„ Ich kann dieses Land nicht mehr lieben"
Was der Seemann Hager über seine Erlebnisse in Deutschland erzählt
Es wird eine Zeit kommen, wo Hitlers Kerfer alle ihre Geheimnisse hergeben werden, und diese Schreckensherrschaft der Reaktion wird eine jener Seiten der Geschichte sein, vor denen die Späteren ein Grauen schüttelt.
Ich fann dieses Land nicht mehr lieben!" sagte im Laufe des Gespräches, das er mit uns führte, der Seemann Karl Hager und es war eine wehe Zerrissenheit in seiner Stimme. Karl Hager ist Schiffsoberheizer und stand 20 Jahre lang im Dienst der deutschen Flotte. In Krieg und Frieden hat er diesem Land gedient, das seine Wahlheimat war, denn er ist Desterreicher. Ein Glück für ihn, daß er kein ganzer Deutscher ist, denn mit seinen eignen Söhnen verfährt das neue Deutschland noch etwas schlimmer als mit seinen Adoptivsöhnen, seine eignen Söhne läßt es so leicht nicht laufen. Weffen Verbrechens machte sich der Seemann Karl Has ger schuldig?
Hier ist seine Schuld: 22 Jahre lang war er Mitglied der freien Gewerkschaften, er war Parteimitglied der SPD . Und dann tat er noch das Fürchterliche: am 11. Mai schlenderte er mit einem Kameraden in Hamburg die„ Reeperbahn " entlang und die beiden pfiffen und summten sich ein Lied. Es war das Lied:„ Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, Volkstribun..." Das war offenbar die Erlöserschaft Hitlers öffentlich angezweifelt, und es dauerte denn auch nicht lange, so traten zwei Hilfspolizisten an die beiden heran und erklärten sie für verhaftet. Sie wurden auf die David- Wache gebracht, die im Hamburger Volksmund den bildhaften Namen„ Schlägerwache" führt. Hier wurden ihnen sämtliche Papiere abgenommen.
Als man die Mitgliedsbücher der SPD . fand, schlug man den beiden ihre Papier so lange ins Gesicht, bis fie aus Mund und Nase bluteten. Danach erhielten sie eine„ Abreibung" mit dem Gummiknüppel und wurden ins Hamburger Polizeigefängnis gebracht, wo sie drei Tage lang inhaftiert blieben.
Dann wurde Hager in das als Internierungslager hergerichtete Gerichtsgefängnis Dortmund , Lübecker Straße 21, überführt. Hier lag er mit 7 andern in einer Belle, die auf höchstens 4 Mann berechnet war. Unter den 8 Insassen befanden sich auch zwei katholische Geistliche sowie ein füdischer Kaufmann A. E. aus Dortmund . Mit letzterem tam Hager insofern näher in Beziehungen, als er zum Partner des Juden bei einer täglichen Nazi- Erziehungskur außersehen war. Das ging so: jeden Morgen mußte Hager die Unratfübel der Belle leeren und schwenken. Dann mußte er Sette an Seite mit dem Juden antreten. Jedem von ihnen wurde ein Streichhola zwischen Daumen und Mittelfinger der
gruß erhoben.
rechten Hand gesteckt und diese wurde alsdann zum Hitler- reibungen" schließen kann. Auf die Behandlung der ander: Gefängnis- Insassen konnte man nach den vielen verbun denen Köpfen schließen, die man beim Kirchgang sehen konnte.
So standen die beiden eine halbe Stunde lang neben einander und mußten die ganze Zeit über die folgenden Sprüchlein hersagen, flar und deutlich standiert: Der Jude:„ Ich bin ein stin- ti- ger Ju- de!" ich Darauf der Oesterreicher Hager: Und will ein Deut- scher wer- den!"
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Der dieses Bekenntnis anordnete, war ein Hilfspolizist, hörend auf den gutgermanischen Namen Garborinski. Hitlergruß und Lektion wurden ununterbrochen während einer halben Stunde geübt. Bei jedem fühlbaren Nachlassen der
Begeisterung wurde mit dem Gummiknüppel nachgeholfen.
