzus Schrift auf gelbem Grund, teilweise rot unter- nehmen, daß dieser Hausherr mit seinen Mies strichen, eine Kundmachung des Hausherrn tern die bittersten Erfahrungen gemacht hat. entgegen, in der den Parteien die Pflicht auf- Wahrscheinlich geht der biedere Mann um sechs erlegt wird, das Haustor bei hereinbrechender Uhr nachmittags schlafen und will zumindest Dunkelheit wegen den sich häufenden Ein- die drei Stunden bis neun Uhr feine Ruhe brüchen" unbedingt abzuschließen. Diese Auf- haben. Eine andere Erklärung fand ich für forderung ist nichts Besonderes, sie fesselte diese Bitte nicht. Weit einleuchtender ist ein meine Aufmerksamkeit trotzdem und veranlaßte Ersuchen, das an die Wäsche der Mietparteien mich, im Laufe der folgenden Tage nicht nur gerichtet und folgendermaßen formuliert ist: in dem Hause, in dem ich wohne, sondern auch Die Wäsche wird gebeten, nicht im Garten zu anderen Ausschau nach hausherrlichen bleichen." Es ist anzunehmen, daß dieser Bitte Kundmachungen zu halten. nicht nur die zarte Wäsche der Frauen, sondern auch die etwas rauhere der Männer un verzüglich Folge leistet.
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In fast jedem Hause hängt eine mehr oder minder große Tafel, auf der säuberlich in Drud die Bedingungen festgehalten sind, unter denen der Mieter die von ihm bewohnten Räume auf die Dauer benüßen darf. Neben dieser Kundmachung gibt es ihrer aber noch zahlreiche andere, die der Hausherr von Fall zu Fall im Stiegenhaus, im Keller, am Boden oder weiß Gott wo noch anbringt, um seinen Mietern durch die Einhaltung derselben Beschäftigung zu geben. Und sonderbar: je kleiner das Haus ist, um so größer ist die Zahl der Verordnungen.
So fand ich zum Beispiel in dem Hause, in dem ich wohne, an der Tür zur Waschküche einen Bettel mit folgendem Inhalt: Diese Tür ist leise zu schließen", womit sich der Hausherr offenbar in krassen Widerspruch zu der allgemein gültigen Hausordnung seßt, die begt, daß jede Türe leise zu schließen sei. Eine furiose Verordnung fand ich auf einer zu einem Boden führenden Treppe. Dort stand: ,, Den Stiegen ist das Ausspucken verboten!", ein Auftrag, der gewiß seine Wirkung nicht verfehlen wird, wenn er von den Stiegen ebenso gewissenhaft eingehalten wird, wie von den Mietern. Was ist aber der Hausherr mit den spuckenden Stiegen gegen die Hausfrau, die auf den Toiletten eine Verordnung des Inbaltes anbringen ließ, daß ,, die Benützung der Wasserspülung nur in großen Fällen" erlaubt sei. Nur ein Neugeborenes wird vergebens 1 ch einer Erklärung für die Düfte gesucht haben, die das Stiegenhaus dieses Baues durchzogen. Absolut erfolglos war der Befehl eines Hausherrn an die im Hause lebenden Hunde. Obwohl auf der Tür, die zum Garten führt, ein großes Plakat mit der Aufschrift Hunden ist das Betreten des Gartens ber boten!" hängt, traf ich in diesem Garten ihrer nicht weniger als drei, die sich dort den Eindruck hatte zumindestens ich trotz dem Verbote äußerst wohl fühlten und zwischen den Blumenbeeten und dem Gemüsegarten munter hin- und herliefen.
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Es glaube aber niemand, daß es mur Hausherren gibt, die befehlen. Zumindest ebenso grof wenn nicht gar größer, ist die Bahl derer, die ihre Stiegenhäuser, Keller und Bodenräume mit höflichen Ersuchen tapezieren. So fand ich unter vielen anderen folgende rüh
Im Parterre eines Hauses hängt ein Bettel mit der Bitte: Es wird ersucht, hier leise zu gehen." Ich habe die Feststellung gemacht, daß diesem Ersuchen auch prompt Folge geleistet wurde. Im ersten Stock hingegen trampelten ein paar Kinder munter herum und machten einen unbändigen Krawall. Ich ging hinauf. Oben jing natürlich kein Zettel. Offenfichtlich trifft den Hausherrn das Verschulden für den Lärm im ersten Stock. Geradezu artistische Fähigkeiten verlangt diese Hausherrnbitte: ,, Es wird höflich gebeten, die Tür leise ins Schloß fallen zu lassen." Mit dieser Tür habe ich mich zehn Minuten abgegeben. Ich versuchte es auf alle möglichen Arten, sie leise ins Schloß fallen zu lassen. Es gelang nicht. Stets gab es einen donnerähnlichen Knall. Schließlich gab ich meine Bemühungen auf.
Die Fundgrube der gediegendsten Verordnungen, Bitten und Befehle sind jedenfalls jene Toiletten, die ein ganzes Stockwert gemeinsam hat. Ich las in einer solchen folgende Bitte, die davon zeugt, daß der Hausherr mit der Zeit doch mürbe gemacht worden ist: ,, Es wird ersucht, höchstens zweimal zu ziehen." Daß Hausherren auch um die Gesundheit ihrer Mieter besorgt sind, besagt diese rührende Mitteilung: Langes Verweilen hier ist ungesund, es wird deshalb ersucht, nur die notwendige Beit zu verbringen." Was bedeuten aber alle sanitären Einwände gegen einen spannenden Kriminalroman oder gegen ein Stüd alter Zeitung!
Ich habe viele Häuser aufgesucht. Ich fand überall zahlreiche Kundmachungen. In einem einzigen Hause sah ich nur eine. Sie stand unter jenem Flugblatt, in dem vom Luftschutz die Rede ist. Sie enthielt nur vier Worte: ,, Nehmt den Luftschutz ernst!" Ich glaube aber, daß gerade dieser Hausherr mit seinem Aufruf später Erfolg haben wird als jeder andere.
Das ist die klarste Kritik von der Welt, wenn neben das, was ihm mißfällt, Einer was Eigenes, Besseres stellt.
Geibel.