H. N. Brailsford, London  :

Präsident Roosevelts Gehirntrust

Vielleicht...

Wenn man uns vor einigen Jahren gefragt hätte, welches große Industrieland als erstes den Sozialismus einführen werde, dann hätten die meisten von uns sicher geantwortet: " Deutschland  ". Wir hätten uns geirrt, aber wir wären dabei in guter Gesellschaft gewesen. Lenin   war, wie mir einer sei­ner engsten Mitarbeiter erzählte, zur Zeit der November­revolution davon überzeugt, er habe mit ihr eine Flamme entzündet, die der deutschen   Arbeiterschaft auf dem Wege zu ihrer Erhebung leuchten sollte. Seinem eigenen Experiment in Rußland   gab er eine voraussichtliche Lebenszeit von höch= stens vier Monaten. Wenn man uns aufgefordert hätte, das große Industrieland zu nennen, das als letztes zum Sozia­lismus kommen werde, dann hätten wir sicher gesagt: Die Vereinigten Staaten." Und da haben wir uns vielleicht wie­der geirrt. Fast scheint es, als wollte Amerika   zum Sozia­lismus kommen, obwohl oder weil es keine Sozialisten hat. Ueberall sonst haben wir den Sozialismus so laut und so lange gepredigt, daß die Ohren unserer Gegner eine Art schützende Panzerplatte geworden sind. In Amerika   aber hat der Durchschnittsmensch nicht die leiseste Ahnung, was das Wort Sozialismus" eigentlich bedeutet. Vielleicht wird ihn

Die Logik der Ereignisse in Amerika  

Berhältnis zwischen Rauffraft und Erzeugung kann nicht durch den Zufall ausgeglichen werden; also wandte Amerika  dem neunzehnten Jahrhundert entschlossen den Rücken. Ea gab nicht viel Neues in dem ersten Entwurf des wirtschaft­lichen Organisationsaufbaues. Jede Industrie muß eine un­ternehmervereinigung schaffen. Diese muß mit den beteilig ten Gewerkschaften verhandeln. Sie muß dann einen Wirt­schaftsplan vorlegen, in welchem Vorschläge über Erzeu gungsmenge, Standardpreise, Mindestlöhne und eine Mari­malarbeitswoche enthalten sind. Diese Pläne müssen nach einer öffentlichen Verhandlung durch einen vom Präsidenten ernannten Kommissär bestätigt werden. Dieser Kommissär hat starke Zwangsmittel in der Hand, denn er kann jedem Unternehmer und jeder Unternehmervereinigung die Be­rechtigung zur Betriebsführung entziehen, wenn sein Gebot übertreten wird. Der Präsident strebt zunächst nach einer Fünfunddreißigstundenwoche, die im Einzelfall gewissen Va­riationen unterliegt, und nach einem Mindestwochenlohn von 14 Dollar. Eine weitere Organisation wird geschaffen, um die verschiedenen Einzelpläne in Einklang zu bringen und einen nationalen Wirtschaftsplan zu schaffen.

deshalb die Logik der Ereignisse in den Sozialismus hinein. Die Kaufkraft

treiben, bevor er Zeit hat, schaudernd zurückzuschrecken. Ame­ rikas   Volk hat zu experimentieren begonnen, und wenn Amerikaner einmal als Masse in Bewegung gekommen sind, dann haben sie die Neigung, sich in einem hißigen und über­stürzten Tempo zu bewegen. Wenn sie es jemals tun, dann werden sie in den Sozialismus unbewußt hineinstolpern. Er wird die Folge ihrer Handlungen sein und nicht das Ergeb­nis ihrer Ueberlegungen. Und wenn der Sozialismus durch­geführt ist, werden sie ihn für eine amerikanische Erfindung halten, patentiert im Jahre 1938.

