Deutsche Stimmen

Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit"

"

Du würdest Berlin

Bieber Freund!

nicht mehr wiedererkennen"

Ein Brief der Bände spricht

Seit acht Tagen bin ich wieder in Berlin , in der Stadt, die ich geliebt, in der ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, und ich muß Dir sagen, daß ich bis jetzt noch keine Nacht geschlafen habe. Es liegt etwas in der Luft, was sich mit Worten nicht ausdrücken läßt, etwas Drohendes und Bedrückendes, das überall dort, wo Menschen zusam­menkommen, auf der Straße, in den Betrieben, in Kaffees und Bierlokalen, ja selbst zwischen den eigenen vier Wänden von unseren Gedanken und Gesprächen Besitz ergriffen hat. Jeder mißtraut dem andern, aus Furcht, einem fener Spizzel in die Hände zu fallen, die, wie Minister Goebels stolz ver­tündete, in einer Zahl von 10 000 das Privatleben eines jeden Einzelnen beobachtet. Das ist schon fast zu einer Psychose ge= worden. Man fühlt sich vor niemandem mehr sicher, und wer sich gestern noch Dein Freund nannte, kann heute schon, wer weiß, zum Telefonhörer greifen, um Dich vom nächsten SA.­Kommando abholen zu lassen.

Drei Monate habe ich Berlin nicht gesehen, aber es ist, als wäre ich in einem fremden Erdteil zurückge= tehrt. Wohin man blickt- Uniformen, Umzüge, militä­rischer Drill. Wieder beherrscht der( braune) Soldat die Straße; wieder ist die Menschheit in zwei Gruppen einge­teilt; in diejenigen, die eine Uniform tragen, und in jene andern, die sich eilig an den Häusern entlangdrücken, weil sie teinen Karabiner haben und keine Armbinde, in die Zivilisten, in die Menschen zweiter Ordnung". Berlin ist eine Kaserne geworden. Unter den Linden sieht man SA.­Kolonnen feldmarschmäßig ausgerüstet, mit Stahlhelm(!) Trommeln und Trompeten, begleitet von einer- meist aus Frauen und Kindern bestehenden Menschenmenge, die be= geistert Volt ans Gewehr" und all die andern blutrünstig schmetternden Sturmlieder mitsingt.

In der Hauptstraße zu Schöneberg beobachtete ich einen Ladenbesizer, der seinem Laufburschen offiziersmäßig Be­fehle erteilt. Der Junge, in feldgrauem Rock, mit Soldaten­müße, Hände an der Hosennaht, knallt die Haken zusammen und brüllt nach jedem Satz seines Chefs: Zu Befehl!". Zum Schluß eine musterhafte Kehrtwendung. Das Verhält nis des Arbeitgebers zum Angestellten hat automatisch militärischen Charakter ange­nommen. Kellner servieren in SA.- Uniform. Fabrikbeleg­schaften erscheinen geschlossen im Braunhemd.

Jeder in Deutschland weiß, welche Gefahr sich über Euro­ pa in den letzten Wochen zusammenzog, und viele, vor allem diejenigen, die zur SA . gehören, können es Hitler nicht ver­zeihen, daß er im letzten Augenblick abgebremst hat. g- lich finden rings um Berlin Schießübungen statt. Auch die Studenten, sofern sie arischer Abstammung find, haben zweimal in der Woche an Scharfschießübungen, Gepäckmärschen, Dauerläufen usw., teilzunehmen. Ueberall wird vom Krieg gesprochen. Die Erwachsenen spielen Krieg, und auch die Kinder auf den Straßen haben sich einen Uni­formfeßen umgehängt und machen es ihren gleichgeschalteten

Vätern nach. Wieder zanken sich die Zehn- und Zwölfjährigen weil keiner den Franzosen oder Polen spielen will.

