merkt er, daß ihn die Opposition in diesem Kreise erfreue, weil sie Zeugniß gebe von der Intelligenz und dem Mißtrauen der Arbeiter Wiens. Das Mißtrauen sei eine Grundbedingung für jede demokra= tische Partei.
Unter vielfachen theils sehr stürmischen Unterbrechungen erzählt nun Hofstetten, daß er kein Preuße, sondern ein Bayer sei, daß er für die Arbeitersache einen Theil seines Vermögens geopfert, daß er ein Feind des Bismarckismus sei und es für ein Unglück balten würde, wenn Deutschland in Preußen aufginge.
Ueber die Zustände in Desterreich bemerkt der Redner, daß sie für die Arbeitersache günstiger wären, als die im Norden, denn in Desterreich gebe es noch keine fest organisirte Bourgeoisie.( Unterbrechung.)
Redner sucht dann die Nothwendigkeit eines politischen ArbeiterParteiblattes nachzuweisen. Die Bemerkung, daß die Arbeiter nicht in der Lage wären, in den bestehenden Wiener Volksblättern ihre Meinung auszusprechen, ruft einen Sturm in der Versammlung hervor. ,, Das ist nicht wahr!" wird ihm von allen Seiten zugerufen. Der Lärm wird so groß, daß der Vorfißende zu wiederholten Malen erklärt, er müsse die Versammlung schließen.
Ertl gelingt es nun, die Aufmerksamkeit der Versammlung auf sich zu lenken. Wir brauchen ein Arbeiterblatt; aber ein Desterreicher soll an der Spize desselben stehen. Ich werde Ihnen beweisen, was Hofstetten will. Er hat zu einem Beamten der hiesigen Kreditanstalt geäußert: Ich will die Leitung der Wiener Arbeiterbewegung übernehmen, troßdem diese Arbeiter sehr stügig sind.( Große Heiterkeit. Beifall.) Hofstetten will aus Spekulation unser Führer werden. Er will uns dem Preußenthum überliefern, und wenn er sagt, er nimmt einen selbstständigen Standpunkt ein, so rufe ich ihm in's Gesicht: Das ist nicht wahr! Herr von Schweizer ist einer von den Bedienten Bismarck's und Herr v. Hofstetten geht durch Dick und Dünn mit Herrn v. Schweizer . Hofstetten hat uns wegen unserer Intelligenz belobt; machen wir diesem Lob Ehre. Seien wir verständig ge= nug, uns von diesem Manne seine Gedanken nicht eintrichtern zu lassen. ( Große Heiterkeit. Beifall.) Was sucht Hofstetten in Wien ? Will er Krawalle hervorrufen, will er uns im Interesse Bismarcks verwenden? Wir wissen nicht, was er will, und darum schenken wir ihm kein Vertrauen. Er sagt, er sei ein Sozial- Demokrat. Ich antworte ihm, daß unter Jenen, die vor zwei Jahren manchen guten Deutschen in die Elbe getrieben haben, gar mancher preußische Sozial- Demokrat sich befand. Wissen Sie, warum Hofstetten und nicht Schweizer nach Wien gekommen ist? Weil er hier noch viel weniger hervorgetreten ist und eine Blamage in Wien viel eher aushalten kann, als dieser Herr v. Schweißer( Heiterkeit, Beifall). Ich bitte Sie nochmals, fich nicht zu Automaten der Berliner machen zu lassen, sich nicht zu einer Opposition drängen zu lassen gegen das jezige Ministerium; heute wäre das nicht an der Zeit. Das Pfaffenthum und der Adel find noch immer zu mächtig und beute wäre es ein Unglück für den Arbeiterstand, wenn der Liberalismus in Desterreich gestürzt und ein Ministerium zu Falle gebracht würde, das sich die Aufgabe gestellt hat, ibn zur Herrschaft zu bringen. In zwei Jahren vielleicht, vielTeicht erst später; aber heute ist es noch nicht zeitgemäß, daß der Arbeiterstand politische Opposition mache.
Herr von Hofstetten, dem nach einer langen stürmischen Unterbrechung von Seiten mehrerer Arbeiter die Ruhe erkämpft wird, sucht nun in längerer Rede die Unrichtigkeit der Vorwürfe Ertl's zu beweisen. Er verwahrt sich dagegen, daß er die Absicht habe, sich zum Führer in Wien aufzuwerfen, und beharrt darauf, daß er blos eine Ermächtigung von den Wiener Arbeitern zu erhalten wünsche, um ein Blatt herauszugeben.
Blasincie: Minister Giskra hat zur Balldeputation des Arbeiterbildungsvereines gesagt Bleiben Sie gute Wiener!" Bleiben wir nicht nur gute Wiener, bleiben wir auch gute Desterreicher.( Beifall.) Zeigen wir dem Herrn Hofstetten, daß wir Desterreicher nicht so dumm find, zu glauben, die Quelle der Weisheit sei in Berlin zu finden. Lassen wir uns nicht mehr von fremden Mächten als Spielzeug verwenden.
