Emile Vandervelde , belgischer Ministerpräsident a. D.:
Der Sozialismus wird siegen!
Ist die Internationale tot?-
Die Internationale stirbt, die Internationale ist tot... das ist das Leitmotiv, das sich seit dem 5. März in der Rechtspresse breit macht.
Jm Pariser„ Temps " vom 4. Mai, wenige Tage nach ber großen Barade vom 1. Mai in Deutschland , der in eine nationalistische Manifestation umgefälscht wurde, war zu lesen:
„ Das Hitleriche Experiment, auch wenn es legten Endes scheitern wird, wird doch eine tiefe Aenderung in der Politik hervorrufen: Bereits durch die Tatsache, die es gezeigt hat, mit welcher Leichtigkeit es die Sozialdemokratie zerschlagen hat, die bisher in der sozialistischen Bewegung Europas führend war. Die Arbeiterpartei hat in England eine Niederlage erlitten, der Sozialismus ist in Deutsch : land zugrunde gegangen, er ist ansgerottet in Rußland und vertrieben aus Italien und er hat keinen Einfluß in der amerikanischen Demokratie. Das bedeutet einen Wendepunkt in der Entwicklung, auf den die Völker aufmerksam gemacht werden müssen."
Aufmerksam? Wer wird es leugnen?
Ja, die Arbeiterpartei hat in England eine Nieder Kapitalisten der ganzen Welt, als die Ebbe der Wähler ftimmung die Mandate der Partei Macdonalds von 288 auf 51 Mandate verminderte und Macdonald selber am Vorabend der Wahl aus seiner Partei desertierte. Aber die Sachkundigen wissen doch, daß das Gros der Kaders der Arbeiterpartei auch 1931 intakt geblieben ist, und die Ergebnisse der Nachwahlen beweisen das wenn es morgen zu allgemeinen Wahlen in England käme, so würden mehr als 200 Sozialisten in das Parlament einziehen.
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Der Sozialismus, oder richtiger zu sagen die fozialistische Demokratie ist ausgerottet in Rußland ; aber allerdings auch ganz andere Dinge, die den Liberalen aus dem„ Temps " sicher sehr lieb find, sind dort vernichtet worden und die Anhänger der bürgerlichen Ordnung empfinden sie wirklich eine Befriedigung darüber, daß im sechsten Teil der Welt eine rote Diktatur allen Angriffen Widerstand leistet und ein gewaltiges Gegen gewicht gegenüber allen nationalistischen Diktaturen in Mitteleuropa bildet?
Der Sozialismus ist aus Italien vertrieben morDen, aber das Beispiel Spaniens zeigt es etwa nicht, daß an dem Tage, als die Diktaturen zusammenbrechen, es nicht nur Monarchisten und Rechtspolitiker find, die ihre Nachfolger werden?
Der Sozialismus hatte bisher keinen Einfluß auf die amerikanische Demokratie. Aber der„ Temps " hat selber anläßlich der letzten Präsidentschaftskampagne in Amerika feststellen müssen, daß, wenn auch Roosevelt als dem hoffnungsreichsten Gegner Hoovers die Stimmen zufielen, die Herzen waren bereits für den populärsten unter den Kandidaten, den Sozialisten Norman Thomas .
Und ist es etwa eine unwichtige Tatsache, daß andererseits,„ innerhalb der Grenzen der europäischen Freiheit", in allen Ländern von West- und Nordwesteuropa , in der Schweiz , in Belgien , in Frankreich , der Sozialismus und eben der internationale Sozialismus sich im Aufstieg befindet.
Vergessen wir auch Desterreich mit dem roten Wien nicht, und die Tschechoslowakei des Präsidenten Masaryk , diese vorgeschobenen Posten der Demokratie und des Sozialismus in Mitteleuropa .
Aber man würde sagen: Was bedeuten schon diese Tatsachen in der Bilanz des Schicksals, angesichts der Katastrophe, die über den Sozialismus in Deutschland gekommen ist?
Es lebe die Internationale!
