Aus den Kreisen der Linken in der Sozialdemokratie Frankreichs , also der Richtung, die den französischen Parteitag beherrschte, geht uns der nachstehende Aufsatz zu. Er verdient als Information über die Gedankengänge der franzö sischen Marxisten Beachtung:
Krise der Internationale
Der Parteitag der französischen sozialistischen Partei hat nicht nur innerhalb der sozialistischen Arbeiterschaft aller Länder verdiente Beachtung gefunden. Er hat auch in der bürgerlichen Welt, in Frankreich und anderswo, Aufsehen erregt. Nach der Niederwerfung der deutschen Arbeiterklasse ist das Schwergewicht der internationalen Bewegung des sozialistischen Proletariats in die west- und nordeuropäischen Länder gerückt. Die französische Partei ist heute eine der zahlenmäßig stärksten, der politisch einflußreichsten der Internationale. Jhre Diskussionen, ihre Beschlüsse sind ein Stück Geschichte des zeitgenössischen Sozialismus.
Die Diskussionen auf dem Parteitag von Paris waren heftig und seine Beschlüsse haben zwar die organisato rische Einheit der Partei gewahrt, aber die politischen Meinungsverschiedenheiten in ihren Reihen nicht beseitigt. Sie streiten sich! triumphiert die kapitalistische Preffe. Sie spalten sich! prophezeit sie, heute Lügen gestraft, morgen von neuem. Die Internationale ist tot! so läuft es durch die Schlagzeilen der bürgerlichen Blätter. Der Margismus ist erledigt... Ach, wie oft haben sie den Marxismus schon totgefagt, wie oft die Internationale schon begraben! Und immer noch flößt ihnen der„ tote" Margismus Sorge ein. Und immer noch horchen sie auf und höhnen, wenn die schon eingesargten Sozialisten irgendwo lebhafter diskutieren...
Es ist wahr: der internationale Sozialismus sieht sich heute in allen Ländern vor große Probleme gestellt. Die
Krise des zusammenbrechenden Kapitalismus drängt fie
ihm auf. Der Ueberfall des Faschismus, der in einzelnen Ländern die Arbeiterklasse überwältigt und niedergeschlagen hat, zwingt ihn in neue Stellung. Es gilt in unserer Zeit der rasch wechselnden Situationen, manche Anschau ung von gestern dem Heute anzupassen. Es gilt in einer von Krisen geschüttelten, von Gefahren durchwühlten, vor große Entscheidungen gestellten Welt, manche Auffassung zu revidieren in anderm Sinne, als es die Bürgerlichen
meinen!
Auch die französische Partei ist von dem Wellenschlag der Weltgeschichte bewegt, der heute die ganze internationale Arbeiterbewegung aufrüttelt. Aber sie hat zudem ihre eigenen Probleme und diese waren es, die den Parteitag beherrschten. Es wird Gelegenheit sein, sobald die vollständigen Berichte vorliegen, unsere Leser mit diesen Problemen genauer vertraut zu machen. Aber schon heute ist es für jeden, der die französische Politik nur einigermaßen kennt, ohne weiteres möglich, das, was die bürgerliche Presse die Krise des französischen Sozialis mus nennt, in seiner wirklichen Bedeutung klarzustellen.
Der Meinungskampf auf diesem französischen Partei tag wie auf vielen, die ihm vorangegangen sind, galt der Frage der Unterstützung oder der Beteiligung der Sozia listen an einer linksbürgerlichen Regierung, in letzter Linte also dem Problem der Stellung der sozialistischen Klassenpartei zum Staat. Man weiß, daß diese Frage in Frankreich in der heutigen Situation besondere Bedeutung hat: angesichts des gewaltigen und rüstungslüfternen Faschismus, der jenseits der Grenze, in Deutschland die Macht erobert hat, angesichts der durch diese Machtergrei fung des deutschen Nationalfaschismus gestärkten nationalistischen Reaktion in Frankreich selbst, die sprungbereit auf ihre Stunde wartet und deren Führer, Herr Tardieu, sich erst in der letzten Zeit deutlich zu faschistischen, antiparlamentarischen Gedankengängen bekannt hat. Sollen in dieser Situation die französischen Sozialisten die Regierung des Staates ganz der Schwäche der bürgerlichen Linken überlassen? so fragt die Rechte der Partei, die die Mehrheit in der Parlamentsfraktion be sitzt. Soll in dieser Situation die französische Partei sich in einer Koalitionsregierung kompromittieren, die die Verantwortung für militärische Rüstungen zu tragen, die Widrigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse zu erdulden, die, wenn sie es wagte, auch nur die geringste sozial politische oder gar sozialistische Reform zu unternehmen, sofort die gefährliche Sabotage und die mütende Gegenwehr der großen Finanzmächte gegen sich hätte? Soll sich auf diese Weise die sozialistische Partei in aussichtslosem Bemühen für kurze Zeit verbrauchen, um dann um so sicherer geschlagen abtreten, um so sicherer das Feld der faschistischen Rechten räumen zu müssen. So antwortet die Linke, die Mehrheit der Partei. Sie ist bereit, die linksbürgerliche Regierung weiterhin zu unterstützen, soweit dies nötig ist, um den Frieden und die Demokratie zu verteidigen. Sie ist nicht bereit, die selbständige Politik der Arbeiterklasse, die stolze Unabhängigkeit einer proletarischen Partei gegenüber der bürgerlichen Welt preiszugeben.
