Vaterland
In einem schönen Lande geboren, dessen Täler ich erwanderte, dessen Blumen ich pflegte, dessen Tiere ich beschützte; in einem Lande, dessen Kinder ich gelehrt habe, dessen Krante ich geheilt habe, dessen Armen nach Kräften ich geholfen habe; in einem schönen Lande geboren, dessen Geistesgut ich zu vermehren bemüht war, dessen Musik ich zu erbluten strebte, dessen Sprache rein zu erhalten ich trachtete; in einem schönen Lande geboren, bekam ich von früher Jugend bis heute, wo ich ein alter Mann bin, bei allem, was widriges, was Böswilliges mir begegnete, immer ein und dasselbe Wort zugeschleudert, zur Begründung jeglichen Uebels, das bluttriefende Wort: Vaterland.
Rechthaber traten immer in meinen Weg und schlugen auf meinen Kopf mit diesem einen Wort. Im Namen des Vaterlandes forderten sie Gehorsam. Im Namen des Vaterlandes verhängten sie Pflichten. Im Namen des Vaterlandes freisten Sammelteller, Armenbüchsen, Steuerschrauben, Ge schäftsprospekte, Verfügungen, Verordnungen und Parteifassen. Wurde ich von ahnungslosen Jungen mißrechtet, fie mißhandelten mich fürs Vaterland. Mußte ich das Kind hergeben, es geschah fürs Vaterland. Verlor ich den Freund, das Vaterland wollte es so. Wenn ich unflares Denken ehren mußte, wenn ich Geschwäß, Aberglauben, Machtwille, Selbstgerechtigkeit und Phrase hinnehmen und hören mußte, als seien das die heiligsten Güter und tiefsten Einsichten; ia, wenn ich alles Gemeine hochhalten und vor jedem Gözzen schweigen mußte, immer geschah es für das Vaterland.
Das fing an auf der Schulbant. Man lehrte mich lügen fürs Vaterland. Schlechte Verse mußte ich lernen und liebte so tief die schönen. Wortegeklingel mußte ich lernen, das war Liebe zum Vaterland. Langweilige Familienlegenden der jeweilig herrschenden Machthaber, Schlachtennamen und immer wieder Schlächtereien mußte ich mir einprägen. Das war die Geschichte des Vaterlandes. An jedem Morgen, an jedem Mittage, an jedem Abend standen, saßen, predigten da gewichtige Männer, hämmerten mir ein:„ Du hast das große Glück, ein Vaterland zu besitzen."„ Süß ists zu sterben fürs Baterland,"" Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles gibt für ihre Ehre". Ans Vaterland, ans teure schließ' Dich an," und da ich ein gutgläubiger und braver Junge war, so fühlte ich mich in Ehrfurcht bereit zu sterben für das, was fie Vaterland nannten. Aber was denn war es? Ich dachte nach. Ich dachte an die Gräber meiner Vorfahren, die seit vielen hundert Jahren mit der Erde Niedersachsens verbunden sind. Ich dachte an Denker und Dichter, die mij schufen. Als ich aber älter wurde, da merkte ich, daß nichts von all dem, was ich als Heimat in mir trug, das gemeinte
,, Vaterland" sei. Bis heute frage ich vergeblich. Was meinen sie denn eigentlich, wenn sie behaupten, ich sei vaterlandslos, sie aber hätten, einen, sie wären: das Vaterland.
Ist es das Blut?
Ist es die Rasse?
Ich trat ein für die deutschen Menschen im Elsaß , in Böhmen , in Südtirol , in Oberschlesien . Ich bekam die folgende Verwarnung. Die Industrie in den nicht zum Deutschen Reiche gehörenden Gebieten ist als Konkurrent der deutschen Wirtschaft aufzufassen., Die deutsche Arbeit schützen, heißt die Produkte der ausländischen Industrien meiden." Ach so! Der Mann sagt„ Vaterland" und meint sein Geschäft und seinen Profit. Ich fand es abscheulich, daß in Deutschlands Notzeit die Besitzenden Geld und Besitz in anderen Ländern haben. Aber da bekam ich die folgende Auskunft:" Daß unsere Wirtschaftsführer während des Weltkrieges ihre Vermögen in ausländischen Werten angelegt haben, hat einen großen Teil unseres Nationalvermögens gerettet." Ach so! Daß mit dem Gelde unserer Könige Granaten gedreht wurden, mit denen„ das Ausland" uns und unsere Kinder töten konnte, errettete den Wohlstand des Vaterlands. Nein! Zu kompliziert für mich! Ich werde nie begreifen, was Vaterland ist.
