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Nummer 29­

Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

1. Jahrgang Saarbrücken , Sonntag/ Montag, 23./24. Juli 1933 Chefredakteur: M. Braun

So geht der heilige Nimbus um,

Er kennt, er kennt sein Publikum. Er ist

-samt Sohle, Schein und Schelle­

Von Haus aus Tapeziergeselle.

Und hat das sei ihm nicht ver­dacht!

Es sehr weit auf der Welt gebracht. 1903 Karl Henckell

Der geschmierte Luftminister

in

Der Bestechungsskandal um Göring um Göring - Geheime Staatspolizei den Junkerswerken- Beisciteschaffung des Belastungsmaterials?

Paris , 22. Juli. ( Eig. Drahtb.) Die Pariser Prese steht unter dem Eindruck der Tatsache, daß der deutsche Reichsluftminister und preußische Minister: präsident Göring von seinen eigenen Freunden und vor allem von den Kreisen der Reichswehr beschuldigt und als überführt bezeichnet wird, Schmiergelder im Betrage von über vier Millionen Reichsmark von der deutschen Flugs zeugindustrie gegen Gewährung amtlicher Subventionen ans genommen zu haben. Wenn auch in dieser Sache ein Dementi

der Berliner Stellen, das bisher jedoch seltsamerweise und völlig entgegen den neudeutschen Gepflogenheiten ausgeblie­ben ist, noch erwartet wird, so gibt man hier doch der Ueber­zeugung Ausdruck, daß ein solcher einseitiger Ablengnungs: versuch die Tatsachen der Bestechung des Reichsministers Göring zu widerlegen nicht mehr geeignet ist. Wenn Herr Göring das Experiment wagen sollte, sich reinzuwaschen, Göring das Experiment wagen sollte, sich reinzuwaschen, dann muß er schon die gesamten Geschäftsvorgänge der dent: schen Flugzeugindustrie und des Luftfahrtministeriums einer

Hitlers..Münchener Saustall"

objektiven, das heißt: neutralen Untersuchungskommission zur Prüfung vorlegen. Mindestens bis zu diesem Zeitpunkt aber ist die Welt gezwungen und wird nicht davon abgehen, in Herrn Göring einen Menschen zu erblicken, der durch die bewußte Verlegung der Verträge nicht in erster Linie der verbotenen Luftrüstung Deutschlands hat dienen wollen, son dern der für die eigenen Taschen gearbeitet hat. In dieser Sache gehen uns aus Berlin noch folgende zwei Meldungen zu:

-

Die Reichsregierung hat der deutschen Presse eine Erklä rung zugehen lassen, in der behauptet wird, es sei unwahr, daß der Reichsminister Göring Bestechungsgelder angenom men hat; es sei ferner unwahr, daß Deutschland die Lufts aufrüstung in welcher Form auch immer betreibe.

Den Zeitungen wird bei Androhung des Verbots auf unbestimmte Zeit untersagt, über die in dieser Sache im Ausland vers

- Herd der Rebellion breiteten Meldungen zu berichten; ebens

Die Flugrelsen des Kanzlers nach München - Herd der Rebellion Das kompromittlerende Lob der Kapitalisten- Kampf gegen die SA .

Aus München wird uns von besonderer Seite geschrieben: Die Reisen des Führers" nach München häufen sich. Er kommt nicht nur über Sonntag, sondern auch noch in der Woche in die Hauptstadt der Organisation seiner Bewegung. Der Münchener Stadtklatsch, der noch nicht ganz gleichgeschal­tet ist, bringt diese häufigen Flugreisen des Reichskanzlers mit zarten Beziehungen zu einer Dame der Münchener Ge­sellschaft in Verbindung. Ob das Tatsache ist oder nur zur Rehabilitierung Hitlers und der Männlichkeit im Braunen Hause erfunden wurde, interessiert den Politiker weiter nicht. Wir wissen, daß die Häufung der Reisen nach München und der jetzige seit einer Reihe von Tagen anhaltende Besuch- auch Henderson und Neurath mußten nach München - mit den großen Sorgen zusammenhängt, die dem Führer der Nazis die Zustände im Stammlande seiner Bewegung, in Bayern erwachsen. Er selbst hat vom Münchener Saust a II" gesprochen. Die Entlassung des nationalsozia listischen Wirtschaftsberaters Dr. Wagner, die Korruption des bayerischen Justizministers Frant, die ausschweifende Lebensführung rasch zu Geld gekommener Nazibonzen, die Schwenkung vom Nationalsozialismus zum Hochkapitali­mus, haben furchtbare Enttäuschung in Bayern hervorge­rufen.

