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des Grafen Bismarck entkleidete nicht nur die Fortschritte partei" des Löwenfells und berauschte sie förmlich mit der Milch fromm absolutistischer Denkungsart, sondern er ebnete auch Rußland  , oder versprach es wenigstens, durch die Schwä chung Desterreichs den Weg nach Konstantinopel  , indem er zugleich an diesem Kaiserstaate die Neutralität rächte, welche er in dem Krimkriege beobachtet hatte. Des unterthänigen Ge­horsams der preußischen Regierung fonnte man aber in Be­tersburg völlig sicher sein. Besaß man doch an den offen da­liegenden östlichen Provinzen Preußens gleichsam ein Faust­pfand. Zudem sorgte der Vertrag von Warschau   dafür, daß Rußlands   Herrschaft auf der Ostsee   ungefährdet blieb und bleibt. Unter dieser legten Bedingung durfte Preußen Schleswig und Holstein anneriren. Man wird einwenden, daß die Conferenz, welche 1864 in London   zusammentrat, um den Streit über die Herzogthümer friedlich beizulegen, Rußlands   Erbansprüche an Schleswig- Holstein   nicht ausdrücklich anerkannt habe. Eben­sowenig hat sie aber die Conferenz ausdrücklich verworfen. Die Conferenz schwieg nur, als der russische Gesandte an den Warschauer   Vertrag mahnte, in welchem diese Erbansprüche, frog ihrer gänzlichen Unbegründung, die protokollarische Zu­timmung der europäischen   Mächte erhalten hatten. Schweigen drückt aber weder Zustimmung noch Verwerfung aus. Der Warschauer   Vertrag ist also dadurch keineswegs über den Haufen geworfen worden, und daß Rußland   es so auffaßt und Preußen entschieden nicht daran denkt, der russischen Oberherrschaft über die Ostsee   entgegenzutreten, dafür liegt der Beweis jedem Se­henden vor Augen. Es würde auch in der That zu den unglaublichsten Dingen gehören, daß Rußland   aus Gefälligkeit für Preußen seine Absichten auf den Belt, die es seit Peter dem Großen mit solcher Zähigkeit und so gutem Erfolge Schritt vor Schritt zu verwirklichen gestrebt, plößlich aufge­geben haben sollte. Der Beweis, daß dieß nicht der Fall ist, der Beweis, von dem wir sprachen, liegt einfach darin, daß der schleswig- Holsteinische Kanal nicht gebaut wird. Es ist jetzt offiziell von Preußen eingestanden, daß es die Ausführung dieses Kanals aufgegeben habe. Wird aber die Kanalverbindung zwischen der Ost- und Nordsee   nicht her­gestellt, so ist derjenige Herr des baltischen Meeres, dem der Belt gehört. Das ist Rußland   durch das abhängige Dänemark  .

Man wird wohl nicht behaupten wollen, daß die preußi­schen Staatsmänner gegen die ungeheuren Vortheile blind feien, welche für die Handelsschifffahrt und Kriegsflotte Preußens an den Bau dieses Kanals geknüpft sind. Hat doch die offi­ziöse Presse Preußens selbst zur Zeit des schleswig- Holsteinischen Krieges diese Vortheile mit Posaunenschall in die Welt hinaus­gerufen. Es ist dieß also wieder einer jener Fälle, von denen es in dem Memoire heißt, daß Preußen gegen die Einsicht in den Vortheil des eignen Staates der Bolitik Rußlande dienstbar zu sein gezwungen ist. Gezwungen in der That, so lange es nicht aufhört, nach Vergrößerung in Deutschland   zu

