Abdullah: Erlaubt? Es ist erlaubt, einen armen alten Mann, der in Ehren grau geworden ist, die Finger an die Kehle zu legen? Es ist erlaubt, die Tür seines Huses mit dem Grabmal eines Lumpen zu versperren? Es ist erlaubt, ihn dem Gespött des Landes auszulies fern? Ein weiser Richter bist du, ein sehr weiser Richter!
Der Kadi: Fasse dich, Abdullah, noch ist nichts verloren. Nach dem Gesez geht das Gut des Vaters auf den Sohn über. Der Boden bor deiner Tür, drei Ellen breit und neun Ellen lang, wird also Eigentum Mirzas wenn Mirza am Leben bleibt. Und solange Mirza lebt, wird Omar ihm wohl kein Grabmal errichten.
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Omar: Wenn Mirza am Leben bleibt, gebe ich ihm alles, was ich habe. Den Laden im Basar, das kleine Haus und das Stück Boden bor Abdullahs Tür.
Derkadi: Hörst du, Abdullah? Auch das Stück Boden vor der Tür deines Hauses. Da Omar dieses Stück Boden nicht verkaufen will, würde ich an deiner Stelle mich bemühen, daß der Besitzer des Bodens in meine Familie eintritt.
Abdullah: Der Lump in meine Familie? Niemals! Lieber soll er ein Mausoleum bor meine Tür bauen. Lieber schleiche ich mich durch eine Hintertür davon. Lieber flettere ich über
das Dach. Lieber verlasse ich das Haus über haupt nicht mehr, bis sie mich tot hinaustragen. Ich will den Faulpela nicht in meiner Familie haben. Sein dreibeiniges Lamm soll nicht in meinen Zimmern umherlaufen. Warum habe ich eine Tochter? Was habe ich verbrochen, daß Allah mich mit einer Tochter strafte? Warum gab er mir keinen Sohn, der meinen Reichtum
mehrt?
Der Kad i: Du kannst ja einen Sohn haben, Abdullah. Er liegt vor deiner Tür! Omar: Ein guter Sohn, ein braver Sohn, ein frommer Sohn.
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Reisegedanken
Leise schreiten schwarze Schatten Aus dem büft'ren, dunklen Walde, Weilen in der Wiesenhalde, Lagern auf den stummen Matten.
Sachte schwinden in der Stille Letzte, fahle Sonnenspuren, Und die Nacht wirft ihre Hülle Langsam auf die finst'ren Fluren.
Wenn der Mittag ist vergangen wird auch unser Lichtlein trüber, Und das Leben zieht vorüber Bald, nachdem es angefangen. Unaufhaltsam rasch verbleichen Geist und Körper, Stoff und Seelen. Man beginnt die Zeit zu zählen Und wird bald das Ziel erreichen.
Doch zuweilen gleiten leise Unfre Blide in die Ferne, Fragend, was uns wohl die Sterne Senden für den Rest der Reise. Frik Weinmann.
Der Kadi: Tritt näher, Henker. Zeig deine Art. Hm. Frisch geschliffen. Schneidet einen Arm durch wie eine Sichel einen Grashalm. Hast du schon gesehen, Omar, wie einem Menschen ein Arm abgeschlagen wird?
Omar: Ich sah es auf dem Markt, in unserer Stadt und in vielen anderen Städten. Siebenmal sah ich es. Fünfmal blieb der Dieb tot auf dem Platz liegen.
Abdullah: Tot? Ich will nicht sterben! Gebt dem Lumpen, dem Hungerleider, dem laufigen Taugenichts das Mädchen! Ich will ihn und sie nicht mehr sehen!
Der Kadi: Ich nehme dich beim Wort, Abdullah. Mirza wird Djamileh heiraten und mit ihr fortziehen, in eine andere Stadt. Du wirst sie nie wieder erblicken.
Abdullah: Ein schmutziger, unrasierter, zerfetzter Bettler. Nein, du weiser Richter. Niemals. Du hast mir das Stüd Grund abgeTiftet. Mag Omar es behalten. Mag er dort den Lümmel begraben. Ich werde jeden Tag lachen, Abdulla h: Ich soll mein Kind nicht wenn ich das Grabmal sehe. Ich gehe. Friede wiedersehen! Erbarmen! Habt Mitleid mit sei mit dir, weiser Richter!
Der Kadi: Halt! Holt den Henker!
Abdullah: Wird dem Dieb die Hand abgeschlagen?
Ali.
Der Kadi: Ja, dem Dieb Abdullah ibn
Abdullah: Mir? Was habe ich ge
stohlen?
einem armen alten Mann! Hilfe, ihr Leute, man will mir mein Kind nehmen! Ich gebe
Mirza mein Haus, wenn er hier bleibt. Ich übertrage ihm meine ganzen Geschäfte, alles soll ihm gehören, dem Lümmel, den ungewaschenen..
Omar: Laßt Gnade vor Recht ergehen, weiser Richter. Mirza und Djamileh follen in der Stadt bleiben. Auch ich trenne mich nicht gern von meinem Kind.
Derkadi: Noch nichts. Aber in diesem Augenblick stiehlst du. Ich will einen Boten zu der Tür deines Hauses schicken, vielleicht ist es Der Kadi: Weil du darum bittest, schon geschehen. Omar, soll es so sein. Nun geh zu Mirza und Abdullah: Allah hat dich mit Blind - bringe ihm die Botschaft: Djamileh ist sein! heit geschlagen. Ich und stehlen?
