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Offene Antwort an Herrn Leo Fränkel.*) Besten Dank, Verehrtester, für die Mühe, welche Sie sich gegeben, um uns beweisen zu wollen, daß Liebknecht doch eigentlich ein Schurke und Schweitzer der edelste und beste Vorkämpfer der Arbeiterpartei sei. Ganz abgesehen davon, welches Urtheil Sie über Johann Jacoby   zu fällen für gut finden, den Sie natürlich, da der ,, Vereinstrompeter des Hrn. v. Schweitzer dies so verkündet, für einen ehrgeizigen aufgeblasenen Bourgeois" halten werden, bedauere ich zunächst, durch den persönlichen Charafter Ihres Schreibens gezwungen zu sein, im entgegenstehenden Sinne gleichfalls auf die Personenrage eingehen zu müssen. Da Sie es für gut finden, im Eingang Ihres Schreibens zu erwähnen, daß Sie durchaus keine subjektive Personenkenntniß besitzen, nachträglich indeß nicht umhin können,( der Zweck Ihres Briefes wäre ja sonst verfehlt, ein ganz subjektives Urtheil zu fällen, so gestatten Sie mir wohl nach der andern Seite hin mit einigen Anmerkungen Ihrer Urtheilsfähigkeit zu Hülfe zu kommen.

Zunächst erlauben Sie mir aber wohl eine Frage, von deren Be­antwortung es überhaupt abhängt, ob und wie ich mich Ihnen gegenüber stellen muß.

wie

Ich bin nämlich so einfältig, zu glauben, daß der sittliche Ernst und das hohe und erhabene Ziel der Arbeiterbewegung es erfordert, daß wenn, wie Sie es für nothwendig erachten, einzelne Personen an der Spitze der Bewegung stehen, diese Personen in sittlicher Beziehung doch mindestens einen so untadelhaften Ruf besitzen müßten, man im gewöhnlichen Leben von Jedem verlangt, der irgend welche ehrenhafte Stellung in der menschlichen Gesellschaft einnehmen will. Oder meinen Sie, daß Leute, die mit dem ,, Edlen von Zastrow" in sitt= licher Beziehung auf Einer Stufe gestanden, deren moralischer Werth mit 2000 unterschlagenen Gulden in die Brüche gegangen und deren Charakter es zuläßt, ihre besten Freunde zu betrügen und ins Elend zu stürzen, sagen Sie, halten Sie dafür, daß solche Leute die geeignetsten Führer der Arbeiter sind, oder überhaupt Führer sein dürfen?

Aber Sie verlangen Beweise, daß Ihr Musterpräsident ein ebenso unwürdiger Charakter sei. Merkwürdig, daß Sie, der Sie von Allem so genau unterrichtet sein wollen, noch gar nicht die Broschüre gelesen haben: Mein Verhältniß zu Hrn. von Schweitzer und dem Sozial­Demotrat von J. B. von Hofstetten; daß Ihnen gar nicht bekannt ist, warum die Generalversammlungs- Protokolle von Hamburg   1868, Barmen und Cassel 1869 nicht veröffentlicht resp. durch den Muster­präsidenten unterdrückt worden sind, daß Sie keinen Anstoß genommen haben an der cynischen Gemeinheit, die aus der berüchtigten ,, Lucinde" spricht, die an Stelle von Leitartikeln Capitel   aus diesem Roman und Frivolitäten, wie die Gans", im Parteiorgan abdruckte und so die Infamie beging, die Arbeiterpartei mit der eigenen gemei­nen Denk und Handlungsweise zu beschmutzen. Sehen Sie, Verehr= tester, der Unterschied zwischen Ihnen und mir liegt darin, daß Sie dies Alles als unwesentlich behandeln, während ich der Meinung bin, daß fittlich anrüchige Personen, die außerdem noch in mehr als blos wahr­scheinlichem Verdacht stehen, dem preußischen Regierungssozialismus Hand­langerdienste zu leisten, durchaus nicht Führer der Arbeiterpartei sein

tönnen.

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Alles andere, was Sie uns über Politik, Demokratie und Sozialis­mus mittheilen, haben wir vor Ihnen gewußt; wir haben hassen gelernt nicht nur die Bourgeois- Dekonomie, sondern auch den Bourgeois- Staat, mag die Form desselben eine monarchische oder republikanische sein. Wiffen möchte ich aber doch gern, ob Sie wirklich der Meinung sind, daß die soziale Oekonomie, die sozialistische Produktionsweise unter einer monarchischen Staatsform sich verwirklichen lassen wird, und ob man, wenn dies nicht der Fall, nicht nur die heutige Produktionsweise be­tämpfen, sondern auch ebenso sehr bestrebt sein muß, die Staatsform herbeizuführen, in der allein die sozialistische Produktionsweise mög­lich ist.