Es bleibt, daß das Dritte Reich gesiegt hat, das Deutschland Goethes, Mary' und Einsteins den Bestien ausgeliefert ist, daß alle bürgerlichen Parteien, die sich zur Demokratie bekennen, zunichte geworden sind, daß das katholische Zentrum, das sich einst vor Bismarck nicht gebeugt hat, heute schändlich vor Hitler kriecht, daß die proletarischen Parteien gegen sich selbst tödlich gespalten, zur gemeinsamen Machtlosigkeit verurteilt und ins gemeinsame Berderben abgestürzt sind. Die Wiener ,, Arbeiterzeitung" hat vor kurzem ergreifend geschrieben, was es für eine Partei, die noch vor kurzem die iterkite Partei Deutschlands und die größte Partei der Welt ge wesen ist, bedeutet, daß ihr Rüstzeug durch die brutale Gewalt zerschlagen, ihre Lokale geschlossen, ihre Presse außerhalb des Gesetzes gestellt, ihr Eigentum durch die bewaffnete Hand gestohlen und konfisziert wird, diese Zerschlagung aller Mittel der legalen Aktion, aller Mög lichkeiten der offenen Arbeit.
Müssen wir vielleicht, angesichts dieses Zusammenbruches verzagen? Denen, die heute fragen, ob diese furchtbare Zerstörung überhaupt noch wieder gut zu
machen ist, und ob man nicht mindestens Generationen wiederum erhebt, allen denen werde ich mit der Berufung brauchen wird, bis sich das sozialistische Deutschland
auf eine einzige Tatsache antworten:
Auch wir in Belgien haben den Zerstörungswahn des deutschen Nationalismus kennen gelernt. Die, die heute unter Hitler wüten, sind noch dieselben Gewaltmenschen, oder deren Söhne, die bei uns in Belgien in den Jahren der Okkupation 1914-1918 gemütet haben. Und es soll dabei gesagt werden, daß diejenigen Belgier, die heute den deutschen Sozialisten Passivität vorwerfen und. wie unser Außenminister, soweit gehen, sie der Feigheit zu bezichtigen, sich doch daran erinnern müssen, daß wäh. rend der vier todbringenden Jahre des Krieges die zivile und waffenlose Bevölkerung Belgiens , den Haß in den
Herzen verborgen, auch gezwungen war, unter dem Schwert der Eroberer passiv zu bleiben.
halb des Landes, auf meinem Posten. Mit kurzen UnterIch war damals, während dieser schweren Prüfung außerbrechungen erhielt ich Geheimberichte, die mir sagten, daß die Arbeiterpartei, wie auch die anderen Parteien ver boten, das Vermögen der Gewerkschaften konfisziert oder vernichtet, daß unsere Zeitungen aufhören zu erscheinen. daß die besten unserer Kämpfer verhaftet, eingekerkert, ausgewiesen, wenn nicht gar erschossen sind. Und manch mal, in den schwarzen Stunden des Erils habe ich mir gesagt, daß der Rest meines Lebens doch nicht ausreichen wird, um die Stücke von dem zusammenzulesen, was früher unser Stolz war.
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Aber kaum waren die legten deutschen Soldaten sozialistische Welle das Land, die Arbeiterschaft über die Grenze zurückgezogen, da über strömte eine richtete sich wieder auf, und unsere Organisationen, die man schon für immer für zerstört halten konnte, wuchsen zu einem neuen Leben empor, stärker, zahlreicher und
nach wenigen Monaten auch reicher, als sie je zuvor
waren.
stellend, stimme ich dem„ Temps " zu, daß dieses dunkle Diesen Aufstieg in meiner Erinnerung wieder her. Jahr 1933 doch einen Wendepunkt in der Geschichte Europas und der Welt bedeutet. Vielleicht wird er den Anfang einer Epoche einleiten, in der die Katastrophen von gestern durch die noch schrecklicheren Ratastrophen von morgen überholt werden, und trotzdem habe ich den unbesiegbaren Glauben an die Zukunft des Sozialismus, der Demokratie, und der Internationale!
In der Zeit, als es noch revolutionär war, hat das Christentum über seine Verfolger gefiegt, und so wird es auch dem Sozialismus ergehen. Die Stunde der Vergeltung wird kommen!
Ley wirit die Christen heraus!
Alle Vereine, auch katholische und evangelische Arbeitervereine sind als Staatsfeinde zu betrachten! Ihre Dienststellen werden von Nationalsozialisten beseizi!
Dank für Gleichschaltung!
