Demokratisches Wochenblatt.

No. 9.

Organ der deutschen Volkspartei.

Leipzig , den 29. Februar.

1868.

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Inhalt: Politische Uebersicht. Unser Herr Finanz- und Verfassungsminister. Der Nothstand in Ostpreußen . Die Wieder herstellung Polens . Aus England. An die Mitglieder der inter­nationalen Arbeiterassoziation. Vermischtes.

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Politische Uebersicht.

Hoffend oder fürchtend find alle Augen auf Frankreich gerichtet, das die Frage: Frieden oder Krieg? entscheiden wird. Und was erblicken wir da? Revolutionäre Szenen in den Straßen von Paris , und stürmische Kammerdebatten, die den Beweis liefern, daß eine tiese, unübersteigliche Kluft das Volk von der Regierung trennt. Der zwanzigste Jahrestag der Februarrevolution, vor dem man in den Tuilerien große Angst gehabt hatte, ist zwar ruhig vorübergegangen, aber das Volk hat zu viel Originalität, um gleich dem Kaiserreiche des zweiten Dezembers Geschichte nach dem Kalender zu machen. Zur Beschwichtigung der erregten Leidenschaften werden Ge­rüchte von ,, liberalen Reformen" ausgesprengt. Mag sein, daß es der Regierung ernst damit ist. Doch, wenn auch den Willen, so hat sie nicht die Macht zur Umkehr. Gonzessionen, und wären es die weitestgehenden, genügen der Demokratie nicht. Sie steht dem Gäsarismus in unversöhnlicher Feind­schaft gegenüber, und kann nicht mit ihm pattiren, weil sie die Grundlage zerstören muß, auf der er ruht. Ab, dankung des Raisers, freie Bolfswahl, das ist das einzige Mittel, durch welches die Demokratie zu entwaffnen wäre. Also Selbstmord. Ein solcher ist aber von Bonaparte nicht zu erwarten. Viel wahrscheinlicher, daß er die Demo­fratie durch einen Krieg zu lähmen versuchen wird. Zog doch auch Graf Bismard, als er vor 2 Jahren dem Andrängen des liberalen Geistes nicht länger friedlich widerstehen konnte, den Krieg der Abdankung vor. Und er hatte keine Krone zu verlieren, obgleich er eine aufs Spiel sette.-

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Die ehrengerichtliche Untersuchung, welche feststellen sollte, ob eine Anzahl französischer Blätter von Preußen Geld em­pfangen, hat sich natürlich im Sand verlaufen. Derlei Dinge werden nicht vor Zeugen abgemacht, und Geber und Nehmer haben ein gleiches Interesse zu schweigen.-

Die neueste Volkszählung in Preußen zeigt, daß die Bevölkerung nicht in der normalen Weise zugenommen hat. Im falten Schatten des Militarismus gedeihen Ackerbau und Industrie nicht, aus denen allein Wohlstand und damit die Möglichkeit einer steigenden Bevölkerung erwachsen tann. In ganz Preußen, nicht bloß in Ostpreußen , herrscht Elend und Noth das gestehen selbst die Anhänger der Regierung zu.-

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Graf Bismarck hat sich noch nicht wieder gesund mel­den lassen. Er scheint übrigens wirklich etwas frank zu sein, wenigstens ist seinen jüngsten staatsmännischen Versuchen eine gewisse Schwäche und Unsicherheit anzumerken; die Furcht vor einem Krieg mit Frankreich , welche nur sehr nothdürftig durch das offiziöse Gepolter über die Kundgebung in Hießing und die bekannte Paßangelegenheit verdeckt wird, hemmt ihn offen­bar in allen Bewegungen. Für die Revolution von Oben gilt aber dasselbe Geseß, wie für die Revolution von Unten- ihr einziges Heil liegt in der Offensive. Vom Moment an, wo sie zur Defensive übergeht, sich auf die Vertheidigung be­schränkt, ist sie verloren. Und Graf Bismarck ist jetzt zur Des fensive gezwungen.

Daß er auf Süddeutschland nicht rechnen fann, das zei­gen ihm die Wahlen zum Zollparlament. Nicht besser ist es ihm in Italien ergangen, dessen Regierung. sich in der hülf­losesten Vasallenschaft von Frankreich befindet. Wie vollstän­dig er auf die Hoffnung, die Italienischen Einheitsmänner( sei es der Aktionspartei", oder der Regierung) für sich zu gewin­nen, verzichtet hat, erhellt aus seinem Liebäugeln mit dem päpilichen Stuhl. -

In Baden, wie in Bayern flägliche Niederlage der Gothaer( Nationalliberalen) bei den Wahlen zum Zollparla ment( das beiläufig am 16. März zusammenkommen soll); und hier wie dort in Ermangelung einer organisirten Demo­fratie Sieg der konservativ- kirchlichen Partei.

In Würtemberg hat ein Theil der Volkspartei sich trotz des zwiefachen Beschlusses der Landesversammlung zum Wählen entschlossen, und allem Vermuthen nach wird der andere Theil diesem Beispiel folgen. Auch aus Hessen gute Nachrichten. Kurz überall in Süddeutschland befreit sich das Volk von dem Großpreußischen Krankheitsstoff. Aus Verzweiflung über den Ausfall der Wahlen, und um militärisch zu retten, was durch ..moralische" Mittel d. h. durch Gothaer Lug und Trug nicht mehr zu halten ist, hat der Großherzog von Baden einen preußi­schen General zu seinem Kriegsminister ernannt. Frankreich soll deßhalb schon in Berlin ,, angefragt" haben. Ebenso Dester­reich, das bekanntlich in nachdrücklichster Weise gegen jede Ueberschreitung der Mainlinie protestirt hat.

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Die Thronrede, mit welcher der König von Würtemberg die Kammern schloß, beklagt, daß das Band zerrissen ist, welches Jahrtausende lang die deutschen Stämme vereinigte", und ,, beklagt vor Allem das Ausscheiden Desterreichs, des schö­nen Reichs, das so lange seine Geschicke mit uns getheilt." Nach einer solchen Auslassung gehört eine starke Dosis ,, Real­