Sehen Sie, da sind wir gerade am Kern der Streitfrage ange­langt. Wollten Sie etiva behaupten, daß Hr. von Schweitzer und sein " Trompeter" dies erstrebt hat? Nennen Sie mir eine einzige Nummer, wo ernstlich, absichtlich, nicht nur in wässerigen Phrasen, sondern mit derselben Schärfe wie gegen die Bourgeoisie auch gegen die Staatsform, in der allein, mindestens auf die Dauer, eine Bourgeoisie möglich ist, der Kampf geführt wird.

Merkwürdig, daß Sie Liebknecht einen Vorwurf daraus machen, dies gethan zu haben. Aber Liebknecht hat ja auch die Todsünde be= gangen, Johann Jacoby   als einen Vorkämpfer der Demokratie zu be­zeichnen, den anzufeinden eine Thorheit sei.

Erlauben Sie, daß ich gleichfalls mich schuldig bekenne, Jacoby für etwas anderes zu halten als für den ,, wichtig thuenden Bourgeois", wie denselben der Trompeter" des Hrn. Schweizer nennt. Uebrigens finde ich es sehr begreiflich, daß Jacoby es unter seiner Würde hält, einem Schweitzer sich unterzuordnen, denn für einen Mann von Jocoby's Cha­rakter und Vergangenheit, an dem auch nicht der leisesie Makel hastet, ist dies eben eine Unmöglichkeit. Der Vorwurf übrigens, den Sie uns aus der Würdigung der Verdienste Jacoby's in der Weise machen, daß Sie( getreu dem Trompeter" Schweitzer's nach) behaupten, wir wollten

Ein Herr dieses Namens hatte nämlich im ,, Sozial- Demokrat" eine Stilübung, betitelt: ,, Offner Brief an Herrn Wilhelm Lichknecht", veröffentlicht, die wir natürlich nicht beantworten konnten. Die Redaktion.

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die Arbeiterbewegung der ,, Partei Jacoby", der ,, radikalen Bourgeoifie" über­liefern, ist, von Ihnen ausgesprochen, der Sie die Verhältnisse in Deutsch­ land   nicht kennen, eine Dummheit, von Schweitzer eine Infamie. ,, Radikale Bourgeoisie" und Partei Jacoby" als Bezeichnung der Situa­tion ist eine Erfindung des Hrn. von Schweitzer, der recht gut weiß, daß Jacoby isolirt dasteht, und gerade durch diese isolirte Stellung ge­zwungen sein wird, sich der Arbeiterpartei, freilich nicht unter Schwei­Ber's Afterdiftatur, auzuschließen. Nicht die Arbeiterpartei Ja= coby zu überliefern, sondern umgekehrt, Jacoby der Ar­beiterbewegung zu gewinnen, ist unser Bestreben. Und seien Sie versichert, so weit ich, der ich freilich nicht, wie Sie, die Lage der Dinge von der erhabenen Zinne der Weltstadt Paris   aus zu beurtheilen vermag, der ich mir aber als Mitbegründer des Allgem. deutschen   Ar­beiter- Vereins erlaube ein Wort mitzusprechen, so weit ich ein Urtheil abgeben kann, bin ich sogar so dreist zu bemerken, daß mir ein Jacoby, der sich uns angeschlossen hat, zehn Leute vom Schlage Schweitzers auf­wiegt. Der Vorwurf also, daß wir die Arbeiterbewegung der radikalen Bourgeoisie überantworten, ist so lächerlich, daß ich wahrlich nicht be= greife, wie ein parteilofer Beobachter, und der wollen Sie doch sein, ihn dem ,, Sozial- Demokrat" nachtrompetet. Das sollten Sie doch wohl begreifen, daß der Trompeter" des Hrn. Schweitzer mit solchen Be­hauptungen seinen Lesern nur Sand in die Augen und das Gehirn bläst, um recht ungestört sein schmutziges Handwerk, die Arbeiter unter einander zu verhetzen, betreiben, um desto unumschränkter herrschen zu können. Ah! Verehrtester, warum machten Sie denn seiner Zeit Lassalle, als er in der Ronsdorfer   Rede den Bischof Ketteler von Mainz  als Gewährsmann anführte, nicht den Vorwurf, daß er, Lassalle, die Arbeiterbewegung dem Ultramontan  - Sozialismus überantworten wolle? Sehen Sie, so lächerlich dies Eine wäre, so absurd ist das Andere. Zu allem Ueberfluß will ich Ihnen aber noch den Beweis liefern, daß ſelbſt Hr. von Schweitzer eine andere Meinung von Jacoby hat, als er, um dessen moralisches Uebergewicht zu paralyfiren, urplötzlich auszu= trompeten für gut findet. Schlagen Sie also gefälligst den Schweitzer­schen ,, Trompeter" Jahrgang 1866, Nr. 140 nach; da werden Sie lesen, wie Hr. v. Schweitzer bei Gelegenheit der Besprechung der, damals großes Aussehen machenden, im preußischen Landtage von Jacoby gehaltenen Rede geschrieben hat:

