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politik" dazu, um den Preußisch- Würtembergischen Militärver­trag für etwas anderes als Wafulatur zu halten.

Der englische Premierminister, Lord Derby, hat aus Körperschwäche sein Amt niedergelegt, und Disraeli ist von der Königin mit Bildung eines neuen Kabinets beauftragt wor­den. Disraeli ist zwar fein so entschiedener Gegner des rus fisch- preußischen Bündnisses, wie Lord Derby, allein seit dem Tod Palmerston's giebt es in England feinen Staatemann, der im Stand wäre, für den Fall eines europäischen Krieges eine Allianz Englands mit Frankreich und Dester reich zum Schuß des türkischen Reichs zu hintertreiben.-

Inzwischen dauern die russischen Machinationen gegen die Türkei fort, und es ist ziemlich gewiß, daß der erste Kanonenschuß am Rhein das Signal für das Einrücken der Russen in die Donauprovinzen sein würde. Dann hätten wir folgende Staatengruppirungen: Auf der Einen Seite Frank­ reich , England, Desterreich und die Türkei , auf der anderen Rußland und Preußen; neutral: Italien , die übrigen fremden Mächte unwichtig; die Haltung Süddeutschlands erst durch die Kriegsereignisse bestimmt. Von dem muthmaßlichen Ein­fluß der Völker auf das Endresultat wollen wir heute nicht sprechen.-

Nach einem unterseeischen Telegramm aus Amerifa ist der Conflikt zwischen dem Präsidenten und den Volkever­tretern der Vereinigten Staaten endlich zur Krise gekommen, indem das Repräsentantenhaus die Versetzung des Präsidenten in Anklagezustand genehmigt hat. Da der Präsi dent über fein stehendes Heer verfügt, das stark genug wäre, den Volkswillen zu unterdrücken, und da die Bürger der Ver­ einigten Staaten die Geseze achten, welche sie sich selbst gegeben haben, so fann höchstens ein alter Faselhans, wie Gerstäder, an die Möglichkeit eines Staatsstreichs glauben. Herr Johnson wird sich fügen, oder von dem ersten besten Polizeibeamten verhaftet werden. Wir Europäer können das freilich schwer begreifen; sind wir doch daran gewöhnt, daß, wenn es dem Staatsoberhaupt einfällt, das Gefeß mit Füßen zu treten, dem Volk keine andere Wahl bleibt, als entweder geduldig den Nacken zu beugen, oder eine Revolution zu machen, die den Staat in seinen Grundfesten erschüttert. In Amerika hat das Gebahren des Präsidenten nicht einmal die Staatspapiere zum Sinfen gebracht.-

Wegen Abdruckes einiger den Nothstand in Ostpreußen betreffenden Säße in Nr. 2 des demokratischen Wochenblat tes" ist die Frankfurter Zeitung " zu 30 Gulden Strafe oder 6 Tagen Gefängniß verurtheilt worden. Von dem Prozeß sei hier nur bemerkt, daß der Staatsanwalt, gestüßt auf eine Er­klärung des Oberpräsidenten von Schleinig, steif und fest be­hauptete, im Jahre 1848 seien in Schlesien keine Hunger frawalle vorgekommen, und hätten folglich auch nicht ,, blaue Bohnen" statt Brod von den väterlichen Behörden verabreicht werden können. Der geschichtskundige Vertreter des Intelligenz staates hatte keine Ahnung davon, daß diese Kurmethode vier Jahre früher, im Sommer 1844, angewendet worden war.

Am Abende des 24. Februar tagten in Dresden gleichzeitig in zwei verschiedenen Localen: der Innungsmeisterverein, um über die Vorbereitungen zum Norddeutschen Handwerker­tage zu berathen, der im Mai d. J. in Dresden zusammen­treten will, und der Verein der Gesellendeputirten- um die Schritte zu erwägen, welche die Mitglieder der von ihnen vertretenen Krankenkassen in Folge der von der Regie­rung vorgelegten und von der zweiten Rammer bereits ge­nehmigten Abänderungsbestimmungen zum Gewerbegesetz wei­