Hetfleisch: Es heißt in Wien , daß hinter der Arbeiterbewegung preußische Agenten stecken. Herr v. Hofstetten ist ein solcher. Es treiben sich aber hier noch zwei andere Männer im Geheimen herDie Herren Becker und Reusche. Was suchen diese Herren bei den Wiener Arbeitern? Weisen wir das zurück, daß wir mit ihnen gemeinsame Sache machen.
um.
Hofstetten : In ganz Deutschland vermögen Sie Niemand aufzutreiben, der gegen mich das mindeste Mißtrauen bat. Ich habe viele Gegner, auch Neusche und Becker gehören zu ihnen. Gegen meinen persönlichen Charakter wird aber keiner Einwendung machen.
In diesem Moment erscheint auf der andern Seite der Tribüne als Wolf in der Fabel Herr Reusche, um die Versammlung vor dem verblüfften Herrn v. Hofstetten zu warnen, indem er die Sünden des ,, Sozialdemokraten " aufzählt.
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Groß beantragte nun die Fassung folgender Resolution: Die Arbeiter Versammlung erklärt, daß sie die Nothwendigkeit eines Arbeiter- Organes in Wien anerkenne, die Gründung desselben aber der freien Konkurrenz überTassen müsse.
Diese Resolution wird einstimmig zum Beschlusse erhoben.
Herr v. Hofstetten will nun das Wort ergreifen, um gegen Reusche zu sprechen. Nach langer Unterbrechung kommt er endlich zu Wort und warnt die Versammlung vor Männern von der Qualität Reusche's, von dem er Dokumente in Händen habe, die es beweisen, daß er treulos, wertbrüchig, perfid und verrätherisch sich benommen habe.
Nachdem noch mehrere Redner persönliche Bemerkungen gemacht, wurde die Versammlung bei tiefster Dunkelheit die Reitschule wurde nicht beleuchtet um ¼ auf 7 Uhr geschlossen.
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IV.
Wollte sich Rußland zum Herrn der Ostsee machen, so mußte Schwedens Macht gebrochen werden. Denn die Ostsee war zur Zeit Peters des Großen ein schwedisches Binnenge wässer. Pommern mit Rügen, Esthland, Livland , Ingerman land, Finnland waren Provinzen Schwedens . Kurland aber, welches seit der Unterwerfung des deutschen Ordens unter Polens Oberherrschaft eine polnische Provinz geworden, war feit 1660 wieder als Herzogthum hergestellt worden. Peter der Große fand also bei seiner Thronbesteigung zwischen seinem Reiche und der Ostsee die Provinzen eines mächtigen Staates. Leider trug damals die schwedische Königskrone cin Mann, dessen Einbildungskraft gleich der des edlen Don Quixote von der Mancha durch die Lektüre von Ritterbüchern entflammt war. Wie der Ritter von der traurigen Gestalt" sehnte sich Karl XII. , die Romantik einer hingeschwundenen Heldenzeit wieder lebendig zu machen. Das Schwert dieses., ritterlichen Königs" aus der Scheide zu locken, konnte Peter dem Großen nicht schwer fallen, und es begannen jene Kriege der beiden Staaten, die, über ein Jahrhundert dauernd, Schweden dem Art. 5 des Testaments*) gemäß zerstückelten. Nachdem Peter d. G. 1702 Ingermanland den Schweden abgenommen hatte, folgte 1721 die Abtretung von Livland und Esthland und 1809 die von Finnland an Rußland . Eine Adelsrevolte aber unterwarf Kurland 1795 der zweiten Katharina. Pommern ging an Preußen verloren, während Dänemark , Rußlands ge treuer Bundesgenosse, Norwegen festhielt. Erst durch den Frieden zu Kiel am 14. Januar 1814 fam Norwegen wieder an Schweden zurück.
So ward Art. 5 von dem Petersburger Kabinet getreu lich ausgeführt und Rußland , durch die Vermählung der dä nischen Prinzessin Dagmar an den Thronfolger des Gzarenreichs am Belt fußfassend, dehnte seine Macht an der Ostsee weiter und weiter aus, wie es Art. 8 nicht nur für das Baltische, sondern auch das Schwarze Meer vorschreibt. Nun, das Schwarze Meer ist, Dank der Hülfe Englands, gegenwärtig ein russischer See, nachdem die freien Kosakenstämme an dessen Ufer aufgefogen, die Donaufürstenthümer ein russischer Basallenstaat unter einem preußischen Fürsten geworden sind, und der Kaukasus nach einem hundertjährigen heldenmüthigen Widerstande an Rußland gefallen ist.
Art. 7 empfiehlt die commercielle Ausnüßung Englands. um die Seemacht Rußlands zu stärken und seinen Wohlstand zu vermehren. Rußland hat in der That für seinen Handel die Freundschaft Englands mit solchem Erfolge gesucht, daß die Regierung Großbritanniens 1854, als sie im Begriff stand,
*) S. das Testament Peters d. G. in Nr. 3 dieses Blattes.