liche Entwickelung des Wohlstandes wie die Machtentfaltung Preußens und drückt dessen ganzes geistiges und politisches Leben zu Boden. Und von diesem Staate, welcher überall und immer die eigenen Zwecke denen Rußlands   unterordnen muß, von diesem Staate soll das Heil Deutschlands   kommen? Nun ja, wenn das Heil Deutschlands   darin beruht, daß es den Nacken unter das Joch des Czaren beugt, dann kann es von Preußen kommen. Es ist daher auch geradezu gedanken­los, von einem Staate, welcher bei jeder Bewegung erst ängst­lich nach Petersburg   hinsehen muß, ob auch nicht der Selbst­herrscher aller Reussen unwillig die Stirn runzelt, zu erwarten, daß er Deutschland   würdiger dem Auslande gegenüber vertre­ten werde, als der ehemalige Bundestag. Nicht Deutschland  , sondern Rußland   vertritt Preußen und so weit sich seine Gren­zen in Deutschland   ausdehnen, so weit herrscht der Czar. Wenn man meint, Preußen werde im Stande sein, die russische  Oberherrlichkeit abzuschütteln, sobald es nur erst ganz Deutsch­ land   verschlungen habe, so vergißt man, daß jeder Schritt Preußens nach Süden mit der Auslieferung deutschen   Landes an Rußland   im Osten bezahlt werden muß, und auch die Rechnung für die gegenwärtige Vergrößerung ist in Peters­ burg   noch nicht berichtigt. Von dem Widerstande der euro­ päischen   Großmächte, der Preußen in diesem Augenblicke an der Mainlinie Halt gebietet, wollen wir vorläufig absehen. Es fönnen politische Verhältnisse eintreten, welche Preußen ein Zugreifen gestatten, ohne dafür das linke Rheinufer opfern zu müssen, wie Luxemburg   geopfert wurde. Aber das dürfen wir nicht vergessen, daß Preußen, und wenn es auch durch den Besitz von ganz Deutschland   aufgebläht ist, an demselben Tage in seine einstige Unbedeutenheit zurückfinkt, an dem Rußland  seine Hand von ihm abzieht. Oder ist man etwa der naiven Ansicht, daß die Fürsten  , welche Preußen aus ihren Ländern ver­trieben und zu Vasallen erniedrigt hat, nicht begierig jede Ge­legenheit ergreifen werden, ihre unbeschränkte Souveränetät wieder zu erlangen? Glaubt man, daß das preußische Regi­ment an den Völkern dieser Fürsten sich Freunde erworben hat? Preußen hat keine moralischen Eroberungen machen können und kann keine machen, selbst wenn es wollte, weil dieselben eine Regierungsform bedingen, die mit dem russischen Despo­tismus unverträglich ist. Der Despotismus fühlt sich nur sicher in der Ruhe eines Kirchhofs.

Als Napoleon I.   auf dem Felsen von St. Helena   seine

Verachtung der Volksfreiheit büßte, da erkannte er den Grund, weßhalb seine Macht in den Eissteppen Rußlande zusammen­gebrochen war. Es war seine Wortbrüchigkeit gegen Polen  . Das wiederhergestellte Polen   würde Rußland   von Westen und Süden mit nervigten Armen gepackt haben, und Napoleon  selbst hätte durch die Ostseeprovinzen geraden Wegs auf Peters­ burg   marschiren können. Als der Krimkrieg vor der Thüre stand, zeigte sich Desterreich einer Wiederherstellung Bolens nicht abgeneigt. Aber das von Lord Palmerston   regierte England wollte davon nichts wissen. Heute stehen die Verhältnisse gün­Die Politik aber, welche die Entwickelung der preußischen stiger: Desterreich, England und Frankreich   sind von der Noth­Seemacht lahm legt, ist das leßte Glied der Kette, welche wendigkeit überzeugt, daß dem Bordringen Rußlands   im Orient

streben.

Thatsachen nachgewiesen, daß das Testament Peters des Großen fein Phantom, fein müßiges Hirngespinnst ist. Rußland   muß daher auf allen Bunften von Europa   zurückgeworfen werden.

Preußens östliche Provinzen in russischen Fesseln hält. Ruß­ lands   Ausfuhrhandel besteht in Rohprodukten und es ruinirt durch die Grenzsperre die östlichen Provinzen Preußens, um ihre Confurrenz bis zu dem Augenblick auszuschließen, wo Verzweiflung oder die politischen Verhältnisse deren Annexion Rußland   ins Herz zu treffen, dazu giebt es aber nur ein gestatten, Preußen aber wagt nicht, der systematischen Ver­nichtung Ost- und Westpreußens   entgegenzutreten, es läßt die

Mittel: die Wiederherstellung Polens  .

Die Wiederherstellung Bolens ist eine Forderung, in der

Provinzen verhungern, weil es des russischen Beistandes für die höchsten Interessen der Fürsten   und Völker Hand in Hand

seine Bergrößerungspolitif in Deutschland   eben nicht entbehren fann. So hemmt die Abhängigkeit von Rußland   die natür.

gehen. Die Politik erheischt sie und die Demokratie fordert sie im Namen der Gerechtigkeit und Freiheit.