Aber in den stillsten, den einsamsten Stunden ahne ich
Ereignisse und Geschichten
Die Arbeitslosen im Walde
Von Walter Sachs
Sie sehen nicht die purpurroten Disteln. Die weiße Orchis duftet für den Wind. Es singt die schene Drossel in den Misteln nicht mehr für sie. Sie wandern taub und blind. Sie hören nur den Fall der Fichtenzapfen. Angstlaute des Hasen, den die Schlinge würgt. Sie schleichen auf des Wild's geheimen Stapfen und spähen, wo das Eichhorn fich verbirgt. Was tragen noch die Bäume Reis und Blüten? Sie sammeln, was als Abfall niederstiebt, weil Jäger immer noch den Wald behüten für eine ferne Zeit, die es nicht gibt.
Oft raften sie auf heißen Sommerschlägen. Die Angst der Diebe macht die Glieder schwer. Tollkirschen drängen sich dem Mund entgegen. Bald warnt das ferne Vaterwort nicht mehr, wenn sie, gebannt von schwarzen Beerenangen, hinlangen, süßen Tod im Gift zu fangen.
etwas. Ich ahne, daß die großen, Worte, welche die Menschen Der deutsche Film 10 Jahce zurück"
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gerne im Munde führen Worte wie Gott , Mensch= heit, Staat und Vaterland- allesamt nichts anderes sind als Umschreibungen für eine einzige Tatsache, für ein einziges anderes Wort. Für das Wort und die Tatsache: Ich! Ich, I ch, I ch! Das meinen, das allein kennen sie alle. Vaterland ist Wille zur Macht. Vaterland ist Wille zum Versklaven immer der andern. Vaterland ist Ich. Gut denn! Aber ich frage, welche Inhalte hat dieses Jch? Da zählen sie mir alle das auf, was sie zerstören und verkümmern an mir, an sich selbst, an aller Welt. Das Herz, die Seele, die Musik, den Wald, die Schönheit, die Träume. Sie sagen„ Liebe zu Deutschland ", das sei Vaterland. Und wenn sie von Liebe sprechen, so bekommen sie böse Augen. Ach, ich fürchte, wenn ich tot und ein Paragraph in den deutschen Lehrbüchern bin, dann gehöre ich endlich auch mit zum Inventar„ Deutsche 10000 germanische Helden Kultur", dann bin auch ich endlich„ Vaterland", um dessetwillen bei Lebzeiten die Leute mich und sich sinnlos gequält haben.
Der amerikanische Filmregisseur Thor Brooks , der einige Monate in den Ufa - Ateliers in Berlin gearbeitet hat, ertlärte in Stockholm einigen Journalisten, der deutsche Film sei jezt auf einem Niveau zehn Jahre zurüd" angelangt. Hingegen habe der englische Film eine große Zukunft. Brooks, der seit zehn Jahren Mitarbeiter der Metro- Gold wyn ist, war bei seinem Studienaufenthalt in den Berliner Ufa - Ateliers genötigt, eine Naziarmbinde zu tragen, um Belästigungen zu vermeiden.
Oper- garantiert casserein
Sie wollen die Masse erfassen...
