Preis: 60 f. cts.

Freiheit

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands  

Nummer 13-1. Jahrgang

Saarbrücken  , Mittwoch, den 5. Juli 1933

Chefredakteur: M. Braun

Die eiserne Hand einer gemie­teten Soldateska mag das Prole­tariat für eine Zeitlang in grau­samer Unterdrückung nieder­halten. Aber der Kampf muß aber- und abermals ausbrechen, in stets wachsender Ausdehnung, und es kann kein Zweifel sein, wer der endliche Sieger sein wird: die wenigen Aneigner oder die ungeheure arbeitende Mehr­heit. Karl Marx  .

Der Mordsturm wütet

Sechs Morde in Düsseldorf  / Die Jagd auf ,, Jilegale" Schauerliche Schreckensherrschaft im ganzen Reiche

Seifdem das Verbot der Sozialdemokratischen Partei ausgesprochen ist, wütet eine Terrorwelle, die nicht zu schildern ist. Wir müßten täglich unser ganzes Blatt mit der Berichterstattung über Einzelheiten füllen, wenn wir nur einen wesentlichen Teil des authentischen Materials verarbeiten wollten, das uns zugeht. Unsere Meldung aus Berlin   von 3000 neuen Verhaftungen bleibt weit hinter der Wirklichkeit zurück. Wahrscheinlich sind 20 000 oder 30 000 Sozialdemokraten innerhalb zehn Tagen neu verhaftet worden. In ungezählten Fällen wurden unsere Genossen bei der Festnahme oder nachher mishandelt. Das sozia­listische Märtyrertum ist heroisch. Im Blick auf die Armee von Sozialdemokraten in Gefängnissen und Konzentrationslagern weisen wir mit Nachdruck den Versuch einiger Zentrumszeitungen zurück, einen Vergleich zwischen dem Verhalten der Sozialdemo­kraten und dem der Zentrumsanhänger zu ziehen. Unsere Anhänger setzen lieber Freiheit und Leben für ihre Sache ein, als daß sie sich gleichschalten" oder die Organisationen auflösen. Das ist der Unter­schied, auf den wir stolz sind.

Von zahlreichen Berichten veröffentlichen wir den folgen­ben aus Düsseldorf  :

Heute ist es soweit, daß in den Abendstunden, besonders in den Vororten, sich faum noch jemand auf die Straße wagt. An allen Straßeneden stehen SA.- Posten, die nach illegalen Flugblattverbreitern fahnden und sämtliche Passanten an: halten und visitieren. Es kommt vor, daß Passanten an einem Abend drei bis viermal kontrolliert werden. Wer sich nicht ausweisen kann, wird verhaftet. Wehe demjenigen, der etwas Verdächtiges bei sich trägt. Ununterbrochen finden aussuchungen statt. Straßenzüge werden abgeriegelt. Haus für Haus, Wohnung für Wohnung wird durchsucht. Mißhandlungen von nie ge­fannten Ausmaßen finden dabei statt. Niemand ist seines Lebens mehr sicher, Am schlimmsten wütet der sogenannte SA.- Sturm 39, im Volksmunde der Mordsturm genannt. Die Führung der Strafereditionen liegt meist in den Hän: den des Führers der SA., eines gewissen Hauptmann a. D. Rohbed, dessen Namen man sich für die Zukunft gut merten muß. Der nationalsozialistische Polizeipräsident Weigel, ein Mann von 33 Jahren, der nur die Befähigung aufweisen kann, daß er der SS.  - Führer in Rheinland- Westfalen   ist, ein typischer Parteibuchbeamter, trägt noch dazu bei, daß die Nazihorden immer ungeheuer­licher vorgehen. So erließ er einen offiziellen Mord= befehl, der am 9. Juni in der Tagespresse an hervor: gehobener Stelle in Fettdrud veröffentlicht wurde:

Warnung!