Als„ Effen" gab es morgens ein trodnes Stück strohdurchsetztes Schwarzbrot mit einer schwarzen Brühe,„ Kaffee" genannt; mittags einen halben Liter Suppe ohne eine Spur von Fett; abends wieder trocknes Brot. Kartoffeln, zum menschlichen Genuß übrigens ungeeignet, gab es einmal in der Woche, Dienstags abends.
Sonntags wurden die Jnhaftierten gezwungen, dem Gottesdienst beizuwohnen, abwechselnd einem katholischen und einem protestantischen, ohne Rücksicht auf das Relis gionsbekenntnis des einzelnen.
Der„ Gottesdienst" bestand in der Hauptsache darin, daß die Pfarrer furchtbar von der Kanzel herab schimpften, daß die Gefangenen keine Deutschen seien. Dann wurde noch ein herrliches Lied gesungen:„ Lobe dem Herrn meine Seele, der mich so gnädiglich hat geführet..." Was müssen diese armen geschundenen Häftlinge des Dantes voll gewesen sein ob dieser gnädiglichen Führung! Auf Nichtmitsingen stand Arrest.
Was hatten all diese Menschen getan? Ein Mitinsasse, Bergmann ans Woehrl, war zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil er dem Rotfront- Kämpferbund angehört hatte, der 1929 aufgelöst wurde!
Er und alle seine Kameraden wurden von einem ihrer ehemaligen Kollegen, der zur SS. übergetreten war, verraten und zu Gefängnisstrafen von 9 bis 18 Monaten verurteilt. Der einzige Verteidiger, der für sie sprechen wollte, wurde nicht zugelassen, weil er Jude war.
Das Gefängnis selbst war Züchtigungsinstitut rohester Art. Sehr oft konnte man Menschen in den Zellen brüllen hören wie Tiere. Für jede Kleinigkeit setzte es Rippenstöße und Hiebe; für jedes unvorsichtige Wort trat der Gummiknüppel in Aktion. So wurde Hager selbst dreimal mit einer Gummifnüppel- ,, Abreibung" und Kürzung der sowieso unzulänglichen Ration bestraft. Noch heute wackeln ihm alle Vorderzähne, woraus man auf die Brutalität dieser„ Ab
Nach dem Reichskanzler das Finanzamt
Nach frohem Feste- saure Wochen
Am 9. Juli hat der Reichskanzler Hitler in Dortmund gesprochen. Die Arbeiter und die Angestellten mußten zur Entgegennahme der Rede antreten und befehlsgemäß dem Führer zujubeln.
- das
Als Hitler abgereist war, kam nicht etwa eine Lohner höhung oder ein Abbau der unerschwinglichen Fettpreise, sondern eine neue Steuer, und zwar in Gestalt eines frei willigen Opfers für die Belebung der Wirtschaft. Der Aufruf lautet:
Auch Ihr müßt an Opfern bereit sein, denn nur durch Opfer tann Deutschland aufgebaut werden! Denn es wird so sein: Wenn die Neichsregierung durch den opferbereiten Sinn des Volkes in die Lage versetzt wird, auch dem legten Erwerbslofen Arbeit zu geben, dann wird das auf jeden Volksgenossen zurückstrahlen und ihm selbst wieder beffere Existenzmöglichkeit sichern.
Wir wiffen, daß jeder, der sein Bolt liebt und mithelfen will, auch gern und freudig gibt, soviel in seinen Kräften fteht. Diese haben die Zeichen der Zeit, Gemeinnug geht vor Eigennus!
verstanden, und die gesetzte Freiwilligkeit war ihnen ein besonderer Antrieb.
Wir erwarten, daß auch die Bevölkerung unserer Stadt, die einen solchen herrlichen Sonntag, wie den 9. Juli 1983, erleben durfte, beweisen wird, daß sie den Führer in seiner schweren Arbeit tatkräftig unterstützt. Die Spenden können beim hiesigen Finanzamt eingezahlt werden.