Die Kammerfraktion getadelt!
Deshalb hat sie die Fraktion, die im parlamentarischen Alltag bereit war, der Regierung unter allen Umständen Gefolgschaft zu leisten, durch den Tadel des Parteitages zur Ordnung gerufen. Allein wie kommt es, daß diese Mahnung zur Disziplin, der Beschluß des Parteitages gegenüber der Fraktion, überhaupt notwendig war? Daß sich der Gegensatz der Meinungen, der die Partei bewegt, in einem Gegensatz zwischen der Parteileitung und der Fraktion verkörpert, ist eine Besonderheit der franzö sischen Politik. Frankreich ist das einzige Land Europas. in dem es, hervorgewachsen aus der sozialen Schichtung der Bevölkerung und aus den geschichtlichen Traditionen des französischen Bürgertums, noch eine starke republikanisch- demokratische, freisinnige und antiklerikale bür gerliche Linke gibt, die politisch schwankend und wirtschaftlich immer mehr dem Kapitalismus hörig, zahlenmäßig noch immer die stärkste Partei des französischen Parlaments auch stärker als die sozialistische blieben ist. Dazu kommt das französische Wahlrecht mit
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seinen Einer- Wahlkreisen und seiner Stichwahl, das die Parteien der Linken, Sozialisten und Radikale, geradezu zwingt, sich gegenseitig Hilfe zu leisten. Dieses Bündnis in den Wahlkreisen, das sie ins Parlament gebracht hat, dem sie ihr Mandat verdanken, jezt nun ein Teil der sozialistischen Abgeordneten in der Kammer fort; fie stützen sich dabei auf die Tatsache, daß ein Teil der Wählerschaft der sozialistischen Partei sich aus denselben Bauern und Kleinbürgern rekrutiert, die auch die Gefolgschaft der Radikalen bilden.
listischen Partei, diese Elemente der kleinbürgerlichen Es ist die geschichtliche Aufgabe der französischen sozia Demokratie, die bisher die Wählerkaders der formlosen und in viele Gruppen zersplitterten Linken gebildet haben, in einer organisierten Bewegung zusammenzu fassen und sie unter die Führung der Arbeiterklasse zu stellen. In der Tat ist die sozialistische Partei in Frank reich die erste, die sich aus einem bunten Gemisch lokaler Wahlkomitees zu einem organisierten und disziplinierten, durch das Band des Klassenbewußtseins geeinten und zur geschlossenen Aktion befähigten Körper entwickelt hat.
Die Aufgabe der Sozialdemokratic
Diese Erziehungsarbeit, die die Massen der französischen Demokratie politisch aktionsfähig macht, und sie mit sozialistischem Geist erfüllt, ist ein Entwicklungsprozeß. Auf diesem Wege hat die französische sozialistische Partei zahlreiche Widerstände zu überwinden. Auf diesem Wege be zeichnet der Beschluß des Parteitages von Paris eine neue Etappe.
Aber was bedeutet er? Es ist der Widerstand der alten Formen der unorganisierten kleinbürgerlichen Demokratie, den die Unbotmäßigkeit eines Teiles der Abgeord neten innerhalb der französischen Partei verkörpert. Es ist der Wille der französischen Arbeiterklasse, sich diese Volkskräfte einzuordnen und unter die Leitung des klassenbewußten Proletariats zu stellen, der sich in den Beschlüssen der Parteimehrheit ausspricht. So ist das Ergebnis des Parteitages von Paris in Wahrheit nicht ein Hemmnis, sondern ein Fortschritt des sozialistischen Gedankens, der proletarischen Disziplin und der margistischen Klarheit in den Reihen der französischen Arbeiterbewegung. Es ist nicht eine Niederlage des Marxismus, sondern ein Sieg.
