Nr. 51 Unterhaltungsbeilage 1937
E2L^ Der Freischärler Wai Tu
Er erhob sich und wankte dem Hause zu. Plötzlich zerriß ein furchtbarer Schrei die Stille. Wei Tu stürzte ins Haus. Im Zimmer seiner Tochter war es Halbdunkel, er erblickte sie aber sofort— sie lag sonderbar verkrümmt auf dem Fußboden, die Arme wie gebrochene Flügel nach beiden Seiten ausgebreitet. Neben ihr lag ein« mit Blut beschmierte Schere. Wei Tu beugte sich über den Körper Schen Chuas— an ihrem Halse starrt« ihm eine furchtbar« blutige Wunde entgegen. Eine Minute lang stand Wei Tu stumm über die Leiche gebiickt da, gleichsam als hätte sich eine ungeheure Last auf seine Schultern gesenkt. Dann erinnerte er sich plötzlich: „Man must es dem alten Großvater sagen... Er hat die Enkelin so geliebt!" Wei Tu trat in das benachbarte Zimmer. „Vaterl Vater!" rief er leise. Niemand antwortete.„Vater!" wiederholt« er nochmals. Als er ein Streichholz anzündete, sah er den Leichnam seines BaterS. Er hing an einem Strick, dessen anderes Ende an einem Haken in der Decke befestigk war. Wei Tu tvandte sich zur Ahnentafel an der Wand: „Ich, euer unwürdiger Nachkomme, habe es nicht verstanden, die Ehre des Geschlechte- zu wahren und eS zur Blüte zu bringen. Ich werde aber auch mein Geschlecht nicht entehren: weder ich noch meine Sühne werden Sklaven der fremden Eroberer fein!" Die Söhn« schliefen... Wei Tu betrachtete eine Minute lang ihre schwach beleuchteten Gesichter. In der«lenden Hütte des„Pockennarbigen Wan" war eS eng und drückend heiß. Hier hatten sich die Führer der Aufständischen versammelt. Die Unzufriedenheit und Empörung der Bauern wuchs mit jedem Tage. Der Oberst ließ allerdings verkünden, daß er die Grundstücksdokumente nur zur Abstempelung einfor- dere, aber niemand glaubte ihm: di« Bauern wußten, daß die japanischen Ansiedler den Versuch gemacht hatten, von den Ländereien der mandschurischen Bauern Besitz zu ergreifen und nur unter dem Druck der Freischärleriruppe ihren Raub im Stich ließen. Das Erscheinen des Obersten und neue Gewalttaten der Japaner hatten die Empörung der Bauern noch mehr entfacht. Di« Lampe beleuchtete trübe di« erregten schweißbedeckten Gesichter der Bauern. In der Ecke war das blaffe, hagere Gesicht deS Schullehrers sichtbar; am Tische entwarf ein Student, in einem blauen, abgewetzten Kostüm, mit einem Pinsel über«inen Papierfetzen fahrend, den gemeinsamen Aktionsplan. Der Antrag des„Pockennarbigen Wan", di« versteckten Waffen auszugraben und das Land zu verteidigen, wurde von den Bauern einstimmig angenommen. Aber sowohl Wan wie der Lehrer und der Student wußten, daß sie einen Führer brauchten, der das Kriegshandwerk gut kannte.