Heil Hitler!
Gottfried Flach, Stadtverordneten- Vorsteher.
Als Beispiel für die Abgabe der freiwilligen Spenden hat der Angestelltenrat der Dortmunder Union folgende Richtfäße ausgearbeitet. Sie umfassen Gehaltsstufen von 100 Mart bis 2000 Mart monatlich Der als tragbar angesehene Spendenbeitrag ist sowohl für Ledige als auch für Berheiratete zu ersehen.
Ein Insasse der Nebenzelle schlug eines Tages in einem Anfall von Wut und Verzweiflung die Scheiben des Zels lenfensters ein. Er wurde darauf halb tot geschlagen und in eine Tobsuchtszelle gesperrt, wo man ihn 5 Tage lang ohne jede ärztliche Hilfe ließ.
Es handelt sich um einen Kaufmann Th. H., der in München aus politischen Gründen verhaftet wurde.
Das Recht im Dritten Reich ? Hier ein Beispiel: Karl
Hager wurde alle paar Tage einem Richter namens Ofenburg vorgeführt, der, wie übrigens das gesamte Gericht, mit einem Hakenkreuz- Abzeichen geschmückt war. Dort mußte er über seine politische Einstellung aussagen. Auf die Antwort Hagers: Herr, ich bleibe Sozialdemokrat," geriet der Richter jedesmal in Wut, schrie ihn an: Schweinehund!" und diftierte Rationsverkürzung.
Schließlich gelang es Hager, sich mit dem österreichischen Konsulat in Verbindung zu setzen und auf dessen Einschreiten hin wurde er vor etwa zwei Wochen entlassen und aus Deutschland ausgewiesen. Der Weg wurde ihm freigestellt.
Hager besaß, als er ins Gefängnis eingeliefert wurde, 60 Mark bares Geld. Bei seiner Entlassung wurden ihm noch 22 Mart ausgezahlt. Außerdem hatte man seine Kleis der bis auf den Anzug, den er trug, verkauft.
Da sein Hemd infolge der SA.- Behandlung vollkommen in Feßen war, wurde ihm ein Hemd übergeben, daß auf der Brust einen großen schwarzen Stempel der staatlichen Internierungsanstalt trägt.( Ein zerfeßtes Hemd könnte leicht„ Greuelnachrichten" verbreiten!) Von den ihm verblie benen 22 Mark mußte Hager dann noch seine und seines Bes gleiters Reise sowie beider Nachtunterkunft bezahlen, so daß er am nächsten Tag fast ohne Geldmittel über die belgische Grenze geschoben wurde.
Wohin, Seemann Karl Hager? Seine Seemannspapiere hat man zurückgehalten. Seine Stelle ist längst von einem Nazi besetzt. Wohin?
Karl Hager kam durch Luremburg, er will durch Frank reich wandern, nach Spanien zu. Vielleicht, daß dort ein Schiff in einem Hafen liegt, das ihn haben will. Vielleicht!
Er ist einer von hunderttausenden und noch der glücklichsten einer. Weil er fein echter Deutscher ist. Er fist uns gegenüber, ein intelligenter Proletarierkopf mit mutigen Augen. Aber diese Augen werden hart und der Mund wird hart, als er spricht: Ich habe vier Jahre lang für dieses Land gekämpft. Ich kann dieses Land nicht mehr lieben!"
39 Picnnig Stundenlohn
Eine Lohntüte aus dem Dritten Reich Vor uns liegt folgende Lohntüte eines vollbeschäftigten erwachsenen Arbeiters aus dem Dritten Reich:
10. 7. bis 15.7. Woche vom. 48 Stunden. Nebenverdienst
Abzüge:
Krankengeld.
à Mk...-, 39
wwwwww
..