Gewiß dieser Sieg ist unter Schwierigkeiten erfochten und schmerzlich, wie manches, das ihm vorausgegangen ist, werden vorübergehend auch seine Folgen sein. Aber es ist das Los der sozialistischen Klassenbewegung des Proletariats in der Uebergangszeit, die wir durchleben, daß sie sich über Jrrungen, Fehler und Schwächen hinweg zur Einheit des Willens und zur Geschloffenheit der Organisation durchringen muß. So ist der französische Parteitag ein Zeichen und Sinnbild eines größeren Geschehens. Wo bürgerlicher Unverstand und antimargistischer Haß Spaltung und Niederlage der Arbeiterbewegung erblickt, bort geht in Wahrheit der„ tote" Margismus, die erledigte Internationale ihren Weg zu neuem Leben.
Man schreibt uns aus Luxemburg :
Das Bischöfliche Ordinariat in Luxemburg brachte am letten Dienstag in seinem Sprachorgan, dem„ Luxemburger Wort", eine längere Ausführung für seine Leser, daß dicsmal von sogenannten Pilgerzügen zum Heiligen Rock" in Trier abgesehen werden müsse. Als Begründung wurde angegeben, die deutsche Gesandtschaft hätte hinsichtlich der Paßformalitäten zuviel Schwierigkeiten entgegengesetzt.
In Wirklichkeit scheinen aber tiefere Gründe den Bischof von Luremburg veranlaßt zu haben, seine Pfarrkinder nicht nach Trier wallfahrten zu lassen.
Es wird uns nämlich bekannt, daß vor einiger Zeit in Wasserbillig ein Kind in der Schulpause„ Heil Hitler" gerufen habe, was vom Pfarrer Hurt gerügt wurde. Das Kind muß das seinen Eltern oder sonstigen Bekannten weiter
erzählt haben, denn ein paar Tage später fuhr ein elegantes Auto aus Trier vor dem Pfarrhause vor. Ein Herr entstieg dem Wagen und sprach beim Pfarrer Hurt vor. Sie kämen auf Veranlassung des Bischofs Dr. Bornewasser, um Pfarrer Hurt nach Trier zu bringen. Er sei vom Bischof in Trier auserwählt worden, für den luxemburgischen Klerus die notwendigen Vorbereitungen zu den Wallfahrten nach Trier zu treffen.
Pfarrer Hurt ahnte nichts Gutes, telefonierte mit einem Amtsbruder, der ihm dringend abriet, die Fahrt mitzumachen, und entging so einem unbekannten Schicksal. Das„ Luxemburger Wort" als Sprachrohr des Klerus hat bisher diesen Vorfall ebenso verschwiegen wie die meisten skandalösen Ausschreitungen der Nationalsozialisten gegen katholische Geistliche in der Pfalz und dem übrigen Deutsch land .
Ergebnisse der Volkszählung
Preußen hat eine Bevölkerung von 39,96 Millionen gegen 38,24 Millionen bei der Volkszählung 1925; die Bevölkerung. ist also in acht Jahren um 4,5 v. H. gewachsen. Die stärkste Zunahme hatten die Regierungsbezirke Osnabrück ( 8,9 v. H.), Potsdam ( 8,7 v. H.) und Aachen ( 8,3 v. H.), die schwächste die Regierungsbezirke Röslin( 0,1 v. 5.) und Gumbinnen ( 0,8 v. H.)
Die Ergebnisse dieser Aufrechnung, die das Interesse aller Volkskreise an der Zählung befriedigen sollen, sind aber, wie das Preußische Statistische Landesamt hinzufügt, zu Verwaltungsmaßnahmen und zu bevölkerungsstatistischen Be rechnungen nicht zu verwenden. Die Zählung fand im Sommer statt, in einem Monat, in dem sich bereits viele Bewohner der Städte auf Urlaub befinden, in dem das Saisonpersonal der Badeorte eben für diese Saison verstärkt ist und sich nicht am ständigen Wohnort aufhält. Man bekommt also mit der Zählung der ortsanwesenden Bevölkerung feine Uebersicht über die wirkliche Größe der einzelnen Orte. Deshalb wird das Preußische Statistische Landesamt auch keine Uebersichten über die in den einzelnen Städten ermittelten ortsanwesenden Personen veröffentlichen, sondern beschränkt sich auf eine Tabelle für die Regierungsbezirke und Propinzen.