Amerikanische  

Wirtschaftsauffassung

Jetzt glaubt der Leser, daß ich Unsinn rede. Ich will meine Worte also näher erklären. Seit meiner Reise nach Amerika  vor vier Monaten habe ich den Präsidenten Roosevelt   mit wachsender Neugier und Bewunderung beobachtet. Er ist zweifellos ein Mann von ungewöhnlicher Tatkraft und Er­findungsgabe, der sich nicht leicht besiegen läßt. Auch hat er feine vorgefaßten Ideen, die ihn stören könnten. Er impro­visiert seine Politik, während er sie durchführt. Diese Politik war, als er sein Amt antrat, ein unverständliches Gewirr von Widersprüchen. Dann nahm sie langsam Gestalt an, hauptsächlich unter dem Druck der Ereignisse. Der Mann ist ein Kämpfer. Wenn die Mächte, die er als Anarchie" be­zeichnet, ihm in den Weg treten, dann schlägt er los. Und die Gewalt seiner Schläge scheint ihn bei jedem Streich ein gro­ßes Wegstück vorwärts zu reißen. Wo wird er stehenbleiben? Er bekämpft die Anarchie". Seine Mitarbeiter gebrauchen diesen Ausdruck immer wieder. Sie haben erkannt, daß die kapitalistische Wirtschaft, wie sie sich in der Hochkonjunktur und in der Krise gezeigt hat, nichts andres ist als Unord­nung. Sie sehen das Problem, viel klarer als die Europäer, in Begriffen der Mathematik. Die Amerikaner haben die Statistik auf eine viel höhere Stufe gebracht, als wir in Europa   es jemals versucht haben. Sehr rasch, sehr detailliert und, wie sie glauben, mit ausreichender Genauigkeit, haben sie gelernt, den Wirtschaftsprozeß der Disziplin der Zahlen zu unterwerfen. Bald nach dem Ende jedes Monats wissen sie ungefähr die Menge und den Wert der Waren, die ihre Industrie erzeugt hat, wie weit die von den Eisenbahnen beförderten Frachten nach oben oder nach unter variiert haben; wie weit die großen, Kettenladen"-Warenhäuser diese Waren im Kleinverkauf abgesetzt haben, und schließlich, ob die Bewegung der Löhne, aufwärts oder abwärts, mit dem Ergebnis der Gütererzeugung Schritt gehalten hat oder da­hinter zurückgeblieben ist. Diese Zahlen werden in der gro­Ben Oeffentlichkeit verbreitet und besprochen. Infolgedessen hat jeder durchschnittlich intelligente Mensch begonnen, sich ein sichtbares Bild davon zu machen, was Ordnung im Wirt­schaftsleben bedeuten soll. Das ist hier keine Utopie; es ist ein statistisches Diagramm. Der Amerikaner will die Pro­duktion und die Löhne durch zwei Kurven dargestellt sehen, die auf dem Blatt seiner Tageszeitung in parallelen, auf­steigenden Linien emporkriechen.

Preise und Löhne

Das ist vielleicht kein sehr erhabenes Jdeal. Vielleicht nicht. Aber nichtsdestoweniger setzt es einen sehr hohen Grad der wirtschaftlichen Organisation voraus. Es setzt voraus, daß es irgendwo eine zentrale Stelle gibt, die jeder einzelnen In­

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Sehr kühn, sehr lobenswert wird der Leser sagen, aber das ist schließlich auch erst ein geordneter Kapitalismus, in dem der Privatunternehmer noch die Kommandogewalt inne­hat und in dem das Profitinteresse noch immer das treibende Motiv ist. Das ist zweifellos richtig. Sicher beabsichtigte Prä­sident Roosevelt   auch nicht mehr vor ein oder zwei Wochen. Aber hier tritt die Logik der Ereignisse ein. Sobald die In­dustrie begriff, daß der Präsident den Wirtschaftswohlstand zu organisieren" beabsichtigte, begann sie ihre Profite zu sichern. In der Erkenntnis, daß die Preise der Rohmateria­lien wie auch die Löhne steigen würden, begannen die Fa briken rasch für die kommende Hochkonjunktur vorzuarbeiten, und zwar zu einer Zeit, wo Preise und Löhne noch niedrig waren. Und nun enthüllte der genaue amerikanische stati­stische Apparat, was geschah. Vom März bis zum Mai wuchs die Erzeugung der Industrie um 35 Prozent; die Löhne aber stiegen nur um 7 Prozent. Sofort sah der Amerikaner die unausbleiblichen Folgen. Die Kaufkraft war im Zurückblei­ben; eine neue Katastrophe stand bevor, die schlimmer zu werden drohte als die Krise selbst; die Profite waren im Begriff, die Konjunktur umzubringen. Also wurde die Or­ganisierung der Wirtschaft beschleunigt, das Niveau der Löhne erhöht und die Anzahl der Maximalarbeitsstunden vermindert.

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Die letzte Chance"

Wenn das alles wäre, dann wäre es nicht viel. Aber Präsi dent Roosevelts Gehirntrust" beginnt ieht die wahre Natur der Anarchie", die er bekämpft, etwas deutlicher zu erfen nen. Vielleicht begreift er noch nicht, daß die im Privatbesib befindliche Industrie immer für Profite arbeiten muß und daß die Gleichung zwischen Erzeugungsmenge und Kauffraft niemals aufgeben kann, solange das so ist. Aber jedenfalls beginnt er so etwas zu ahnen. Man höre beispielsweise die Worte Donald Richbergs, den die Times" als General­berater der Regierung" bezeichnen. Dies", schreibt er, ist die letzte Chance für die Industrie, ihre Selbständigkeit zu retten." Die Regierung werde keine Rückkehr zu der gold­gepanzerten Anarchie" gestatten, die sich als urwüchsiger In dividualismus mastierte". Jezt gebe es nur noch die Wahl zwischen privater und öffentlicher Wahl der Direktoren der Industrie". Das heißt, die Regierung Roosevelt   fängt an, die Wirtschaft als eine Angelegenheit des Ges meinwohl es zu betrachten.