In den letzten Tagen wurden wiederholt Flugblätter berteilt mit der Aufschrift: Alarm, Kampfblatt der Gruppe revolutionärer SA.- Leute der Standarte 39". Einer dieser Flugblattverteiler, deffen Personalien bisher noch nicht festgestellt werden konnten, wurde in der floffenen Nacht auf der Rheinbrücke ers ichossen aufgefunden.

ver

Ich warne alle diejenigen, die sich an der Verbreitung folcher Flugblätter beteiligen und mache darauf aufmerk­fam, daß ich mit allen Mitteln gegen die Verteiler vorgehen werde, da durch sie die öffentliche Ruhe und Ord­nung gestört wird.

Des weiteren ermächtige ich die gesamte SS. und SA. sowie die Beamtenschaft, solche Flugblattverteiler sofort festzunehmen. Bei Widerstand ist mit Waffen=

gebrauch zu rechnen.

Der Polizeipräsident( gez.) Weigel. Die Folgen dieser Warnung sind bereits praktisch einge­

treten.

Sechs Tote in der Woche vom 17. bis 24. Juni sind das Ergebni&

So wurde in Düsseldorf- Bilk   ein Mann, bei dem die SA. Leute haussuchten, aus dem vierten Stod auf die Straße geworfen, so daß er tot liegen blieb. In der Schwerinstraße wurde ein verheirateter Arbeiter, Vater zweier fleiner Kinder, verhaftet und die Treppe im Hans­zweier fleiner Kinder, verhaftet und die Treppe im Haus: flur seines Hauses heruntergeworfen. Auch er blieb tot liegen. In der Ritterstraße wurde ein junger Neger, der seit langen Jahren in Düsseldorf   ansässig ist, festgenom: men. Man fand ihn mit sieben Schüssen im Rücken in der Nähe des Ulanendenkmals am Rhein  . Aus dem Rhein   wurde ein Toter ausgefischt, dem ein Ohr und der Unterkiefer abgetreten waren. Zwei

weitere Mordfälle, die ebenfalls vorkamen, sind noch nicht genau zu ermitteln. Ein bürgerlicher Gastwirt, der sich erlaubte, ein Wort über diese furchtbaren Mordtaten zn verlieren, wurde von SA.- Leuten so schwer geschlagen, daß er lebensgefährlich verlegt im Krankenhaus liegt. Das Krankenhaus hat Strafantrag wegen gefährlicher Körper­verlegung gestellt. Was dabei herauskommt? Kein Wort über diese gemeinen Verbrechen darf in der Presse gebracht werden. Auch der Polizeibericht meldet nichts darüber. So sieht es heute in den Großstädten des Westens aus. Aber trotzdem behauptet die Regierung und ihre Presse, es gibt in Deutschland   keine Greuel.

Deutsche   Luftrüstungen?

Eingehende Behauptungen in der französischen   Presse Warum schweigt die deutsche Regierung?

Das Haupt- Regierungsorgan fordert schwere Artillerie

Der Petit Parifien" hat vor einigen Tagen im Anschluß an den angeblichen Fliegerüberfall gegen Berlin   folgende interessanten Mitteilungen veröffentlicht, die zeigen, daß der Fliegerüberfall nicht nur ein Vorwand für die deutsche  Forderung nach Militärflugzeugen ist, sondern vielmehr eine Art Rechtfertigung für die bereits in Deutschland   vor­handenen Militärflugzeuge und Fliegerformationen. Nach dem Petit Parifien" find in München   zwei Flieger­staffeln gebildet worden, von denen die eine SS.- Flieger: staffel 2/1 heißt. Die andere dürfte den Namen Flieger­staffel 1/1 tragen, wobei die I wahrscheinlich den Bezirk Bayern bezeichnet. Die eine Staffel besteht aus freiwilligen Nazis, die andere aus eingezogenen ehemaligen Fliegern. Die letzte steht unter dem Kommando des Ritters von Schleich  , der selbst im Kriege ein Flugzeuggeschwader führte. Jede Staffel besteht aus 220-240 Mann. Die Leute haben neue Uniformen erhalten, die 65 Mart kosten, die sie selbst bezahlen müffen. Die Ausbildung erstreckt sich auf Exer­zieren, Fliegen, Maschinengewehrschießen, Bedienung von Funkgerät. Einzelne Leute haben Morse  - Apparate zur Ver fügung gestellt bekommen, auf denen sie sich in Morseschrift und in einem Geheimkode ausbilden müssen. Die Uebungen finden meistens abends statt und werden von aktiven Reichs­wehroffizieren geleitet. Den beiden Formationen stehen in München   zwölf bis fünfzehn getarnte Militärflugzeuge zur Verfügung.