Berlin , 22. Juni. Der Zeitungsdienst teilt folgende Verfügung des Führers der Deutschen Arbeitsfront mit:
Mit der Bildung dr Deutschen Arbeitsfront follte der Vielheit der Arbeitnehmer- und Unternehmerorganisationen gegenübergetreten werden. Nicht allein sollte damit der letzte Unterschlupf des Marrismus getroffen werden, sondern es sollte auch die unglückselige Zerklüftung der deutschen Arbeitsmenschen behoben werden. Klemliche und eigensüchtige Subjekte wollen diese große revolutionäre Tat nicht anerfennen und versuchen, mit Nachbildungen und Selbsthilfeorganisationen diese Arbeit zu schwächen. Es ist der Wille des Führers, daß außer der Deutschen Arbeitsfront feinerlei Organisationen mehr, weder der Arbeitnehmer, noch der Arbeitgeber, eristie ren. Ausgenommen sind der ständische Aufbau und Organisationen, die einzig und allein der Fortbildung im Berufe dienen.
Alle übrigen Vereine, auch sogenannte katholische und evangelische Arbeitervereine, find als Staatsseinde zu betrachten, weil sie den großen Aufbau hindern und hemmen. Deshalb gilt ihnen unser Kampf, und es ist höchste Zeit, daß fie verschwinden.
einem minderjährigen Kinde. Auf diese Weise will bie Im Exl gestorben
faschistische Männerdiktatur die weiblichen Angestellten aus ihren arbeitsrechtlich geschützten Stellungen in die aus industrie abfchieben, wo die Frauen bekanntlich erbarmungslos ausgebeutet werden. Das ist die Folge der Faschisterung der freien Gewerkschaften, die auch die Arbeitnehmerinnen in ihren Rechten schützten. Dagegen hat der Nationalsozialist Stöhr, der Leiter des Amtes für soziale Fragen in der Deutschen Arbeitsfront , jetzt den Befehl erteilt, daß an Stelle von Mädchen oder Frauen in den Kontoren und Läden männliches Personal eingestellt werde. So nehmen die Herrenmachter den proletarischen Frauen ihre Kümmernisse, Plagen und Nöte ab. Großzügig liefern sie dieselben der rücksichtslosesten Ausbeutungsgier in der Hausindustrie als Dienstboten und in der Landwirtschaft aus. Diese Arbeitsgebiete mit unbegrenzter Arbeitszeit, mit miserabelster Entlöhnung werden als„ die natürliche Domäne der Frauenarbeit" hingestellt. In Wirklichkeit sind die hauswirtschaftlichen Betriebe, in die die Nationalsozialisten die Frauen abschieben, die Stätten, wo die Frauen ungeheuerlich überlastet werden, wo ihre Gesundheit am stärksten untergraben, ihre Mutterfunktion besonders gefährdet wird. Nach statistischen Erhebungen ist die Kränklichkeit und Sterblichkeit der in der Landwirtschaft beschäftigten Frauen viel größer als bei den entsprechenden Männern. Es gilt vielfach noch das alte Sprichwort:„ Ob groß oder klein der Betrieb, die Frau ist das dritte Pferd."
Dieses Berufsschicksal gönnen die Nationalsozialisten allen arbeitenden Frauen, die sie in die„ kauswirtschaftlichen Betriebe" hineinzwängen wollen. Das Lafttier im Existenzkampf und das fünfte Rab im Staats- und Ver= waltungsapparat das ist das Los der proletarischen Frau im Dritten Reich !
Jda Grüning.
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Ein TrauerDeutsches Reichs
Claudio Trèves wird begraben geleite von Emigranten banner im Zuge
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Politische Emigrationen aus mehr als zehn Länder fanden Zuflucht in dieser Stadt, die eine Welt für sich bedeutet.
Russen und Italiener, Polen und Ungarn , Türfen und Jugoslaven, Tausende deutscher Republikaner und Sozialisten, sie alle, die verfolgt von ihren politischen Gegnern die Heimat verlassen mußten, eint in dieser ihnen letztlich fremden Stadt eines: Die Heimatlosigkeit.
Am Rande der Weltstadt wohnen sie, durch ein unsichtbares Band, Ihre Schicksalsgemeinschaft miteinander verfnüpft.
Sie trauern, die Emigranten in Paris . Sie trauern um einen der Besten, den ein grausames Geschick allzufrüh ihnen entrissen hat, sie trauern um Claudio Treves .