Wörtlich!
Ein Leser übermittelte uns aus der Pfalz die folgenden Sprüche, die die Schulkinder auf höheren Befehl unter Anweisung der Lehrer aufsagen müſſen:
Du lieber Gott, ich bitte Dich, Ein braves Kind laß werden mich. Schenk mir Gesundheit und Verstand Und schütze unser deutsches Land. Schütz Adolf Hitler jeden Tag, Daß ihm kein Leid geschehen mag. Du hast gesandt ihn in der Not, Erhalt ihn uns, o lieber Gott !
Herr, o höre der Kinder Flehn, Laß unsere Arbeit vorwärts gehn, Gib unsern Kriegern Ruh, Die Witwen und Waisen tröste Du, Verleih den Deutschen wieder Kraft, Die uns Freiheit und Frieden schafft. Laß Adolf Hitler endlich doch, Befrein uns von dem schweren Joch. Uns Seit an Seit mit Hindenburg , Getreu im Kampf, wir halten durch!
Am Mittwoch starb im Alter von 83 Jahren nach längerer Krankheit Professor Robert Seidel. Der Verstorbene war als Politiker, Schriftsteller und Pädagoge eine weit betannte Persönlichkeit. Von Beruf Tuchweber, tat er sich in seiner sächsischen Heimat in der Arbeiterbewegung hervor; in Zürich trat er mit Greulich in Verbindung. Nach Aufgabe des Weberberufs bildete er sich zum Primar- und Sekundarlehrer aus und stellte sich schließlich völlig in den Dienst der Arbeitersache. 1905 habilitierte er sich an der E. T. Hochschule. Von 1893 bis 1923 war er Mitglied des Züricher Kantonrates, von 1898 bis 1923 auch des Großen Stadtrates von Zürich und von 1911 bis 1917 war er als Mitglied der Sozialistischen Partei im Nationalrat.
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Es war in den letzten Jahren still geworden um den sonst so lebhaften alten Herrn, der bis in sein hohes Alter hinein sich gern an Versammlungen und Debatten beteiligte. Eine Ehrung seiner sozialen Dichtung durch die Schillerstiftung hat ihm im letzten Jahre noch große Freude bereitet. Nun ist der alte Feuerkopf still hinübergegangen. Mit ihm verschwindet einer der letzten Beteiligten aus den Anfangszeiten der or= ganisierten schweizerischen Arbeiterbewegung, der er durch Jahrzehnte hindurch auf kantonalem und eidgenössischem Boden treue Dienste geleistet hat.
Besonders große Verdienste hat er sich um die Fortentwicklung der Pädagogik erworben. Namentlich hat er die Idee des Arbeitsunterricht es in der Schule in ihren Anfängen gefördert und in Vorträgen und Schriften, so besonders in seinem Buche„ Der Arbeitsunterricht" methodisch ausgestaltet. Der Ehrentitel eines Vaters der Sozialpädagogik gebührt ihm, der auf Rousseaus und Pestalozzis Jdeen fußend, unentwegt sich in den Parlamenten, wie in seinen Schriften für den Ausbau unseres Schulwesens einseite.
Neben dem Kämpfer für die Menschenrechte, für die geistige Freiheit und für den Völkerfrieden, war Robert Seidel auch Dichter, vor allem Lyriker. Denn, wie er in der Politik vor allem mit dem Herzen kämpfte, so drängte sich vieles von seinem Wollen und Streben in seine Dichtung hinein, die vor allem sich auf sozialem Gebiete erging. Seine Arbeitergedichte und lieder fanden in der ersten Zeit der sozialen Dichtung starken Widerhall. Nun ist also sein stets begeistertes Herz stillgeworden. Als ein aufrechter und ehrlicher Kämpfer für die Verbesserung des Menschendaseins, als ein Berfechter der Freiheit des Geistes und der sozialen Ges rechtigkeit, als ein ideal gesinnter Volfserzieher und Volksdichter, als ein geistig allzeit lebendiger, liebenswürdiger Mensch wird Robert Seidel im Gedächtnis unseres Volkes weiterleben.