Wie sollte diese Rede nicht unsere Bewunderung erwecken!

" Wir sehen die Fortschrittspartei, die Partei des liberalen Bürger­thums in Preußen, unter der Wucht der Ereignisse mit ihrer ganzen Vergangenheit brechen; wir sehen sie, gebeugt von den Erfolgen der ihr feindlichen monarchisch- absolutistischen Partei, ihren seit Jahren mit Hef  = tigkeit verfochtenen Standpunkt verlassen wir sehen sie innerlich und äußerlich aus Rand und Band gehen wir sehen sie, mit Einem Worte, demuthsvoll und schmeichelnd zu den Füßen eines Ministers liegen, welchen sie bisher bekämpft hatte, solchen Kampf als heiligste Volfs- und Vaterlandspflicht hinstellend.

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,, Und inmitten dieses Zustandes verzweifelnder Fahnenflucht und wirrer Auflösung hören wir die marfige Stimme eines Mannes ertönen, der, unbeirrt von dem wuchtigen Eindrucke des Stückes Weltgeschichte, das vor seinen Augen gespielt, unbeirrt von Verrath und Abfall im eigenen Lager, den alten Ruf der Freiheit erhebt den Kampfruf sei= nes ganzen langen Lebens.

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,, Wer wollte zweifeln, daß wenn die politischen Männer des deutschen  Bürgerthums Johann Jacoby   glichen wer wollte zweifeln, daß wir Herr würden über den Absolutismus und seinen Anhang trotz aller seiner festgewurzelten Macht?

Wer möchte bezweifeln insbesondere, daß wenn jener Geist im libe= ralen Bürgerthum lebendig wäre, eine selbstständige Arbeiterpartei in Deutschland   vorerst unnöthig gewesen sein würde?"

So sprach Hr. v. Schweißer einst; jetzt ist Jacoby bei ihm ein gedankenloser Bourgeois, bei ihm, dem Manne, der in allen Genüssen sehwelgen, also ein echter üppiger Bourgeois sein muß, angeblich um große Gedanken zu denken!

Und jetzt, Hr. Fränkel, will ich Ihnen auch gleich die Motive flar legen, warum Ihr Jdeal, der Herr Musterpräsident, Jeden bekämpfen wird, Jeden mit Schmutz bewerfen muß, von der er befürchtet, daß die IHM unterstellten Arbeiter unliebsame Vergleiche anstellen könnten. Haben Sie, Verehrtester, wirklich noch niemals darüber nachgedacht, daß das die nothwendigen Folgen des persönlichen Regiments sind, welches Hr. v. Schweitzer im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein   zur höchsten Blüte entwickelt hat? Haben Sie noch niemals daran gedacht, niemals es für möglich gehalten, daß der Vorwurf, den Sie Liebknecht machen, an die Adresse Schweitzer's gerichtet werden muß?

Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine andern Götter neben mir haben" war erstes Gebot des alttestamentarischen Judengottes; das erste Gebot des modernen Arbeitercäsaren Schweitzer ist mit einer leisen Abänderung gleichlautend. Ach! Sehen Sie doch, wie sein ,, sou­veränes Volt" im Staub niederkniet und den modernen Gott der Ar beiter anbetet, der selbst Lassalle, wenn der heute auftreten würde, nicht neben sich dulden könnte.

Aber, fagen Sie, die Organisation des Allgemeinen Deutschen Ar beitervereins, die Diftatur ist doch das beste, allein zum Ziele führende Vermächtniß Lassalle's  . Erlauben Sie: Lassalle empfahl niemals diese Diktatur, durch welche Hr. v. Schweitzer die Arbeiter korrumpirt und de­moralisirt und zu seinen persönlichen Zwecken mißbraucht. Was hat Ihr Ideal aus der ,, Diktatur der Einsicht"( siehe die Nonsdorfer Rede Las