Zum zweiten Male in faum Jahresfrist hat das Schicksal die italienischen Antifaschisten, jene starke Gruppe im Emigrantenmilien von Parts, thres Führers beraubt. Vor einem Jahre verloren sie Filippo Turati , jest ist ihnen Treves genommen worden. Den toten Führer werden seine Jüngeren ersetzen. Aber unersetzbar ist der Verlust des Freun des, des Menschen, des Sozialisten Treves.
Claudio Treves starb, wie die meisten Proscribierten sterben, still und einsam. Das kleine Hotelzimmer im Osten von Paris , das der Flüchtling Treves bezog, als er sein Vaterland verlassen mußte, wurde sein Sterbezimmer und seine Totenfammer.
Claudio Treves wurde bestattet, wie nur die ganz Großen bestattet zu werden pflegen. Nicht als ob äußere
Der Nationalsozialismus handelt kraft seiner Stärke großmütig, jedoch wird dieses Handeln hier und dort von feinen kleinen Gegnern als Schwäche ausgelegt. So glaubte der Nationalsozialismus, auch den christlichen Gewerkschaften und anderen bürgerlichen Gruppen gegenüber großmütig sein zu können. Diese Tat wurde mit Undank und Jlloyalität beantwortet. Hierzu kommt, daß sich in den vorstehenden Verbänden bezüglich Rassen- und Wirtschaftsangelegenheiten große Korruption herausgestellt hat. Aus dieser Erkenntnis heraus verfüge ich folgendes:
Alle Dienststellen der Christlichen Ge werkschaften und der Angestelltenverbände sind mit Nationalsozialisten zu beseßen. Die Mitglieder des Großen Arbeitskonvents der Deutschen Arbeitsfront : Bernhard Otte , Friedrich Baltrusch . Dr. Theodor Brauer, Franz Behrens sowie die bisherigen Führer der Christlichen Gewerkschaften( Stegerwald, Imbusch und andere) werden mir aus der Deutschen Arbeitsfront ausgestoßen. Sie dürfen selbstverständlich keinerlei Amt führen, und es ist hiermit allen Dienststellen der Deutschen Arbeitsfront verboten, irgendwelche Verhandlungen mit diesen Leuten zu führen. Hierdurch soll dokumentiert werden, daß jeder, der es wagt, den großen revolutionären Aufbau unserer Nation anzutasten, für alle Zeiten geächtet wird." ( gez.) Dr. Robert Ley.
Pracht seinen letzten Weg begleitet hätte. Nein. Ein Bün del glühend roter Nelken war der einzige Schmuck des Sarges. Aber ein Leichenzug, wie selbst die Welt Paris ihn selten sieht, folgte dem Sarg.
Viktor Basch, der Kämpfer für die Menschenrechte und Friedrich Adler , den die Internationale von Zürich her entsandte, Paul Faure, der Führer der französischen Parteigenossen, Pietro Nenni , fie alle wanderten stundenlang an der Seite ihres toten Freundes durch die Straßen der Riesenstadt.
Ihnen folgten hinter den roten Bannern, die sie vor dem Faschismus retten konnten, die Italiener in langen Reihen. Dann kommt ein großes Transparent, das den
Tausenden, die die Pariser Straßen füllen, den deutschen Sozialistengruß Freiheit" entbietet. Und hinter diesem Transparent marschieren festen Trittes in ihrem grünen Hemde Reichsbannerleute den Hunderten deutscher Kameraden und Genossen voran, die sich dem Leichenzuge eingereiht haben.
Draußen am Friedhof Pere Lachaiso, der so vielen Kämpfern letzte Ruhestätte ist, sprechen Viktor Basch, Fried rich Adler und Paul Faure Abschiedsworte für den toten Freund und Kampfgenossen. Modigliani aber bringt in Worten der leidenschaftlichen Liebe und Verehrung das Wollen und das Tuen dessen, auf den die Flamme wartet, so nahe, daß Tränen über die Wangen harter Männer rollen.
Ein Wille aber beherrscht sie alle, die draußen weilen unter den Gräubern: Der Wille, die Fackel des Kampfes weiterzutragen. Der Wille, fie nie verlöschen zu lassen. Der feste Wille, der unbeugsame Wille, die dunkle Nacht der Unfreiheit zu durchwandern, so lange sie auch dauern mag. Der eiserne Wille, den Tag der Freiheit zu erkämpfen, der Freiheit für alle, die in politischer und wirtschaftlicher Knechtschaft schmachten! E. Meyer.