Alters- u. Inval.- Vers. Erwerbslosenfürsorge
9
Summa:
RM R
70
60
69
•
33
RM
RA
18 72
Steuern
Einkommen in Reichsmart:
Einmalige Spenden
100
150
175
in Reichsmart
ledig verheiratet
Einmalige
Spenden
125 1,- 2,50 3,50 5- 7,- 9,11,- 0,50 1,50 2,50 8,50 7,50 5, 6,- 500 550 600 650 750 700 800
200
225
250
275
300
350 13,50 19,- 9,50 14,- 850 900
400
Bürgersteuer....
26, 20,- 950
Erwerbslosenhilfe..
Ehestandsh.
in Reichsmart
Spenden
450 ledig 33,- verheiratet 27,- 38,- 41,- 50,- 59,-
1000 Tebig 200,- verheiratet 200,-
41,- 49,- 58,- 67,- 76,- 87,- 98,- 112,- 127,- 147,- 68,- 79,- 92,-
in Reichsmart Jetzt schon ist das Ergebnis, wie man aus Dortmund schreibt, so, daß nur die kleinen Angestellten und die Arbeiter, freiwillig" gezwungen werden, diese Richtfäße einzuhalten, die höheren Angestellten und Direktoren kontrolliert niemand. Die Erbitterung über diese neue
Ueber 2000,- 25 Prozent.
106,124,
147,-
3wangssteuer ist um so größer, als man weiß, daß bie Versuche der NSBO., Einfluß auf die Gehaltsfestsetzung der Direktoren im Bergbau und in der Industrie zu erlangen, vollkommen gescheitert sind.
Betrag inliegend.
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32
36 3 30
Verbleiben:
15 42
Bei Empfang sofort zu prüfen.
Dem Manne bleiben also Mk. 15,42= rund 90 Franken, die Woche für alle Bedürfnisse des Lebens.
Es wird aber außerdem verlangt, daß er von seinem Einkommen noch für die„ Spende ber nationalen Arbeit" opfert.
Wir wiederholen: es handelt sich um einen Arbeiter, der erwachsen ist und volle 48 Stunden die Woche gearbeitet hat.
Der Daily Herald berichtet, wie wir schon furz telegrafisch mitteilten, daß der verhaftete Kommunistenführer Thäl. mann von den Nazis gezwungen werden soll, als " Schurke" im Tonfilm Horst Wessel " aufzutreten. Die Die rektoren der betreffenden Filmgesellschaft wollen den Film so naturalistisch wie möglich machen und wandten sich deshalb an die Geheime Staatspolizei . Die Filmgesellschaft hat iegt die Mitteilung von der Geheimen Staatspolizei erhalten, daß Thälmann gezwungen werden wird, in dem Film persönlich aufzutreten. Auf welche Weise er dazu gezwungen
werden soll, wird natürlich in dem Schreiben der Polizei nicht gesagt. Wie der Daily, Herald erfährt, soll Thälmann im Gefängnis gefilmt werden und Auszüge aus seinen Reden sollen dazu synchronisiert werden.„ Um seine Partei soviel wie möglich anzuschwärzen, soll Thälmann gezwungen werden so aufzutreten, als ob er ein Feuer anlege, und diese Szenen werden in die Szenen vom Reichstagsbrand einge baut werden. Es soll damit der Anschein erweckt werden, als ob Thälmann für das Verbrechen verantwortlich ist, das von den Nazis unter Führung Görings begangen wurde. Horst Wessel wird nur in Deutschland gezeigt werden."
Bauernführer in Schleswig verhaftet
In Schleswig und Holstein wurden in den letzten Tagen durch die Geheime Staatspolizei Dußende von Bauernführern verhaftet. Sie alle sind eingeschriebene Nationalsozia listen und haben sich für die Enteignung des Großgrundbesitzes ausgesprochen. Die Leitung der Geheimen Staatspolizet hat gerade in den Kreisen dieser Bauernführer viele Verbindungsmänner besessen, die noch aus der Zeit ber Bombenleger Salomon, Volt und Klaus Heim au einer geheimen Organisation gehören.