ter zu thun haben würden. Das Abänderungsgesetz bringt in§. 15 die Erfüllung eines sehnlichen Wunsches der seither zur Passivität verurtheilten Hauptinteressen vieler Gesellenkran fenfassen, indem es die letzteren der Verwaltung durch die Innungsmeister entnimmt, und der Selbstverwaltung der Be theiligten überweist. In der Vorausseßung, daß sich unter den Meistern noch eher als unter den Gesellen befähigte und Ga­rantie leistende Verwalter finden dürften, hatte das Mandat vom 7. Dezbr. 1810 die für die Zeit ihrer Einführung viel­leicht gerechtfertigte dermalige Einrichtung getroffen. Die Er fahrung der letzten Jahrzehnte hat indeß in vielen Fällen ge rade das Gegentheil jener Annahme zu Tage gebracht. Ver schiedene Kassen geriethen unter der Verwaltung der Innungs­meister in heillose Verwirrung. Es fanden sich Defecte, zu de­ren Deckung die verwaltenden Meistergenossenschaften erst nach vielem Widerstreben durch behördliches Einschreiten ver­mocht wurden. Die zur Mitcontrole berufenen Gesellen- De­putirten wurden einfach bei Seite geschoben.

Die Lasten der Mitglieder wuchsen und die Kassen kamen nach erhöhter Steuerung mehr und mehr in Verlegenheiten, aus denen ihnen dann die Innungskasse( gegen gute Zinsen) helfen mußte. Die patriarchalische Uneigennüßigkeit und un­entgeltlichkeit der Verwaltung erwies sich, bei Licht betrachtet, als eine anderweite Anwendung der in den Innungen selbst, zum großen Schaden der gemeinsamen Angelegenheiten, einge riffenen Praxis, die Verwaltungsstellen um des damit verbun denen Gebührengenusses willen als Almosenposten an Erwerbs unfähige zu vergeben.

Lange Zeit waren solche Zustände von den ihre Rechte nicht fennenden Gesellenschaften geduldig ertragen worden. Eine in den letzten Jahren aufgekommene neue Belästigung machte dieser Geduld ein Ende. Unfähig, die nicht zu den Innungen gehörenden selbstständigen Gewerbsgenossen ihren Groll fühlen zu lassen, wandten sich die Meister verschiedener Innungen gegen die Gehülfen jener Concurrenten, indem sie dieselben, gleich viel ob mit zünftigem Lehrbrief ausgestattet oder nicht, aus den Innungskassen ausstießen und sie gerade­zu zwangen, sich auf eigene Füße zu stellen.

Die Lehre blieb nicht unverloren. Allgemach begann die Ueberzeugung, daß man ohne die Meister fertig werden könne und zugleich, der sonstigen alten Beschwerden enthoben, ohne sie besser fahren würde, allenthalben durchzudringen. Der schwierigen Stellung eingedenk, welche die Bestre bungen der einzelnen Gesellenschaften bei ihren Beschwerden gegen die Innungen der Meister bisher gehabt hatten, schlossen sich zur Erkämpfung der gefeßlich garantirten Selbstverwaltung die Bertreter verschiedener Gewerbe zu einem Verein zusammen, welcher außer dem negativen Ziele: Beseitigung der Meister verwaltung zugleich das positive verfolgte, durch Mittheilung der gemachten Erfahrungen und gemeinschaftliche gegenseitige Besprechung der zu adoptirenden Grundsäße der künftigen Re form praktisch vorzuarbeiten. Was die Gesetzgebung bei Um gestaltung der städtischen Verfassung durch die allgemeine Städteordnung, das versucht der Dresdner Deputirtenverein durch eigene Bemühungen in einem bereits vor längerer Zeit bei der Regierung zur Bestätigung eingereichten ,, Generalstatut"*) zu Stande zu bringen. Das bei dieser Sache von den Arbeitern an den Tag gelegte Verständniß ihrer Bedürfnisse hat sicher ebensoviel Antheil an dem Zustandekommen der Gefeßesvorlage, welche, in Abänderung der gewerbegesetzlichen Bestimmungen, den Arbeitern die Selbstverwaltung ihrer Kran fenfassen überträgt, als die unabläfffg auf Erreichung dieses

*) Wir werden dasselbe in nächster Nummer wörtlich mittheilen.