Die Stimmung unter den zum Fliegerdienst zwangsweise einberufenen Leuten ist zum Teil den getroffenen Maß­

nahmen gegenüber wenig freundlich. Die Leute dürfen aber nicht mudsen, da fie sonst in ein Konzentrations: oder Ara beitslager gesteckt werden.

Weiter teilt der Petit Parifien" mit, daß die Bayerischen  Flugzeugwerken eine große Anzahl von Militärflugzeugen fertiggestellt haben, an denen nur noch die Vorrichtungen zum Bombenabwurf und die Maschinengewehre fehlen. Die Pariser Zeitung erklärt, daß die vorstehenden Angaben von den Reichsbehörden nicht dementiert werden können, da sie von Leuten stammen, die selbst in den Fliegerstaffeln tätig sind.

Offiziell schweigt die deutsche Reichsregierung. Ihr Kanzler, der große Schimpfbold, donnert höchstens gegen ,, Landesverräter", wenn besorgte Deutsche   auf die Gefahren der Entwicklung hinweisen.

Das Regierungsorgan Völkischer Beobachter" aber liefert den Behauptungen über den Willen zur Aufrüstung glän­zendes Material. In seiner Montagausgabe fordert der Völkische Beobachter" in dickster Balkenschrift.

Schwere Artillerie her,

Zu Deutschlands   Ehr und Wehr,

Es ist das Motto zu einem Waffenjubiläum der ehemaligen schweren Artillerie in Ingolstadt   und der Reichspräsident hat die Tagung mit dem Motto Schwere Artillerie her" durch eine Telegramm begrüßt.

Katholiken- Freiwild

Aber der Papst ist anderer Meinung- Rom billigt dic Vernichtung des Zentrums- Duldung katholischer Vereine

Der Vossischen Zeitung" wird aus Rom   gemeldet: Das zwischen dem Vizekanzler v. Papen   und Kardinal­staatssekretär Pacelli   vereinbarte Abkommen enthält über 30 Artikel. In der Frage der katholischen relis giösen Vereine, über die ar Samstag noch gewisse Meinungsverschiedenheiten bestanden, hat die deutsche Regierung anerkannt, daß die Existenz dieser Vereine von von deutschkultureller Bedeutung ist. Von diesem Standpunkt aus hat sie selbst den Vorschlag gemacht, die Vereine bestehen zu lassen und ihrer Arbeit auf kirchlich kulturellem Gebiet keine Hindernisse in den Weg zu legen." Wenn diese Meldung zutrifft, bleibt den katholischen Ver­einen im Vergleich zu ihrer jezigen alles umfassenden Be­

tätigung nur ein fümmerliches Dasein. Auch ist noch frag­lich, welche Teile des unendlich weit verzweigten katholischen Vereinsnezes als deutsch  - kulturell" anerkannt werden. So­land zur Zeit eine Macht dritten oder vierten Ranges, wenn viel ist jedenfalls sicher: Der Katholizismus ist in Deutsch­überhaupt noch von Macht" gesprochen werden kann.

Die Saarbrücker Landeszeitung"( Nr. 178) veröffentlicht eine Zuschrift eines liberalen Katholiken, der den Satz prägt: " Ist das Zentrum vernichtet, so ist das Katholische in Deutschland   Freiwild und in höchster Gefahr, ausgerottet oder verwässert zu werden."

Saargebiet, wo die Zentrumspresse sich noch großer Freiheit Leider muß man dem hinzufügen, daß nicht einmal im erfreut, ein deutliches Wort gegen die Zustände im Reich gewagt und vieles verschwiegen wird, was die Zentrums­leute an der Saar   erfahren müßten.