Das Dritte Reich begann seine kulturelle Tätigkeit mit der brutalen Niederdrückung und Amovierung aller bedeutenden geistigen Kräfte der Oper. Nach knapp vier Monaten ist der Vernichtungsfeldzug, den dieses Barbarentum im Zeichen des Hakenkreuzes gegen die Operntheater geführt hat, so ziemlich beendet. Die bekanntesten Sänger, Sängerinnen, Intendanten, Dirigenten und Regiffeure sind der„ Gleichschaltung" zum Opfer gefallen. Ihre Stellen wurden von hungrigen Stellenjägern, die wohl ein unterschriebenes Parteibuch in der Tasche haben, aber ansonsten zur zweiten, wenn nicht gar dritten Garnitur gehören, eingenommen. Und wenn es noch heute einzelne prominente Sänger in den Staatstheatern gibt, die, obgleich sich der Reichsrassenzuchtwart von ihren Stammbäumen mit Grausen abwenden würde, noch weder hinausgeschmissen noch beurlaubt wurden( wie Emanuel List und Kipnis, Berliner Oper), so ist dies nur dem Umstand zu verdanken, daß die großen Opernbetriebe einfach ausperren müßten, wollte man die Solistenensembles derart dezimieren, wie man es es bei anderen Berufskategorien schonungslos getan hat.
Alle Tage Wagner
Von einer Aktualität irgendwelcher Art kann beim gegenwärtigen deutschen Opern- Repertoire in feiner Weise mehr gesprochen werden. Wir stehen im Wagner- Jahr und darum werden die Wagner- Opern endlos abgehaspelt. Daneben florieren noch die in ihrer Geltung zutiefst epigonenhaften Opern des geeichten Hakenkreuzkomponisten Max v. Schi I- Iings und vereinzelt Aufführungen des ebenfalls vom Hitlerregime wohlgelittenen Hans Pfigner. Sonst ist es auf der deutschen Opernbühne ziemlich still geworden. Das Bürgertum und die Arbeitermassen sind materiell vernichtet und damit als Kulturfaktor ausgeschaltet worden. In der Zeit des militärischen Bandengeistes und der Lust am Morden und tierischer Grausamkeit bleibt nichts mehr für die Qultur des Theaters übrig. Offen steht nun die Frage, welcher Mittel wird sich die deutsche Oper bedienen, um uverhaupt noch Massen" zu erfassen, und nach welchen Richtlinien wird sie geführt werden, um sich den geänderten, gleichgeschalteten Verhältnissen Rechnung zu tragen. Oder: ob überhaupt noch das Opernspiel eine Berechtigung im Dritten Reich hat.
Es war von teher feststehend, daß die geistige Aktivität unb materielle Tragkraft der bürgerlichen Schichten nicht start genug war, die Existenz der Operntheater völlig au
gewährleisten. Darum wurde eine einwandfreie soziologische Fundierung notwendig, um die großen Massen, die der kom plizierten Artistik des syphonischen Musikdramas mehr oder minder gegenüberstanden, für die Kunstform der Oper zu gewinnen. Es war wohl der nun hinausgeworfene Otto Klemperer, der als erster einen einheitlichen Werkstil der zeitgenössischen deutschen Oper schuf.
Aber die moderne Opernproduktion wurde immer als eine „ Links Kunst" betrachtet und alles, was irgendwie vom konventionellen naturalistischen Opernbetrieb in seiner musifalischen oder szenischen Haltung abstach, wurde automatisch als„ Kulturbolichewismus" angeprangert, gleichgültig, ob es sich um religiöse, fultische oder soziale Impulse oder um rein technische Probleme musikdramatischer Formung handelte.
Der Nazi- Kollektivismus
Jüngst tauchte wieder einmal die Nachricht von großen Gräberfunden im Arnsberger Wald( Westfalen) auf. 10 000 Germanen sollen hier, so erzählt sich der Volksmund, beerdigt worden sein.( Die Quantität machts!) Zehntausend germa nische Helden natürlich, gefallen in der Varus- Schlacht. Das wäre ein Happen, pozzblizz! Eine neue Sensation, Wasser auf dei nationalistischen Mühlen, Gelegenheit zu einem neuen Reichsehrenmal, und der preußische Kultusminister in persona beauftragte sofort eine. Kapazität, den Professor für Vorgeschichte Dr. Karl Schuchhardt, die erforderlichen Fest stellungen zu machen. Der Herr Professor schreibt:
„ Ich halte mich, um nicht nachträglicher Entstellung geziehn zu werden, im folgenden genau an meinen früheren offiziellen Bericht in der Prähistorischen Zeitschrift". Da heißt es auf Seite 887: Zuerst grub ich auf den Gesichtss punkt..."„ Wir kamen zu der Feststellung:
Die Hügel find überhaupt keine Gräber.