Man mag darüber lächeln, aber wenn man sieht, wie hier eine Jugend heranwächst, die bereits auf der Schulbank zur Verherrlichung des Massengrabes angehalten wird, so möchte man verzweifeln. Seit dem 30. Jänner wird den jungen Menschen bei jeder Gelegenheit eingehämmert, Deutschland könne nur durch einen Krieg wieder zu Glück und Wohlstand gelangen. In den Knabenschulen endet fast jede Feier( und gefeiert wird oft!) mit dem Refrain: Es ist kein schön' rer Tot als der Soldatentod!". Die Mehrzahl der Lehrer erscheint in SA.- Uniform zum Unterricht. Kürzlich erzählte mir Anni von einem Vorfall, der sich in ihrem Lyzeum abgespielt hat. Der Direktor dieser Anstalt, ebenfalls Nationalsozialist, hatte sich geweigert, Arbeiten von jüdischen Schülerinnen zu korrigieren, mit der Begründung, sie sollten erst einmal anständig deutsch schreiben, er könne ihretwegen nicht hebräisch lernen. Dabei waren gerade diese Arbeiten die besten der Klasse. Erst auf Intervention eines deutsch­nationalen Lehrers gelang es, diesen Göring des Katheders zu bewegen, die Arbeiten mit einem Noch genügend" durch­geben zu lassen. Welche Gewissensqualen, welche inneren Konflikte und Depressionen sich in der Seele eines solchen vor der ganzen Klasse gebrandmarkten und in ein Pariada­sein herabgestoßenen Kindes abspielen mögen, das kannst Du Dir selbst ausmalen.

Ereignisse und Geschichten

Sozialistisches Flüchtlingslied

Das ist unser Los, Kameraden: Zerbrochen, vertrieben, zersprengt. Bleibt wachsam, Kameraden,

Denkt an uns!

An unser Schicksal denkt!

Von Blutdurft gejagt, Kameraden, So jagten hinter uns her Die braunen Mordgesellen. Das Recht lebt

In unserm Land nicht mehr.

Und was wir erkämpft, Kameraden, Verwüstet ists und zerstört. Aus Deutschlands Kerkerzellen Hört den Schrei

Der Qual; die Warnung hört!

Wir stehen bereit, Kameraden, Denn Glaube flammt aus dem Leid Wir glauben an die Freiheit. Das Recht lebt!

Es kommt für uns die Zeit! Wir haben gelernt, Kameraden! Und wir sehen tief und weit. Ans blutgetränktem Boden Wächst der Kampf,

Die Tat, die uns befreit!

Noch ist unser Los, Kameraden: Zerbrochen. vertrieben, zersprengt Bleibt wachsam, Kameraden, Denkt an uns!

An unser Schicksal denkt!

Willi K., Amsterdam.

sprochen. Er wartet immer noch auf Arbeit und ist sich einst- Der Ekel hat ikn vertrieben...

Von unsern Freunden habe ich bisher nur Paul ge= sprochen. Er wartet immer noch auf Arbeit und ißt sich einst­weilen in der Familie durch. Max und Friedrich sind im Kon­zentrationslager, Herbert ist nach Holland geflohen, von den andern fehlt jede Nachricht. Was mich anbelangt, so werde ich bis auf weiteres noch in Berlin aushalten. Sehr lange kann es ohnehin nicht mehr dauern, vielleicht ein Jahr, vielleicht zwei, vielleicht auch nur ein halbes, auf keinen Fall aber zehn oder gar zwanzig Jahre, wie die Pessimisten unter uns zu Anfang meinten. Schon glaubt man, hier und da eine gewisse Ernüchterung zu spüren. Als ich vorgestern durch den Tiergarten ging, fam ein Trupp berittener SA. das gibt es auch schon! vorüber. Dabei hörte ich, wie ein Passant, zweifellos ein Ar­beiter, vor sich hinmurmelte: Da haben wirs. Die Herren Barone reiten. Und wir müssen feiern." Es war niemand in der Nähe, und wir sahen uns einen Moment lang an.

-

-

Es gibt jetzt viele solcher verstohlenen Blide des Einverständnisses in Berlin, manch­mal fährt auch eine Faust aus der Jacke, aber dann muß man sich schon auf den andern verlassen können. Am Wedding gab es vor ein paar Tagen Krawall. Die Leute hatten Hunger, Polizei griff ein, aber davon hat natürlich nichts in den Zei­tungen gestanden. Man lebt wie in einer Festung. Schmalz und Butter sind auch teurer geworden, und von der Arbeits­dienstpflicht, die Hitler am 1. Mai auf dem Tempelhofer Feld verkündete, ist nicht einmal die SA. begeistert. Ich wünschte, Du kämest einmal hierher, um dies alles mit eigenen Augen zu sehen. Du würdest Berlin nicht mehr wiedererkennen.