-

Der Reichsstatthalter von Epp hat anßerordentliche Voll­machten erhalten. Das bedeutet: er kann mit allen Mitteln, auch den brutalften und blutigsten, jeden Widerstand gegen die Parteiführung unterdrücken. Daß Epp vor keinem Blutbad zurückschreckt, hat er mehr als einmal in seiner militärischen Laufbahn bewiesen.

Alle Parteibonzen aus ganz Bayern würden nach München berufen, um dort gegen die Störenfriede in den eigenen Reihen scharf gemacht zu werden. Es wurde ihnen gesagt, daß fie mit Schubhaft und Konzentrationslager nicht zurüd­haltend zu sein brauchen, wenn sie bei bolschewistischen" Elementen in der Partei Widerstand fänden. Bolschewist" ist jetzt jeder, der die Durchführung nationalsozialistischer Programmpunkte fordert.

Vor den Führern der bayerischen Wirtschaft, also den Industriellen, Landwirten, Großhändlern und Bankiers hat sich der Ministerpräsident Siebert start gemacht, er werde vor den strengsten Bergeltungsmaßnahmen nicht zurückschrecken, wenn Eingriffe von Unberufenen in die Wirtschaft erfolgten.

Diese Unberufenen aber sind die Leute der NSBO., die man nicht so gründlich für den Kapitalismus umschalten kann, wie die mit allen hochbezahltea Pfründen gesegneten

hohen Bonzen.

der wachsenden Mißstimmung im Volke beschäftigen darf, Die Wut der Nazipreffe, die sich öffentlich nicht so laut mit richtet sich gegen die kapitalistische Presse, die den Führer" als einen weisen auf die Erhaltung und die Entfaltung des Kapitalismus bedachten Staatsmann feiert. Diesen Zeitun gen wird vorgeworfen, sie verständen die Reden des Kanz­lers absichtlich falsch und kommentierten sie in einer Weise, daß das Vertrauen zum Führer erschüttert werde. Mithin: Hitler darf zwar eine gegenrevolutionäre Rede halten; er darf der Revolution ein donnerndes Halt zurufen und jeden mit Einsperren bedrohen, der noch von der zweiten Revo­Intion oder gar von einer weitertreibenden Revolution

spricht, aber wenn die kapitalistische Presse diesen Reden zu­stimmt, so kompromittiert das den Führer. Es könnte näm­lich die SA. und die NSBO., die nur zum Gehorchen da sind, hellhörig machen.

Der Völkische Beobachter schnauzt die jetzt mit Herrn Hitler so zufriedenen Kapitalisten an:

Wir verwahren uns mit aller Entschiedenheit gegen solch unsinniges Geschwäß, wir verbitten es uns, unserm Führer Adolf Hitler in dieser hinterhältigen, versteckten Weise in solcher Verkennung seiner Worte

Untreue an seinem eigenen national: fozialistischen Programm zu unterstellen, und wir verbitten es uns weiterhin, daß Leute, die noch nie eine Ahnung vom nationalsozialistischen Denken hatten,

Aeußerungen unsrer Führer unter Verdrehungen zum Kampf gegen den Nationalsozialismus verwenden. Das sind dieselben Leute, die früher vor jeder national­

sozialistischen Massenversammlung nach Ruhe und Ord­

nung" schrien, damit unsre Versammlungen als ruhestörend verboten werden sollten.

so darf bis auf weiteres das Dementi der Reichsregierung nicht publiziert werden. Bei den Junkers- Werken in Dessau und Berlin sind am 20. Juli durch Beamte der Geheimen Staatspolizei die ges samten Geschäftsbücher und Papiere beschlagnahmt worden; dasselbe erfolgte mit den Privatakten des Professors Junker. Einige führende Angestellte der Junkers- Werke wurden vers haftet.