Daß Archäologen graben, gehört zum Beruf. Das also wundert uns nicht. Schließlich sind wir auch gewöhnt, sie an den unmöglichsten Stellen graben zu sehen. Aber auf„ Gesichtspunkten"...? Ich weiß ja nicht. Mir kommen Gesichtspunkte für Ausgrabungen etwas klein vor. Vielleicht hätte der Herr Professor seinem Auftraggeber ein befriedigenderes Resultat mitbringen können, wenn er nicht so viel auf Gesichtspunken gegraben hätte.
Nun soll eine neue Grundlage einer neuen natio- neue Gleichschaltungen:
nalen Oper geschaffen werden, trotzdem sämtliche geistigen Führer des deutschen Musiktheaters im Eril find. Herr „ Kulturführer" Göbbels, der ja von der„ Oper" etwas verstehen muß, sagte in der sattsam bekannten Ansprache an läßlich der Konferenz der Theaterdirektoren: das neue Drama und Theater müsse heroisch, sachlich, stählern, national und gemeinsam verpflichtend" sein. Diese Theaterpolitif ist eindeutig die eines Bolschewismus: denn nicht um„ Bergottung des Individuums" geht es, sondern um " Vergottung der Masse", also um Schaffung einer follet tiven Maffenkunft, um Schaffung des bolschewistischen Kol lektivdramas.
Mit diesen Worten hat Göbbels den Nationalsozialismus als vollständige Parallel- und Uebergangserscheinung zum Bolschewismus entlarvt. Und tatsächlich entsprechen die bis herigen Manifestationen des Nationalsozialismus, die Forcierung der Militärmärsche und des Horst- Wessel- Liedes als Um und Auf der neuen Kunst. Und Künstler wie Klemperer, Bert Brecht, Kurt Weill und Hanns Etsler( der große Arbeiterkomponist) müssen dafür im Eril leben.
Aber die Oper ist gleichgeschaltet. Herr Kutzschbach mag nur ruhig als Nachfolger Friz Brusch' in der Dresdener Staatsoper das Horst- Wessel- Lied dirigieren, der in seinen Gesinnungen überaus wandlungsfähige Kleiber den Pfeifertag" von Schillings aufführen und Richard Strauß für die Ausgewiesenen einspringen. Und warten auf die neue autoptone garantiert raffenreine Opernkunst des Dritten Reiches weitere vier Monate!
wir
1. Erotik
Drei Anzeigen in der„ Korrespondenz"-Rubrik des„ Prager Tagblatt" vom 1. Juli: Welcher bestsituierte Gentleman möchte 29jährige Beamtin, gebildet, fesch und lieb, auf eine hübsche Sommerreise mitnehmen? Unter Nur Arier" hauptpostlagernd."„ Für Urlaub im August von guter Touristin arische Wanderkameradin oder kleine Gesellschaft gesucht."" Fesche, blonde Beamtin, Ende zwanzig, wünscht gebildeten Arier höherer Statur zwecks gemeinsamer Ausflüge und Geselligkeit kennenzulernen."
2. Würste
In Augsburg tagte der diesjährige Deutsche FleischerVerbandstag. Der neue 1. Vorsitzende, Willy Schmidt aus Hildesheim, gelobte feierlich, sein Amt stets nach den Grundsätzen der Treue und Redlichkeit zu führen, gegen Klassengeist und Eigenbrötelei anzukämpfen und alles daran zu setzen, um auch den Fleischerberuf mit dem Geist der nationalen Revolution zu durchdringen. An den Vizepräsidenten des deutschen Handwerks richtete er die Bitte, die Reichsregierung und dem Kanzler die unbedingte Verbundenheit des Deutschen Fleischerverbandes mit der nationalen Regierung zum Ausdruck zu bringen. An den Reichskanzler wurde ein Ergebenheitstelegramm gerichtet.( Bölf. Beobachter", 7. Juli.)