Als der Lehrer den Namen Wei TuS nannte, schüttelte Wan zweifelnd den Kopf. Aber bevor er dem Lehrer anttvorten konnte, öffnete sich li« Tur und ein Mann trat ins Zimmer. Seine Hände waren mit Blut beschmiert. „Wei Tu, was hast du?" fragte Wan leise. Wei Tu musterte mit schweren, starren Blicken die Anwesenden.„Ich gehe mit euch!" erklärte er mit fester Stünm«. „Das ist sehr gut, Wei Tu", rief Wan hocherfreut.„Wir brauchen einen Mann, wie du einer bist!" Der Lehrer, ein alter, zarter Mann, trat an Wei Tu heran und legte seine kleine, trockene Hand auf die Schulter dieses großen, kräftigen Menschen, der sichtlich von einem schweren Leid betroffen worden war. „Du tust recht, Wei Tu", sagte er leise. „Was wird aber mit deiner Familie?" Wei Tu zuckte zusammen. „Ich habe keine Familie mehr, Lehrer... Jetzt denke ich aber an eine andere, eine größer« ,.. Laßt uns keine Zeit verlieren." Der Oberst erwacht« in mißlauniger Stimmung. Er wusch sich träge, schimpfte noch einmal den Dolmetscher aus, verbeugt« sich dreimal vor dem Bilde des Kaisers und befahl, die Dorfältesten zu rufen. Der Himmel war grau, mit schweren Schneewolken verhängt. Das Kinn in den Pelz-
Träume der Naeht Träume der Rächt!— Oh, selige Stunden, Wem» uns die tunte« Bilder»«gaukeln, Wenn wir der Bürde des Tages entbunden, Saust in de« Arm« des Schlafe- uns schaukel«! Silberne Strahl« des Mendes erglänzen, Zitternd und zuckend in glitzarnde« Garben, Funkelnd durch schlummernd« Bäum « und »»sch«, Malemd de« Zauber der nächtlich« Färb«. In der beklemm«!»« Ruhe deS Dunkels Schlüpft unsre bang« Seel« aus rag«, Irdisch« Band« in andere Sphär«, Lauschet«tfeffelt d« seltsamst« Kläng«. Klang« a»S unbekannten Gefilden, Fern» aus dem Land« der Märch« und Sag«, Wundersam leis« wir aufwärts schweb«. Leicht, wie auf wiegend« Flügeln getragen. Durchsichtig klar, wie der See eines Waldes, Wird da«« die Seele in dieser geheim« Stille der Nacht,— und dir Lichter des Lrt«S Spiegel« sich schimmemd in süßest« Träum«. Träum« der Nacht!— Ihr Beten des Friedens, Rettende Engel aus Kampf und auS Kummer! Euch begrüß' ich als Trister und Freund«! Seid mir Willkomm« in nächtliche« Schlummer. Fritz Weinmann.
kragen gedrückt, trat der Oberst auf die Freitreppe hinaus. Der große Hof des Tempels war überfüllt. Links und rechts von der Freitreppe hatten sich die japanischen und die mandschurischen Soldaten ausgestellt. Bor der Trepp« standen einige Dorfälteste. Sie verbeugten sich stumm vor dem Obersten. Hinter ihnen drängten sich die Bauern. Die Gesichter der Bauern waren ernst und finster. Der Oberst hob den Kopf. Mühsam nach Worten suchend und gegen den Wind ankämpfend, begann er: „Es ist mir bekannt, daß Ihr Waffen versteckt habt..." Er sprach nicht zu Ende, da eine atemloS herbeieilende Ordonnanz ihn unterbrach: „Herr Oberst, aus dem Walde ist ei« Trupp Banditen im Anmarsch!" DaS volle, aufgedunsen« Gesicht des Obersten zuckte zusammen. Er ließ seine Augen über den Hof schweifen. Die Dorfältesten standen ebenso ruhig da wie zuvor und ihre Gesichter zeigten keine Erregung, aber hinter ihrem Rücken sah der Oberst zornige Gesichter, geballte Bauernfäust« und weiter auf der Straße schob sich eine riesige Menschenmenge heran. Die Säbelscheide im Laufe festhaltend, eilte ein Offizier heran: „Befehlen Herr Oberst, das Feuer zn eröffnen?" „Dummkopf! DaS wird die Sache nur noch verschlechte«!" Die Torflügel krachten unter dem Anprall kräftiger Bauernkörper. Mit furchtbarem Geschrei, Piken, Gewehre, Aexte in der Luft schwingend, brachen die Bauern in den Hof ein. Wan kämpfte in einer der ersten Reihen. Er operierte geschickt mit seinem Gewehrkolben. Di« Bauern umringten di« Japaner. „Haut siel Bindet sie!" DaS dicke Gesicht deS Obersten lief bla« an und wurde dann weiß wie Kalk. Die kräftigen Fäuste der Baue« packten seinen aufgedunsenen, fett« Körper/ „Schildkröte!" „Wollen sehen, wie du unser Land rai:ben wirst!" „Uns töten? NnS ausplündern? Unser« Töchter vergewalttg«?" Sekundenlang sah der Oberst die aufgeris- senen, haßerfüllten Augen Wei Tus vor sich. Das war aber das Letzte, was er sah. Ei» alter Bauer hob den Gewehrkolben und ließ ihn auf den Schädel des Obersten niedersausen. Am folgenden Morgen marschiert« die Freischärler gegen die Stadt. An ihrer Spitze ritten Wan und Wei Tu. Ihre Gesichter waren finster und sorgenvoll. Es war ein klarer, sonniger Morgen. Die Spitzen der Bergkuppen röteten sich in den ersten Strahlen der aufgehend« Sonne. (Aus dem Chinesischen von M. S. und A. S.)