Der Verräter Max Barthel

,, Laßt Euch teeten und erschießen, geht ins Zuchthaus, viele Tausend..."

In einem vor einigen Jahren erschienenen Gedichtband fanden wir diesen begeisterten Hymnus auf Sowjet­Rußland:

Ah, November, stürmevoller: Aus Triumph und Niederlagen Willst Du, was wir aufgerichtet, wieder in das Chaos schlagen? Schick nur Deine weißen Garden, Tants und Gas und Generäle

Und die goldnen Banthyänen: nicht erwürgst du unsre Seele!

Denn ein Volt hat sich erhoben, Volt, von Euch wie Vieh verachtet,

Volt, von Euch zu Millionen in Fabrik und Front geschlachtet. Volf von Petrograd, geheiligt vom November der Geschichte! Wie des Nachts die Sterne steigen, steigen in mir auf Gesichte.

Lenin spricht, der fühle Stürmer: Auf, es ist die Zeit ge­tommen!"

Wie ein Held aus alten Zeiten hast Du, Volk, die Macht

genommen.

Namenlos aus den Fabriken hast Du namenlos gelitten, Im Zusammenbruch der Welten Weg zur neuen Welt be­

schritten.

Einmal feid Ihr schon gezogen, Deutsche, Petrograd zu fällen, Dieser Henkerzug wird immer Euch als Schmach im Herzen gellen.

Galgen, Standgericht und Kerker, Blut, wohin Ihr nur getreten!

Stimmvieh, Schlachtvieh- Gure Seele, Geele will ich, Ihr Proleten!

Ist Novembersturm in Deutschland sanft wie süßer Wind im Maien?

Ach, Ihr Knechte, ewig Iakt Ihr Euch ins Menschen antlig speien! Laßt Euch treten und erschießen, geht ins Zuchthaus, viele tausend Und die Fahne weht im Osten hoch und rot und heilig sausend.

Autor dieses packenden Gedichtes, aus dem das Bekennt­nis zum Kommunismus in gewaltiger Kaskade in die Höhe sprudelt, ist Mar Barthel.

Er stand sozusagen gerade in der sowjetistischen Periode feiner Poefie. Vor dem Kriege leidenschaftlicher Sozial­

demokrat und als Arbeiterdichter weithin gepriesen, ent­wickelte er sich nach dem Kriege linker und linkser. Eine Reise nach Rußland furierte ihn. Er kam zurück und bat um Aufnahme im Vorwärts"-Hause. Man hatte Mitgefühl mit ihm und druckte Woche um Woche ein oft schludrig hinge­hauenes Gedicht von ihm ab. Zu den besseren Versen gehörten die folgenden aus dem Jahre 1932:

Ist die Botschaft nach den Ländern Um sie mählich zu verändern, Um fie innig zu verbinden, Daß sich alle Völker finden, Angefüllt mit Mut und Kraft Zu der großen Bruderschaft? Hebt die Hämmer! Laßt sie fallen! Friede sei den Menschen allen!

Oder: Zum Lob der sozialistischen Frauen:

Zu lange verfettet

Den dunklen Gewalten, Nun endlich gerettet

Die Zeit zu gestalten, Marschieren die Frauen Boll Glut und Vertrauen! Im blühenden Morgen Sind alle geborgen.

Wo steht unser Mar Barthel heute? Er war der erste, der sich von Goebbels Propaganda gleich schalten und walten ließ. Als Vorstandsmitglied des Allgemeinen Deutschen Schriftstellerverbandes warf er im amt­lichen Auftrag sofort alle seine Kollegen hinaus, die mit dem Kommunismus sympathisierten, sich politisch zur Sozialdemokratie bekannten oder Juden waren.

Nicht genug damit! Das Gesinnungslümpchen, deffen Gedichte jetzt der Nazipresse zur Zierde gereichen, hat den Mut, seine einstigen Freunde zur Umfehr" zu bitten! Es sei doch nicht so schlimm mit ein wenig Schutzhaft... Es geschähe ihnen nichts... So ruft er diejenigen an, die sich dem Galgen, Standgericht und Rerfer" mit knapper Mühe und Not entziehen konnten. Eure Seele, Seele wil ich, Ihr Proleten!"