Der Kadi: Es gibt Diebe, die goldene Geräte stehlen, es gibt Diebe, die Hammel steh Ten, es gibt Diebe, die Geld stehlen. Die schlimmsten Diebe sind die, die das Leben eines Menschen stehlen. Und du, Abdullah, stiehlst in dieser Stunde das Leben Mirzas ibn Omars. Du stiehlst einem Vater seinen Sohn. Goldene Geräte, Hammel und Geld kann man zurüdgeben. Wie willst du Omar seinen Sohn zurüd geben, wenn ich dich für diesen Diebstahl zur Rechenschaft ziebe?
Abdullah: Kann ich denn dafür, daß Mirza sich in meine Tochter verliebt hat? Sabe ich sie ihm angetragen? Habe ich sie ihm versprochen? Hinausgeworfen babe ich ihn, als er Tam und sie zur Frau verlangte?. Nun bin ich ein Dieb?
Om a r: Friede mit dir, weiser Richter! Der Kadi: Friede mit dir, Omar ibn Hussein! Bist du aufrieden, Abdullah?
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Abdulla b: Sufrieden? Ich bin glüd lich! Ich bin glücklich, daß Allah die Gnade batte, mir nur eine Tochter zu schenken. Was täte ich, wenn er mich mit sechs Töchtern gesegnet hätte, und vor allen Fenstern und Türen berliebte Habenichtse lägen, die eher sterben wollen, als den Platz zu räumen?
Der Kadi: Was du tätest? Du würdest dich damit abfinden, weil es Allahs Wille wäre. und ehe du dir den fleinen Finger abhauen ließeft, würdest du allen sechsen ihren Wunsch erfüllen. Nun wirst du Enkelkinder haben, Ab dullah, und dein Alter wird friedlich sein.
A bdn Ila h: Enkelfinder? Gütiger Allah, gib Djamileh zwanzig Söhne, aber feine
Tochter, sonst stehe ich in zwanzig Jahren wies der hier, wie heute.
Derkadi: Du vergißt, Abdullah, daß es dann Mirzas Sache sein wird, und Mirzas Sorge, die Freier deiner Enkelinnen zu mustern, auszuwählen und abzuweisen!
Abdullah: Mirzas Sache und Mirzas Sorge? Du hast recht, hochweiser Richter! Wenn Allah gerecht ist, wird er Mirza zwanzig Töchter schenken, zwanzig Laffen sollen sein Haus um lagern und ihm zwanzigfach heimzahlen, was er mir angetan hat.
Der Kadi: Ich sollte dich eigentlich dazu verurteilen, das Gewicht einer Menschenhand in Silber an Omar zu bezahlen, denn du hast ihn ungerecht des Diebstahls beschuldigt. Aber ich will dir die Strafe erlassen. Wir wollen tun, als wärest du nicht Kläger gewesen, Omar nicht Angeklagter und ich nicht Richter. Und wollen uns in Demut vor Allah beugen, deffen unend liche Weisheit uns aus Hader und Haß den Weg zum Frieden gewiesen hat.
( Die Stimme des Muezzins ist wieder zu hören, der die Gläubigen mit seiner langgezoge= nen, wehmütigen Melodie zum Gebet ermahnt.).
Ein tüchtiger Mensch
Hanslit war nicht auf den Kopf gefallen. Er lebte noch keinen Monat in nun ich hab den Namen der Stadt vergessen; na, es ist egal. Auf alle Fälle: er sah gleich, wo das Handwerk,
nämlich das des Journalisten, den goldenen Boden hatte. Mindestens ein halbes Duzend Blätter gab es, die lebten von den Artikeln, die sie nicht veröffentlichten. Sie hatten zuver= lässige Informatoren in großen Betrieben, Kaufhäusern und zahlungsfähigen Gesellschaftstreifen.
Wie man weiß, gehört es au den hehren
Aufgaben der Presse, für Wahrheit, Rechtlichfeit einzutreten und die öffentliche Moral zu schüßen. Namen also den Redaktionen Mitteis lungen zu über beklagenswerte Zustände in einer Fabrit, über tadelnswerte Manipulatio= nen eines Finanzunternehmens, über undelifate oder gar delikate Vorkommnisse in jenen privaten Kreisen, die auf intakten Nuf beson= deren Wert zu legen gezwungen sind, so griff der Redakteur blutenden, erbitterten
und
hoffnungsvollen Herzens in die Tasten und tippte einen Artifel herunter, der sich gewas ſchen hatte. Denn es galt, der Allgemeinheit zu dienen, die Gesellschaft vor dem moralis schen Untergang zu bewahren. Der Artikel wurde gesetzt und im Dienste der Allge= meinheit mußte man vor allem gerecht, objektib und fair sein demjenigen vorgelegt, von dem er handelte. Zur Aeußerung. Viel leicht stimmte der Inhalt nicht; man gab dem Angegriffenen Gelegenheit, richtigzustellen. In neunzig Prozent der Fälle durfte man als schönen Erfolg buchen, daß der Betreffende, Hand auf dem Herzen, eidesstattlich versicherte,
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alles fei maßlos verdreht, übertrieben, ges fälscht. Und im übrigen die Kosten für den leider schon hergestellten Satz bezahlte. So blieb die Oeffentlichkeit vor dem zerseßenden Schans spiel bewahrt, daß ein allgemein geachteter Bürger durch schmachvolle Enthüllungen bloßgestellt wurde, und der Zeitung wurde, in aller Stille, neue Energie zugeleitet, die sie in den Stand setzte, mit erhöhtem Eifer über die öffentliche Moral au wachen.
Denn in solchen Fällen waren die Sabkosten immer von ganz besonderer Höhe: so ein Artikel, eine Spalte oder zwei loftete gleich seine Tausend oder Zweitausend. Aber das war sein Nichterscheinen dem Kunden auch wert.
Hanslit sah sich das eine Weile an, dann