Schr scharfe Gesetze" Hochpolitische Beratungen in Berlin Berlin

, 22. Juli. Heute vormittag triff der preußi­sche Ministerrat zusammen, der sich mit sehr scharfen Maßnahmen und Gesetzen auf dem Gebiete des Rechts­lebens beschäftigen wird. Außerdem sind alle leitenden Staatsbeamten und SA. - und SS. - Gruppenführer Preußens für heute nach Berlin geladen.

Sie schreien heute nach Ruhe und Ordnung im Wirts 5 Millionen Erwerbslosc

schaftsleben, damit an dem von ihnen selbst heruntergewirts schafteten Apparat und in ihre nach wie vor eigennützigen Interessen nicht gerührt werde.

Die Worte der von ihnen sonst nicht verteidigten national­sozialistischen Führer wären aber für ihre antinationalsozia­listische Propaganda gerade gut genug; denn sie bilden sich ein, sich nunmehr hinter den Verlautbarungen der Reichs= minister für die Fortführung ihrer kapitalistischen Wirt­schaftsmethoden verschanzen zu können.

Aber zur selben Zeit, wo der Völkische Beobachter so tat, als sei Hitler tief im Herzen noch immer gegen den Kapi­

talismus, war der Reichswirtschaftsminister Dr. Schmitt in München und hat dort nach demselben Völkischen Beobachter" ein flares Bekenntnis zur freien kapitalistischen Wirtschaft als seinem Jdeal abgelegt. Klar und deutlich ist er für die freie vom Staat nicht gehemmte kapitalistische Wirtschaft

eingetreten.

Das ist ehrlich. Schmitt fügte noch dankbar hinzu, daß nun die Wirtschaft endlich frei ist von allen Hem mungen früherer Beiten". Das ist liberalistischer Kapitalismus in reinster Blüte.

Wenn nicht in der Theorie, werden die nationalsozialisti schen Massen das bald in der Praxis begreifen.

Henderson in Paris

Im Hochsommer!

Amtlich wird aus Berlin gemeldet:

Die Zahl der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Arbeits­losen ist von Ende Juni bis Mitte Juli um weitere 29 000 auf 4828 000 geinnten.

Das bedeutet, daß trotz aller statistischen Kunststücke eine schwächere Abnahme der Erwerbslosigkeit errechnet ist als in den Vormonaten. Trotz Arbeits- und Konzentrations­lagern, trop massenhafter Ausschaltung von staatsfeindlichen

Elementen" aus den Unterstübungsfäßen, troß der Bedrohung

mit Schußhaft und Konzentrationslager an die Wohlfahrts­erwerbslosen, die angeblich zu unrecht Untertüßung he­ziehen, troß der täglichen Behauptung in der gleichgeschal­

teten Presse, daß es aufwärts gehe: fast fünf Millionen Er­werbslose Mitte Juli! Das heißt: bei den Arbeits= ämtern gemeldete Erwerbslose. Und wie viele find nicht gemeldet? Man muß zu den amtlich gemeldeten Er­werbslosen nach den Erjahrungen langer Jahre immer noch 1,5 bis 2 Millionen Ermerbsiose hinzurechnen. Deutschland steht also nach wie vor weit an der Spitze der europäischen Erwerbslosigkeit, Es ist unmöglich, das abzu­leugnen.

Er bringt Hitlers Angebot zu Daladier Paris , 22. Juli. Der Präsident der Abrüstungskonferens, Papens Geheimreise

Sondermission des Herrn von Papen

Rom, 21. Juli. ( Inpreß). Durch eine seltsame Indiskre tion" find wir in der Lage mitzuteilen, daß der Vizekanaler

Henderson, trifft heute in Paris ein und wird, wie man ers klärt, sofort am Quai d'Orsay mit dem Minister für Auss wärtige Angelegenheiten eine Unterredung haben. Hender­son will die französische Regierung über das Ergebnis der Besprechungen, die er in Italien und Deutschland hatte, Franz von Papen , der gegenwärtig in Rom weilt, von dort unterrichten.

Er überbringt, wie aus Berlin gemeldet wird, die Bereit­schaft des deutschen Reichskanzlers zu einer Aussprache mit Daladier.

wahrscheinlich nicht nach Berlin zurückkehren wird, sondern zunächst einmal Paris aussuchen soll, um hier gegen die deutschfeindliche Stimmung und gegen die antideutsche Pro paganda zu wirken.