Die Seele Barthels hat sich den Nazis ohne erheblichen Sündenlohn verkauft. Nun soll sie ihnen viel Freude machen!

Warum Filippo Jucati Italien vecließ

Vor mehr als einem Jahre starb in Paris, im Exil, Filippo Turati, der große italienische Sozialist. Oda Lerda- Olberg gibt in einem Aufsatz die tiefere Deutung für seine Flucht aus dem Lande des Faschismus. Sie schreibt über die ents scheidende Wende seines Lebens:

Dann kam der Faschismus. Wer kann es je vergessen, mit welchem Abscheu Turati auf diese Schlammflut jah? " Nicht einmal bei den Hottentotten gibt es das," sagte er, als 1922 jene Weihnachtsamnestie kam, die die Faschisten frei­ließ und ihre Gegner im Zuchthaus behielt. Und von den faschistischen Journalisten: Wenn man sie Prostituierte nennt, so beleidigt man die Prostituierten." Als Matteotti ermordet wurde, brach es aus ihm hervor, heiß, leidenschaft­lich:" Warum er, der jung war, so viel tun konnte? Warum nicht ich, warum nicht ich?" Und dann rief er sie hinaus, in jener unsterblichen Todesklage um unseren Genossen, die Anklage gegen die Mörder, die man gehört hat, soweit die menschliche Sprache hallt, den Fluch eines ganzen Volkes über ein Regime und den schluchzenden Schmerz der Witwe und der Waisen, der Freunde und Genossen. Auch ihm, auch Turati, trachtete man nach dem Leben. Er wußte es. Nicht darum ist er von Mailand fortgegangen. Der Ekel hat ihn vertrieben, hat ihm die Luft der Hei mat verleidet. Turati konnte keinen Schritt tun, ohne von Polizisten begleitet zu werden; sie kamen nachts, um zu fragen, ob er im Bett läge, sie lasen seine Briefe, sie durch suchten seine Freunde. So ging er ins Ausland. Spizzel können viel, aber Freundschaft kann mehr. Es fanden sich Männer, die ihn aus dem dichten Netz der Bewachung hinausführten, über das freie Meer in freie Erde.

Und da ist er uns nun gestorben. Unerreichbar für unsere Worte des Dantes. Die große unabgetragene Dankes­schuld steht vor uns wie ein Vorwurf. Wir wissen aber, daß der italienische Sozialismus diese Schuld von uns ein­fordern wird. Drittes

Reich

braucht gute Zähne!

Deutsche, lernt gesund beißen!"

Dr. Schrider, Schriftwart des NSD.- Aerztebundes Groß- Bochum, hat von der Zeitschrift Schulzahnpflege", der Zeitschrift des Deutschen Zentralkomitee für Zahnpflege in den Schulen, den Auftrag erhalten, über National­sozialismus und Schulzahnpflege" zu schreiben. Eine harte Aufgabe. Aber Befehl ist Befehl. Dr. Schrider zitiert einfach aus Hitlers Mein& dmpf" und bekräftigt seine Zitate mit einem Bekenntnis zu guten Kinderzähnen im Dienste des Gedankens der Wehrhaftigkeit, etwa so:

Es ist jedem Soldaten bekannt, daß schon in früheren Zeiten bei der Musterung zum Militärdien st die Beschaffenheit der Zähne von Bedeutung war. Es ist tein Zufall, wenn in der Nachkriegszeit bei der scharfen Auslese jemand vom Heeresdienst abgelehnt wurde, dessen Gebiß Lücken oder gefüllte Zähne aufwies. Die gute Be­schaffenheit des Gebisses war also Vorbedingung für eine einwandfreie Gesundheit, und in der Tat ist nichts wich­tiger als die Erhaltung guter Zähne und eines vollstän­digen Gebisses.

Wie aber kann diese Forderung erfüllt werden? Dr. Schricker sagt es uns:

Voraussetzung hierfür ist natürlich die Möglichkeit einer planmäßigen Sanierung des Gebisses, die allein die Forderung Hitlers erfüllt.

Die Novemberverbrecher sind schuld daran, daß bisher so viele Leute mit faulen Backzähnen umherliefen. Nun wird es endlich besser. Hitler nistet in jedem Gebiß und saniert es! Er hat es gewollt, er hat es erreicht! Heil!