Die Emigranten

Eine Statistik der Sozialdemokratie

Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschs lands, Sizz Prag, hat eine Erhebung über die Zahl der deuts schen Emigranten im Ausland und ihre Lebensverhältnisse eingeleitet. Ueber das Ergebnis dieser Erhebungen werden folgende vorläufigen Zahlen bekannt:

In der Tschechoslowakei   beträgt die Zahl der Emigranten etwa 3000, davon find 200 sozialdemokratisch organisierte pos litische Flüchtlinge. Sie haben Deutschland   verlassen müssen, weil ihr Leben und ihre Freiheit durch den Faschismus bes droht waren. Unter den anderen, insbesondere den jüdischen der wirtschaftlichen Existenz. Emigranten ist der Anlaß zur Emigration die Vernichtung

Am größten ist die Zahl der Emigranten in Frankreich  . Paris   und das Elsaß   sind die Mittelpunkte der Emigration. Die genaue Zahl der Emigranten in Frankreich   ist noch nicht festgestellt. Doch ist kaum ein Zweifel, daß die Zahl der Emigranten in ganz Frankreich   keinesfalls geringer als 30 000 ift. Sie fteigt täglich. In Paris   befinden sich etwa 400 sozialdemokratisch organisierte Flüchtlinge, aber auch deren Zahl wird täglich größer.

Im Saargebiet beziffert man die Zahl der Emigrans auf 500; auch dort ist der Anteil der sozialdemokratischen Emigranten nur etwa ein Zehntel.

Im Verhältnis zur Größe des Landes dürfte Holland  den größten Anteil an der Emigration haben. Die Zahl der Flüchtlinge wird auf 8000 beziffert. Davon sind rund 800 bis 900 Mitglieder der Sozialdemokratie, weitere 500 Mitglieder des Reichsbanners bzw. der Freien Gewerks schaften.

In der Schweiz   wird die Zahl der sozialdemokratischen Emigranten mit etwa 200 angegeben. Die Zahl der Emis granten überhaupt dürfte dort bei etwa 2000 liegen.

Aus England liegen bisher keine allgemeinen Zahlen vor. Die Zahl der sozialdemokratischen Emigranten beträgt nur etwa 12 bis 15. Es gibt jedoch eine nennenswerte jü­dische Emigration.

In Dänemark  , Schweden   und Norwegen   ist die Emigration gering. Insgesamt wird hier mit etwa 60 so­zialdemokratischen Emigranten gerechnet. Dasselbe gilt von Spanien   und Desterreich.

Bemerkenswert ist, daß überall die Zahl der sozialdemos tratischen Emigranten nur etwa ein Zehntel der Gesamt­zahl der Emigranten darstellt.

Paris  

Gedenkfeier für Freymuth

Die Deutsche Liga für Menschenrechte und die Rechts stelle für deutsche Flüchtlinge veranstalten am Sonntag, dem 30. Juli, 10 Uhr vormitttags in dem Saal der Fran­ zösischen   Liga für Menschenrechte, 27, Rue Jean Dolent, Paris   14( Metro St. Jacques) eine Trauerfeier für den auf so tragische Weise aus dem Leben geschiedenen Senatsprä sidenten Arnold Freymuth  , Begründer der Republi kanischen Beschwerdestelle, früheres Vorstandsmitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte und aktives Mitglied zahlreicher republikanischer und pazifistischer Organisa­tionen. Alle Emigranten sind willkommen.

Verantwortlich: für die Redaktion Joh. Piz; Inserate Otto Kuhn, beide in Saarbrücken  . Druck und Verlag: ..Boltsstimme" G. m. b. S., Saarbrücken  , Schüßenstraße 5.

Alle Geldlendungen für die ,, Deutfche Freiheit"

dustrie und allen zusammen vorschreibt, wieviel sie produ- Saarbrücken  , Bahnhofstraße 32 zieren sollen. Es seßt offenbar ebenso irgendein Mittel vor­aus, wodurch bei einem gegebenen Niveau der Preise die Gesamthöhe der Löhne so reguliert werden kann, daß alle Waren, die für den inneren Markt bestimmt sind, einen Käu­ser finden. Die Kauffraft muß mit der Leistung der Produk­tion gleich Schritt halten. Natürlich wünscht man den höchst= möglichen Lebensstandard und daher die volle Ausnüßung der Produktionsmittel bis zur Grenze ihrer Leistungsfähig= keit. Man wünscht, daß für alle Arbeit da sein soll, und da­mit taucht die Frage der Arbeitszeit auf. Die Frage wird nun in folgender Form gestellt: zu welchem Durchschnitts­lohn und wie viele Arbeitsstunden per Woche soll unsere Bevölkerung arbeiten, um( angenommen, daß die Preise auf einem gegebenen Niveau stabilisiert sind) unsere Erzeugungs­fähigkeit voll und dauernd auszunüßen? Auf diese Frage folgt sofort eine andre: wie sollen wir es durchsetzen, daß mit dem Steigen der Erzeugung die Kaufkraft- das heißt also im wesentlichen die Lohnsumme- mitsteigt?

Pläne

Auf diese Frage gab Präsident Roosevelts Wirtschaftliches Wiederausbaugesetz die erste vorläufige Antwort. Dieses Ge­setz bedeutet vor allem die rückhaltlose Absage an den ur­wüchsigen Individualismus" und an den freien Wettbe­werb". Ordnung ist nur durch Organisation zu schaffen. Das

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